01. Dezember 2021
Katalin Gennburg von der Linkspartei wurde erneut direkt ins Abgeordnetenhaus gewählt und ist Sprecherin für Stadtentwicklung. Sie meint: Ihre Partei sollte den rot-grün-roten Koalitionsvertrag ablehnen.
Sind sich einig: Klaus Lederer, Franziska Giffey und Bettina Jarasch am 29. November 2021, Berlin.
DIE LINKE ist nach der Bundestagswahl auf 4,9 Prozent gefallen, bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus in Berlin war das Ergebnis nicht ganz so dramatisch. Aber auch hier verlor die Partei zwei Prozentpunkte und landete bei 14 Prozent. Bei der Neuauflage der rot-grün-roten Regierung in der Stadt ist sie nun der schwächste Partner – und unter der zukünftigen Bürgermeisterin Franziska Giffey aus dem rechten Flügel der SPD sind die Verhandlungen umso rauer. In diesem Dilemma muss DIE LINKE nun per Mitgliederentscheid und auf einem Sonderparteitag entscheiden, ob sie der Regierung beitritt.
Katalin Gennburg konnte ihr Direktmandat in Treptow-Köpenick bei der vergangenen Berlin-Wahl verteidigen. Sie setzte sich mit 26,2 Prozent gegen SPD und Grüne in ihrem Bezirk durch. Als Sprecherin für Stadtentwicklung bewertet sie den bestehenden Koalitionsvertrag fachpolitisch und spricht sich gegen eine Regierungsbeteiligung aus. Warum das eine Frage der Glaubwürdigkeit ist und wie sich ihre Partei erneuern könnte, erklärt sie im Gespräch mit JACOBIN.
In dieser Woche wurde der Koalitionsvertrag vorgestellt. Die SPD scheint sich in zentralen Punkten durchgesetzt zu haben. Wie war Dein Eindruck von den Verhandlungen?
Ich war auch 2016 schon in der Verhandlungsgruppe für den Bereich Stadtentwicklung, Mieten, Wohnen und es war dieses Mal sehr schwierig, bis unmöglich, unser Programm für eine soziale Wohnraumversorgungspolitik gegen die SPD durchzusetzen.
»Bis hierhin und nicht weiter« ist der erklärte wohnungspolitische Kurs der SPD und davon ist sie auch nicht abgerückt. Damit stellen die Sozialdemokraten die grundsätzlichen mietenpolitischen Erneuerungen der letzten fünf Jahre komplett in Frage.
Du wirbst bei Deiner Partei jetzt dafür, sich gegen die Regierungsbeteiligung auszusprechen. Warum?
Es gibt aus meiner Sicht zwei relevante Betrachtungsebenen: die der Stadtentwicklungspolitik und die der Machtpolitik. Vor dem Hintergrund der letzten beiden Wahlkampagnen unserer Partei unter dem Motto »Wir geben euch die Stadt zurück« und »Mietenwahl« wiegen die Verluste auf beiden Ebenen im Bereich der Wohnungs- und Mietenpolitik schwer; gerade weil wir einen mietenpolitischen Auftrag haben!
Die SPD an der Spitze der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen wird einfach das machen, was mit »Bauen, Bauen, Bauen« und einem Wohnungsbündnis mit der Immowirtschaft ihr neues Gentrifizierungsprogramm ist, und wir haben keine Möglichkeit, dies zu korrigieren. Die schwache Formulierung zum Volksentscheid Deutsche Wohnen und Co. enteignen kann an keiner Stelle durch andere linke fest abgesicherte Leuchtturmprojekte ausgeglichen werden – es ist, wenn überhaupt, eine Absicherung des Status quo.
Aus Sicht der Stadt lässt sich sagen: Natürlich macht es einen Unterschied, ob wir regieren, weil es immer noch schlechter kommen könnte. Man stelle sich eine Ampel- oder Deutschlandkoalition in Berlin vor. Diese Argumentation führt aber auch in eine Sackgasse, weil sie immerzu gültig ist und keine andere Logik außerhalb des Regierens mehr zulässt. Unterm Strich muss man aber feststellen, dass der Koalitionsvertrag keine linke Handschrift trägt und eine Regierungsbeteiligung einem linken Projekt langfristig schaden würde – auch wenn einige Genossinnen und Genossen das Gegenteil behaupten.
