14. Januar 2021
Silicon Valley ist für seine gewerkschaftsfeindlichen Angriffe bekannt. Nun haben Google-Angestellte eine Gewerkschaft gegründet. Die vertritt allerdings nur eine Minderheit der Belegschaft. Das bringt besondere Herausforderungen mit sich.
Tech-Konzerne wie Google setzen alles daran, um ihre Unternehmen gewerkschaftsfrei zu halten.
Am 4. Januar haben Beschäftigte bei Google die Gründung einer neuen Gewerkschaft bekannt gegeben. Die Alphabet Workers Union – benannt nach Googles Muttergesellschaft – ist nicht die erste Gewerkschaft bei dem Billionen-Dollar-Tech-Giganten. So stimmten schon 2019 achtzig Vertragsarbeitskräfte in Googles Niederlassung in Pittsburgh für die Gründung einer Gewerkschaft. Im selben Jahr taten dies auch mehr als zweitausend Cafeteria-Beschäftigte am Hauptsitz des Unternehmens in Mountain View, Kalifornien. Und das Sicherheitspersonal bei Google ist seit 2017 organisiert.
Aber eine Gewerkschaft von Büroangestellten, die direkt bei Google beschäftigt sind, gab es noch nicht. Neu ist auch der Ansatz der Alphabet Workers Union, diese Angestellten gemeinsam mit sogenannten TVCs zu organisieren (kurz für»Temporary, Vendor or Contractor«, meint also Zeitarbeiterinnen, Lieferanten und Vertragsarbeiterinnen) – eine guter Ansatz, wenn man bedenkt, dass die TVCs mehr als die Hälfte der Belegschaft von Google ausmachen.
Technologieunternehmen wie Google setzten sich hart dafür ein , gewerkschaftliche Organisierung in ihren Unternehmen zu unterbinden. Die Feindseligkeit gegenüber Gewerkschaften bildet das Fundament dieser Branche – nicht zuletzt hat sich deswegen auch das Silicon Valley der Westküste zum Epizentrum der Tech-Branche entwickelt und nicht die Ostküste mit ihrer ausgeprägten Gewerkschaftslandschaft. Der Intel-Mitbegründer Robert Noyce sagte einmal: »Für die meisten unserer Unternehmen ist es überlebenswichtig, nicht gewerkschaftlich organisiert zu sein.« Noyce ist schon lange tot – geblieben ist, dass sich der Innovationsgeist vieler Tech-Unternehmen heute hauptsächlich in ihrer kreativen Umgehung von Arbeitsrechten zeigt.
Es haben sich zuletzt auch die Angestellten der Crowdfunding-Website Kickstarter und des App-Entwicklers Glitch gewerkschaftlich organisiert, aber die Alphabet Workers Union ist das erste öffentlich gemachte Vorhaben dieser Art bei einem der FAANG-Unternehmen (Facebook, Amazon, Apple, Netflix, Google). Daher wird allein diese Bekanntmachung starke Reaktionen in einigen Vorstandsetagen hervorrufen – ganz unabhängig davon, was die Gewerkschaft sagt oder tut.
Die neue Gewerkschaft wird von dem Dachverband Communications Workers of America (CWA) unterstützt, der etwa 700.000 Mitglieder umfasst. Laut der New York Times begannen CWA-Organizer Ende 2019, sich mit Google-Angestellten zu treffen. Der siebenköpfige Vorstand der Alphabet Workers Union wurde im vergangenen Dezember von ihren Mitgliedern gewählt. Die Gewerkschaft wurde im Rahmen der CWA-Kampagne »Coalition to Organize Digital Employees« (CODE) gegründet, die sich um die gewerkschaftliche Organisierung von Beschäftigten in der Videospielbranche und anderen Bereichen der Tech-Wirtschaft bemüht.
Zum Zeitpunkt ihrer Bekanntmachung vertrat die Alphabet Workers Union 227 Personen (Anm. d. Red.: Laut Angaben der Alphabet Workers Union ist die Anzahl der Gewerkschaftsmitglieder inzwischen auf über 700 gestiegen, Stand 13.01.2020). Das wirft folgende Frage auf: Wenn man die TVCs mitzählt, arbeiten weit über 200.000 Menschen bei Google – welche Bedeutung hat da eine Gewerkschaft, die nur eine kleine Minderheit vertritt?
