29. März 2025
Die dystopische Thrillerserie »Severance« hat sich in den USA zu einem regelrechten Kulturphänomen entwickelt. Das ist kaum überraschend, schließlich zeigt diese schonungslose Satire eine Unternehmenskultur, die Angestellte tagtäglich erleben.
Sarah Bock und Adam Scott in »Severance«.
Severance ist aktuell die vermutlich beste TV-Serie. Und ich schreibe nur »vermutlich«, weil es schlichtweg unmöglich ist, alle Sendungen zu sehen und zu vergleichen.
Gibt es bereits die erwartbare Online-Gegenreaktion unter Möchtegern-Hipstern? Natürlich. Sie muss folgen, wie die Nacht auf den Tag, wie Shakespeare es ausdrückte: die Gegenreaktion, die folgt, wenn etwas Gutes populär wird. Das muss man einfach ignorieren. Wie bei jeder Serie gibt es natürlich stärkere und schwächere Episoden, aber insgesamt ist das Niveau beeindruckend.
Severance – jetzt in der zweiten Staffel auf Apple TV+ zu sehen, wobei die letzte Folge am 21. März online ging – begeistert weiterhin. Das System der »Severance« (Trennung) in der Serie basiert auf einer Gehirnoperation, die das Bewusstsein für die Arbeit vom Bewusstsein für das Privatleben trennt, sodass keiner dieser beiden Teile etwas über den anderen weiß. Theoretisch ermöglicht dies den Menschen, ihr Leben zu genießen, ohne sich der Plackerei auf der Arbeit bewusst zu sein, während das Arbeits-Ich komplett klar, unabgelenkt und fokussiert auf den Job ist. In Wirklichkeit sind die Arbeiterinnen und Arbeiter Gefangene in einer ungewöhnlich glatten Arbeitsumgebung. Sie werden psychologisch gefoltert, um gefügig zu bleiben.
Die von Dan Erickson, dessen eigene Erlebnisse in der Arbeitswelt die Serie inspirierten, erdachte und von Ben Stiller produzierte und größtenteils inszenierte Science-Fiction-Kombination aus Paranoia-Thriller und düsterer Büro-Comedy ist so gut umgesetzt, dass die eigentliche Trostlosigkeit des Themas durch die Lebendigkeit von Stil und Aufbau der Serie ausgeglichen wird. Der Film Noir erzielte Mitte des vergangenen Jahrhunderts den gleichen Effekt, indem er konsequent und mit viel Verve einen schonungslosen Blick auf die moderne amerikanische Lebenshölle warf. Es wurde zu einem perversen Vergnügen, in eine derart erschreckend zutreffende Darstellung des gesellschaftlichen Abgrunds zu starren.
Severance wurde nach dem Start der zweiten Staffel explosionsartig beliebt; die Einschaltquoten brachen alle Rekorde. Mittlerweile ist die Serie die meistgesehene Sendung in der Geschichte von Apple TV+ und übertrifft dabei sogar die beliebte Comedy-Serie Ted Lasso.
In den USA fangen einige offenbar sogar an, im »Severance-Slang« zu sprechen und sich auf ihr »Innie-« und »Outie«-Selbst zu beziehen. Die Serie ist inzwischen zu einem solchen kulturellen Phänomen geworden, dass Ross Douthat, Kolumnist bei der New York Times, sich mit der Popularität der Show auseinandersetzen musste und einen Artikel mit dem bezeichnenden Titel »Worum geht es in Severance?« schrieb. Er rätselt in mehreren Zeilen darüber, ob sich die Serie mit ihren zahlreichen falschen Fährten letztendlich als weitgehend antiklimaktisch und geradezu bedeutungslos entpuppen wird. Er zieht dabei eine Parallele zwischen dem geheimnisvollen Ziegenzuchtraum in der düsteren Biotech-Firma Lumon Industries und dem regelmäßigen Auftauchen des Eisbären in der Serie Lost.
Andererseits ist es nicht verwunderlich, dass der konservative Douthat einfach nicht versteht, dass eine tiefgründige Serie über ein dystopisches Arbeitsumfeld in einem Unternehmen derart viele Menschen in ihren Bann ziehen kann. Sich mit höllischen Arbeitsbedingungen zu beschäftigen, ist im Allgemeinen eher eine Sache der Linken. Doch selbst nach Jahrzehnten der Darstellung böser Unternehmen, fieser Chefs und albtraumhafter Arbeitsplatz-Szenarien aller Art in Film und Fernsehen wird mit Severance deutlich, dass eine scharfsinnige Neuinterpretation dieser Verhältnisse die breite Bevölkerung nach wie vor in ihren Bann ziehen kann.
