20. März 2024
Die Schweizer Gewerkschaften haben eine Volksinitiative für eine dreizehnte Rentenzahlung gewonnen und zugleich eine Anhebung des Rentenalters verhindert. Der Erfolg zeigt einen Weg für soziale Politik in dem als konservativ geltenden Land auf.
Menschen protestieren gegen einen Aufruf ehemaliger Regierungsminister, eine Gewerkschaftsinitiative zur Erhöhung der Rentenzahlungen abzulehnen.
Jakob Hauri, pensionierter Hausmeister und Gewerkschaftsaktivist, nahm kein Blatt vor den Mund: »Offenbar haben unsere ehemaligen Bundesräte mit ihrer Bundesrats-Rente von über 20.000 Franken pro Monat den Bezug zur Realität der normalen Leute verloren.« Er ist einer von etwa fünfhundert Rentnerinnen und Rentnern, die sich auf dem Bundesplatz in Bern versammelt hatten.
Jakob bezog sich auf einen umstrittenen Brief dreier pensionierter Bundesräte (also Mitglieder der Schweizer Bundesregierung), der an Tausende von Haushalten verschickt worden war. Der Brief forderte Wählerinnen und Wähler auf, einen »gefährlichen« Vorschlag der Gewerkschaften zur Einführung einer zusätzlichen monatlichen Rentenzahlung abzulehnen. Es war der Höhepunkt eines Abstimmungskampfs, der als einer der aggressivsten der Schweizer Geschichte gehandelt wird.
Am 3. März dieses Jahres gingen Schweizer Wählerinnen und Wähler an die Urnen, um über zwei separate, aber thematisch verknüpfte Initiativen zu entscheiden. Die Volksinitiative ist ein direktdemokratisches Instrument der Schweizer Politik, mit dem Menschen oder Organisationen eine Abstimmung zu einer bestimmten Frage erzwingen können, insofern sie dafür die Unterschriften von mindestens 100.000 Stimmberechtigten sammeln können.
Die eine Initiative, über die am 3. März abgestimmt wurde, stammte vom Jugendflügel der rechtsliberalen FDP und forderte eine Erhöhung des Rentenalters – zunächst von 65 auf 66 Jahre und dann kontinuierlich parallel zur Entwicklung der durchschnittlichen Lebenserwartung. Die andere Initiative ging in die diametral entgegengesetzte Richtung: Anstatt das Rentenalter zu erhöhen, verlangte der Schweizerische Gewerkschaftsbund, die Renten zu erhöhen. Konkret forderte er eine dreizehnte monatliche Rentenzahlung, analog zum verbreiteten und in den meisten Tarifverträgen verankerten zusätzlichen Monatslohn, der typischerweise Ende des Jahres ausbezahlt wird.
Das Rentensystem der Schweiz gliedert sich in drei Säulen. Die erste Säule, die sogenannte Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), ist für alle, die in der Schweiz leben oder arbeiten obligatorisch. Ein indirektes und verzögertes Produkt des historisch einzigen Generalstreiks von 1918, funktioniert diese staatliche Rente nach dem Umlageverfahren und wird grundsätzlich durch monatliche Lohnprozente der Arbeitnehmenden und der Unternehmen finanziert. Die AHV funktioniert grundsätzlich solidarisch und Geringverdienende erhalten später deutlich mehr Rente, als sie einbezahlt haben. Wohlhabende hingegen zahlen deutlich mehr ein, als sie später erhalten.
Die zweite Säule – die der »beruflichen Vorsorge« oder Pensionskassen – ergänzt die erste. Sie wird zwar auch durch Lohnprozente finanziert, funktioniert aber nach dem Kapitaldeckungsverfahren und teilweise im Rahmen von gewinnorientierten Pensionskassen. Damit wird das Einkommensniveau im Erwerbsleben direkt im Rentenalter reproduziert: Wer ein niedriges Erwerbseinkommen hatte, erhält auch im Rentenalter eine niedrigere Rente. Zudem sinken die tatsächlichen Pensionskassenrenten seit Jahrzehnten.
