15. Juni 2020
Wie Städte in Zukunft aussehen könnten – und welche Fehler wir besser nicht wiederholen sollten.
Öffentliches Gedenken an die Februarkämpfe 1934 vor dem Karl-Marx-Hof in Wien.
Dass es eine Architektur geben könne, die unverwechselbar sozialistisch sei, glaubte der italienische Historiker Manfredo Tafuri nicht, gilt doch, dass wir nicht im Sozialismus leben. »Eine Architektur der Klasse gibt es nicht, allein eine Klassenkritik der Architektur.«
In seinen einflussreichen, scharfsinnig argumentierten Werken der 1970er Jahre – Kapitalismus und Architektur und La Sfera e il labirinto – machte Tafuri Schluss mit einer Debatte, die seit fast einem Jahrhundert bestanden hatte: Ob es denn möglich oder gar sinnvoll sei, eine dezidiert sozialistische Stadt im Kapitalismus anzustreben – und wichtiger noch, ob sich diese zumindest in Bruchstücken errichten ließe. Tafuris schrilles »Nein« zur zweiten Frage wurde begleitet von einem leiseren »Nein« zur ersten.
Seit dem Aufstieg des Neoliberalismus werden die kleinen real existierenden Fragmente einer »sozialistischen Stadt« – also das, was in den letzten 100 Jahren zwischen den Entwürfen von William Morris und dem Greater London Council von Ken Livingstone gebaut wurde – nicht mehr als ein Mittel betrachtet, um dem Kapitalismus eine ruhige und gesunde Bevölkerung zur Ausbeutung bereit zu stellen. Sie sind zu Gegenständen der Nostalgie geworden.
Aber gab es die sozialistische Stadt überhaupt jemals? Ist es völlig sinnlos darüber nachzudenken, solange die viel schwierigere Aufgabe der Überwindung des Kapitalismus noch nicht gelungen ist? Und – wenn wir die Regel verletzen, dass wir keine utopischen Bilder beschwören sollten – wie könnte sie tatsächlich aussehen?
Zum Teil waren die Interventionen von Tafuri als Klärungen beabsichtigt. Jahrzehnte sozialer Experimente in der Architektur, des sozialen Wohnungsbaus, der Neustädte und der egalitären Siedlungen, hatten subversive Inseln im Kapitalismus geschaffen. Aber gerade dadurch hatten sie ihn nicht geschwächt, sondern vielmehr gestärkt.
Auf Antonio Negri verweisend beschwört Tafuri den »Planer-Staat« herauf, jener eines korporatistischen Kompromisses, bei dem das Kapital, indem es die Sozialdemokratie aufgesogen hat, nur noch mächtiger wird. Dass seine Kritik noch heute oft zitiert wird, ist seltsam angesichts ihrer augenfälligen Fehldeutung dessen, was in den 1970ern für ein Wind heraufzog. Das Kapital schickte sich zu dem Zeitpunkt nämlich in der Tat an, den Klassenkompromiss nahezu komplett über Bord zu werfen, um stattdessen einen Krieg gegen alles – von den Gewerkschaften bis zum kommunalen Wohnungsbau – vom Zaun zu brechen.
Damals behauptete Tafuri, dass das Endergebnis des Reformismus der Arts and Crafts-Bewegung – des Expressionismus, Konstruktivismus, Brutalismus – die verwaltete Stadt des fordistischen Kapitalismus sei. Es sei ihm verziehen. Aber wir müssen nicht denselben Fehler machen und können die Inseln der sozialistischen Stadt objektiver betrachten. Um einen weiteren dissidenten italienischen Kommunisten, Mario Tronti, zu zitieren, können wir sie als Phänomene »innerhalb und gegen den Kapitalismus« ins Auge fassen.
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Owen Hatherley ist Culture Editor bei »Tribune« und Autor mehrerer Bücher. Zuletzt ist von ihm »Red Metropolis: Socialism and the Government of London« bei Repeater erschienen.