21. Juli 2020
Bei SimCity ist alles durchkalkuliert, optimiert und kontrolliert. Das Spiel folgt den Regeln neoliberaler Stadtentwicklung – und beeinflusst selbst diejenigen, die es gar nicht kennen.
Was kann uns SimCity – eine Halluzination des urbanen Bewusstseins, wie sie von Millionen erlebt wird – über die skalierbaren und geglätteten Städte der Zukunft verraten?
Es war einmal ein brillanter Ingenieur namens Trurl, der für den abgesetzten Diktator eines Planeten ein Miniatur-Königreich schuf, über das dieser nach Lust und Laune und bis ans Ende seiner Tage herrschen konnte. Der gelangweilte Despot konnte so, in verkleinertem Maßstab, seinen autoritären Bestrebungen nachgehen, ohne dass die demokratischen Bestrebungen seiner ehemaligen Untertanen bedroht würden.
Diese Fabel des polnischen Science-Fiction-Autors Stanisław Lem erschien 1981 in The Mind’s Eye, einer Anthologie zu Fragen des künstlichen Bewusstseins. Dort wurde sie von Will Wright, dem Schöpfer des Sim-Imperiums, entdeckt. In Interviews bezeichnete Wright die Geschichte später als Inspirationsquelle für SimCity.
Als das Spiel 1989 vom damaligen Indie-Studio Maxis veröffentlicht wurde, war sein Erfolg alles andere als vorgezeichnet. Niemand dachte, dass sich Spielerinnen und Spieler lange mit einem Stadtplanungs-Simulator abgeben würden – erst recht, da kein Spielziel vorgegeben war. Das Spiel erzählt keine Geschichte, es ist ein Verwaltungssystem, in dem man weder endgültig verlieren noch gewinnen kann.
Insofern es überhaupt eine Handlung gibt, entsteht sie durch die Fähigkeit der Spielenden, sich ihre Stadt selbst vorzustellen. Bereits nach einer Stunde Übung kann jede und jeder eine Stadt bauen, Interface und Grafik sind einfach und benutzerfreundlich. In der neuesten Version des Spiels ist der Anfang nicht schwerer, als einige Straßen zu ziehen, Wohn-, Industrie und Gewerbegebiete auszuweisen und ein paar Gebäude hinzuklotzen.
Aber SimCity wirklich gut spielen zu können erfordert, das Selbstverständnis des Spiels zu erfassen. In Mario springt man. In SimCity trifft man Vorhersagen. Man versucht, eine Reihe komplexer, emergenter sozialer Phänomene vorauszusehen. Man optimiert, maximiert und extrapoliert aus der Ferne, ohne das hierfür besondere Hand-Auge-Koordination nötig wäre und verkörpert so den Geist urbaner Umtriebigkeit.
In einem Porträt über Wright im New Yorker erinnert sich Jeff Braun, einer der Mitbegründer von Maxis, an seine erste Begegnung mit der Idee zu SimCity. Braun erzählt, wie er und Wright sich bei Pizza auf einer Party in Alameda, Kalifornien, kennenlernten: »Will zeigte mir das Spiel und meinte, dass es keinem gefällt, weil man nicht gewinnen kann. Aber ich fand es klasse. Ich habe mir ein Publikum von Größenwahnsinnigen vorgestellt, die die Welt beherrschen wollen.«
Braun behielt Recht: Das Spiel wurde zum Verkaufsschlager. Es läutete eine neue Blütezeit für Computerspiele ein. Die SimCity-Reihe war bis vor kurzer Zeit eine der meistverkauften Spieleserien aller Zeiten, wobei es weiterhin die einflussreichste bleibt. Als Pionierleistung des Simulationsspiels führte SimCity neue Spielerinnentypen an das Genre heran und inspirierte eine neue Generation von Stadtplanerinnen, Architekten und Soziologinnen.
Nach der Logik des Spiels lassen sich aus Simulationen abstrakte Prinzipien der Stadtentwicklung ableiten. Unsere Städte mögen uns unvorhersehbar chaotisch und voller vertrackter Komplexität erscheinen. SimCity aber zähmt das Chaos und wandelt es in eine beherrschbare Landschaft an Entscheidungsoptionen um. Es stellt uns eine Micropolis (so der ursprüngliche Titel) zur Verfügung, die als Modell für unsere realen Städte dient. Städte werden darin nicht abgebildet, wie sie sind, sondern so, wie sie sein könnten: Durchkalkuliert, optimiert und kontrolliert.
