25. März 2021
Das Leben als Hippie in der Sowjetunion war riskant. Lange Haare, Rockmusik und Batikhemden waren dem KGB suspekt. Gegeben hat es die Hippies im Ostblock trotzdem. Ein Blick auf die vergessene Subkultur hinter dem Eisernen Vorhang.
Der estnische Guru Mihkel Ram Tamm (Mitte) war in den 1970ern eine zentrale Figur der Szene.
Obwohl alteingesessene Linke bei diesem Gedanken zusammenzucken, wird die Hippie-Kultur gemeinhin mit politischem Protest assoziiert. Auf dem Höhepunkt der Studentenbewegung der 1960er durchdrangen die Musik, die Mode und die Ästhetik der Hippie-Bewegung die Protestkultur der Neuen Linken. Dieses Bild dient noch heute als Vorlage rechter Karikaturen über Linke.
Diese spezielle Form der kulturellen Rebellion war im von Fordismus geprägten, kapitalistischen Westen am weitesten verbreitet, doch sie bahnte sich ihren Weg über den Atlantik und entfaltete sich in Leonid Breschnews spießbürgerlicher und zunehmend stagnierender Sowjetunion. Dort taten sich tausende unzufriedene junge Bürgerinnen und Bürger in einem Untergrundnetzwerk zusammen, identifizierten sich als Hippies und nannten sich Sistema, »das System«. Die Anthropologin Terje Toomistu beschäftigt sich in ihrer Arbeit mit der Gegenkultur in der Sowjetunion und ist der Geschichte der Bewegung in ihrem Dokumentarfilm Soviet Hippies nachgegangen. Für JACOBIN hat Loren Balhorn mit ihr darüber gesprochen, warum diffuse, anti-autoritäre Einstellungen bei jungen Menschen auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs solch einen Anklang fanden, und was die Hippies im Ostblock von der Flower-Power-Bewegung im Westen unterschied.
Das Hippie-Netzwerk Sistema war hauptsächlich im Baltikum aktiv, verbreitete sich aber in der ganzen UdSSR. Woher kommt dieser Name und warum wurde er zum Spitznamen dieser Gruppe langhaariger, rebellischer Jugendlicher aus der Sowjetunion?
Alten Erzählungen aus der Szene zufolge entstand die Bewegung in den späten 1960ern rund um einen charismatischen Hippie namens Sontse, übersetzt »sonnig«, der in Moskau wohnte. Andere Hippies nannten ihn »die Sonne«, die Menschen um ihn herum wurden mit der Zeit »Sonnensystem« genannt. Der Name »Sistema« leitet sich wahrscheinlich davon ab. Doch Sistema war in dieser Zeit noch nicht das, was es später einmal werden sollte: ein selbstorganisierendes und autarkes Netzwerk von Menschen mit gleichen Werten und Idealen, die durch das Land reisten und sich in privaten Wohnungen oder zu großen Camping-Ausflügen trafen.
Wann ist dieses Netzwerk entstanden?
Das eigentliche Netzwerk entstand einige Jahre später, in den frühen 1970er Jahren. Einzelne Personen in den großen Städten der Sowjetunion, die Zugang zu westlicher Musik hatten, starteten die Bewegung. Nach einiger Zeit fragten sie sich, ob es in den übrigen Teilen des Landes Gleichgesinnte gab und knüpften schon bald Kontakte zu Langhaarigen in anderen großen Städten. Von da an wurde Sistema allmählich zu einer Bewegung, in der Hippies durch die Sowjetunion reisten und sozusagen bei anderen zu Hause »couchsurften«. Mitglieder von Sistema erstellten Notizbücher mit Telefonnummern anderer Hippies aus verschiedenen Städten. So konnten sie während ihrer Reisen im Sommer Kontakt zu Gleichgesinnten in Kaunas, Tallinn und anderen Orten aufnehmen.
Wie würdest Du die Hippie-Bewegung der UdSSR politisch einordnen? Ich hatte den Eindruck, dass gegen die gleiche Art von konservativen Einstellungen und sozialen Normen wie im Westen rebelliert wurde, wenn auch unter anderen sozialen, ökonomischen und politischen Bedingungen. Während viele junge rebellierende Amerikanerinnen und Amerikaner zu dieser Zeit Mao Zedongs Kulturrevolution in China idealisierten, scheinen die Sowjet-Hippies alles Amerikanische verherrlicht zu haben. Die meisten der frühen Hippies waren auch Kinder der sowjetischen Oberschicht. Welche Faktoren haben diese Entfremdung von der sowjetischen Gesellschaft veranlasst?
