16. September 2022
Die rechtsextremen Schwedendemokraten sind aus der Neonazi-Szene hervorgegangen. Jetzt sind sie zweitstärkste Kraft. Anstatt sie zu bekämpfen, öffnen ihnen die Konservativen die Tür.
Faschist in bürgerlichem Gewand: Der Parteivorsitzende der Schwedendemokraten Jimmie Åkesson bei einer Wahlkampfrede in Gävle, 23. August 2022.
IMAGO / TTDer rechte Block der Moderaten, der Christdemokraten, der Liberalen und der rechtsextremen Schwedendemokraten hat mit Stand vom Montag 49,7 Prozent der Stimmen gewonnen, gegen die 48,8 Prozent der anderen möglichen Koalition aus Sozialdemokraten, Linken, Grünen und der Zentrumspartei. Die endgültigen Stimmen werden am Mittwoch ausgezählt, doch Ulf Kristersson, der Vorsitzende der Moderaten, sagt, er sei bereit, mit der Regierungsbildung zu beginnen.
Nach der Wahl 2018 waren vier Monate Verhandlungen notwendig, bis eine Regierung ernannt werden konnte. Eine derartige Verzögerung ist diesmal unwahrscheinlich, da sich diesmal recht klar zwei unterschiedliche politische Blöcke herausbilden. Diese Blöcke bedeuten jedoch keine Rückkehr zu Rechts und Links als dominierendem Wettstreit in der schwedischen Politik, und es gibt große politische Differenzen innerhalb beider Koalitionen. Tatsächlich gründeten sich die Blöcke weitgehend um die Frage herum, ob die rechtsextremen Schwedendemokraten (SD) Einfluss auf die Regierung nehmen dürfen oder nicht. Vier Parteien sagten »Nein«, vier andere Parteien sagten »Ja«.
Der »Nein zu den SD«-Block wird von den Sozialdemokraten angeführt, die den Wahlkampf damit verbrachten, den »Ja zu den SD«-Block mit Fragen zur Migration und zu Recht und Ordnung zu übertrumpfen, während sie nicht in der Lage waren, eine glaubwürdige linke Wirtschaftspolitik zu artikulieren, da der Block auch die neoliberale Zentrumspartei umfasste. Damit wurden auch die Unterschiede zwischen den möglichen Regierungskoalitionen minimal. Wenn das Ergebnis steht, kann die konservative Rechte eine Regierung bilden, aber im Schatten der Schwedendemokraten, die zweitgrößte Partei werden.
Die Linkspartei hat versucht, mit einem klassischeren sozialdemokratischen Profil aus dem Schatten der Sozialdemokraten auszubrechen, verlor aber am Ende 1,4 Prozent gegenüber der letzten Wahl auf Landesebene. Die übergeordnete Strategie für den Wahlkampf der Linkspartei war es, sich in den ländlichen Gegenden des »Rostgürtels« durchzusetzen, was nicht gelang. Die Linkspartei gewann in den drei größten Städten Stockholm, Göteborg und Malmö jeweils 2 bis 3 Prozent – doch das reichte nicht, um den allgemeinen Rückgang auszugleichen.
Bei den vergangenen Wahlen 2018 fassten wir das Ergebnis wie folgt zusammen: »Das grundlegende Narrativ der Wahl ist der Niedergang der beiden größten Parteien, der Sozialdemokraten und der Moderaten Partei, und der gleichzeitige Aufstieg der Schwedendemokraten.«
Das gilt leider immer noch – diesmal erst recht. Einige frühe Stimmen sowie Stimmen aus dem Ausland sind noch auszuzählen, aber alles deutet darauf hin, dass die rechtskonservative Koalition mit einem minimalen Vorsprung gewinnt. Zwar haben die Sozialdemokraten im Vergleich zu 2018 2,2 Prozent hinzugewonnen, während die Moderaten verloren haben – aber diese Verschiebungen sagen viel weniger über die aktuelle Situation aus als der Aufstieg der Schwedendemokraten zur zweitgrößten Partei in Schweden mit 20,6 Prozent.