Diese Vision wird rapide zur Realität: Das Simulationsdenken des Spiels hat unser Verhältnis zu Politik, Spielen, Arbeiten und zu uns selbst – kurz gesagt, unser soziales Raumverständnis – neu strukturiert. Sogenannte Smart Cities sind bereits dabei, diese Technologien zu erproben und Silicon Valley – Wohnort von Wright und Sitz von Cisco und Microsoft – hat die Stadtentwicklung als Geschäftsfeld für sich entdeckt.
SimCity dient hierbei als Archiv und Simulationsplattform für die Städte der Zukunft und ihre algorithmische Logik. Was kann uns das Spiel – eine Halluzination des urbanen Bewusstseins, wie sie von Millionen erlebt wird – über die skalierbaren und geglätteten gamified cities der Zukunft verraten?
Laut Wright soll das Spiel einen Raum an Möglichkeiten eröffnen, der weit genug ist, um den Spielenden das Experimentieren in einer »Problemlandschaft« mit unbegrenzt vielen Lösungen zu erlauben. Wright meint, dass das Spiel zu utopischem Denken ermuntert: »Einer der interessantesten Aspekte am Spielbeginn von SimCity ist, dass man sich entscheiden muss, was man erreichen will. Will ich die größtmögliche Stadt errichten, oder die mit den glücklichsten Einwohnern, den meisten Parks oder der niedrigsten Kriminalitätsrate? Jedes mal muss man sich fragen: Wie sieht für mich die ideale Stadt aus?«
Möglichkeit ist hierbei eine oft benutzte Vokabel: »Ich glaube, dass wir in der Vorstellung der Spielerin den maximal großen Möglichkeitsraum eröffnen wollten«. Im Gegensatz zu Wrights Vision eines Spiels mit völlig offenem Ausgang wirbt der Text auf der Rückseite von SimCity 2000: »Noch realistischer geht nicht, sonst wäre es illegal, dieses Spiel auszuschalten!«
Nicht nur die Grafik, auch die Regeln von SimCity sind von den Städten der Gegenwart inspiriert. Die Spielsituationen sind deskriptiv und normativ zugleich – sie zeigen den Ist-Zustand der modernen Stadt und schreiben fest, wie sie sein sollte.
Das Benutzerhandbuch von SimCity4, erschienen im Jahr 2003, schlägt einen freundlich-belehrenden Ton an: »Industrie ist der wahre Motor der Stadt und Industriegebiete werfen von allen drei Gebietsarten den meisten Profit ab. Indem sie Arbeitsplätze schaffen, verhelfen sie deinen Einwohnerinnen zu einem Einkommen… Geld macht die Sims glücklich und erlaubt ihnen, einkaufen zu gehen, was die Einzelhandelszonen erblühen lässt. Industriegebiete erzeugen auch die meiste Umweltverschmutzung. Deswegen ist es eine gute Idee, sie weit entfernt von den Wohngebieten der Stadt auszuweisen.«
Diese »guten Ideen« sind keine Vorschläge, sie sind Vorgaben. Um innerhalb des relativ weit gesteckten Rahmens des Spiels erfolgreich zu sein und eine bewohnbare Stadt zu bauen, muss man bestimmte politische Leitlinien unbedingt einhalten. Mehr Polizeiwachen, zum Beispiel, führen immer zu einem Rückgang der Kriminalität und im Spiel stehen Kriminalitätsrate und Bodenpreise, Bevölkerungsdichte und Polizeipräsenz immer in einem festen Zusammenhang. Polizeiwachen zu bauen ist nicht optional, sie müssen errichtet werden. So will es das Gesetz.
Mit Steuern verhält es sich im Spiel ähnlich: »Wenn die Steuern zu lange zu hoch sind, werden die Bewohnerinnen deine Stadt möglicherweise massenweise verlassen. Außerdem stören sich reiche Sims mehr an hohen Steuern als solche mit mittlerem oder niedrigem Vermögen.«
Diese Parameter schränken die Erkundung utopischer Möglichkeitsräume durch die Spielerin ein. Ihre Phantasie, die Wright angeblich so wichtig ist, wird darauf beschränkt, bekannte Elemente immer wieder neu zu arrangieren: riesige Bauten, stille Vorstädte und Automassen. Jede Stadt beginnt als grüne Wiese, doch ihre Industrialisierung ist obligatorisch.
