29. Mai 2024
Wie können wir uns den Übergang zu einer sozialistischen Wirtschaft vorstellen? Es gibt Hinweise an unwahrscheinlichen Orten: die Managementpraktiken in einigen Privatunternehmen, die Planwirtschaften in Miniatur entwickelt haben.
Hinter den Glasfassaden mancher Konzernzentralen verbergen sich Planwirtschaften im Kleinformat.
Sozialistinnen und Sozialisten argumentieren seit langem, dass das Versagen des Kapitalismus nur durch einen Übergang von privatem zu öffentlichem Eigentum und von Marktwettbewerb zu gesamtwirtschaftlicher Koordination überwunden werden kann.
Wir stehen jedoch immer noch vor der Herausforderung, die Menschen davon zu überzeugen, dass eine sozialistische Umgestaltung unserer gesamten Wirtschaft – bei der öffentliches Eigentum und öffentliche Kontrolle in der gesamten Wirtschaft und nicht nur im Gesundheitswesen und in Notfällen gelten – sowohl demokratisch als auch effektiv sein könnte.
Ein Hindernis ist, dass wir einfach kein Beispiel haben, auf das wir verweisen können. Wie ich jedoch in meinem Buch The 99 Percent Economy darlege, verfügen wir über ein beeindruckendes, funktionierendes Modell des Sozialismus, wenn auch an überraschender Stelle: in einigen unserer größten Unternehmen.
Vielleicht lässt sich das Argument für eine sozialistische Umgestaltung der Wirtschaft am einfachsten anhand des Klimanotstands anführen. Wir werden in den kommenden Jahrzehnten immer häufiger von zerstörerischen Waldbränden, Wirbelstürmen, Eisstürmen und Hitzewellen heimgesucht, wenn wir unseren derzeitigen Kurs beibehalten. Niedrigere Grundwasserspiegel und Niederschlagsmengen werden zu massiven Ernteausfällen führen. Der steigende Meeresspiegel wird Millionen von Menschen dazu zwingen, aus den Küstengebieten zu fliehen.
Die Klimawissenschaft sagt uns, dass die Welt bis 2050 auf Netto-Null-Emissionen kommen muss, um eine vernünftige Chance zu haben, einen chaotischen Zusammenbruch zu vermeiden. Darüber hinaus müssen wohlhabendere Länder viel schneller – spätestens bis 2030 – eine vollständige Dekarbonisierung erreichen, um den langsameren Dekarbonisierungspfad der ärmeren Länder auszugleichen.
Damit wir dieses Ziel bis 2030 erreichen können, wird die Industrie gezwungen sein, Anlagen im Wert von Billionen von Dollar aufzugeben oder umzubauen. Das bedeutet nicht nur die rasche Schließung von Unternehmen, die fossile Brennstoffe herstellen, wie Chevron, ExxonMobil und Peabody Energy, sondern auch eine radikale Umgestaltung der Betriebsmittel von Unternehmen, deren Produkte mit Öl betrieben werden – Unternehmen wie General Motors, Boeing, United Airlines und FedEx.
»In den meisten Firmen wird die Tätigkeit der Geschäftseinheiten durch eine strategische Vision und einen Plan koordiniert – ähnlich wie die Tätigkeit der Unternehmen im ganzen Land in einem demokratischen Sozialismus koordiniert würde.«
Darüber hinaus gibt es weite Teile unserer Wirtschaft, deren Produkte und Prozesse zum Klimawandel beitragen und die daher radikal und schnell umgestaltet werden müssen – Landwirtschaft, Zement, Bergbau, Forstprodukte, Wassersysteme, Chemikalien, Kunststoffe und viele Konsumgüter. Über die Umstellung dieser Industrien hinaus wird der Klimawandel massive Investitionen in neue Infrastrukturen erfordern – ein neues Stromnetz, Deiche zum Schutz vor dem steigenden Meeresspiegel, neue Wassersysteme, den Wiederaufbau von Straßen, Brücken, Abwasser- und Eisenbahnsystemen.