Sicherlich gab es Ähnlichkeiten zwischen Ost und West, aber auch einige Unterschiede. In der UdSSR war Pazifismus nicht rein politisch – er hatte auch Auswirkungen auf der profanen Ebene des Alltags. Die Gesellschaft der Sowjetunion war damals zutiefst autoritär und militaristisch. Die meisten Hippies lehnten diese Einstellungen ab und versuchten ihren Alltag rund um die Werte Frieden und Liebe zu gestalten. Nun ist es so, dass die Hippie-Szene dort begann, wo Menschen Zugang zu westlicher Musik und Zeitschriften hatten und das passierte natürlich nur in elitären Kreisen – sie waren schließlich die einzigen mit Zugang zu westlichen Gütern. Hochrangige Offizielle – Mitglieder der Kommunistischen Partei oder etwa Agenten der KGB – erhielten unter Umständen die Erlaubnis, in westliche Länder zu reisen und brachten oft vielerlei exotische, ausländische Geschenke für ihre Kinder mit. Außerdem hatten die Kinder der Oberschicht mehr Geld, um illegale Schallplatten zu kaufen, die oft ziemlich teuer waren. Oft taten sie sich in Gruppen aus vier bis fünf zusammen und legten für den Kauf der Aufnahme zusammen. Dann wechselten sie sich ab und fertigten Kopien mit einem Tonbandgerät an.
In diesem Sinne ging es in gewisser Weise um sozialen Widerstand, aber auch um Status. Wer eine umfangreiche Plattensammlung hatte, der hatte auch viele Freunde. Aus diesem Grund kamen die Hippies der Anfangszeit aus einflussreichen sowjetischen Familien. Was die Ideologie betrifft, wurde der Westen als die »freie Welt« idealisiert und bis zu einem gewissen Punkt auch der freie Markt.
Also waren die Hippies dem freien Markt zugeneigt?
Ja, denn sie assoziierten den Markt mit guter Musik und guten Jeans. Es ist nicht so, als hätten sie den Kapitalismus an sich befürwortet, sie hatten einfach ein idealisiertes Bild von Konsumfreiheit. Das galt in der Sowjetunion mehr oder weniger auch für die breite Bevölkerung: Konsum wurde unterdrückt und deshalb idealisiert. Die Menschen wollten Jeans tragen, um ihrem Wunsch nach Freiheit Ausdruck zu verleihen. Ich halte es für problematisch, sie rückblickend dafür zu verurteilen. In einer Gesellschaft, in der Konsumgüter nur schwer zu erwerben sind, ist es verständlich, wie Konsum eine solche Bedeutung erlangen konnte.
Im Jahr 1979 marschierte die sowjetische Armee in Afghanistan ein. Hatte der Krieg in Afghanistan Auswirkungen auf die Hippie-Bewegung? Ist sie gewachsen, gab es eine Verbindung zur Haltung gegen den Krieg?
Nun, die Bewegung wurde 1971 das erste mal öffentlich sichtbar, als die Hippies in Moskau gegen den Vietnamkrieg protestierten. Man wählte diesen Anlass, weil er im Einklang mit der Außenpolitik der sowjetischen Regierung war und weil Pazifismus in der Hippie-Szene vorherrschte. Das war auch ein wichtiger Moment für die Hippie-Bewegung, hauptsächlich weil alle verhaftet und ihre Namen von der Polizei aufgenommen wurden. So wurde es plötzlich sehr gefährlich, ein Hippie in der UdSSR zu sein.
Somit erstickten die Behörden die politische Seite der Bewegung im Keim, als sich diese gerade erst formierte – die Bewegung wanderte daraufhin viel weiter in den Untergrund, war in sich gekehrt, wurde vielleicht spiritueller, aber auch mehr den Drogen und dem Alkohol zugewandt. Die gesellschaftlichen und politischen Aspekte wurden weniger wichtig. Wenn ich alte Hippies frage, ob sie politisch waren, antworten sie für gewöhnlich, dass die Politik für sie festgefahren war. Sie hatten das Gefühl, dass es keine Möglichkeit gab, irgendetwas in der sowjetischen Gesellschaft zu verändern und dass sie im Gefängnis landen würden, wenn sie es versuchen würden. Auf gewisse Art und Weise glaube ich, dass ihre in sich gekehrte Ablehnung der Politik selbst eine Form des Protests war.
Gab es Verbindungen zwischen Sistema, der Hippie-Bewegung, und der Intelligenzija, der regimekritischen sowjetischen Avantgarde oder waren das zwei unterschiedliche Milieus?