Was sind die zentralen Streitpunkte?
Mindestens genauso wichtig ist die Verteidigung des Erbes des Mietenvolksentscheides von 2015 und des Volksentscheides über das Tempelhofer Feld. Wir haben genau genommen also drei Volksentscheide zu verteidigen.
Dabei steht der Mietenvolksentscheid von 2015 gar nicht so sehr im Fokus wie die anderen beiden.
Tempelhof ist ja sozusagen ein Grünflächen-Volksentscheid. Der Mietenvolksentscheid war wiederum für eine Neuausrichtung der Mietenpolitik super wichtig. Er forderte eine soziale Wohnraumpolitik der landeseigenen Wohnungsunternehmen, die zuvor Mieten jahrelang erhöht und teure Wohnungen gekauft und gebaut haben, zum Teil auch Eigentumswohnungen.
Damals wurde mittels des Mietenvolksentscheides gefordert, dass man da einen Riegel vorschiebt. Deswegen ist die Steuerung der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften ein richtig großer Zankapfel der letzten Jahren gewesen. Wir haben ab 2016 die Mietenregulierung in den landeseigenen Wohnungen durchgesetzt, weil das öffentliches Eigentum ist und diesem eine soziale Aufgabe zukommt. Auch der Neubau sollte überwiegend in kommunaler Hand erfolgen und damit leistbare Mieten und Sozialwohnungen für die Zukunft sichern.
Da gab es erheblichen Widerstand aus der SPD, von den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften und aus der privaten Bauwirtschaft. Das hat vielen Kapitalfraktionen dieser Stadt einfach nicht gepasst und wir haben es dennoch gemacht und Ansprüche an eine linke Wohnraumversorgungspolitik programmatisch weiterentwickelt. Beispielsweise sollen landeseigene Baukapazitäten den kommunalen Neubau stärken und die sozial-ökologisch ausgerichtete regionale Wirtschaft fördern.
Du bist jetzt schon eine Legislatur im Abgeordnetenhaus und warst auch dabei, als DIE LINKE mit Katrin Lompscher als Bausenatorin den Mietendeckel umgesetzt hat – das sind jetzt doch ganz andere Verhältnisse nach dieser Wahl.
Ich habe in den fünf Jahren den vollen Gegenwind der Kapitalfraktionen gespürt, und das erste Mal seit zwanzig Jahren Politik in einer sozialistischen Partei auch konkret erfahren, was Klassenkampf bedeutet. Mit dem Mietendeckel habe ich eigentlich erst gelernt, wie sich das in der Praxis niederschlägt. Das kannst Du Dir einfach nicht vorstellen, dass Du ein Gesetz für die Mietpreisbegrenzung und zur Entlastung der 85 Prozent Mieterinnen und Mieter in der Hauptstadt machst und plötzlich rufen die Vermieterverbände dazu auf, die Wohnungen nicht mehr zu vermieten oder in Eigentum umzuwandeln – ein Vermietungsstreik quasi.
Auf der Ebene des maroden Staatsapparates heißt das konkret: Du kannst zum Beispiel nicht einfach ein Mietendeckel-Gesetz machen, wenn es die Ämter, Behörden und Strukturen, die das umsetzen können, nicht mehr gibt, weil sie im Zuge der Sparmaßnahmen in den 2000er Jahren eingestampft wurden. Deswegen musste zur Bearbeitung der Mietendeckel-Entscheide die Landesbank ran, das muss man sich mal vorstellen. Hinzu kommen dann natürlich noch die vielen Klagen gegen das Gesetz von FDP und CDU und das Finale mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wo es wirklich viele kritische juristische Stimmen gab.
Im Mietenbereich haben wir wirklich alles erlebt, angefangen beim Fall von Andrej Holm, der als Staatssekretär direkt zu Beginn der Legislatur verhindert wurde. Dass wir diese Auseinandersetzung nicht durchgehalten haben, war aus meiner Sicht wirklich ein Kardinalfehler. In der Folge wurde der Anspruch an rebellisches Regieren immer mehr in Frage gestellt.
Jetzt hat sich die SPD sogar den Senatsposten für Stadt und Wohnen gesichert.