Von kapitalistischen Unternehmen kann nicht erwartet werden, dass sie freiwillig derartige Veränderungen vornehmen, die ihren Aktionären große Verluste bescheren würden. Und selbst wenn wir eine Regierung wählen, die entschlossen ist, diesen Übergang voranzutreiben, können wir dieses Ziel nicht erreichen, ohne eine große Zahl von Unternehmen in den Bankrott zu schicken.
Angesichts dieser Hürden ist es sehr schwierig einzusehen, wie dieser Übergang ohne die Vergesellschaftung des Eigentums an den meisten unserer Industrien und die Nutzung dieser Kontrolle für eine umfassende Überholung unserer Infrastruktur und Produktionssysteme erfolgen kann.
Abgesehen von der Klimakrise ist es die innere Dynamik der kapitalistischen Entwicklung selbst, die uns zu einer sozialistischen Transformation treibt. Während der Kapitalismus fortschreitet, müssen profitorientierte Unternehmen ihre Kosten senken und ihren Umsatz steigern, was den raschen technologischen Wandel stimuliert, der für den Kapitalismus charakteristisch ist. Die Transport- und Kommunikationstechnologien werden revolutioniert und die entsprechenden Kosten sinken dramatisch. Die Unternehmen wachsen und monopolisieren nach und nach ganze Branchen.
Auf der Suche nach kostengünstigeren Inputs und neuen Märkten weiten sie ihre Lieferanten- und Kundennetze weltweit aus. Die Wirtschaftstätigkeit wird somit immer stärker allseitig abhängig, sowohl innerhalb immer größerer Unternehmen als auch in immer größeren Netzwerken. Die produktive Tätigkeit wird, um es mit den Worten von Marx zu sagen, zunehmend »vergesellschaftet«.
Gleichzeitig haben, als Folge dieser Vergesellschaftungstendenz, die Produktions- und Investitionsentscheidungen einzelner Unternehmen immer weitere und schädlichere »externe« Auswirkungen. Immer leistungsfähigere Technologien richten mehr Schaden in der Umwelt an. Größere Unternehmen treffen Geschäftsentscheidungen, die regelmäßig Millionen von Menschen in die Arbeitslosigkeit und aus ihren Wohnungen vertreiben und die wirtschaftliche Lebensfähigkeit ganzer Regionen untergraben.
Finanz- und Wirtschaftskrisen, die ihren Ursprung an einem Ort haben, breiten sich schnell über den ganzen Globus aus. In unserem privatwirtschaftlichen System treffen die Unternehmen Entscheidungen, die ihre individuellen Profite maximieren, und wenn sie dies in einer zunehmend allseitig abhängigen Welt tun, fügen sie den Gemeinschaften und der natürlichen Umwelt immer mehr Schaden zu.
Die zunehmende allseitige Abhängigkeit der Produktionstätigkeit stellt ein zutiefst fortschrittliches Erbe der kapitalistischen Entwicklung dar, steht jedoch zunehmend in Spannung zu dem System profitorientierter Entscheidungen über Produktion und Investitionen, die von unabhängigen Einzelunternehmen getroffen werden. Die Vergesellschaftung der Produktion gerät zunehmend aus dem Gleichgewicht mit dem kapitalistischen System des Privateigentums an den Produktionsmitteln. Und diese Diskrepanz führt zu immer tieferen und größeren Krisen an allen Fronten. Der einzige Weg nach vorn ist die Vergesellschaftung des Eigentums und der Kontrolle über unsere wirtschaftlichen Ressourcen, sodass sie dem Grad der Vergesellschaftung der Wirtschaftstätigkeit selbst entspricht.
