02. Oktober 2024
Beflügelt vom Zukunftsoptimismus eines neuen Deutschlands entwarf die DDR ihre eigene Science Fiction: den »utopischen Film«. Doch mit der politischen Versteinerung versiegte auch der Zukunftswille dieses Genres.
Pressefoto für »Der schweigende Stern« von Kurt Mätzig, 1960.
Ist eine andere Science Fiction möglich? In den späten 1950er Jahren stellten sich die DDR-Kulturfunktionäre genau diese Frage. Die staatliche Filmindustrie wurde beauftragt, eigene utopische Filme zu produzieren, die das harmonische kommunistische Zusammenleben sowie die emanzipatorische Kraft der Wissenschaft und Technologie massenwirksam propagieren sollten. Während im kapitalistischen Westen Regisseure wie Jack Arnold, Stanley Kubrick, George Lucas und Steven Spielberg die Grundlagen für die gegenwärtige Hollywood-Dominanz im Bereich des Science-Fiction-Entertainments aufbauten, wollte die SED damals in der sozialistischen Popkultur etwas komplett Neues wagen.
Die Arbeit am eigenen utopischen Filmgenre nahm in der DDR über dreißig Jahre in Anspruch. Trotz enormer Investitionen war der Versuch letztlich wenig erfolgreich. Das ambitionierte, staatlich angeordnete Projekt eines progressiven Genres scheiterte. Doch gerade dieses graduelle Scheitern macht das Phänomen historisch aufschlussreich, denn es zeigt, wie sich eine der strahlenden Zukunft zugewandte Filmästhetik in ihr Gegenteil verkehrte und sich dabei Schritt für Schritt an die Science-Fiction-Trends aus dem Westen anpasste.
Der erste DDR-Film im utopischen Genre war gleich der erfolgreichste: Das staatliche Spielfilmstudio DEFA präsentierte im Februar 1960 Kurt Maetzigs Der schweigende Stern, der innerhalb eines Jahres über zwei Millionen Menschen in die Kinos lockte. Der Film erzählt die Geschichte einer achtköpfigen kosmischen Mannschaft, die sich als Vertretung der vereinigten sozialistischen Welt auf eine Friedensmission zum Nachbarplaneten Venus begibt. Dort stößt sie auf eine tote Zivilisation, die ihren eigenen Nuklearwaffen zum Opfer gefallen ist.
»Der schweigende Stern entwirft eine Welt, in der es keine Systemkonfrontation, kein Geld, kein Lobbying, keine internationalen Riesenunternehmen, keine Wissenschaftsskepstis und keine Diskriminierung mehr gibt.«
Mitten in der heißen Phase des Kalten Kriegs und direkt nach den ersten Erfolgen des sowjetischen Weltraumprogramms musste Der schweigende Stern vor allem der Propaganda des Internationalismus und des technologisch-wissenschaftlichen Fortschritts der sozialistischen Länder dienen. Jenseits dieser plakativen Dimensionen entwirft der Film aber auch eine ultra-optimistische Vision der sehr nahen Zukunft. Der Film schaut zehn Jahre voraus und entwirft eine Welt, in der es keine Systemkonfrontation, kein Geld, kein Lobbying, keine internationalen Riesenunternehmen, keine Wissenschaftsskepsis und keine rassistische oder geschlechtsspezifische Diskriminierung mehr gibt. Nur eine Handvoll reaktionärer politischer und wirtschaftlicher Akteure, deren Vertreter einen verdächtig starken amerikanischen Akzent haben, versuchen, vor dem Start der sozialistischen Friedensmission einen präventiven nuklearen Angriff auf die Venus zu planen.
Maetzigs utopischer Film wurde bereits Monate vor seiner Premiere zur medialen Sensation. Diese breite kulturelle Resonanz lieferte den politischen Entscheidungsträgern den ausschlaggebenden Impuls, um die Arbeit am utopischen Genre in den kommenden Jahren zu systematisieren – und das trotz der üblicherweise sehr hohen Kosten dieser Art der filmischen Unterhaltung. Produktionsunterlagen und kulturpolitischen Beschlüssen der Regierungsgremien aus den 1950er und 60er Jahren kann man entnehmen, wie die Kulturbeauftragten versucht haben, das Genre für sich zu definieren: Die neuen utopischen Filme sollten zu inspirierenden, medienwirksamen »produktiven Fantasien« werden und dabei ein Bild der nahen Zukunft zeichnen, das den Leitlinien des Marxismus-Leninismus entspricht. Gleichzeitig sollten die Filme einen Gegenentwurf zu den »brutalen«, »pessimistischen«, »unmoralischen« und »gruseligen« Science-Fiction-Filmen und -Romanen aus dem kapitalistischen Westen formulieren.
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Maciej Peplinski ist Filmhistoriker und forscht über die Geschichte der filmischen Science-Fiction.