»Amerikanische Zuschauer dürften kein Problem damit haben, die unheimlich-übergroße Macht von Firmenbossen, deren krankhaften Ausbeutungsfantasien in Severance Menschen aus der Arbeiterklasse systematisch zugrunde richten, auch als solche zu erkennen.«
Einige verstehen die Serie als ein Phänomen der Zeit nach der COVID-Pandemie, in der die Menschen durch die Lockdowns von ihren Arbeitsplätzen entfremdet wurden. Zweifellos hat diese außergewöhnliche Erfahrung den bekannten Darstellungen der Unternehmenswelt als durch und durch kalt, unheimlich, ausbeuterisch und entmenschlichend noch eine Prise zusätzlichen Horror hinzugefügt.
Zu allem Überfluss hat die US-Bevölkerung nun aber auch den milliardenschweren Firmenchef und Vollidioten Elon Musk als nicht gewählten Co-Präsidenten an der Seite von Donald Trump, der seine Schergen aus der sogenannten DOGE-Stelle in den Bundesbehörden wildern lässt. Dadurch wird die Funktionsfähigkeit wichtiger Sozialdienste untergraben und die Wirtschaft aus unverständlichen Gründen abgewürgt. Amerikanische Zuschauer dürften daher kein Problem damit haben, die unheimlich-übergroße Macht von Firmenbossen, deren krankhaften Ausbeutungsfantasien in Severance Menschen aus der Arbeiterklasse systematisch zugrunde richten, auch als solche zu erkennen.
In der zweiten Staffel der Serie geht es mehr um die psychologische Abartigkeit der Bosse von Lumon Industries sowie um die ebenso mysteriöse wie wahnhafte Philosophie hinter ihren ungeheuerlichen Verbrechen gegen die Angestellten. Dies war geradezu unvermeidlich, wenn man bedenkt, wo die erste Staffel endete: In einem letzten, entscheidenden Moment wird das vierköpfige Team der Abteilung Macrodata Refinement (MDR) – der umgängliche Abteilungsleiter Mark S. (Adam Scott), der strikte Lumon-Fan Irving B. (John Turturro), der sarkastische Dylan G. (Zach Cherry), der sich gerne bei den Chefs einschleimt, und die aufsässige Neueinsteigerin Helly R. (Britt Lower) – Teil einer lange überfälligen Arbeiterrevolte: Sie finden heraus, wie sie die Trennung ihres Bewusstseins vorübergehend überwinden können. So wird es den »Arbeiter-Innies« möglich, das Leben ihrer Outies in der Welt jenseits des Lumon-Firmengeländes zu erleben.
Die größte Enthüllung über das Outie-Leben von Helly R., die auf der Arbeit als die wohl leidenschaftlichste Anti-Lumon-Rebellin auftritt, ist, dass sie in Wirklichkeit Helena Eagan ist, die Tochter des Lumon-CEO James Eagan und direkte Nachfahrin des Firmengründers aus dem 19. Jahrhundert, Kier Eagan, sowie damit auch die aktuelle, rücksichtslos ambitionierte Erbin des Unternehmens. Es wird klar: Sie hat sich lediglich der Severance-Prozedur unterzogen, um eine Werbekampagne für Lumon Industries in Gang zu bringen.
An diesem Punkt ist wohl eine Zusammenfassung der Handlung notwendig – und außerdem eine Spoiler-Warnung, falls Leute die erste Staffel noch nicht gesehen haben (warum eigentlich nicht?).
Die Haupthandlung der ersten Staffel von Severance dreht sich um die schwierigen Bemühungen von Management und Angestellten, die neue Mitarbeiterin Helly R. in das unterdrückerische Unternehmensleben von Lumon Industries zu integrieren. Helly R., eine furchtlose und optimistische rothaarige Frau, will das Bestehende einfach nicht hinnehmen. Von dem Moment an, in dem sie ohne jegliche Erinnerung auf dem langen Tisch im Konferenzraum aufwacht (wo jeder neue Mitarbeiter nach dem Severance-Prozess ankommt), führt Helly R. einen erbitterten Kampf und versucht, aus dem Unternehmen herauszukommen.