In meiner Partei haben sich viel zu wenige klar dafür ausgesprochen, dieses Ressort zu halten. Ich halte das für einen schweren Fehler, vor allem auch strategisch gesprochen. Denn wir haben die soziale Mietenregulierung zu einem linken Thema gemacht und an die Klassenfrage und die Eigentumsfrage geknüpft. Wir haben damit ein ganz konkretes Thema gesetzt, in einer Stadt, in der 85 Prozent der Bevölkerung zur Miete wohnen.
Die SPD brauchte das Ressort nichtmal zwingend, denn ihr Kurs setzt vielmehr auf die Entmachtung der Senatsbehörde. Franziska Giffey will ja bekanntermaßen den Neubau »zur Chefinnen-Sache machen«. Das heißt natürlich nicht, dass Franziska Giffey selber baut, sondern dass sie die Investoren im Roten Rathaus zum Kaffeetrinken begrüßt und die Strippenzieher in der Senatskanzlei gemeinsam mit der Stadtentwicklungsverwaltung unsere Stadt wieder mehr für Investoren aufschließen.
Wer im Maschinenraum im Roten Rathaus sitzt, wissen wir ja: Das ist Engelbert Lütke Daldrup, der noch Flughafen-Koordinator war und zuvor Staatssekretär für die wachsende Stadt bei Michael Müller in der Senatskanzlei. Lütke Daldrup war in den 1990er Jahren schon in der Berliner Baubehörde für die Hauptstadtplanungen zuständig und später unter Wolfgang Tiefensee in Leipzig Olympiakoordinator. Er ist Stadtplanungsprofi und steht für den Gentrifizierungskurs der SPD nach 1990 in Berlin und den Berliner Baufilz.
Wie erklärst Du Dir die harte Haltung der SPD gegen eine soziale Stadtpolitik?
Die SPD hat im Grunde ihre Wählerklientel wieder neu sortiert und setzt auf einen alten Kurs: In den 2000er Jahren hat sie bewusst eine Politik der Besserverdienenden betrieben. Gentrifizierung ist in den 1990er und 00er Jahren nicht vom Himmel gefallen, sondern war das Programm einer neuen Stadtprogrammierung der SPD, weg von der Arbeiterstadt Berlin hin zur »Weltstadt« mit Jetset und Wolkenkratzern, die die gezielte Aufwertung von Stadtteilen mit der Ansprache neuer Wählerschichten verbunden hat. Neues Bauen für neue Wähler, könnte man sagen.
Leute wie Daldrup sind jetzt das politische Fundament von Giffey. Auch unabhängig vom Enteignen haben wir eine zugespitzte Situation, bei der es darum geht, ob wir den Kurs gegen diese konservative SPD halten.
Welche Stadtpolitik ist denn von der SPD zu erwarten?
Bevor es den Mietenvolksentscheid und in dessen Folge einen stadtpolitischen Paradigmenwechsel – weg vom Ausverkauf und hin zum sozialen und kommunalen Versorgungsauftrag – gab, war die Parole der SPD: eine neue Gründerzeit für Berlin; also im Prinzip Leitbilder aus der Kaiserzeit. Dies geht zurück auf das Stadtentwicklungsprogramm der SPD in den 1990er Jahren und wurde von früheren SPD-Senatoren immer so formuliert: »Es gibt kein Recht auf Innenstadt!«
Wie in allen Großstädten Westeuropas müssten demnach die Armen in die Außenbezirke umsiedeln, und das will die SPD jetzt erneut als städtebauliches Paradigma setzen. Das ist Klassenkampf von oben und das muss man wirklich richtig hart bekämpfen. Auch das Mantra von »Bauen, Bauen, Bauen« folgt genau dieser Logik.
Sind die Grünen an dem Punkt ein guter Partner für die Linkspartei?
Die Grünen sind in Berlin hart gespalten, die leben in Koexistenz und halten sich aus. Die Grenze verläuft entlang West- und Ostberlin. Dennoch ist der Landesverband der linkeste im ganzen Land, was übrigens auch viel über rot-rot-grüne Bündnisse anderswo und im Bund aussagt.