»Minderheitsgewerkschaften« sind Gewerkschaften, die nicht die Mehrheit der Beschäftigten vertreten und daher nicht als exklusive Verhandlungspartnerinnen gegenüber dem Arbeitgeber auftreten können. Dieser Ansatz ist nicht neu. Vor der Verabschiedung des National Labor Relations Act (NLRA) im Jahr 1935, der das Recht der US-amerikanischen Beschäftigten auf Wahlen zur Gewerkschaftsgründung und die ausschließliche Vertretung durch eine Mehrheitsgewerkschaft gesetzlich festschrieb, war die Minderheitsgewerkschaft eine gängige Praxis. Solche Gewerkschaften verfügten auch ohne die Anerkennung durch das Unternehmen und ohne einen offiziellen Vertrag über Vertrauensleute, die Probleme am Arbeitsplatz angingen und Druck auf die Vorgesetzten ausübten. . Nach der Verabschiedung des NLRA bildeten diese Strukturen die Startrampe für eine breitere gewerkschaftliche Organisierung.
Dennoch sind Minderheitengewerkschaften nicht einfach ein Relikt der Vergangenheit. Die vielen Hürden, mit denen der Weg zur Anerkennung einer Gewerkschaft durch den Arbeitgeber in den USA gespickt ist, hat viele Arbeiterinnen und Arbeiter – insbesondere in Bundesstaaten mit besonders gewerkschaftsfeindlichen Arbeitsgesetzen – dazu veranlasst, sich in dieser Weise zu organisieren. Minderheitsgewerkschaften sind nicht so mächtig wie Mehrheitsgewerkschaften mit dem Recht, Tarifverträge auszuhandeln – aber wenn die äußeren Bedingungen letzteres nicht zulassen, sind sie besser als nichts, da sie immerhin etwas zusätzlichen Schutz bieten und als Grundstruktur für kollektive Aktionen dienen können.
Die Frage, ob der NLRA den Minderheitsgewerkschaften das Recht einräumt, im Namen allein ihrer Mitglieder (und nicht der gesamten Belegschaft) mit dem Arbeitgeber in kollektive Lohnverhandlungen zu treten, ist noch ungeklärt. Ein Prozess, der diese Frage im Jahr 2006 vor die zuständige Behörde, das National Labor Relations Board (NLRB), gebracht hätte, wurde letztlich eingestellt. Sollte Joe Biden mehr gewerkschaftsfreundliche Kandidatinnen und Kandidaten für das NLRB nominieren – und sollten diese Nominierungen die Zustimmung des Kongresses erhalten – könnte die Entscheidung möglicherweise zugunsten der Minderheitsgewerkschaften ausfallen. Es ist sicherlich kein Zufall, dass die Alphabet Workers Union kurz vor Bidens Amtsantritt an die Öffentlichkeit ging. Ebenfalls von Bedeutung ist eine Entscheidung des NLRB unter Trump aus dem Jahr 2017, die es den Beschäftigten erschwert hat, kleinere Verhandlungseinheiten zu bilden. Früher konnten Gewerkschaften innerhalb einer Abteilung gegründet werden und, nachdem sie dort Fuß gefasst hatten, auf andere Abteilungen innerhalb des Unternehmens expandieren – seit 2017 ist das aber nicht mehr möglich.
Zwar leben die meisten Google-Angestellten nicht in jenen Bundesstaaten, in denen das gewerkschaftsfeindliche »Right-to-work«-Gesetz gilt, einen schweren Stand haben sie aber dennoch. Die Alphabet Workers Union geht wahrscheinlich nicht davon aus, dass sie in absehbarer Zeit eine Mehrheit der Belegschaft für die Gründung einer tariffähigen Gewerkschaft organisieren können wird – und damit liegt sie aller Voraussicht nach richtig. Google verfügt über immense Ressourcen, mit denen es die gewerkschaftliche Organisierung bekämpfen kann, und ist laut einer kürzlich eingereichten Beschwerde beim NLRB auch bereit, zu diesem Zweck das Gesetz zu brechen.
Die Belegschaft des Unternehmens ist über das gesamte Land und die ganze Welt verstreut, was eine gewerkschaftliche Organisierung erheblich erschwert. Zudem sind die meisten Beschäftigten bei Google TVCs, die nicht direkt angestellt sind, was bedeutet, dass sie kein Recht haben, einer anerkannten Verhandlungseinheit im Unternehmen beizutreten. Eine herkömmliche Gewerkschaft würde diese Arbeiterinnen und Arbeiter schlicht ausschließen, was ihren eigenen Einfluss und ihr Ansehen erheblich in Mitleidenschaft zieht und gleichzeitig die Spaltung zwischen TVCs und Festangestellten vertieft. Die meisten Festangestellten werden zudem deutlich besser bezahlt als TVCs, was einen weiteren potenziellen Spaltungsgrund innerhalb der Belegschaft darstellt, der die gemeinsame Organisation erschwert.