»Sims sind selbstlose Stehaufmännchen und nehmen jeden Arbeitsplatz an, an dem sie gerade benötigt werden.«
Die Landschaft selbst dient nur dazu, Ressourcen zu extrahieren oder in Parks umgewandelt zu werden, um die Immobilienpreise in der Umgebung in die Höhe zu treiben. Einige Fragen werden aufgeworfen (Wie hoch können die Steuern steigen, bevor die Reichen die Stadt verlassen?) während andere (Könnte man die Reichen eigentlich auch ganz enteignen?) nicht verfolgt werden.
Die Wahl der Optionen, die das Spiel offenlässt oder verschließt, hat Kritik von beiden Seiten des politischen Spektrums hervorgerufen. Einige sehen im Spiel eine Reproduktion des Staatssozialismus, da Infrastruktur und Dienstleistungen zentralisiert sind. Andere verweisen auf die regressive Besteuerung und die Anlehnungen an Rational-Choice-Modelle und sehen das Spiel als Sprachrohr des neoliberalen Konsens. Beide Seiten haben nicht ganz unrecht.
In SimCity haben Spielerinnen und Spieler schon versucht, Städte ohne Elemente des Kapitalismus zu bauen, aber auch Städte, die ganz ohne staatliche Subventionen auskommen. Es gibt realistische Städte, die Pjöngjang karikieren sollen und zerfallende Industriezentren wie Detroit. Einige dieser Versuche kann man als erfolgreich bezeichnen, andere scheiterten an den begrenzten Möglichkeiten, die das Spiel bietet.
Im Jahr 2010 postete Vincent Ocasla, ein junger philippinischer Architekturstudent, ein YouTube-Video, in dem er behauptete, SimCity »besiegt« zu haben. Seine Stadt, Magnasanti, war das Resultat von drei Jahren Planung und Umsetzung in SimCity 2000. Das Video zog im Internet viel Aufmerksamkeit auf sich, doch zunehmend kam die Frage auf, was es überhaupt bedeutete, SimCity zu »besiegen«.
Ocasla analysierte den Spielalgorithmus für modulares Wachstum und optimierte unter dieser Maßgabe die Distanzen zwischen Ressourcen, Verkehrsinfrastruktur und Stromnetz, um die am dichtesten bevölkerte Stadt, die jemals in SimCity entstand, zu errichten. Diese Leistung wurde um den Preis von sozialer Unterdrückung und totalitärer Kontrolle erreicht, Ocaslas Triumph war ein rein numerischer. Ihm ging es nicht um die Lebensqualität seiner Sims, sondern um quantifizierte technokratische Effizienz. Seine Absicht war, die tödliche Verwaltungslogik des Spiels zu kritisieren.
Ironischerweise warf der technokratische Wissenschaftsglaube, der dem Entwurf von Magnasanti zu Grunde lag, sofort Fragen nach seiner Anwendbarkeit auf echte Städtebauprojekte auf. Viele Posts auf Reddit waren optimistisch: »Wow, dieser Typ sollte von den Stadtentwicklungsbehörden eingestellt werden!« Aber alle Aufforderungen, die Logik von SimCity näher zu erforschen sind überflüssig: Solche Studien finden längst statt.
Selbst diejenigen, die das Spiel noch nie gespielt oder auch nur davon gehört haben, stehen unter seinem Einfluss: Es hat unsere Sicht auf die Welt verändert. Die Perspektive, die es erzeugt, ist selbst eine politische Technologie.
Das Spiel bedient sich einer Kombination aus 3D-Modellierung und isometrischer Perspektive, so dass das Auge der Betrachterin überall und nirgendwo zugleich sein kann. Es nimmt eine militärischen-industrielle Herrschaftsperspektive ein: Das wachsame Auge der Produktionsleitung, die die Geschwindigkeit der Maschinenstraße unter ihr beobachtet; Napoleon, der von einem Hügel aus ein Schlachtfeld überblickt; die Sicht aus einem Polizeihubschrauber, der über Washington seine Kreise zieht.