Sicherlich gab es Verbindungen. Beispielsweise bewegten sich in Estland – einer relativ freien Gesellschaft verglichen mit dem Rest der UdSSR – die Menschen aus Musik, Kunst und Literatur mehr oder weniger zwischen diesen offiziellen und inoffiziellen Sphären. Sie gingen ihrer freien radikalen Kunst nach, waren aber gleichzeitig auch darauf bedacht, es sich nicht mit den Behörden zu verscherzen. Viele waren Teil der Hippie-Kultur, als sie noch jung waren, wurden später aber zu seriöseren und anerkannteren »offiziellen« sowjetischen Künstlerinnen und Künstlern. Mit Mitglieder von Sistema hingegen, diese Gruppe radikalerer Hippies, waren wirklich aus der Gesellschaft der Sowjetunion »ausgestiegen« und reisten als Freigeister durch das Land. Sicherlich gab es aber Überschneidungen mit den Künstlerinnen und Künstlern der Intelligenzija.
Was ist mit Geschlechterrollen? War die Geschlechterpolitik der Szene eher progressiv? Gab es in diesen Kreisen eine feministische Einstellung?
Die Hippies der Sowjetunion hatten keine sexuelle Revolution, die mit der im Westen vergleichbar gewesen wäre – Kommunen, freie Liebe und dergleichen. Die Hippies der Sowjetunion verliebten sich, reisten zusammen als Paare, wechselten vom einen zu einem anderen Partner. Aber das Element der »freien Liebe« gab es nicht. Natürlich hatten sie viel Sex, aber hauptsächlich in Form von Affären, wenn sie sich auf ihren Reisen durch die Sowjetunion befanden. Gewissermaßen ziemlich konventionell, aber trotzdem sehr viel liberaler als der Rest der sowjetischen Gesellschaft.
Ich habe einige weibliche Hippies der Sowjetunion gefragt, ob sie sich als Feministinnen bezeichneten. Im Regelfall haben sie aber geantwortet, dass das nichts mit ihrem Leben zu tun hatte (von einigen Ausnahmen mal abgesehen). Ich habe allerdings eine Geschichte von einer Frau namens Ophelia gehört. Sie war das Zentrum einer Hippie-Gruppe in Moskau und hatte eine große Vorliebe für bewusstseinserweiternde Drogen. Sie hatte mehrere Liebhaber gleichzeitig und praktizierte eine bewusste Form der »freien Liebe«. Es gab starke Frauen in der Szene, doch grundsätzlich lautete die Devise sozusagen »Männer sind Männer und Frauen sind Frauen«. Man muss sich in Erinnerung rufen, dass einige Frauen überhaupt erst Teil der Hippie-Kultur wurden, weil sie sich in einen Hippie-Mann verliebt hatten.
In vielen Ostblockstaaten gab es gewisse Überschneidungen mit pro-demokratischer Politik und wiedererstarkendem Nationalismus. Gab es eine ähnliche Dynamik in der Hippie-Bewegung der Sowjetunion? Oder waren sie dem Nationalismus eher abgeneigt?
Ja und nein. Einige Hippies waren sicherlich nationalistisch, vor allem in den baltischen Staaten, wo die Zugehörigkeit zur UdSSR als Besatzung gesehen wurde und die Hippies bereits mit einer Spur von Nationalismus aufwuchsen. Trotzdem war Sistema multikulturell und multinational mit Russisch als gemeinsamer Sprache. Die Hippies, die tiefer in die Spiritualität eintauchten, konnten mit dem aufkommenden Nationalismus der 1980er Jahre nicht viel anfangen, aber einige unter ihnen, vor allem Ukrainerinnen und Ukrainer, vermischten die Hippie-Kultur mit Nationalismus.
Einige postsowjetische Hippies blieben entschiedene Verfechter des Pazifismus und versuchten beispielsweise, Proteste gegen den Krieg in der Ostukraine zu organisieren. Das jährliche Hippie-Treffen in Moskau, gedenkt des Antikriegsprotestes des Jahres 1971, der die Hippie-Bewegung ins öffentliche Auge rückte. Viele der Menschen, mit denen ich dort gesprochen habe, scheinen eine gewisse Kontinuität zwischen dem Pazifismus von damals und heute zu spüren.
Drogen wie Opium und Marihuana spielten bei den Hippies im Westen wie auch im Osten eine wichtige Rolle. War die Idee, diese Pflanzen als Drogen zu konsumieren, ein Trend aus dem Westen oder gab es eine solche Tradition in der Sowjetunion bereits?