Die Schwedendemokraten wurden 1988 aus der Bewegung »Bevara Sverige Svenskt« (deutsch etwa: »Schweden soll schwedisch bleiben«) gegründet und bestanden aus explizit rassistischen und neonazistischen Gruppen, die sich unter einem gemeinsamen Banner vereinigten. Die Schwedendemokraten haben die Jahre seit 1988 damit verbracht, ihre Akte zu bereinigen, aber die Partei ist nach wie vor eine einwanderungsfeindliche Partei, die sich auf nur ein Thema konzentriert und deren Mitglieder ständig »Ausrutscher« begehen, den neuen Kommunikationsplan der Führung »vergessen« und rassistische Beschimpfungen unter Pseudonymen ins Internet schreiben.
In den letzten acht Jahren gab es eine Fülle von Verhandlungen zur Bildung verschiedener Minderheitenkonstellationen, besondere einmalige Vereinbarungen zur Umsetzung von Reformen und die ständig drohende Gefahr von Neuwahlen oder Misstrauensvoten. Die Sozialdemokraten waren im vergangenen Jahr die einzige Regierungspartei, nachdem die Grünen die Regierung verlassen hatten, als bei der letzten Haushaltsabstimmung der Haushaltsvorschlag der rechtskonservativen Koalition aus Moderaten, Liberalen und Christdemokraten verabschiedet wurde. Die Grünen weigerten sich, mit einem mit den fremdenfeindlichen Schwedendemokraten ausgehandelten Haushaltsentwurf zu regieren, der eine Kürzung der Klimareformen mit sich brachte. Daher verließen sie umgehend die Regierung, während die Sozialdemokraten blieben und mit einem Haushalt der Opposition regierten.
Die Reaktion der Sozialdemokraten auf den sinkenden Wähleranteil bestand darin, eine oder zwei der rechten Parteien in Koalitionen zu locken und damit die Fähigkeit der Moderaten, eine Mehrheit zu bilden, zu vereiteln. Die Verachtung der Schwedendemokraten durch die Zentrumspartei machte Letztere zum sympathischsten Kandidaten, aber sie sind in wirtschaftlichen Fragen neoliberal und forderten einen hohen Preis für ihre Unterstützung. Die einzig mögliche linke Koalition braucht auch Unterstützung von der Linkspartei und den Grünen. Zentrumspartei-Chefin Annie Lööf hat ausdrücklich erklärt, sie werde niemals eine Regierung mit Ministern der Linkspartei unterstützen – oder auch nur eine linke Politik. Unterdessen erklärte Linken-Parteichefin Nooshi Dadgostar, dass die Unterstützung ihrer Partei davon abhängig sei, Teil der Regierung zu sein.
Auf der anderen Seite hat der rechtskonservative Block der Moderaten, Liberalen und Christdemokraten nun die Zusammenarbeit mit den Schwedendemokraten normalisiert, obwohl die anderen Koalitionspartner behaupten, dass diese noch zu unreif sind, um Minister in der Regierung zu haben. Da die Schwedendemokraten die größte Partei im Block sind, wird es allerdings nur eine Frage der Zeit sein, bis sie Ministerposten beanspruchen. Die Schwedendemokraten werden wahrscheinlich zunächst Reformen und nicht Ministerposten fordern, während sie ihren Kader mit Präsenz in Räten und Ausschüssen ausbilden.
Dieser Wahlkampf war eine ständige Enthüllung des erfolglosen Populismus. Die Sozialdemokraten versuchten, rechtsgerichtete Wählerinnen und Wähler zu gewinnen, indem sie versprachen, die Migration einzuschränken, die Kriminalität hart zu bekämpfen, die Militärausgaben zu erhöhen, die Interessen von Unternehmen zu berücksichtigen und keine größeren Steuerreformen durchzuführen. Der Wahlkampf der konservativen Rechten war nicht viel anders, daher konzentrierte sich die Wahl hauptsächlich auf die Glaubwürdigkeit der Parteiführer und ihre persönliche Fähigkeit, eine Regierung zu bilden und »Schweden zu führen«. Da beide Koalitionen relativ locker waren, gab es viel Spielraum für Manöver und populistische Vorschläge der einzelnen Parteien – es spielte keine Rolle, ob sie intern widersprüchlich waren, da nach der Wahl alle notwendigen Vorkehrungen getroffen werden konnten. Diese Dynamik war offenbar am erfolgreichsten für die Schwedendemokraten.