Wie auch die urbane Kriegsführung die Vertikale in verschiedene Bereiche teilt, indem der Luftraum in Kampf- und Überwachungszonen zerlegt wird, so teilt auch SimCity die Datenkartographie der Stadt in verschiedene 3D-Layer auf, zwischen denen die Spielenden durch Tastenkombination hin- und herspringen können. Disziplinarische Verwaltungssysteme, die eine immer feinmaschigere Kontrolle erlauben.
»Im Jahr 2013 kamen bei SimCity erstmals Menschen ins Spiel, und zwar als Leiharbeitende: arbeitende Körper, gefesselt an die Rhythmen der Ausbeutung.«
Man könnte sagen, dass in SimCity im Grunde die Gebäude die entscheidenden Charaktere sind. Ganz entsprechend des Marx'schen Konzepts des Warenfetischismus sind den digitalen Mauern hier die sozialen Beziehungen einprogrammiert, aus denen sie entstanden. Im Jahr 2013 kamen bei SimCity erstmals Menschen ins Spiel, und zwar als Leiharbeiterinnen: arbeitende Körper, gefesselt an die Rhythmen der Ausbeutung.
Jeden Morgen wachen die Sims auf, begeben sich dorthin, wo gerade (entsprechend ihrer vorprogrammierten Klassenzugehörigkeit) arbeitende Sims benötigt werden und schuften dort, bis es Zeit fürs Abendessen ist. Jeden Abend machen sie sich auf den Weg zu einem beliebiges Haus und schlafen dort, je nachdem, wo eben gerade Platz für sie ist. Sims leben von Augenblick zu Augenblick, sie quälen sich durch den Verkehr und nehmen jeden Job und jede Wohnung an, die sie finden können.
»Sims sind selbstlose Stehaufmännchen und nehmen jeden Arbeitsplatz an, an dem sie gerade benötigt werden« erklärt ihr Programmierer auf der SimCity-Webseite. »Sogar wenn ihr Zuhause gerade zerstört wurde, suchen sie sich einfach ein neues. Alles, um die Stadt reibungslos am Laufen zu halten.«
Obwohl ihr Designer mit den Sims dem Spiel vermutlich mehr Leben einhauchen wollte, ist seine Schöpfung angsteinflößend: Eine nicht enden wollende Schleife aus namen- und gesichtsloser Arbeit. Das eigentlich erschreckende an den »selbstlosen Stehaufmännchen« ist nicht ihre Fremdheit, sondern ihre Vertrautheit. Der Albtraum einer Welt, in der wir alle nur noch unqualifizierte und austauschbare Zeitarbeiterinnen sind, die täglich bei einer neuen Chefin anheuern, ist für viele bereits Realität.
Verdeutlichen lässt sich dies etwa am Erfolg von TaskRabbit, eines 2008 gegründeten Unternehmens, das sich dem »kollaborativen Konsum« verschrieben hat. TaskRabbit ist stolz darauf, prekäre Zeitarbeitsverhältnisse zu einem Spiel gemacht zu haben.
Aufgaben, werden in einer App gepostet und sogenannte »Tasker« warten darauf, dass ihr Smartphone sie darüber informiert, um dann möglichst schnell auf »annehmen« zu klicken und sich den Job zu sichern. Sie werden zu blauen GPS-Koordinatenpunkten auf einer Karte, über die sie von algorithmischer Hand zu ihrem nächsten Arbeitsplatz geleitet werden, um dort ein Ikea-Regal aufzubauen, für ein neues iPhone anzustehen, verzogenen Schülerinnen Der Fremde vorzulesen oder irgendetwas anderes zu erledigen, für dass man sie eben bezahlt.
»Mitunter wird sogar das Spielen selbst zur Arbeit.«
Dieses Prekariat spielt ein sich stets wiederholendes Spiel der Arbeit, mitunter bis zu fünfmal täglich. Die »Spielzeit« – die Zeit, die dafür benötigt wird, Jobs zu suchen, zu warten und sich zu bewerben – wird nicht bezahlt. Solange die Beschäftigungsverhältnisse temporär bleiben, hört das Spiel nie auf. Genauso verhält es sich mit den Bewohnerinnen von SimCity: Sie simulieren solche Arbeitsverhältnisse zu unserer Unterhaltung.