Die Drogen existierten schon. Es war nicht so, als hätten sich die Hippies in der Sowjetunion gedacht »Oh, die Hippies im Westen rauchen Gras? Wo kriegen wir Gras her?«. In einigen Teilen Russlands, Zentralasiens und der Ukraine gab es Marihuana-Felder, oft für die industrielle Hanfproduktion. Alte Hippies erzählen, wie Hippie-Frauen nackt durch die Marihuana-Felder rannten, mit ihrem Schweiß die Cannabis-Pollen auffingen und daraus Hasch machten.
Außerdem überraschte mich, in welchen Mengen die Drogen verbreitet wurden. Die kleinste Einheit für Marihuana war eine Streichholzschachtel, gefolgt von einer Teetasse oft bis hin zu ganzen Körben. Schließlich haben die Behörden herausgefunden, dass mit dem Gras irgendwas im Gange war, es störte sie allerdings eher die wirtschaftliche Seite des Ganzen und weniger der Drogenkonsum an sich.
Die Behörden waren eher verärgert, wenn sich die sowjetischen Bürgerinnen und Bürger »Spekulationen« hingaben. Dass sie high waren, war weniger ein Problem – ich denke, viele der Beamten haben das Konzept gar nicht verstanden. Es gibt Geschichten darüber, wie Polizisten die Wohnungen der Hippies nach verbotenen Büchern durchsuchten und dabei aber den Haufen Marihuana auf dem Küchentisch vollkommen ignorierten. Viele der alten Hippies haben mir erzählt, dass sie im Café Moscow in der Innenstadt von Tallinn Joints rauchten, weil niemand den Geruch erkannte oder ihn einordnen konnte. Für den Opiumkonsum bereiteten sie sich häufig Mohntee zu. Doch das Problem dabei war, dass es schwierig war, zu messen, wie viel Opium in den Tee kommt, manche starben an einer Überdosis.
Mir ist aufgefallen, dass die Rockmusik der Sowjetunion häufig ein sehr wilder Mix verschiedener Stile ist. Einflüsse und Genres des kompletten westlichen Pop-Rock-Kanons werden mit eigenen Kreationen kombiniert. Das geschieht auf eine Art und Weise, die oft sehr überraschend für Zuhörerinnen und Zuhörer ist, die eher an den Sound der amerikanischen und britischen Musik-Szene gewohnt sind. Inwiefern konnten diese Musikerinnen und Musiker ihre Songs über offizielle, staatliche Kanäle veröffentlichen? Einige Musikvideos aus dieser Zeit scheinen recht hohe Produktionskosten gehabt zu haben. Traten sie im Fernsehen und im Radio auf oder spielten sie im Untergrund?
Sie agierten hauptsächlich im Untergrund. Diejenigen, die es schafften, ihre Musik professionell aufzunehmen, bezeichneten das oft als »Wunder«. Die estnische Band Suuk, zum Beispiel, schaffte es irgendwie, ihr Album 1976 an einem einzigen Tag in einem staatlichen »Radiobus« aufzunehmen. Das funktionierte in Estland, wo die Menschen vergleichsweise mehr Freiheiten genossen als im Rest der UdSSR, deshalb war die estnische Szene auch lebhafter. Dennoch wurden die Aufnahmen dieser Bands praktisch nie von Melodia, der staatlichen Plattenfirma, veröffentlicht oder unterstützt. Es gab einige Ausnahmen, die waren allerdings selten und unbedeutend. Es ist besonders schwer, aus dieser Zeit qualitativ hochwertige Aufnahmen der Untergrundmusik Russlands zu finden. Aufgrund des begrenzten Zugangs zu Aufnahme-Equipment mussten diese Bands improvisieren und bei der Produktion ihrer Musik sehr kreativ werden. Das gab dem Ganzen einen besonders einzigartigen Klang.
In Deinem Dokumentarfilm wird ein Ausschnitt aus einer Nachrichtensendung gezeigt, in der Hippies beschuldigt werden, Kabel aus Telefonzellen geklaut zu haben, um sie für ihre Gitarren zu verwenden. Eine solche Beschwerde gegen die Hippies in der UdSSR scheint es oft gegeben zu haben. Was war da los?