Nach der vorherigen Wahl wurde im »Januar-Abkommen« ein Cordon sanitaire gegen die Schwedendemokraten formalisiert, in dem die Sozialdemokraten mit Unterstützung der Grünen, Liberalen und der Zentrumspartei und mit Duldung der Linkspartei regieren konnten. Diese Vereinbarung kam mit 73 konkreten Reformen – mit einem starken rechten Profil – zustande, wurde aber nur teilweise umgesetzt. 2021 forderte die Linkspartei ein Misstrauensvotum gegen die Regierung, um eine Politik zu stoppen, die ausgehandelte Mieten durch Marktmieten im Wohnungssektor ersetzen soll.
Dies bedeutete den Zusammenbruch des Januar-Abkommens und in kurzer Folge wurde der Cordon sanitaire gebrochen, und die Moderaten, die Christdemokraten und – zuletzt – die Liberalen begannen offen, mit den Schwedendemokraten zusammenzuarbeiten. Nun wollen diese Parteien eine Regierung bilden, deren gemeinsame Lösungen für die größten politischen Herausforderungen abgesehen von Kriminalität und Migration noch unklar sind.
Die russische Invasion in der Ukraine leitete eine rasche Änderung der 200 Jahre alten militärischen Politik der Blockfreiheit ein, und innerhalb weniger Wochen nach den ersten Schüssen des Krieges beantragte Schweden die NATO-Mitgliedschaft. Der autokratische türkische Staatschef Erdogan witterte eine Chance und listete seine Forderungen auf, um den Beitritt Schwedens zu erlauben, darunter die Auslieferung von 33 überwiegend kurdischen Bewohnerinnen und Bewohnern Schwedens sowie ein Ende jeglicher Unterstützung der YPG-Truppen in Syrien.
Erst wenige Monate zuvor hatte die sozialdemokratische Außenministerin Ann Linde die YPG wegen ihres Kampfes gegen den IS zu Helden erklärt, doch die gleiche Außenministerin verhandelte kurz darauf mit der Türkei über Bedingungen. Alte Freunde sind nun sich selbst überlassen, Kurden sollen zur Folter ausgeliefert werden, und nur noch die Linkspartei kann den Missbrauch der Menschenrechte durch die Türkei kritisieren – doch den Sozialdemokraten gelang es mit wenigen Handgriffen, das Thema NATO-Beitritt aus dem Wahlkampf zu nehmen.
Die Frage der Kriminalität war eines der großen Themen der Wahl. Zum ersten Mal überhaupt haben die Wählerinnen und Wähler in Schweden die Kriminalität in Umfragen als »wichtigstes Thema« eingestuft. Die Fakten erzählen ganz unterschiedliche Geschichten, je nachdem, auf welche man sich konzentriert. Auf der einen Seite ist die tödliche Gewalt in Schweden seit mehreren Jahrzehnten konstant und liegt nun tatsächlich etwas niedriger als in den 1980er und 90er Jahren.
In den vergangenen Jahren haben aber auch die Zahl der Schusswaffengewalt und der Todesfälle zwischen verfeindeten Banden in den Großstädten stark zugenommen. Obwohl es sich hauptsächlich um interne Auseinandersetzungen von ein paar hundert Menschen handelt, haben die daraus resultierenden Schießereien im öffentlichen Raum stattgefunden und eine allgemeine Stimmung der Angst und des drohenden Chaos verbreitet, die von Boulevardmedien und Experten des rechten Flügels genährt und häufig als Folge einer »hemmungslosen« Einwanderung angesehen wird.