Aber angesichts der verbreiteten Antipathie gegenüber dem Sozialismus kann es schwierig sein, das Argument für Sozialisierung bestechend zu vermitteln. Aus diesem Grund haben Sozialisten wie Richard Wolff argumentiert, dass wir unsere Aufmerksamkeit von der Struktur der Gesamtwirtschaft abwenden und den Sozialismus als eine Frage der Beziehungen am Arbeitsplatz definieren sollten. Wolff sagt uns, dass Sozialismus weniger eine Frage von staatlichen versus privaten Arbeitsplätzen oder staatlicher Planung versus privaten Märkten sei, sondern vielmehr eine Frage von demokratischer versus autokratischer Organisation der Arbeitsplätze. Eine neue Wirtschaft, die auf Arbeitergenossenschaften basiere, würde ihre eigene demokratische Art und Weise finden, die Beziehungen zwischen den Genossenschaften und der Gesellschaft als Ganzes zu strukturieren.
Heute jedoch, angesichts des Klimanotstands, können wir es uns nicht mehr leisten, die Frage länger aufzuschieben. Wir müssen auf eine demokratische Kontrolle von Investitionen und Produktion in der gesamten Wirtschaft drängen. Diese Kontrolle sollte natürlich so dezentral wie möglich sein, aber ein gewisses Maß an Zentralisierung wird notwendig sein, um eine kluge und gerechte Nutzung unserer Ressourcen zu gewährleisten.
Diese Idee lässt bei vielen Menschen die Alarmglocken läuten. Es ist schwer vorstellbar, wie ein solches System effektiv oder demokratisch sein könnte, geschweige denn beides. Die Geschichte liefert uns dafür keine Beispiele.
Meine Forschungen haben ergeben, dass wir so etwas wie ein funktionierendes Modell eines solchen Systems direkt vor unserer Nase haben, in vielen unserer größten Unternehmen.
In der Tat verhalten sich viele unserer CEOs wie heimliche Sozialisten. Die meisten großen Unternehmen sind in mehr oder weniger autarke »strategische Geschäftseinheiten« unterteilt, die für die Entwicklung neuer Produkte und die Sicherstellung ihrer Produktion, ihres Verkaufs und ihrer Profitabilität zuständig sind. In der Öffentlichkeit verteidigen die Vorstandsvorsitzenden die Überlegenheit von Markt und Wettbewerb gegenüber Koordination und Planung, aber innerhalb ihrer eigenen Unternehmen, wo sie diese Geschäftseinheiten miteinander konkurrieren lassen könnten, setzen sie stattdessen auf ein umfassendes strategisches Management.
Solch ein strategisches Management soll sicherstellen, dass die verschiedenen Geschäftseinheiten, aus denen sich das Unternehmen zusammensetzt, ihre Produktions-, Investitions- und sonstigen Pläne koordinieren, um die besten Ergebnisse für das Unternehmen als Ganzes zu erzielen. Es gibt zwar einige Unternehmen, die versuchen, den Markt in ihren internen Abläufen nachzuahmen, aber dieser Ansatz ist relativ selten. In den meisten Firmen wird die Tätigkeit der Geschäftseinheiten durch eine strategische Vision und einen Plan koordiniert – ähnlich wie die Tätigkeit der Unternehmen im ganzen Land in einem demokratischen Sozialismus koordiniert würde.
»Der sowjetische Top-down-Prozess bedeutete, dass die Pläne die Möglichkeiten und Herausforderungen der Arbeiterinnen, Bürger, Unternehmen und Regionen nicht angemessen widerspiegelten.«
Darüber hinaus stehen die Unternehmen in diesem internen strategischen Managementprozess im Kleinen – im Mikrokosmos des Unternehmens – vor denselben Herausforderungen, die auch in der Sowjetunion die Wirtschaftsplanung auf größerer Skala erschwerten. Die vier größten dieser Herausforderungen sind die Sicherstellung von Demokratie, Innovation, Effizienz und Motivation. Die Sowjetunion war in allen vier Bereichen notorisch schwach.
Viele engagierte Sozialisten verkennen das Ausmaß dieser Herausforderungen und sind überzeugt, dass sie leicht zu bewältigen sind. Aber wenn wir andere auf unsere Seite ziehen wollen, müssen wir ihnen mehr bieten als unsere Zuversicht – wir müssen ihnen ein plausibles Bild des Sozialismus bieten, in dem sie sehen können, wie diese Herausforderungen in der Praxis gelöst werden könnten.