Sie hämmert gegen jede Ausgangstür, rennt durch die Gänge, schleudert Bürogeräte auf die Kollegen, die sie als ihre Gefängniswärter wahrnimmt. Da nichts hilft, versucht sie es dann mit oberflächlicher Kooperation und reicht über die üblichen Dienstwege eine formelle Kündigung ein. Der Kündigungsantrag wird abgelehnt. Daraufhin geht sie klandestin vor und schmuggelt verbotene Notizen an ihre Outie-Persönlichkeit, in denen sie sie auffordert, nie wieder an diesen Arbeitsort zurückzukehren.
Schließlich wird ihre Outie in einer Videoaufnahme gezeigt, die Helly mitteilt, dass die Entscheidungen bereits getroffen worden seien und sie aufhören müsse, sich als eine Person mit Autonomie zu betrachten. »Du bist keine Person«, sagt die Outie-Helena kaltschnäuzig zur Innie-Helly. Von diesem Zeitpunkt an sucht Helly nach Mitteln und Wegen, um ihr Alter Ego Helena zu zerstören; bis hin zur Drohung, sich mit einem Papierschneider im Büro die Finger abzuschneiden, wenn sie nicht aus Lumons »getrennter Etage« (severed floor) befreit wird – schließlich sind dies auch Helenas Finger.
Der Höhepunkt ihrer Bemühungen ist der Versuch, sich zu erhängen; sozusagen ein Selbstmordversuch, der gleichzeitig ein Mordversuch an Helena ist. Helly versucht dies im Aufzug, in dem die »getrennten« Angestellten den Wechsel vom Innie zum Outie durchlaufen und jegliche Erfahrungen, die sie außerhalb von Lumon Industries erlebt haben, aus ihrem Gedächtnis löscht. Für die Innies schließen sich die Aufzugtüren um 17:15 Uhr und öffnen sich praktisch sofort wieder um 9:00 Uhr am nächsten Tag. In ihrem Bewusstsein sind sie immer auf der Arbeit.
Der Hauptprotagonist der Serie ist Mark S. als Innie auf der Arbeit, beziehungsweise Mark Scout in der Outie-Welt. Er ist untröstlich über den Verlust seiner Frau Gemma (Dichen Lachman), die bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist. Daher erscheint ihm das »getrennte« Leben zunächst als Segen: Zumindest ein Teil von ihm kann seiner Trauer und Qual entkommen, während der Rest von ihm jedoch weiter leidet. Wir sehen, wie sein Outie auf dem Parkplatz von Lumon Industries in seinem Auto weint, nur um sich kurz darauf im Aufzug in einen perfekten Innie zu verwandeln, der ausdruckslos lächelt und den bizarren Führungsstil seines unmittelbaren Vorgesetzten, des allgegenwärtigen Managers Mr. Milchick (Tramell Tillman) von der MDR-Abteilung, und der Abteilungsleiterin Harmony Cobel (Patricia Arquette), als vollkommen normal ansieht. Diese beiden Figuren wiederum sind dem »Vorstand« unterstellt, einer gesichtslosen Instanz, die – wenn überhaupt – über die Bürosprechanlage kommuniziert.
Mark S. ist kurzzeitig verstört, als er ohne weitere Erklärung erfährt, dass sein Arbeitskollege Petey (Yul Vazquez) »nicht mehr bei Lumon Industries ist«– eine erschreckende Aussage, die wie ein Todesurteil klingt (und ja tatsächlich den Tod eines Innies bedeutet). Gleichzeitig wird Mark jedoch auf Peteys alten Posten als Leiter der vierköpfigen MDR-Gruppe befördert. Derart beschwichtigt macht er sich schnell daran, zunächst die ihm zugewiesene Aufgabe zu erledigen und versucht, Helly R. in sein kleines Team zu integrieren. Zu diesem gehört auch der steif-korrekte Irving B., der alles an Lumon verehrt, insbesondere den Gründer Kier Eagan. Irving ist älter als die anderen und neigt dazu, bei der Arbeit einzuschlafen, ein Fehlverhalten, das mit einem gefürchteten Ausflug in den »Pausenraum« bestraft wird, wo eine Art psychologische Folter praktiziert wird, um Geständnisse und demütige Entschuldigungen von sündigen Angestellten zu erzwingen.
Der Vierte im Bunde ist Dylan G., der sich einerseits mit seinen Kollegen über das Unternehmensleben lustig macht und sich andererseits bei seinen Vorgesetzten einschleimt. Er arbeitet stets eifrig im mysteriösen Bereich »Datenbereinigung« der Abteilung, wo er für seine gute Arbeit immer mehr Lumon-Prämien in der markanten blauen Farbe der MDR-Abteilung sammelt. Er arbeitet sich hoch bis zum Waffel-Frühstück, das als besonders hoher Bonus nur für die verdienstvollsten Mitarbeiter gilt.