In der Mietenpolitik ist die Haltung der Grünen relativ klar. Das hat etwas mit den politischen Gruppen und der Stärke der Mieterbewegung in Kreuzberg zu tun, wo die Grünen Hochburgen haben, eine historische Verbindung zu den Hausbesetzungen und so weiter. Deswegen sind sie in meinem Fachbereich Stadtentwicklung ein guter Partner. Ich weiß aber, dass wir als LINKE in den Bereichen Bildung, KiTa und Jugendarbeit mit einer grünen Besserverdienerpartei konfrontiert sind, die kostenfreie Angebote weitgehend ablehnt. Auch in der Finanzpolitik sind erhöhte Staatsausgaben zur sozialen Bewältigung der großen Krisen unserer Zeit mit den Grünen schwer durchzusetzen.
In Deinem Büro hängt ein Plakat von Deutsche Wohnen & Co. enteignen. Du und DIE LINKE haben den Volksentscheid unterstützt. Jetzt hat man sich auf einen Kompromiss geeinigt, der eine Expertenkommission vorsieht, die das Vorhaben ein Jahr lang bloß prüfen, also im Grunde verschleppen will. Wie beurteilst Du das?
Das Problem zeigte sich ja schon im Sondierungspapier, als die SPD schrieb, sie werde den Volksentscheid respektieren und prüfen. Das, was jetzt am Ende dabei rauskam, ist nicht viel besser, öffnet aber auch eine Tür zur Umsetzung. Jetzt muss man einfach sagen: »The show must go on«. Damit ist es tatsächlich möglich in dieser Kommission die Staatsapparate mit der Frage der Enteignung und Vergesellschaftung zu belästigen, was auch wirklich ein großer Gewinn ist.
Es geht jetzt natürlich aber auch darum, wie man das zur Umsetzung bringt und politisch präsent hält. Je nachdem, ob DIE LINKE Teil der Koalition ist, sind die Möglichkeiten selbstverständlich auch unterschiedlich. Sollten wir mitregieren, weil die Mitglieder das so entscheiden, wird das ein super harter Weg, denn wir sind ja mit dem Mietendeckel schon einmal vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert. Ich gehöre nicht zu denen, die sagen, wir dürfen deswegen keine linken Gesetze mehr machen. Im Gegenteil: Ich finde, wir müssen Law and Order von links machen.
Aber wir müssen uns darauf einstellen, dass wir nicht gerade in Freundesland unterwegs sind. Trotzdem ist es erstmal gut, diese politische Frage in den bürgerlichen Rechtsstaat zu tragen und das Grundgesetz zu nutzen, um das Anliegen der Gemeinwohlorientierung und sozialen Verpflichtung des Eigentums weiter zu treiben und auf der Straße zu begleiten.
Auf dem letzten Parteitag gab es einen Antrag, der für die Umsetzung des Volksentscheids als Bedingung für die Beteiligung an der Koalition plädierte. Ihr seid mit 40 Prozent knapp gescheitert.
Ich bin ja Mitglied einer Massenorganisation und unsere Partei organisiert sich basisdemokratisch auf Parteitagen. Man hat auf Parteitagen das Recht, Anträge einzubringen. Man hat die Chance zu gewinnen und man hat auch die große Möglichkeit zu verlieren. Und dass wir mit 40 Prozent aus dem Stehgreif mit zwei Tagen Vorlauf aus der Abstimmung gegangen sind, war ein Erfolg.
Das hat auch die Koalitionspartner ordentlich durchgeschüttelt. Ich wurde in den Verhandlungen auf meine Rede auf dem Parteitag angesprochen, und dass es ja sowieso sehr dreist sei, wie ich so drauf bin. Es bekam auf jeden Fall Aufmerksamkeit. Diejenigen in meiner Partei, die gegen den Antrag waren, haben immer argumentiert: Wenn wir das machen, dann können wir gar nicht erst verhandeln. Ich halte das für keine tragfähige Position. Ich bin der Meinung, dass wir eigentlich immer nur gut verhandeln können, wenn wir die maximale Position auf den Tisch packen. Im Übrigen macht das die SPD auch. Wer so etwas nicht macht, ist aus meiner Sicht kein guter Verhandler.
Man fragt sich, ob die Verhandler bei der LINKEN schon mal Poker gespielt haben.