In den USA herrscht an so gut wie jedem Arbeitsplatz ein gewerkschaftsfeindliches Klima – dennoch gelingt es Arbeiterinnen und Arbeitern immer wieder, Mehrheitsgewerkschaften zu bilden. Es ist möglich, dass die Mitglieder der Alphabet Workers Union in ihrer Organisation, wie die New York Times es ausdrückte, »eher einen Versuch sehen, dem Aktivismus bei Google Struktur und Langlebigkeit zu verleihen, als dass sie auf Tarifverhandlungen abzielen«. Solcher Aktivismus hat in den letzten Jahren bei Google zugenommen. So haben Google-Angestellte einen Kooperationsvertrag des Unternehmens mit dem Pentagon zu Fall gebracht, seine Zusammenarbeit mit den US-Zoll- und Grenzschutzbehörden angeklagt und eine koordinierte Arbeitsniederlegung von 20.000 Personen organisiert, um sich gegen Googles unangemessenen Umgang mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz zu stellen.
Wenn »Gewerkschaft« einfach ein Wort dafür ist, dass Arbeiterinnen und Arbeiter gemeinsam und im eigenen Interesse aktiv werden, dann ist eine Gewerkschaftsinitiative bei Google angesichts dieser jüngsten Geschichte keine Überraschung. Minderheitsgewerkschaften können zwar keine Tarifverhandlungen führen, Verbesserungen am Arbeitsplatz erringen können sie aber durchaus. Außerdem kann ihre Aktivität Interessengegensätze aufdecken: Google wünscht sich, wie viele andere Arbeitgeber auch, dass die Angestellten sich selbst als Eigentümerinnen und Eigentümer des Unternehmens empfinden. Hinter den Kulissen schmieden die Führungskräfte jedoch Pläne, die Löhne zu drücken – so wie in jedem anderen Geschäftszweig auch. Jede Arbeiterin und jeder Arbeiter, selbst eine Software-Ingenieurin, braucht eine Gewerkschaft – und dass es eine solche jetzt auch bei Google gibt, verdeutlicht den Antagonismus, der für jeden kapitalistischen Arbeitsplatz grundlegend ist.
Eine Gewerkschaftsinitiative so früh öffentlich zu machen, ist allerdings nicht ohne Risiko. Bei Gewerkschaften geht es um die kollektive Macht der Beschäftigten; eine Gewerkschaftsgründung ist eine Demonstration der Stärke, die den Beteiligten Schutz gibt, und die Unbeteiligten dazu inspirieren soll, die Seitenlinie zu verlassen und sich der kollektiven Anstrengung anzuschließen. Eine Minderheitsgewerkschaft mit so wenigen Mitgliedern läuft jedoch Gefahr, das Gegenteil zu bewirken, indem sie jenen Beschäftigten, die sich noch nicht organisiert sind, das Bild vermittelt, Gewerkschaftsarbeit sei ein Nischenkonzept. Auf diese Weise könnte die frühzeitige Bekanntmachung eine Selbstisolation zur Folge haben.
Es ist noch zu früh, um zu sagen, welche Auswirkungen der öffentliche Start der Alphabet Workers Union haben wird – ihre Mitglieder hoffen darauf, dass die Organisation dadurch Aufwind bekommt. So sagte Auni Ahsan, ein Software-Ingenieur und Gründungsmitglied der Gewerkschaft, gegenüber In These Times: »Tausende oder Millionen von Menschen werden aufwachen, von dieser Geschichte erfahren und erkennen, dass man nicht darauf warten muss, dass das Labour Board eine Gewerkschaft genehmigt. Man hat eine Gewerkschaft, wenn man sagt, dass man eine Gewerkschaft hat.«
Der Weg zur gewerkschaftlichen Organisierung eines Tech-Konzerns ist steinig– aber das gilt für jede Art von Unternehmen. Wenn die Existenz der Alphabet Workers Union die Arbeiterinnen und Arbeiter sowohl innerhalb als auch außerhalb von Google dazu ermutigt, sich zu organisieren, dann ist das ein großer Fortschritt. Es bleibt abzuwarten, was genau die Gewerkschaft tun wird – und wie Google darauf reagiert.
Alex N. Press ist Redakteurin bei JACOBIN. Ihre Beiträge erschienen unter anderem in der »Washington Post«, »Vox«, »the Nation« und »n+1«.
Alex N. Press ist Redakteurin bei JACOBIN. Ihre Beiträge erschienen unter anderem in der »Washington Post«, »Vox«, »the Nation« und »n+1«.