27. Juni 2023
Der AfD-Wahlsieg in Sonneberg verlangt nach einem Strategiewechsel im Kampf gegen den Faschismus.
Bei der Wahlparty in Sonneberg herrschte Einigkeit.
IMAGO / Jacob SchröterSonneberg hat gewählt: Einen Faschisten. Robert Sesselmann erhielt 52,8 Prozent der Stimmen. Damit hält erstmals ein AfD-Politiker in ein Landratsamt Einzug. Das Tohuwabohu ist groß, auch wenn ein Landratsamt im kleinsten deutschen Landkreis zu erobern von der Machtergreifung, die einige Kommentatoren zum Vergleich heranzogen, noch ein gutes Stück entfernt ist. In dem Kreistag, dem Sesselmann vorsitzen wird, hat die AfD zumindest bis zur Kommunalwahl 2024 überschaubare neun von vierzig Sitzen.
Mit dem Amt, das er nun auszufüllen hat, hatte sein Wahlkampf herzlich wenig zu tun: Sonneberg war mit Plakaten zu Energiepreisen, Grenzsicherung und dem Verbrennungsmotor beflaggt. In der Müllabfuhr, der Abwasserverordnung und der Taktung der Schulbusse, die in Zukunft täglich über seinen Schreibtisch wandern werden, sah er offenbar nicht die Themen, mit denen man derzeit Wahlen gewinnt. Sesselmann hat stattdessen ein Gefühl verkauft. Gegen »die da oben«, gegen die, die im Fernsehen hochdeutsch sprechen, »einer von euch, einer von hier«.
Der Aufstieg der AfD war rasant und ein Ende ist nicht in Sicht. Unterwegs verschwanden der Reihe nach liberal-konservative Akteure vom Format Lucke, Petry und Meuthen; übrig blieben die christlich-fundamentalistischen Netzwerke um Beatrix von Storch, die offen rechtsradikalen Anhänger des offiziell aufgelösten völkischen Flügels um den Thüringer Landeschef Björn Höcke, sowie die Integrationsfiguren und Wald-und-Wiesen-Rechtspopulisten Tino Chrupalla und Alice Weidel. Bei der Wahlparty in Sonneberg herrschte traute Einigkeit. Erfolg bringt auch das letzte bisschen innerparteilichen Dissens zum Schweigen.
Die Deutungen, warum die AfD seit Jahren mit dem neusten Diesel auf der Überholspur fährt, sind so disparat, wie die politischen Lager, aus denen sie kommen: Die Merkeljahre hätten die CDU weichgespült, die politische Linke im weiteren Sinne befasse sich nur noch mit Klima, Gendersternchen und Ausländern, die Ampel kriege keine anständigen Gesetze zustande, der Osten sei entweder abgehängt, von der Treuhand ausgeplündert und damit in den Faschismus getrieben worden oder seine Bewohner seien in Gänze ein undankbares rassistisches Pack, das den Soli nicht zu schätzen wisse und nie wirklich in der Demokratie angekommen sei. Dass all diese Narrative mehr vom politischen Eigeninteresse der sie Äußernden als vom Willen zum politischen Erkenntnisgewinn motiviert sind, bedarf keiner Erörterung.
»Wenn alle demokratischen Parteien dauernd damit befasst sind, sich als die bessere Anti-AfD zu inszenieren, dann sitzt die AfD automatisch bei jeder politischen Debatte mit am Tisch.«
Bei diesen holzschnittartigen Schuldzuweisungen geht es meist gar nicht um die AfD, sondern um die jeweils eigene weiße Weste. Von redlichen Konservativen bis zur politischen Linken sollte sich schleunigst herumsprechen: Wenn die Verantwortlichen in den demokratischen Parteien dauernd damit befasst sind, sich als die bessere Anti-AfD zu inszenieren, dann sitzt die AfD automatisch bei jeder politischen Debatte mit am Tisch.