»Einige Menschen dürften aus (teils verständlichen) Gründen ein wenig sentimental werden, wenn sie an diesen oldschoolig-philanthropischen Ansatz korrupter Tycoons denken. Immerhin sprangen für die ›normalen Menschen‹ damals Bibliotheken, Schulen, Kunstgalerien und einige wirklich hübsche öffentliche Gebäude heraus.«
Das Verschwinden von Petey und die Auseinandersetzungen mit Helly lösen eine Kettenreaktion aus, die dazu führt, dass das gesamte Team in auffällige Verhaltensweisen verfällt, die dann in der zweiten Staffel auf sie zurückfallen. So gerät beispielsweise der strenge Irving in eine (natürlich verbotene) Büroromanze mit Burt G. (Christopher Walken) aus der Abteilung für Optik und Design (O&D) – was sich übrigens als einer der bei den Fans beliebtesten Handlungsstränge der Serie erwies.
All dies bringt uns zur zweiten Staffel, die fünf Monate später einsetzt, als Mark S. nach der Niederschlagung der »Revolte« erwacht und beunruhigende Veränderungen bei Lumon feststellt. Harmony Cobel ist »nicht mehr bei Lumon Industries«, wodurch Mr. Milchick zum neuen Abteilungsleiter befördert wurde. Dieser hat einen neuen, »sanfteren« Führungsstil eingeführt. Unter anderem lobt er die »Lumon-Rebellen« dafür, dass sie sich für dringend benötigte Veränderungen im Unternehmen eingesetzt hätten. Es gibt sogar einen (recht primitiv) animierten Film über ihren »Heldenmut« und all die wichtigen Veränderungen bei Lumon Industries. So gebe es nun mehr Offenheit und Transparenz, und es werde auf Bedenken der Angestellten reagiert.
Das klingt alles nett, bis auf eine Sache: Niemand will Mark S. sagen, wo sein altes Team ist. Irving B., Dylan G. und Helly R. sind alle nicht mehr da, und an ihren Kombischreibtischen sitzt nun ein gänzlich neues MDR-Team in der Mitte des riesigen fensterlosen Büroraums. Es ist einer der großartig komischen und doch erschreckend lebensnahen Momente in der Serie, als Mark S. sein Büro betritt und drei neue, völlig eigenschafts- und merkmallose Kollegen an den Plätzen seiner alten Freunde vorfindet. Einer von ihnen heißt sogar wie er, Mark W. (Bob Balaban), und fragt, ob Mark S. bereit wäre, einen anderen Namen zu verwenden, »um Verwirrung zu vermeiden«.
Dass etablierte Schauspieler wie Bob Balaban und Alia Shawkat in Cameo-Rollen auftreten, zeigt, welchen »Coolness-Faktor« Severance inzwischen erreicht hat. Die Haupt-, Neben- und Gastdarsteller sind allesamt erstaunlich gut und talentiert.
Diese unheimliche Szene, in der neue Kollegen an den Bürotischen der alten sitzen, verdeutlicht die absolute Austauschbarkeit von Angestellten. In großen Konzernen können Menschen jederzeit durch neue Rädchen im Getriebe ersetzt werden, ohne dass dafür das gnadenlose Geschäft des Unternehmens unterbrochen werden müsste – wobei im Fall von Lumon Industries nicht klar ist, worin dieses Geschäft überhaupt besteht: Die Angestellten der MDR-Abteilung sitzen an ihren Computern und starren auf Bildschirme voller Zahlen, bis sie Ziffern erkennen, die aus irgendeinem Grund »beängstigend« erscheinen. Sie sortieren diese Zahlen aus und werfen sie in den Papierkorb. Das war’s; das ist ihre komplette Arbeitsaufgabe.
Eine solche Stellenbeschreibung klingt dabei nicht einmal sehr nach Science-Fiction: Mein Patenkind hat beispielsweise recht lange beim aktuell in einer tiefen Krise steckenden Tesla, Inc. von Elon Musk gearbeitet. Ich bin wirklich stolz darauf, sagen zu können, dass er eine Initiative zur gewerkschaftlichen Organisation der Tesla-Niederlassung in Buffalo angeführt hat, bevor er und alle anderen Gewerkschafter entlassen wurden. Bis dahin war es aber seine Arbeitsaufgabe gewesen, endlos auf verschiedene Bilder auf dem Bildschirm zu klicken und zu identifizieren, was auf ihnen zu sehen ist, ähnlich wie bei den bekannten »Ich bin kein Roboter«-Tests im Internet, bei denen man beispielsweise alle Kacheln auswählen muss, auf denen Straßenlaternen zu sehen sind. So wurden die KI-Systeme des Unternehmens ironischerweise von Menschen in der automatisierten Objekterkennung trainiert.