Vielleicht kontraintuitiv, vermittelt uns das strategische Management der Unternehmen genau dieses Bild, denn die Unternehmen haben recht wirksame Techniken entwickelt, um mit diesen vier Herausforderungen umzugehen – Techniken, die in einer sozialistischen Wirtschaft auf größerer Skala und zu einem noch größeren Nutzen eingesetzt werden könnten. Betrachten wir sie der Reihe nach.
Die zentralisierte Planung in der Sowjetunion versprach die Überwindung der Irrationalität des kapitalistischen Systems, das auf Marktwettbewerb beruht. Negative externe Effekte wie Arbeitslosigkeit (und heute würden wir sagen: CO2-Emissionen) könnten minimiert werden; positive externe Effekte könnten als unternehmensübergreifende Synergien genutzt werden; Skaleneffekte könnten gewährleistet werden.
Dieses Versprechen wurde jedoch durch den undemokratischen Charakter des Planungsprozesses ernsthaft kompromittiert. Der sowjetische Top-down-Prozess bedeutete, dass die Pläne die Möglichkeiten und Herausforderungen der Arbeiterinnen, Bürger, Unternehmen und Regionen nicht angemessen widerspiegelten. Und folglich hatten die Menschen auf den unteren, lokalen Ebenen des Systems wenig Grund, sich für die Ziele einzusetzen, die von der höheren, zentralen Ebene angeordnet wurden. Diese Beschränkungen verhinderten zwar nicht die bemerkenswert schnelle anfängliche Industrialisierung, aber sie behinderten das spätere Wachstum des Landes.
Eine ähnliche Dynamik ist in vielen Unternehmen zu beobachten. Ihre CEOs sehen die potenziellen Vorteile einer strategischen Koordinierung, aber der Top-down-Charakter ihres Planungsprozesses bedeutet, dass die Pläne nicht die Möglichkeiten und Herausforderungen widerspiegeln, die in den Geschäftseinheiten bestehen. Und diese Einheiten haben wenig Grund, sich die Ziele zu eigen zu machen, die die obersten Führungskräfte verordnen.
Um diese Herausforderung zu meistern, sind einige Unternehmen klüger geworden, was die Frage angeht, welche Entscheidungen zentralisiert werden müssen und welche besser von den Geschäftseinheiten getroffen werden sollten. Noch überraschender ist, dass einige Unternehmen in den Fällen, in denen Entscheidungen zentralisiert werden müssen, um Konsistenz zwischen den Geschäftseinheiten zu gewährleisten, Techniken entwickelt haben, um die Beteiligung von Managern der unteren Ebenen und in einigen Fällen sogar von Mitarbeitenden an vorderster Front zu erreichen (siehe Beispiele aus der Forschung hier, hier, hier und hier). Dies geschieht in der Regel in drei Zyklen (Zielsetzung, Planung und Budgetierung), wobei die Spitzenmanager in jedem Zyklus Vorschläge formulieren, Feedback von unten einholen und ihre Vorschläge im Lichte dieses Feedbacks überarbeiten.
»Viele US-amerikanische Unternehmen erkennen die potenziellen Vorteile von Koordination und Planung gegenüber dem Vertrauen auf Marktwettbewerb, um ihre Innovationsfähigkeit zu sichern.«
Natürlich ist das strategische Management in diesen großen Unternehmen nicht annähernd so demokratisch, wie Sozialisten es sich wünschen würden – vor allem, weil die Spitzenmanager von Investorenvertretern und nicht von unseren gewählten Vertretern ernannt werden – und ihre Planung durch die übergeordnete Bedeutung der Profitabilität stark eingeschränkt ist; aber wir finden manchmal ein überraschendes Maß an Partizipation.