Die Sozialdemokraten haben höhere Strafen erlassen, die Finanzmittel für die Polizei erhöht und ihr mehr repressive Befugnisse genehmigt. Sie haben auch begonnen, explizit über die Kriminalitätsraten als Folge einer übermäßigen Einwanderung zu sprechen. Die konservative Rechte ist diesem Beispiel gefolgt und ist natürlich bereit, noch weiter zu gehen: Die Moderaten schlagen Bereiche mit »Kontrollen und Durchsuchungen« vor, in denen kein Verdacht für eine polizeiliche Intervention erforderlich ist; die christdemokratische Anführerin fragt, warum die Polizei nach Ausschreitungen nicht mehr Zivilistinnen und Zivilisten schwer verletzt habe; und die Schwedendemokraten schlagen vor, die gesamte Familie von Verurteilten auszuweisen.
Die Linkspartei verabschiedete eine klassische sozialdemokratische Agenda mit großen Investitionen, um dem wirtschaftlichen Abschwung entgegenzuwirken. Diese Investitionen sind speziell auf ländliche Gebiete und »Rostgürtel-Gebiete« ausgerichtet, um dem Niedergang großer Teile des ländlichen Schweden entgegenzuwirken. Die zugrundeliegende Idee besteht darin, die derzeitige Unterstützung junger Progressiver in den Städten durch die Eroberung von Wählerinnen und Wählern aus der Arbeiterschicht in Industriestädten zu überbrücken, die früher überwiegend sozialdemokratisch waren, sich aber heute den Schwedendemokraten zuwenden. Dieser Versuch hat zu Konflikten mit einigen Sektoren der Partei sowie mit der Umweltbewegung geführt, die beide die Begünstigung großer Industrien und des Wirtschaftswachstums als einen Schritt weg vom bisherigen Fokus auf die Klimareform gesehen haben.
Die Führung der Linkspartei hat darauf geantwortet, dass grüne Reformen nicht zu Lasten des »gewöhnlichen Volkes« gehen sollten und dass große Investitionen in »grünes Wachstum« der Weg nach vorn sind. Ausgehend von dem, gemäß dieser Analyse, zu starken Fokus auf moralische und individuelle Verantwortlichkeiten soll das Image der Linkspartei neu gestaltet werden und es wurde eine neue Kommunikationsstrategie erarbeitet. Man sollte sich nicht mehr schlecht fühlen, wenn man nach Mallorca in den Urlaub fliegt, Fleisch isst oder ein großes Auto fährt. Egal, ob damit auch mitgeteilt werden sollte, dass das Klima nicht mehr die gleiche Priorität hat – dies wurde auf jeden Fall so interpretiert, was sowohl intern als auch durch die Klimagerechtigkeitsbewegung kritisiert wurde.
Die Herausforderung, Stadt und Land, junge Progressive und traditionelle Arbeiter zu vereinen, ist für viele europäische linke Parteien nach wie vor eine ungelöste Frage, und der Schritt der Linkspartei, eine größere Wählerbasis zu finden, ist noch nicht verwirklicht, mit einem fast 1,5 Prozent schlechteren Wahlergebnis als beim letzten Mal. Ein Teil dieses Verlustes lässt sich durch den Rahmen der Wahldebatte erklären – es war für die Linke schwierig, einen Wahlkampf rund um Kriminalität, Migration und NATO zu führen. Einige dieser verlorenen Stimmen waren taktische Unterstützung für die Grünen in den letzten Wochen vor der Wahl, da die Partei Gefahr lief, unter die parlamentarische Schwelle von 4 Prozent zu fallen, was der konservativen Rechten den Sieg gesichert hätte.
Doch die Bewegung von der Linken zu den Grünen hat wahrscheinlich sowohl Pull- als auch Push-Faktoren: taktische Unterstützung für die Grünen und Unzufriedenheit darüber, wie die Linke die Bedeutung von Umweltproblemen gemindert hat. Wenn die Strategie darin bestand, die Unterstützung in Kleinstädten der Arbeiter zu stärken und gleichzeitig das kalkulierte Risiko einzugehen, einige progressive urbane Wählerinnen und Wähler zu verlieren, ist sie nur halb gelungen: Die Linke verlor Stadtwählerinnen an die Grünen, aber auch Kleinstadtwähler an die Sozialdemokraten.