»In der Geschichte der Schweiz wurden nur 26 von mehr als zweihundert Volksinitiativen angenommen. Und die Progressiven unter ihnen lassen sich an einer Hand abzählen.«
Schließlich ist die dritte Säule de facto eine steuerbegünstigte und jährlich begrenzte Sparmöglichkeit, um die spätere Altersrente individuell und freiwillig aufzubessern. Das setzt aber voraus, dass man in Zeiten von steigenden Preisen und Mieten überhaupt die Liquidität dazu hat.
Die erste Säule, die der staatlichen AHV-Rente, geniesst in der Öffentlichkeit hohe Anerkennung – dies obwohl die politische Rechte sie seit Jahren schlechtredet, in der Hoffnung, die privaten Pensionskassen zu stärken, die im Gegensatz zur AHV lukrative Geschäftsopportunitäten darstellen. In diesem Sinne ist es für die Schweizer Gewerkschaften seit längerem nicht nur ein zentrales Anliegen, die Kaufkraft pensionierter Arbeiterinnen und Arbeiter zu erhöhen, sondern auch die solidarisch funktionierende AHV an sich zu stärken. Die Initiative für eine dreizehnte AHV-Rente erfüllte beide Aufgaben.
Die erforderlichen Unterschriften zu sammeln, stellt für etablierte politische Akteure eine schaffbare Hürde dar. Die Initiativen selbst werde jedoch nur selten angenommen – was den Ruf der Schweiz als Land begründet, in dem politischer Wandel nur schleppend vorangeht. In der Geschichte der Schweiz wurden nur 26 von mehr als zweihundert Volksinitiativen angenommen. Und die Progressiven unter ihnen lassen sich an einer Hand abzählen.
Die Initiative der Gewerkschaften schien also keinerlei Chance zu haben. Das politische Establishment war entsprechend wenig beunruhigt. Sowohl das mehrheitlich rechte Parlament als auch der Bundesrat, die mehrparteiliche Exekutive des Landes, lehnten es ab, überhaupt einen Gegenvorschlag zu machen – ein übliches Mittel, um einer Initiative den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem man Wählerinnen und Wählern eine »gemäßigte Option« anbietet.
Die Gewerkschaften mussten sich eine Strategie erarbeiten, um eine Mehrheit für die Initiative zu gewinnen und gleichzeitig die Ablehnung der FDP-Initiative zur Erhöhung des Rentenalters zu erreichen. Der Vorschlag der Jungen FDP war ohne Zweifel zutiefst reaktionär, seine Umfragewerte miserabel. Nicht zuletzt aus diesem Grund beschlossen die Gewerkschaften, ihre Kampagne auf die eigene Forderung nach einer dreizehnten Rente zu konzentrieren.
»Die Forderung nach einer Kaufkrafterhöhung im Rentenalter hatte offensichtlich einen Nerv der Zeit getroffen.«
In ihrer Kampagne bedienten sich die Gewerkschaften im Wesentlichen einer Sprache der Commonsense Solidarity – was einige auch als Linkspopulismus bezeichnen würden – und framten die dreizehnte Rente als universelle Frage. Sie verzichteten mehrheitlich darauf, bestimmte Gruppen oder Identitäten in den Vordergrund zu stellen, und zeigten mit einer simplen und verständlichen Rhetorik, dass fast alle von ihrem Vorschlag profitieren würden – außer natürlich die Reichen.
Das enorme Potenzial eines solchen Ansatzes entging selbst kritischen Beobachtern nicht. Politikwissenschaftler Michael Hermann bemerkte kurz vor der Abstimmung: »Falls die 13. AHV-Rente durchkommt, wäre das ein Zeichen, dass der linke Populismus [des Gewerkschaftsbundpräsidenten] Maillards, der ja auch EU-kritisch ist, heute fast mächtiger ist als der wirtschaftsliberal geprägte Populismus der [rechten] SVP.«
Eine bemerkenswert breite Basiskampagne begann sich zu formieren, die in ihrer Intensität wohl selbst viele Gewerkschaftsveteranen überraschte. Die Forderung nach einer Kaufkrafterhöhung im Rentenalter hatte offensichtlich einen Nerv der Zeit getroffen. Von Menschen, die auf Marktplätzen Flugblätter verteilten, über fast schon spontan organisierte Kundgebungen bis hin zur Präsenz an Quartier-, Sport- und Kulturveranstaltungen: Eine organische Dynamik schien sich zu entwickeln.