Es ist nicht schwer zu erkennen, wie dieser strategische Managementprozess demokratischer gestaltet werden könnte und wie derartige Dialoge im sozialistischen Planungsprozess ausgeweitet und auf eine größere Skala gebracht werden könnten. Man stelle sich vor, dass unsere auf nationaler Ebene gewählten Repräsentanten, die die Probleme und Möglichkeiten des Landes untersuchen, eine Reihe von Zielen für den nächsten Fünfjahresplan vorschlagen, die unsere wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Bedürfnisse abdecken.
Ein breit angelegter Prozess der demokratischen Konsultation – in persönlichen Treffen am Arbeitsplatz und in der Nachbarschaft, in regionalen Leitungsgremien und über digitale Umfragen – ermöglicht es uns dann, der nationalen Führung Vorschläge zur Überarbeitung dieser Ziele zu unterbreiten. Die präzisierten Ziele werden dann an demokratisch gewählte Industrie- und Regionalräte zurückgesandt, die aufgefordert werden, Pläne vorzuschlagen, wie sie zur Erreichung der Ziele des Plans beitragen können. Diese Pläne werden dann zentral zusammengeführt, und etwaige Inkonsistenzen oder Lücken führen zu einer weiteren Überarbeitungsrunde. Und schließlich werden in einem dritten Zyklus von der nationalen Investitionsbank Budgets entsprechend den von uns vereinbarten Zielen und Plänen zugewiesen, und lokale Foren für Bürgerhaushalte bestimmen, wie diese Budgets genau verwendet werden.
Die zentrale Planung ermöglichte es der Sowjetunion, massiv in die Entwicklung von Spitzenwissenschaft und -technik zu investieren. Forschungsorganisationen auf nationaler und industrieller Ebene erzeugten beeindruckende Durchbrüche. Doch ihre Bemühungen um Innovation waren oft wenig zielgerichtet und entsprachen nicht dem tatsächlichen Bedarf der Industrie. Selbst wenn Innovationen im Prinzip nützlich waren, gab es für die Unternehmen kaum Anreize, sie in der Praxis zu übernehmen. Die Kluft zwischen den zentralisierten, auf Forschung spezialisierten Organisationen auf der einen Seite und den verstreuten, auf die Produktion spezialisierten Unternehmen auf der anderen Seite war zu schwer zu überbrücken.
Viele US-amerikanische Unternehmen erkennen die potenziellen Vorteile von Koordination und Planung gegenüber dem Vertrauen auf Marktwettbewerb, um ihre Innovationsfähigkeit zu sichern. Einer sozialistischen Logik folgend, finanzieren sie zentralisierte Einrichtungen für Forschung und Entwicklung (F&E) durch Steuern auf die Geschäftseinheiten. Dadurch wird eine Verdoppelung der Innovationsbemühungen in den internen Geschäftseinheiten vermieden. Außerdem wird so sichergestellt, dass die Forschung weiter in die Zukunft blicken kann, als es die Geschäftseinheiten in ihrer lokalen F&E-Abteilungen zu tun bereit wären. Aber genau wie in der Sowjetunion führt die Spezialisierung dazu, dass diese zentralisierte F&E-Einheit oft nicht mit den Bedürfnissen der Geschäftseinheiten in Verbindung steht: Sie entwickelt Konzepte, die die Einheiten nicht brauchen, nicht nutzen können oder bei denen sie wenig Anreiz haben, sie zu nutzen.
»Wenn Standards nicht von oben herab verordnet, sondern von Fachpersonal und Mitarbeitern an der Basis gemeinsam entwickelt werden, lassen sie sich so gestalten, dass sie Kreativität und Urteilsvermögen unterstützen und nicht einschränken.«
Besser geführte Unternehmen haben Wege gefunden, dieses Problem zu vermeiden. Sie beziehen Leitungspersonal der lokalen Geschäftseinheiten in die Leitung der zentralen F&E ein. Sie stellen sicher, dass die zentralen F&E-Teams bei Innovationsprojekten mit den Mitarbeitenden der Geschäftseinheiten kooperieren. Und sie investieren in die Entwicklung der Fähigkeiten der Beschäftigten in den operativen Einheiten, damit sie sich effektiv an diesen Projekten beteiligen können.