Für viele Schweden war die aktuelle Wahl ein Referendum über das Konzept, den Schwedendemokraten die Teilnahme an der Regierung zu ermöglichen. Die Position dazu war die Hauptsache, die beide Koalitionen zusammenzuhält. Die Zentrumspartei liegt wirtschaftlich weiter rechts als einige der Parteien im konservativen Rechtsblock, aber ihre Weigerung, mit den Schwedendemokraten zusammenzuarbeiten, zwang sie in die Koalition der Sozialdemokraten.
Die Parteien in der rechten Koalition hatten aber auch innerlich spaltende Konflikte um die Zusammenarbeit mit einer so explizit fremdenfeindlichen Partei wie den Schwedendemokraten. Ulf Kristersson – Chef der Moderaten und wahrscheinlich der neue Ministerpräsident – versprach bekanntermaßen der Holocaust-Überlebenden Heidi Fried, er werde nie mit den Schwedendemokraten zusammenarbeiten. Der konservative Rechtsblock hat eine rasche Wandlung vollzogen von dem Versprechen, nie mit den Schwedendemokraten zu verhandeln, zu der Bekräftigung, dass Minister der Schwedendemokraten »vorerst« undenkbar seien.
Diese populistischen Manöver und zusammengebastelten Koalitionen sind auch Ausdruck des Fehlens eines historischen Blocks im gramscianischen Sinne, das heißt eines stabilen politischen Projekts, verbunden mit einer Klassenbildung und kohärenten Institutionen. Die Finanzkrise von 2008 stoppte die Welle neoliberaler Reformen in Schweden, wurde aber durch kein politisches Projekt mit Klassenbasis oder irgendwelchen anderen sozialen Formationen als Basis ersetzt.
Die Privatisierung des Wohlfahrtssektors war rasant, aber die daraus resultierende Wohnungsnot, das Versagen des Schulsystems und das strauchelnde Gesundheitswesen machen es unmöglich, das Versprechen weiterer Märkte zur Lösung der aktuellen Marktprobleme fortzusetzen. Selbst die Rechte entscheidet sich dafür, sich mehr auf Kriminalität und Migration als auf wirtschaftliche Fragen zu konzentrieren, da ihre uralten Maximen von Märkten und Freiheit derzeit nicht allzu beliebt sind.
Die wirtschaftspolitischen Unterschiede zwischen den Blöcken sind ebenfalls recht gering, und der Hauptunterschied in den kommenden Jahren wird die Überwachung der Vororte und Grenzen sein. Wie es in einem jüngsten Tweet treffend formuliert wurde, besteht der Unterschied zwischen der Zentrumspartei und den Liberalen (und ihren Koalitionen) darin, ob man die Lage für arme Migrantinnen und Migranten verschlimmert, weil sie arm sind oder weil sie Migrantinnen und Migranten sind.
Sowohl die Sozialdemokraten als auch die Linkspartei wetteifern um dieselben verärgerten Wählerinnen und Wähler aus der Arbeiterklasse, die größtenteils an die Schwedendemokraten gegangen sind. Dies ist eine jüngere Entwicklung in Schweden als in vielen anderen europäischen Ländern, und es wird viel darüber diskutiert, wie man Wählerinnen und Wähler erreichen kann, die von den Sozialdemokraten zu den Schwedendemokraten abgedriftet sind. Die Sozialdemokraten versuchen, sie an sich zu binden, indem sie immer mehr soziale Fragen als Folgen einer übermäßigen Migration analysieren. Die Linkspartei glaubt, dass diese Wählerinnen und Wähler durch eine klassische sozialdemokratische Strategie der industriellen Erneuerung und des Wohlfahrtsausbaus zurückgewonnen werden und schwächt zugleich radikale Teile des Parteiprogramms sowie einige Aspekte der Identitätspolitik ab.