Bei den Kampagnenbudgets hatten die Gewerkschaftsgegner eindeutig die Oberhand. Zu Jahresanfang erklärte der Schweizerische Gewerkschaftsbund, er könne etwas mehr als 1,5 Millionen Franken bereitstellen, inklusive einem kleineren Beitrag der Sozialdemokraten. Das gegnerische Lager, angeführt von Economiesuisse, dem Dachverband des Großkapitals, und unterstützt vom Schweizerischen Arbeitgeberverband, wies dagegen ein Budget von über 3,5 Millionen aus.
Mit ihrem doppelt so hohen Budget war die antigewerkschaftliche Kampagne zwar finanziell besser ausgestattet, erwies sich aber sowohl als langweilig als auch ungeschickt und stolperte von einem Fettnäpfchen ins nächste. Die Tatsache, dass fast alle ihre öffentlichen Vertreter entweder wohlhabende Verbandsdirektoren oder pensionierte Politiker mit selbst hohen (von Steuergeld finanzierten) Renten waren, stand in klarem Gegensatz zur bodenständig wirkenden Kampagne der Gewerkschaften.
»Es war das erste Mal in der Geschichte der Schweiz, dass die Gewerkschaften – oder überhaupt ein politischer Akteur – eine direkte Abstimmung über eine Volksinitiative zum Ausbau des Sozialstaates gewannen.«
Diese konzentrierte sich zwar auf den Erfolg der eigenen Initiative, ignorierte aber auch nicht den rechtsliberalen Angriff auf das Rentenalter. Sie tat dies einerseits, um böse Überraschungen zu vermeiden, anderseits aber gerade weil die FDP-Initiative so unbeliebt war. In der Überzeugung, dass der Weg zum Sieg für die dreizehnte Rente vor allem über die Wahlbeteiligung verlaufen würde – die Meinungen standen ab einem bestimmten Zeitpunkt mehrheitlich fest – versuchten die Gewerkschaften, die Wut vieler Arbeiterinnen und Arbeiter über den Angriff auf das Rentenalter zu nutzen.
Diese Wut war in gewerkschaftlich stark organisierten Branchen wie auf dem Bau besonders stark ausgeprägt. Sie wurde durch öffentliche Äußerungen von Leuten wie Christoph Maeder, dem Präsidenten der Economiesuisse, noch verstärkt. Das wohlhabende Mitglied verschiedener Verwaltungsräte erklärte dreist, er selbst würde gerne bis 70 arbeiten und sehe »überhaupt kein Problem«.
Als die Abstimmungslokale am 3. März langsam schlossen, sorgten bereits die ersten Hochrechnungen für Schockwellen. Schnell wurde deutlich, dass die Gewerkschaft einen großen Sieg errungen hatte. Letztendlich wurde die FDP-Initiative zur Erhöhung des Rentenalters mit 75 Prozent Nein-Stimmen abgeschmettert und die Gewerkschaftsinitiative für eine dreizehnte Rente von 58 Prozent der Wählerinnen und Wähler angenommen. Die Initiative erreichte auch die notwendige Mehrheit der Kantone.
Es war das erste Mal in der Geschichte der Schweiz, dass die Gewerkschaften – oder überhaupt ein politischer Akteur – eine direkte Abstimmung über eine Volksinitiative zum Ausbau des Sozialstaates gewannen. Das Großkapital und die politische Rechte waren außer sich. Prominente Figuren wie Monika Rühl, Direktorin von Economiesuisse, kritisierten die Wählerinnen und Wähler, jeder würde nur »für sich schauen«.