Ein sozialistisches Planungssystem könnte Innovation durch die Anwendung eines solchen Modells dramatisch beschleunigen. Man stelle sich die Beschleunigung vor, die sich aus einer Politik ergeben würde, die demokratisch verwaltete, branchenbezogene und regionale F&E-Zentren finanzieren, deren Zusammenarbeit mit den relevanten Unternehmen bei ihren Innovationsbemühungen fördern und in die Entwicklung der Innovationsfähigkeit der gesamten arbeitenden Bevölkerung investieren würde, damit alle dran teilhaben könnten.
Innovation würde im Sozialismus auch durch erweiterte Möglichkeiten für Unternehmertum beschleunigt werden. Wenn sie neue Wege zur Verwirklichung unserer Planziele vorschlagen, könnten unternehmerische Initiativen, die als Arbeitergenossenschaften gegründet werden, Zugang zu Finanzierung durch öffentliche Investitionsbanken oder durch bestehende Unternehmen erhalten. Dies würde die Hemmnisse für Innovation, die durch unser aktuelles System des Risikokapitals (und des »Geierkapitals«), geschaffen werden, erheblich verringen.
Der Sozialismus verspricht eine große Effizienzsteigerung gegenüber dem kapitalistischen Wettbewerb. Anstatt jedes Unternehmen nach seinen eigenen Verfahren arbeiten und auf seine eigenen Komponenten- und Modulkonstruktionen vertrauen zu lassen, standardisierten die sowjetischen Planer bewährte Verfahren und optimale Designs für die gesamte Wirtschaft. Die Arbeiter empfanden diese Standardisierung der Verfahren jedoch oft als entfremdend, und die Standardisierung der Komponenten führte häufig zu billigen, aber mittelmäßigen Produkten.
Viele kapitalistische Unternehmen erkennen auch die potenziellen Vorteile von Standardisierung für die Effizienz. Nach der gleichen Logik schaffen sie zentrale Abteilungen, die bewährte Verfahren und optimale Designs für alle Geschäftseinheiten standardisieren. Doch wie in der Sowjetunion wehren sich die Arbeiter oft gegen die Reglementierung ihrer Arbeit, während sich die Geschäftseinheiten gegen die Übernahme standardisierter Komponenten sträuben.
»Die klügsten Unternehmen schaffen Kulturen und Belohnungssysteme, die eine Synthese aus Individualismus und Kollektivismus unterstützen.«
Die klügsten Unternehmen haben diese Herausforderung gemeistert, indem sie die Mitarbeiter an der Basis in diese Standardisierungsbemühungen einbezogen haben. Wenn Standards nicht von oben herab verordnet, sondern von Fachpersonal und Mitarbeitern an der Basis gemeinsam entwickelt werden, lassen sie sich so gestalten, dass sie Kreativität und Urteilsvermögen unterstützen und nicht einschränken. In der Folge werden sie als befähigend und nicht als Zwang erlebt.
In einem sozialistischen System des strategischen Managements der gesamten Wirtschaft könnten sich massive Effizienzsteigerungen aus ähnlich partizipativen Bemühungen um die Standardisierung von Komponenten und bewährten Verfahren in ganzen Branchen und Regionen ergeben (überraschende Beispiele siehe hier und hier). Wir würden diese Effizienzsteigerung nutzen, um die Arbeitszeit drastisch zu verkürzen und den Arbeitern Zeit zu verschaffen, um sich zu bilden und an den demokratischen Prozessen teilzunehmen, die die Wirtschaft regeln.
Es ist allgemein bekannt, dass die sozialistische Zentralplanung in der Sowjetunion weder die Arbeiter noch Unternehmer motivieren konnte. Kollektivistische Werte reichen nur bis zu einem gewissen Punkt: Ohne eine angemessene Förderung individueller Anstrengungen und Kreativität geraten sowohl Effizienz als auch Innovation ins Stocken.