Das passierte, weil viele Menschen in der Sowjetunion ihre eigenen Gitarren bauten. Die Instrumente, die in der UdSSR am leichtesten zu bekommen waren, wurden in der früheren Tschechoslowakei produziert. Die jugendlichen Hippies der 1960er verwendeten elektromagnetische Spulen aus ihren Telefonhörern als Tonabnehmer, den sie unter die Gitarrensaiten legten und somit eine Akustikgitarre zu einer E-Gitarre umbauten. Da die Tonabnehmer über offizielle Quellen nicht erhältlich waren, improvisierten die Jugendlichen und demolierten dafür Telefonzellen.
Viele ehemalige Sowjet-Hippies erzählen, dass sie von ihren Eltern oder anderen Autoritätspersonen in Psychiatrien eingeliefert wurden, weil sie Teil der Szene waren. Passierte das häufig?
Einer erzählte mir, dass er von seiner Mutter in die Psychiatrie eingewiesen wurde, weil er sich eine Raubkopie des Beatles-Albums Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band anhörte und dabei ganz begeistert war, woraufhin die Mutter dachte, er wäre verrückt geworden. Dieser Fall zeigt, wie mächtig soziale Normen in der Sowjetunion waren. Nicht nur die Behörden, sondern auch große Teile der Bevölkerung setzten eine sehr altmodische, konformistische Kultur durch. Neben Polizeigewalt erfuhren die Hippies auch moralische Verachtung von ihren Mitbürgerinnen und Mitbürgern. Sie nannten die Hippies oft scherzhaft »die Langhaarigen«, meldeten sie den Behörden oder belästigten sie auf der Straße.
Hippies, die scheinbar wichtige Figuren der Szene waren oder die in den Augen des Staates zu sichtbar waren, wurden oft in Psychiatrien eingeliefert und nicht in normale Gefängnisse. Eine große Angst der Hippies war es, aufgrund von Haut- oder Geschlechtskrankheiten in die strengen Krankenhäuser eingeliefert zu werden. Häufig fanden die Behörden Läuse oder erfanden diese einfach als Ausrede, um die Hippies dazu zu zwingen, ihre Haare abzuschneiden. Psychologisch gesehen war das für viele sehr schwer, weil lange Haare zu dieser Zeit in der UdSSR eine »Flagge der Freiheit« waren, ein Symbol des Nonkonformismus.
Interessant dabei ist, dass viele Hippies und andere Abtrünnige oft freiwillig für einige Wochen in eine psychiatrische Klinik gingen, um die Wehrpflicht zu umgehen. Dort trafen sie oft auf andere Künstlerinnen und Musiker und viele andere Angehörige der »Bohème«, die dem Kriegsdienst entgehen wollten. Mit der Zeit fanden die Angestellten der Psychiatrie heraus, dass es sich um eine bewusste Strategie der Verweigerung handelte. Daraufhin stellten sie ihnen eine Diagnose und entließen sie. Man muss also anmerken, dass es trotz der schrecklichen und traumatisierenden psychiatrischen Erfahrungen vieler Hippies für einige auch diesen positiven sozialen Aspekt gab.
Wie reflektieren die Hippies der Sowjetunion ihre Erfahrungen heute dreißig oder vierzig Jahre später? Sind sie stolz auf das, was sie damals gemacht haben? Vermissen sie es?
Ich arbeite zu diesem Thema jetzt seit mehreren Jahren – vor einiger Zeit haben wir eine Museumsausstellung organisiert und Soviet Hippies wurde einige Monate lang in estnischen Kinos gezeigt. Das hat einen beachtlichen Beitrag dazu geleistet, dass alte Hippie-Freundschaften und Verbindungen neu auflebten. Das hat die Bewegung gewissermaßen wieder zum Leben erweckt – oder wenigstens die Erinnerungen daran. Viele der noch lebenden sowjetischen Hippies hoffen, dass der Film und die darin erzählten Geschichten die jungen Menschen von heute inspiriert. Obwohl sich das gesellschaftspolitische System in den Staaten der ehemaligen UdSSR seit den 1970ern stark verändert hat, bleibt der Kampf gegen Militarismus und gesellschaftliche Anpassung im Großen und Ganzen der gleiche.
Terje Toomistu ist Filmemacherin, Autorin und Anthropologin. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich mit interkulturellen Prozessen, queeren Realitäten und kulturellem Gedächtnis. Sie ist die Regisseurin des 2017 erschienen Dokumentarfilms »Soviet Hippies«.
Terje Toomistu ist Filmemacherin, Autorin und Anthropologin. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich mit interkulturellen Prozessen, queeren Realitäten und kulturellem Gedächtnis. Sie ist die Regisseurin des 2017 erschienen Dokumentarfilms »Soviet Hippies«.