Auch in den Nachbarländern wurde die »Rentenrevolution«, wie es die Süddeutsche Zeitung betitelte, wahrgenommen. Dies aus gutem Grund: Wie Roland Erne, Professor für Arbeitsbeziehungen am University College Dublin, klarmacht, forcieren EU-Kommission wie auch neoliberale Regierungen quer durch Europa spätestens seit der Finanzkrise 2008 einen Rentenabbau nach dem anderen. Aktuellstes Beispiel sei die per Dekret durchgedrückte Rentenreform von Macron in Frankreich. Auch deshalb stelle der Umbruch in der Schweiz tatsächlich eine Rentenrevolution dar.
Abgesehen von der gewonnenen Abstimmung selbst fand das eigentliche politische Erdbeben unter der Oberfläche statt. Denn trotz der mehrheitlich offen feindseligen Medien und trotz der Tatsache, dass alle großen politischen Parteien, mit Ausnahme der Sozialdemokraten und der Grünen, ihre Basis aufriefen, die dreizehnte AHV-Rente abzulehnen, gelang es den Gewerkschaften, die Parteigrenzen zu durchbrechen.
Während als links geltende Parteien derzeit einen landesweiten Stimmenanteil von lediglich 29 Prozent haben, unterstützten doppelt so viele das eindeutig progressive Projekt der dreizehnten AHV. Repräsentative Nachbefragungen zeigen sogar, dass eine große Zahl von Menschen, die normalerweise konservative Parteien wählen, den Vorschlag der Gewerkschaften unterstützten. Bemerkenswerterweise entschied sich sogar eine deutliche Mehrheit der Wählerinnen und Wähler der rechten SVP dafür, die Aufrufe ihrer Parteileitung zu ignorieren und stattdessen die zusätzliche Rente zu unterstützen.
»Je höher die akademischen Qualifikationen, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, die zusätzliche Rente zu befürworten – und umgekehrt.«
Wo verlief also die Trennlinie? Die führende Schweizer Mediengruppe Tamedia brachte es mit einem Artikel zu den erwähnten Nachbefragungen auf den Punkt: »Ein Sieg der Armen über die Reichen«. In der Tat war die Korrelation zwischen Abstimmungsverhalten und Klassenzugehörigkeit bemerkenswert: Je niedriger das Haushaltseinkommen, desto wahrscheinlicher stimmte man für die zusätzliche Rentenzahlung – und umgekehrt. Gleichzeitig schien sich das Abstimmungsverhalten aber auch den typischen Mustern der »Brahmanen-Linken« zu entziehen, die in den letzten Jahrzehnten in vielen westlichen Ländern eine Korrelation zwischen der Unterstützung progressiver Ideen und einem überdurchschnittlich akademischen Bildungsniveau zeigen. Es gab einen Zusammenhang, nur in die andere Richtung: Je höher die akademischen Qualifikationen, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, die zusätzliche Rente zu befürworten – und umgekehrt.
Ein Warnzeichen, das die Gewerkschaftsbewegung beherzigen sollte, ist die – angesichts des Themas kaum überraschende – Tatsache, dass jüngere Wählerinnen und Wähler dem Vorschlag der Gewerkschaften eher skeptisch gegenüberstanden. Dieses Signal ist umso wichtiger, als die Frage der Finanzierung noch vom Parlament geklärt werden muss – einem mehrheitlich mitte-rechts stehenden Parlament, das durchaus versuchen könnte, die zusätzlichen Kosten den Arbeitenden aufzubürden. Die Gewerkschaften sind sich dieses Risikos bewusst – die Gewerkschaftsinitiative war und bleibt eingebettet in einer übergreifenden Kampagne zur Erhöhung der Löhne, Renten und Kaufkraft. Dennoch sollte sie in diesem Punkt wachsam bleiben.
Die panische Reaktion des Establishments auf den Abstimmungssieg der Gewerkschaften ist nicht unbegründet. Das Ergebnis stellt in der Tat ein umwälzendes Ereignis in einem Land dar, das dafür bekannt ist, vor abrupten politischen Veränderungen zurückzuschrecken. Die Gewerkschaften dürfen sich zu Recht zu einer erfolgreichen Abstimmungskampagne beglückwünschen. Doch mehrere Indikatoren deuten darauf hin, dass wir in der Ära der Postpandemie und hohen Inflation möglicherweise auch tieferliegende Veränderungen erleben.