Das gerechte Schweden der späten 70er Jahre ist längst vorbei, obwohl es im Selbstbild vieler Schweden eine Phantomexistenz pflegt. Die Wirtschaft hat sich während der Pandemie gut entwickelt und das Wachstum der Kapitalanlagen hat dazu geführt, dass das Vermögen von Teilen der Mittelschicht durch den Besitz eines Hauses oder von Aktien an der Börse schnell gewachsen ist. Diese Tendenz nahm zu, als die Pandemie bedeutete, dass diejenigen, die von zu Hause aus arbeiten konnten, mehr Platz benötigten und die Preise fürs Wohnen und Mieten stiegen.
Mit dem jüngsten Anstieg der Inflation und einer drohenden Rezession hebt die Notenbank nun langsam die Zinsraten von der Null an, die in den vergangenen Jahren die Norm war, und der Immobilienmarkt passt sich langsam an. Ein rascherer Rückgang würde zeigen, dass viele Haushalte nicht in der Lage sind, Hypotheken zu bezahlen, und der daraus resultierende Rückgang des Konsums würde eine kaskadierende Krise für die schwedische Wirtschaft bedeuten. Auch der säkulare Rückgang des Steuersatzes zeichnet sich ab, da das Gesundheitssystem im Sommer nicht in der Lage ist, der Pandemie zu begegnen oder auch nur den Krankenhäusern Personal zur Verfügung zu stellen. Laut einem Bericht des Finanzministeriums beträgt das zusätzliche Geld, das zur Finanzierung des aktuellen Wohlfahrtsniveaus 2026 benötigt wird, zwischen 50 und 80 Milliarden schwedische Kronen.
Der schwedische Energiemarkt steht vor einem doppelten Problem. Die Integration in den europäischen Markt hat dazu geführt, dass Schweden Strom exportiert, bis die Preise ausgeglichen sind, was insbesondere für Südschweden einen starken Anstieg der Energiepreise bedeutet hat. Ein rasanter Anstieg des Energiebedarfs hat auch zu regelmäßigen Kapazitätsengpässen während der Spitzenzeiten geführt. Zwei Atomkraftwerke wurden 2015 aufgrund eines rückläufigen Marktes geschlossen, und kaum jemand hätte damals gedacht, dass der Bau neuer Atomkraftwerke jemals politisch lebensfähig werden würde.
Diese Energiekrise wurde durch den Krieg in der Ukraine und – laut politischer Rechten – durch die Politik des Atomausstiegs der grünen Linken stark verschärft, und alle politischen Parteien haben sich bemüht, Brennstoff und Strom zu subventionieren. Obwohl der Klimawandel Teil der Kampagne war, ist die Vorstellung, dass die Klimapolitik das Konsumverhalten stören könnte, derzeit offensichtlich vom Tisch. Alle Parteien konkurrieren um die Subventionierung der aktuellen Verbrauchsraten, während sie in unterschiedlichem Maße (vor allem die Linken und die Grünen) über große Klimareformen irgendwann in weiterer Folge sprechen. Mit der konservativen Rechten an der Macht wird die Klimareform ganz bestimmt gestoppt.
Angesichts der derzeit festgefahrenen politischen Mehrheiten kann sich Schweden auf vier Jahre reaktionärer Politik freuen, in denen die demokratischen Institutionen wirklich gefährdet sind. Als die Schwedendemokraten auf lokaler Ebene an der Macht waren, haben sie versucht, die Unabhängigkeit der Beamt*innen zu stören, und sie haben die sogenannte Arm’s length-Klausel (Anm. d. Red.: Prinzip für einen Leistungsaustausch) zwischen Politik und Zivilgesellschaft verletzt, indem sie beispielsweise die Entfernung von Regenbogenfahnen anordneten.