Mitunter wird sogar das Spielen selbst zur Arbeit: Prosumententum, die Grauzone zwischen Produktion und Konsum, Partizipation und Ausbeutung, ist ein Markenzeichen der gegenwärtigen Kreativindustrie – inklusive der Spielebranche.
Besonders treue Spielerinnen und Spieler werden oft ohne ihre Einwilligung zum unbezahlten Testen herangezogen, indem sie Beta-Releases ausprobieren oder Spielmodifikationen (sogenannte »Mods«) vornehmen.
So auch beim katastrophalen Start einer unausgegorenen Neuauflage von SimCity im Jahr 2013: Das Spiel war so voller Bugs, dass viele Nutzerinnen und Nutzer sich über den Tisch gezogen fühlten. Die Prosumenten waren sauer. Electronic Arts reagierte darauf mit dem Outsourcing der Bug-Suche an das Kollektiv der Spielenden, welche die verbesserungsbedürftigen Schwachstellen nach dem Kauf des Spiels aufspürten. Damit erledigten sie spielend die Arbeit, die Electronic Arts nicht in das Produkt investieren wollte.
Am Ende von Lems Fabel hat die ursprünglich schachtelgroße Mikropolis die Oberfläche eines ganzen Planeten eingenommen. Sogar der Tyrann selbst ist wie vom Erdboden verschluckt, der Triumph der Simulation total. Wie sieht es mit Wrights Werk aus?
In einem Vortrag Wrights mit dem Titel »Die Gamification der Welt: Aus SimCity in die Zukunft« berichtet er, dass sich Firmen bei ihm erkundigen, wie sie ihre Produkte zu Spielen machen und seine »Simulationsplattform« mit anderen Bereichen verknüpfen könnten.
In der Gegenwart, so Wright, braucht es kein Eintauchen in Spiele mehr, um dem Alltag zu entfliehen. Das Leben selbst ist zum Spiel geworden. Laut Wright erleben wir die Entstehung einer »vermischten Realität« voller personalisierter, datenintensiver Spiele.
Dabei vergisst er, dass Spekulationen mit den Städten der Zukunft selbst zum Spiel geworden sind – zumindest für Investoren, die es sich leisten können. Die Märkte und Technologien der Smart City sind noch zu besetzen; in Wrights Worten: ein maximal offener »Möglichkeitsraum«.
Wenn, wie in SimCity, das Ziel staatlichen Handels Wirtschaftswachstum heißt, entwickeln Regierungen einiges an Flexibilität, um den Bedürfnissen von Unternehmen entgegenzukommen. Die lokale Geschichte wird übertüncht und von globalen Investoren überschrieben. In Honduras entsteht zum Beispiel eine sogenannte charter city, wobei bestehende Gesetzgebung und Infrastruktur einfach beiseite geräumt werden, um eilig neue Strukturen errichten zu können. Hierfür war sogar eine Verfassungsänderung notwendig.
Die südkoreanische Regierung setzt auf eine Art materialisierte Datencloud, auch bekannt als die Stadt Songdo. In Songdo gibt es überall Infrastruktur zur Datenverarbeitung, synapsenartige Sensoren und hohe Bandbreiten, eingerichtet unter der Annahme, dass das Sammeln der Daten aller Einwohnerinnen und Einwohner enorm nützlich und profitabel sei.
Das Werbematerial, das eine ähnliche Vogelperspektive wie SimCity einnimmt, stellt diese »Datenfelder« als digitale Ressource dar, aus der Profit extrahiert werden kann und die zu einer »smarten« Reduktion im Verbrauch anderer, natürlicher Ressourcen führen kann. Im Jahr 2012 war Songdo das größte private Bauprojekt der Welt.