Vor nicht mal zehn Jahren haben die Gewerkschaften nämlich einen fast identischen Vorschlag eingebracht, der mit einer Mehrheit von 60 Prozent abgelehnt wurde. Die Abstimmung um die dreizehnte AHV-Rente haben sie nun mit dem genau umgekehrten Verhältnis gewonnen. Gehen wir etwas weiter zurück, ins Jahr 2014, erreichte eine Initiative der Gewerkschaften zur Einführung eines landesweiten Mindestlohns nicht einmal 25 Prozent der Stimmen. In den vergangenen Jahren hat die Gewerkschaft hingegen nicht nur mehrere Abstimmungen zu kantonalen oder städtischen Mindestlöhnen initiiert, sondern diese auch gewonnen – darunter in Kantonen, die 2014 einen Mindestlohn klar abgelehnt hatten. Auch eine von den Gewerkschaften unterstützte Initiative, die bessere Arbeitsbedingungen, ein gerechteres Finanzierungssystem und bessere Aus- und Weiterbildung in der Pflege forderte, erreichte 2021, kurz nach dem Höhepunkt der Covid-19-Pandemie, eine deutliche Mehrheit.
»Ob an der Urne oder im Betrieb, die Kontinuität eines aktivierenden Basisansatzes auf der einen Seite, nah bei den Menschen, und einer breiten und universellen Commonsense Solidarity auf der anderen, werden weiterhin zentral sein.«
Kurz vor der diesjährigen Rentenabstimmung stellte selbst die liberal ausgerichtete NZZ fest, dass die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger zunehmend Vorschläge annehmen, die sie noch Jahre zuvor ausdrücklich abgelehnt hatten: »Die Schweizer sind linker geworden – und stimmen verstärkt mit dem Portemonnaie ab.« Der Artikel weist allerdings auch darauf hin, dass sich dies bisher nicht in größeren Wahlerfolgen für linke Parteien niedergeschlagen hat.
Claude Longchamp, einer der bekanntesten Politikwissenschaftler der Schweiz, weist in eine ähnliche Richtung und wählte sogar den Begriff »links-konservativer Rutsch«, um sowohl den »historischen Moment« der AHV-Abstimmung zu beschreiben, als auch die etwas unklare Abstimmungsdynamik, in der dieser eingebettet ist. Longchamp deutet sogar an, dass die Gewerkschaften für einige auch in Zukunft die Rolle eines Parteiersatzes übernehmen könnten – eine politische Stimme für diejenigen, die die Sozialdemokraten oder Grünen als übermäßig progressiv empfinden, aber rechtsgerichtete Parteien wie die SVP gleichzeitig als unglaubwürdig erleben, wenn es um die Solidarität geht. Angesichts des schweizerischen politischen Systems mit seinen Initiativen und Referenden könnte die Gewerkschaftsbewegung in der Tat (ob gewollt oder ungewollt) eine solche Rolle einnehmen – zumindest kurzfristig.
So oder so wird es den Gewerkschaften in nächster Zeit nicht langweilig. Sei es in der baldigen Neuverhandlung des Tarifvertrags auf dem Bau, bei der Organisierung des noch immer als Gewerkschaftswüste geltenden Gesundheitswesens oder auch bei diversen anstehenden politischen Abstimmungen zu Themen, die die Arbeiterklasse zentral und direkt betreffen. Jede Auseinandersetzung verläuft bekanntlich anders. Doch ob an der Urne oder im Betrieb, die Kontinuität eines aktivierenden Basisansatzes auf der einen Seite, nah bei den Menschen, und einer breiten und universellen Commonsense Solidarity auf der anderen, werden weiterhin zentral sein.
Chris Kelley ist Co-Sektorleiter Bau bei der Schweizer Gewerkschaft Unia. Er hat 2017 seine Dissertation in Sozialwissenschaften über Gewerkschaftsstrategien in der sich wandelnden Bauwirtschaft verfasst.