Man muss nach Sonneberg auch festhalten: Wenn eine Partei, die sich in ihrem Selbstverständnis jenseits der demokratischen Ordnung befindet, Erfolg hat, dann setzt das voraus, dass es einen relevanten Teil der Wählerschaft gibt, der das genauso sieht. Im Osten wirken hier mehrere Faktoren zusammen.
Die ökonomische Ideologie, die die AfD antreibt, ist keineswegs sozial. Während Le Pen in Frankreich oder die PiS in Polen den Neoliberalismus wenigstens sozialpolitisch hinter sich gelassen haben, beharrt die AfD auf Marktradikalismus, Armenhass und Leistungsideologie. Gelegentlich konterkarieren Vertreterinnen und Vertreter des völkischen Flügels dies, wenn sie einen starken Sozialstaat zumindest für echte Deutsche fordern. Dies übersetzt sich jedoch bis jetzt an keiner Stelle in parlamentarisches Handeln. Trotzdem gelingt es der AfD, sich vor allem in den unteren Einkommensschichten, aber auch bis tief hinein in die ökonomische Mitte, als Wohlstandswahrer und Anwalt der kleinen Leute zu verkaufen.
Dass sie das kann, resultiert aus einer Reihe schmerzhafter Transformationserfahrungen: einer gnadenlosen und langfristigen kapitalistischen Landnahme nach der Wende, einem zweiten Angriff auf die Lebensverhältnisse durch die neoliberale Umstrukturierung infolge der Globalisierung in den 2000er Jahren und der Finanzialisierung aller Lebens- und Wirtschaftsbereiche in der Krise ab 2008. Dazu kommt die Unfähigkeit eines seiner ökonomischen Spielräume beraubten Staates, die Kosten des klimaneutralen Umbaus unserer Wirtschaft den Reichen aufzubürden statt der arbeitenden Bevölkerung. Das Endergebnis ist, wie der Ökonom Branko Milanovic darstellt, ein relativer ökonomischer Abstieg der Mittelschichten im globalen Westen.
»Menschen wählen die AfD nicht ausschließlich aus Protest trotz ihrer rassistischen und rechten Gesellschaftspolitik, sondern auch wegen genau dieser.«
Für den Osten kommt erschwerend hinzu, dass der gewerkschaftliche Organisationsgrad und die durchschnittliche Betriebsgröße im Schnitt geringer sind. Die Schwäche der Gewerkschaften ist in der Frage der Abwehr rechter Landgewinne durchaus relevant. So hat die Gewerkschaftssekretärin Johanna Wenckebach bei den Arbeitgeberverbänden zivilgesellschaftliches Engagement im Osten und eine klare Kante gegen Rechts vermisst. Sie kritisiert: »Wer demokratische, anti-autoritäre Strukturen – dazu gehören nunmal eindeutig Mitbestimmung, Gewerkschaften und Tarifverträge – offen ablehnt oder gar bekämpft, bereitet der extremen Rechten den Boden.«
Zudem will Finanzminister Christian Lindner gerade das wichtigste Förderprogramm für den Osten halbieren: Statt es aufzustocken und Produktivitätssteigerungen in strategisch wichtigen Branchen zu erzielen, setzt man auf das freie Spiel der Kräfte.
In Anbetracht dieses fruchtbaren ökonomischen Nährbodens für ein faschistisches politisches Projekt zeigt sich vor allem, dass die AfD ihr Potenzial noch bei weitem nicht ausschöpft. Doch diese wirtschaftlichen Bedingungen erklären den Aufstieg der AfD nicht hinreichend. Menschen wählen die AfD nicht ausschließlich aus Protest trotz ihrer rassistischen und rechten Gesellschaftspolitik, sondern auch wegen genau dieser. »Denn sie wissen nicht was sie tun« ist eine gefährliche Fehlannahme.
Das heißt, dass die Idee, man könne den Osten mit Geld, Strukturpolitik und sozialer Absicherung zuschütten, das Problem allein nicht lösen wird. Man wird es allerdings auch nicht ohne solche Politik lösen können.