Da die Sozialdemokraten im Zentrum einbrechen, gibt es in der politischen Landschaft Schwedens links eine große leere Fläche, aber die Linkspartei hat es versäumt, Kapital daraus zu schlagen. Die Versuche der aktuellen Führung der Linken, Stadt und Land, junge Progressive und Arbeiter zusammenzuführen, haben noch keine Früchte getragen. Die Linke verzeichnete leichte Zuwächse in den Städten mit 11-15 Prozent in jeder der drei größten Städte, schnitt aber in kleineren ländlichen Gebieten schlechter ab. Das ist ein bekanntes Problem, ist aber kritischer in einem Wahlkampf, in dem es explizit darum ging, die Wähler*innendynamik des städtischen Wachstums und des ländlichen Niedergangs zu verändern.
Das Wachstumspotenzial der Linken in den Städten ist wahrscheinlich nicht groß genug, um einen nationalen Durchbruch zu erzielen, aber die aktuelle Strategie, das Parteiprofil zu aktualisieren, hat nicht zu den gewünschten Ergebnissen geführt – die Zugewinne in den Städten konnten die Verluste in den ländlichen Regionen nicht ausgleichen. Es braucht Zeit, um das Image einer Partei zu verändern. Die Partei hatte in ihrer Strategieneugestaltung berücksichtigt, dass es verlorene Wahlen geben könnte, bevor sich erste Erfolge einstellen würden. Allerdings wird die Bewegung hin zu einer eher zentristischen populistischen Agenda in den kommenden Jahren Kritik hervorrufen, wenn sie keine Stimmen liefert.
Die Kontakte zwischen der Linkspartei und den traditionell mit den Sozialdemokraten verbundenen Gewerkschaftsführern haben zugenommen, doch bleibt abzuwarten, ob das in die Unterstützung durch eine breite Basis münden wird. Neben der Kluft zwischen Stadt und Land zeichnen sich einige stark geschlechterspezifische Wahlmuster ab, bei denen Wählerinnen eher links und grün wählen, während vor allem junge Männer die extreme Rechte wählen.
Auch im Sozialsystem treten Fehler zutage und die Menschen stehen den Privatisierungen der vergangenen zwei Jahrzehnte zunehmend skeptisch gegenüber. Die soziale Kluft bedeutet, dass im kommenden Wirtschaftsabschwung großes Potenzial für antizyklische Politik besteht. Das alte Wohlfahrtsbündnis zwischen Arbeitern und Progressiven der Mittelschicht bleibt eine Möglichkeit, und es gibt eine klare Mehrheit für Investitionen, die auf eine grüne Transformation in vernachlässigten Regionen ausgerichtet sind, sowie höhere Steuern zur Stärkung des öffentlichen Sektors. Die damit verbundene Verlagerung vom privaten auf den öffentlichen Verbrauch würde auch eine Lösung des Dilemmas der »individuellen vs. kollektiven Verantwortung« in Klimafragen bedeuten.
Die Linke muss einen klaren und prägnanten Bruch mit der neoliberalen Austeritätsideologie in der Wirtschaftspolitik präsentieren und den Konflikt um Kriminalität und Migration neutralisieren, der jetzt die Arbeiter und die progressive Mittelschicht spaltet, die eine potenzielle Basis linker Unterstützung bilden. Entweder als politisches Projekt zur Überwindung dieser Kluft oder als erfolgreiche Verlagerung der »wichtigsten Themen« zurück auf Konflikte, auf denen ein Bündnis aufgebaut werden kann, wird ein solches Klassenbündnis nur durch eine übergreifende politische Agenda aufgebaut werden, die Begeisterung wecken kann. Wie das geschehen soll, bleibt ebenso das Rätsel der schwedischen Linken wie der breiteren europäischen Linken.
Dies ist eine Zweitveröffentlichung eines Beitrags der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brüssel.
Petter Nilsson arbeitet für die Linkspartei in Stockholm, er ist Mitglied des Zentrum für marxistische Sozialstudien.
Rikard Warlenius ist Stadtrat der Linkspartei in Stockholm und Dozent für Humanökologie an der Universität Göteborg.