»Wenn zentralistisches Top-Down-Design zur Ware wird, müssen wir uns wohl bald zwischen den Betriebssystemen entscheiden, in denen wir leben wollen.«
Doch Songdo ist eher ein Protokoll als eine Stadt: Andere Städte können sich ihren Stadtplan »herunterladen«. Die Technologie hinter der Stadt wurde bereits von anderen Verwaltungen eingekauft, bevor sie in Songdo überhaupt angewandt wurde. Der Masterplan für Songdo wird gerade nach Ecuador exportiert und in China kauft die Regierung ähnliche Pakete, um Städte auf Stand zu bringen. Ganze Nationen werden hierbei zu transnationalen, portierbaren Städten aus der Dose. Simulation entwickelt sich dabei zum dominanten Paradigma, die materielle und gelebte Geschichte eines Ortes spielt keine Rolle mehr.
SimCity und sein Glaube an die algorithmische Stadtentwicklung haben sich als weitsichtig herausgestellt: Der Wert einer Stadt liegt nun zum Teil in ihrem immensen Potenzial, Daten zu sammeln, sei es in Mobilfunkmasten oder integrierten Sensoren. Kostbar werden die Daten hierbei vor allem durch Spekulation über ihren zukünftigen Wert: Smart an der Smart City ist der Glaube, dass noch so nichtssagende Daten in Zukunft finanziell lukrativ sein werden.
Doch solange verschiedene Firmen darin konkurrieren, alle diese Datensätze zu sammeln, wird es für ihre Sammlungen nur begrenzte Anwendungsfälle geben. Deshalb schlug der ehemalige Sony-Chef Nobuyuki Idei eine universales Betriebssystem für die Stadt vor, ein »City OS«.
Dieser Lösungsansatz für urbane Problemstellungen à la Silicon Valley klingt sehr nach Wrights immersiver Simulation. Ein universelles »City OS« wäre die Basis für das Internet der Dinge, das Netzwerk an »smarten« Geräten und Objekten, die mit dem Internet verbunden sind. Es wäre ein vollumfängliches Betriebssystem.
LivingPlanIT, das Startup eines früheren Microsoft-Managers, entwickelt gerade eine Software, die zum Urban Operating System (UOS) werden soll: Apps, Gebäude, Menschen, Verkehr – alles wird in seiner Cloud verbunden sein. LivingPlanIT möchte sein Geld damit verdienen, sein System an Benutzerinnen – große Institutionen, wie Regierungen oder Investoren – zu lizenzieren. Als Prototyp dient eine grüne Smart City in Portugal.
SimCity und seine Weiterentwicklungen zum »City OS« gehen davon aus, dass wir universelles Wissen über die Stadt erlangen können: Wir können sie auf Chipgröße herunterskalieren, in einer Datencloud speichern, ihre Bewegungen vorhersagen und beliebig oft wiederholen.
Doch diese scheinbar unsichtbaren digitalen Architekturen sind genauso wenig frei von Politik wie ihren analogen Gegenstücke. Wie können wir auf die komplexe, chaotische Stadt zurückblicken, ohne dabei rückwärtsgewandt zu sein? Wenn zentralistisches Top-Down-Design zur Ware wird, müssen wir uns wohl bald zwischen den Betriebssystemen entscheiden, in denen wir leben wollen. Vielleicht werden solche Entscheidungen auch über den Markt und durch Firmenfusionen für uns getroffen werden. In Songdo installiert Cisco seine TelePresence-Technolgie in jeder Wohnung, unter der Annahme, dass die Leute sich schon damit abfinden werden, wenn man sie nur überall einbaut.
In den Städten der Zukunft werden die Besitzerinnen und Besitzer des Betriebssystems zu den Besetzerinnen und Besetzern der Immobilien, des Geldes und der Produktionsmittel. Wer deinen Sim-Datensatz besitzt, besitzt auch dich. Dieses Verhältnis von Macht und Daten – die Macht, das ganze Leben zu programmieren – verdienen unsere Aufmerksamkeit.
Wir sollten uns nicht fragen, wie unsere ideale Stadt in SimCity, LivingPlanIT oder einem anderen urbanen Betriebssystem aussehen würde, sondern, wie wir unseren eigenen idealen Stadtsimulator gestalten würden. Für wen ist die Stadt unter diesem oder jenem Betriebssystem gedacht? Und wer hält sie am Laufen?
Das Ziel kann nicht mehr nur sein, einen Fantasieort zu entwerfen: Wir müssen unser eigenes Spiel entwickeln.
Ava Kofman ist Autorin und Journalistin. Sie lebt in New York.