Du kannst ja nichts gewinnen, wenn Du so reingehst. Was soll denn dabei rauskommen, wenn man von Anfang an sagt: »Ok, die anderen wollen das und jenes nicht, da brauchen wir das gar nicht erst fordern«. 2016 haben wir an bestimmten Stellen gut verhandelt, weil wir hart geblieben sind. Ich meine, wir müssen ja nicht regieren und diese Haltung gäbe uns auch deutlich mehr Kraft für linke Politik gut zu verhandeln, innerhalb und außerhalb der Regierung.
Wir sehen, dass wir als Partei an einem Punkt sind, wo wir uns in den alten Konflikten um Regieren oder Nicht-Regieren totlaufen. Viele neue und jüngere Mitglieder vertreten gar keine harte Linie der Fundamentalopposition, sondern die wollen jetzt konkret etwas bewegen.
Jetzt wird es noch einen Landesparteitag und einen Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag geben. Wie eng wird das?
Wir müssen uns klarmachen, in welcher Verfassung wir als Partei sind. Wir haben gerade die Bundestagswahl krachend verloren. Wir haben im Berliner Landesverband extreme Einbrüche, über die fast nicht geredet wird.
Wenn sich die Partei jetzt einfach gar nicht damit befasst, worin die Krise besteht, wo es Erfolge gab und was es jetzt wirklich braucht, um als basisdemokratische, sozialistische Partei überhaupt regieren zu können, dann ist das Projekt von Anfang an zum Scheitern verurteilt.
Für mich ist auf dem Sonderparteitag zum einen natürlich die knallharte Bewertung des Koalitionsvertrages für meinen Fachbereich wichtig. Aber ich will diesen Punkt auf jeden Fall auch mit der Auseinandersetzung über den Zustand der Partei verbinden und auch dafür werben, dass wir uns ehrlich machen.
Was müsste denn passieren?
Es braucht jedenfalls mehr als einen guten Koalitionsvertrag. Und es ist wirklich allerhöchste Eisenbahn, denn wir haben in der Partei an ganz vielen Stellen Machteliten, die einfach alles durchzocken und der Basisdemokratie im Weg stehen. Wir müssen uns als Partei politisch neu aufstellen, deutlich mehr zum Mitmachen einladen und ernsthaft eine radikale Demokratisierung betreiben.
In der Regierung oder in der Opposition?
Das ist für mich kein Widerspruch, ich war in dieser Hinsicht immer radikale Reformerin. Aber man muss über den Zustand der Partei reden, denn wenn diese nicht in der Lage ist, das Regierungsprojekt kritisch zu tragen und die realen Widersprüche auszuhalten, dann kann es keine sozialistische Regierungsbeteiligung geben.
Wir müssen als sozialistische Partei wissen, dass unsere Partner für ein linkes Regierungsprojekt immer nur die Bewegungen und die Menschen sind und nicht die Wirtschaft oder die Machtapparate. Deshalb brauchen wir auch eine lebendige und kraftvolle Parteistruktur, die diese Herausforderungen mitträgt und produktiv macht.
Gesetzt den Fall, die Mitglieder stimmen dem Koalitionsvertrag zu, es kommt zur Regierungsbeteiligung und die Expertenkommission verschleppt den Volksentscheid tatsächlich – muss DIE LINKE dann nach einem Jahr die Koalition verlassen?
Auf jeden Fall. Sie verliert sonst ihre Glaubwürdigkeit. DIE LINKE muss für sich jetzt klar bekommen, welchen Verlauf es geben kann und bei welchen Szenarien man auch aussteigt. Denn wenn in einem Jahr nur die Eliten entscheiden, ob es weitergeht, dann liegt die Antwort jetzt schon auf der Hand, denn in der Binnenlogik der Machtapparate gibt es immer gute Gründe weiterzumachen. Das war schon damals nach Rot-Rot so und das war ein großer Fehler.
Wir müssen zeigen, dass wir aus unserer Geschichte der letzten dreißig Jahre gelernt haben. Wir haben in der Regierung Erfolge erzielt, aber wir haben auch Fehler gemacht. Aus allem können wir lernen. Deswegen werbe ich für ein Nein zum Koalitionsvertrag. Gleichzeitig gehen wir nicht blauäugig in die nächsten anderthalb Jahre, sondern haben mindestens einen Fahrplan. Ob in Regierungsverantwortung oder Opposition: Wir stehen an der Seite der Kampagne.