Mark S. jedenfalls weigert sich, das Verschwinden seines ehemaligen Teams zu akzeptieren. Aus unerfindlichen Gründen wird Marks Wunsch entsprochen, solange er an der »Verfeinerung« der unter dem Namen »Cold Harbor« kategorisierten Daten arbeitet. Die Geschäftsführung von Lumon tut alles, um ihn bis zu diesem entscheidenden Zeitpunkt bei Laune zu halten, der aus Gründen, die uns noch nicht bekannt sind, immer näher rückt. Die Konzernspitze geht dabei sogar so weit, ihm etwas anderes zu »geben«, das er sich wünscht: Helly R.
»Severance legt die groteske, von Religion und Ideologie geprägte Hölle auf Erden offen, die wir an unseren Arbeitsplätzen geschaffen haben – und findet dabei einen roten Faden von den alten Oligarchen bis heute.«
Dies entwickelt sich während einer der besten Episoden in Staffel 2 mit dem Titel Woe’s Hollow (Deutsch: Die Senke des Kummers). Mit dem Namen wird der abgelegene, verschneite Ort beschrieben, an dem Marks wiedervereinigtes Team letztlich strandet, angeblich, weil Mr. Milchick auf ihre Bitte reagiert, gelegentlich ins Freie gehen zu dürfen – eine typisch passiv-aggressive Bestrafung des Unternehmens. Diese »Lösung« ist genauso lächerlich wie beängstigend. Genau auf diese Kombination hat sich die Serie spezialisiert. Und wenn man darüber nachdenkt, ist unsere aktuelle Realität ähnlich, wenn zumindest noch ein wenig empathischer. Die Mitglieder des MDR-Teams, die ihre schicken Winteroutfits mit Pelzmützen im russischen Stil abrunden, kommen zu sich und fangen an, sich verzweifelt über die Weiten der eisigen Tundra anzuschreien, während sie gleichzeitig versuchen, herauszufinden, wo sie sich überhaupt befinden und was sie tun müssen, um ohne Nahrung, Obdach oder Wärmequellen zu überleben.
Schließlich kommt der stets adrett gekleidete Mr. Milchick daher, ganz in Weiß und mit Pelzbesatz, um ihnen zu helfen. Er findet für sie beheizbare Hütten sowie Nahrungsvorräte und informiert sie nebenbei über ihre Lehraufgabe, indem er die Schritte des Lumon-Gründers Kier Eagan auf einer Reise nacherzählt, die er einst mit seinem Zwillingsbruder unternommen hat. Mr. Milchick gibt ihnen darüber hinaus unheilvolle Warnungen mit auf den Weg, wie den typisch pseudoreligiösen Lumon-Slogan: »Weiche nicht ab von Kiers Pfad, damit du nicht heraufbeschwörest den Zorn der Natur.«
Diese furchtbare Poesie ist ein gutes Beispiel für die zahlreichen Kier-Eagan-bezogenen Sprüche, die aus seiner Philosophie des 19. Jahrhunderts destilliert und in die Arbeitsweise des modernen Unternehmens Lumon Industries eingewoben worden sind. Tatsächlich ist eine der größten Stärken der Serie, wie die Geschichte des Unternehmens dargestellt wird. Einige Menschen dürften aus (teils verständlichen) Gründen ein wenig sentimental werden, wenn sie an diesen oldschoolig-philanthropischen Ansatz korrupter Tycoons denken. Immerhin sprangen für die »normalen Menschen« damals Bibliotheken, Schulen, Kunstgalerien und einige wirklich hübsche öffentliche Gebäude heraus.
Gerade in solchen Szenen legt Severance die groteske, von Religion und Ideologie geprägte Hölle auf Erden offen, die wir an unseren [amerikanischen] Arbeitsplätzen geschaffen haben – und findet dabei einen roten Faden von den alten Oligarchen bis heute. Genießen wir diese außergewöhnliche, bissige Satire, solange wir können!
Eileen Jones ist Filmkritikerin bei JACOBIN, Autorin von »Filmsuck, USA« und Moderatorin des Podcasts »Filmsuck«.