Die latent rechten Einstellungsmuster sind älter als die AfD. Neu ist, dass es dafür eine breitenwirksame Partei gibt, und dass man sich ihrer nicht mehr schämt. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind ein ernstzunehmendes politisches Problem und zunehmend auch ein Wahlmotiv – bei Weitem nicht nur, aber vor allem auch im Osten. Die Antwort muss lauten: Geld für die Zivilgesellschaft, Geld für die Zivilgesellschaft und nochmal Geld für die Zivilgesellschaft.
Sowohl Linke als auch Konservative sind nun mit dem Umstand konfrontiert, dass jeweils eines der Werkzeuge in ihrem strategischen Besteckkasten mit dem Erstarken der AfD passé sind: Blinkt die CDU inhaltlich nach rechts, holt sie damit keine Wählerinnen und Wähler von der AfD zurück und erzielt auch keine höheren Wahlergebnisse, sondern normalisiert lediglich rechte Positionen. Diese Strategie hat nicht einmal mit Hans Georg Maaßen als Kandidat funktioniert – und rechts von ihm kommt tatsächlich nur noch die Wand. Auch dass Michael Kretschmer einerseits betont, dass die Brandmauer zur AfD steht, und zugleich andererseits wiederholt mit ihren Inhalten spielt, hat die AfD nicht geschwächt – im Gegenteil. Selbiges gilt für die von einigen Linken gehegte Hoffnung, man könne durch die Übernahme von AfD-Duktus in Form eines stärker national orientierten Linkspopulismus ein Comeback feiern.
»Die Linke kann sich nicht auf Parteien verlassen, die sich eher nach rechts öffnen, als einen linken Kandidaten wie Bodo Ramelow zu unterstützen.«
Die zentrale Lehre aus dem Wahlergebnis vom Sonntag ist demnach: Die Losung »Alle zusammen gegen den Faschismus!« bleibt der Sache nach richtig. Das darf aber nicht bedeuten, dass sich der politische Diskurs im Osten in jedem Wahlkreis auf die eine aussichtsreichste Kandidatin neben den unvermeidlichen AfDlern verengt. So wird der AfD-Slogan »Wir gegen die Altparteien« zur selbsterfüllenden Prophezeiung. Dagegen müssen alle demokratischen Parteien, Medienschaffende und die Zivilgesellschaft anarbeiten. Sonneberg zeigt: Die Kandidierenden der demokratischen Parteien können sich nicht mehr sicher sein, dass sie sich schlussendlich in Stichwahlen doch noch gegen die AfD Kandidaten durchsetzen.
Die Linke kommt damit in die Situation, demokratische Institutionen glaubhaft verteidigen zu müssen. Nicht aus taktischen Erwägungen, sondern weil es richtig ist. Sie kann sich dabei aber nicht notwendig auf jene Parteien verlassen, die sich eher nach rechts öffnen, als einen linken Kandidaten wie Bodo Ramelow zu unterstützen. Das bedeutet, dass die Linke eigene Kraft entwickeln muss und sich nicht abhängig machen darf. Nur mit einer eigenen Zukunftsvision, die die materiellen Realitäten ernst nimmt, diese zu verändern verspricht und dabei für soziale Sicherheiten sorgt, hat sie eine Chance gegen eine AfD, die die Wut gegen Eliten und das politische Establishment für sich vereinnahmt.
Links ist das allerdings nur, wenn die Solidarität nicht hinterm Werkstor aufhört oder an der Hautfarbe scheitert. Sonneberg ist ein Symbol dafür, dass die Linke das eine tun muss, ohne das andere zu lassen. Die Kulturkämpfe können wir den Rechten überlassen, unsere Nachbarn und den demokratischen Rechtsstaat nicht.
Markus Pohle ist Mitglied des Landesvorstandes der LINKEN Sachsen und arbeitet als Mitarbeiter für den wirtschaftspolitischen Sprecher der Linksfraktion im sächsischen Landtag.