Unsere großen Unternehmen stehen vor einem ähnlichen Dilemma. Sie brauchen Mitarbeitende, die kollektivistisch genug sind, um sich bereitwillig an Richtlinien und Verfahren zu halten, aber sie brauchen gleichzeitig Mitarbeitende, die individualistisch genug sind, um abweichendes Denken und Kreativität zu befördern. Die gängige Lösung für dieses Dilemma ist die Spezialisierung der Rollen, wobei die meisten Beschäftigten auf Routineaufgaben festgelegt werden, bei denen die Einhaltung der Vorschriften wichtiger ist, während die wenigen Privilegierten an Innovationsaufgaben arbeiten, bei denen Kreativität wichtiger ist. Die Kosten, die entstehen, wenn man die kreativen Fähigkeiten so vieler Menschen ignoriert, sind jedoch enorm (siehe zum Beispiel die Forschung von Gallup über die Kosten der Entfremdung von Mitarbeitenden).
Die klügsten Unternehmen schaffen daher Kulturen und Belohnungssysteme, die eine Synthese aus Individualismus und Kollektivismus unterstützen, die ich »interdependenten Individualismus« nenne (ein Beispiel dafür hier). Die Mitarbeiter können für ihren individuellen Beitrag zu den Zielen der Organisation und für ihre Fähigkeit, dabei mit anderen zusammenzuarbeiten, geehrt und belohnt werden. Moderate finanzielle Belohnungen für Einzelpersonen werden mit moderaten finanziellen Belohnungen für Teams und mit großzügigen symbolischen Belohnungen für diese Bemühungen gepaart. Die Organisation investiert in Schulungen und Anreize, um die Innovationsfähigkeit des gesamten Personals zu fördern.
Als Sozialisten widerstrebt es uns zwar, differenzierten finanziellen Anreizen zu viel Bedeutung beizumessen, doch steht einer sozialistischen Wirtschaft, die eine ähnliche Politik verfolgt, nichts im Wege. Unsere demokratisch gewählten Räte auf nationaler Ebene könnten eine allgemeine Politik für die Entlohnung verschiedener Arbeitskategorien festlegen, und die Räte auf Unternehmensebene würden sich bei der Festlegung der Löhne einzelner Arbeiter auf diese Vorgaben stützen. Die Kultur des Sozialismus des 21. Jahrhunderts muss den Gegensatz zwischen Individualismus und Kollektivismus überwinden, und die Erfahrungen einiger dieser kapitalistischen Unternehmen zeigen uns, dass dies möglich ist und wie wir es tun könnten.
Wenn der Sozialismus ein Fortschritt gegenüber dem Kapitalismus sein wird, dann zum Teil deshalb, weil er auf den Errungenschaften des Kapitalismus aufbauen kann, von denen die Vergesellschaftung der Produktion vielleicht die größte ist.
Diese Vergesellschaftung hat nicht nur zu dramatischen technologischen Fortschritten geführt, sondern auch zu leistungsfähigen neuen Techniken für das Management in riesigen, komplexen Unternehmen. Die strategischen Managementtechniken, die einige unserer führenden Unternehmen entwickelt haben, sind ein wertvolles Erbe.
Kritiker haben sicherlich Recht, wenn sie argumentieren, dass diese Techniken – genau wie ihre Pendants in der materiellen Technologie – derzeit entwickelt und eingesetzt werden, um die kapitalistische Ausbeutung und Herrschaft zu stützen. Aber es liegt auf der Hand, dass der demokratische Sozialismus dennoch viel Nutzen aus den Prinzipien ziehen kann, die diesen Techniken und Technologien zugrunde liegen, indem er sie an die Bedürfnisse unserer Gesellschaft anpasst.
Paul S. Adler ist Professor für Management und Organisation, Soziologie und Umweltstudien an der University of Southern California und Autor von The 99 Percent Economy: How Democratic Socialism Can Overcome the Crises of Capitalism.