08. März 2025
Der Internationale Frauentag ist der beste Moment, um darüber zu sprechen, was der Sozialabbau, der gerade ideologisch vorbereitet wird, für Frauen bedeutet. Denn wo der Sozialstaat schrumpft, sind es Frauen, die die Lücken schließen.
Am 8. März gehen Frauen weltweit für mehr Gleichberechigung auf die Straßen.
Heute ist Frauentag – ein guter Anlass, um sich einmal anzuschauen, was der soziale Kahlschlag, der aller Voraussicht nach auf uns zurollt, für die Gleichberechtigung bedeutet. Die Schuldenbremse ist beerdigt, die Frage aber, wo Geld hineingebuttert und wo es weggekürzt wird, ist damit nicht geklärt. Das zeigt sich allein daran, dass die Schuldenbremse nicht etwa deswegen gelockert wurde, weil unsere Brücken einkrachen, unsere Krankenhäuser, Schulen und Kitas kurz vom Kollaps stehen und es keinen Plan dafür gibt, wie man die kränkelnde Wirtschaft zukunftsfähig machen soll. Nein, die Schuldenbremse ist gefallen, weil man so besser aufrüsten kann.
Dieser Freifahrtschein für grenzenlose Rüstungsausgaben wird Fragen der Gegenfinanzierung aufwerfen und Konservativen die beste Rechtfertigung liefern, um in Bereichen zu kürzen, wo es den Menschen richtig weh tut. Deutschlands künftiger Kanzler Friedrich Merz kündigte bereits an, beim Bürgergeld zu kürzen, um das alles finanziell zu verkraften – eine absurde Aussage. Hier werden schließlich bombastische Milliardensummen mobilisiert, das lässt sich kaum mit Kleinstbeträgen, die sich beim Bürgergeld noch rauspressen kann, ausgleichen. Was soll man noch bei Menschen holen, die ohnehin kaum etwas bekommen?
Ideologische Schützenhilfe für diese geplante Offensive auf die Sozialausgaben leisten jetzt schon einmal einige Top-Ökonomen dieses Landes. Ifo-Präsident Clemens Fuest schlägt vor, »bei allen Sozialleistungen« hart zu kürzen – das Elterngeld würde er am liebsten komplett abschaffen, um damit die Bundeswehr zu finanzieren. Monika Schnitzer, die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, will die Mütterrente streichen – diese Forderung bringt sie seit Jahren immer wieder ins Gespräch, obwohl das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung dringend davon abrät, weil diese Kürzung die Altersarmut verschlimmern würde und vermutlich verfassungswidrig wäre.
Dieser Angriff auf den Sozialstaat wird gerade nicht nur in Deutschland ideologisch vorbereitet. Auch die Financial Times trommelt für die Attacke auf die Sozialstaatlichkeit. Um den »warfare state« – also einen Staat der Kriegsführung – zu finanzieren, müsse jetzt der Wohlfahrtsstaat Federn lassen. So wie wir ihn in Europa kennen, dürfe es ihn in Zukunft nicht mehr geben, am besten man orientiere sich an den USA.
Was hat das jetzt alles mit dem Feminismus zu tun? Wir wissen, dass es Frauen sind, die den Großteil der Fürsorgetätigkeiten in unserer Gesellschaft leisten. Zählt man diese unbezahlten Tätigkeiten dazu, arbeiten erwerbstätige Frauen, im Schnitt länger als erwerbstätige Männer. Besonders ab dem 30. Lebensjahr – also in dem Alter, wo in vielen Fällen kleine Kinder versorgt werden müssen – steigt der Gender Care Gap zwischen den Geschlechtern um über 100 Prozent an. Das nennt man Mehrfachbelastung.
»Konservative verteidigen die traditionelle Familie nicht bloß deswegen so eisern, weil es ihren Moralvorstellungen entspricht, sondern weil an die Stelle des Sozialstaats individuelle Familien treten, wo Frauen die Fürsorgearbeit übernehmen und man so die Sozialausgaben verschlanken kann.«
Ein starker Sozialstaat kann die Last der Reproduktionsarbeit, die vor allem Frauen leisten, verringern, indem er gewisse Aspekte dieser Arbeit übernimmt, etwa in Form von Bildung und Kinderbetreuung, Gesundheits- und Altenpflege. Er kann auch diejenigen, die diese Arbeit verrichten, durch Sozialleistungen unterstützen, etwa wenn sie alleinerziehend sind. Sozialkürzungen sind deswegen ein Bremsblock für die Gleichberechtigung, weil ein Teil der Versorgung ins Private zurückverlagert wird, wodurch Frauen in der traditionellen Rolle als primäre Fürsorgerinnen gehalten werden. Kurzum: Was für den Staat eine lukrative Rechnung ist, treibt Frauen als Gruppe ans Limit der Erschöpfung.
Es hat sich inzwischen rumgesprochen, dass die neoliberale Spielart des Feminismus, der vor allem das Durchbrechen der Gläsernen Decke lancierte, im Grunde kein Feminismus, sondern Karrierismus war. Eine Frau mehr in der Chefetage nützt den meisten Frauen nix, wenn der Niedriglohnsektor immer noch ein überproportional weiblicher Sektor ist. Aber: der Neoliberalismus hat die Gleichberechtigung nicht einfach »vereinnahmt«, es hat ihr den Kampf angesagt.
Denn dieses Regime ist über Dekaden marodierend über unsere Gesellschaft hinweggezogen, hat soziale Sicherungssysteme kleingespart und damit nicht nur Menschen dem sozialen Abstieg preisgegeben, sondern auch den Druck auf Frauen erhöht. Eine Ausweitung des Sozialstaats, um vor allem Alleinerziehende, Arbeitslose und Kinder besser abzusichern, verringert die Abhängigkeit von familiären oder partnerschaftlichen Beziehungen. Gerade deswegen ist die Sozialstaatlichkeit ein Dorn im Auge der Konservativen. Sie verteidigen die traditionelle Familie nicht bloß deswegen so eisern, weil es ihren Moralvorstellungen entspricht, sondern auch, weil an die Stelle des Sozialstaats individuelle Familien oder die Institution der Ehe treten, wo Frauen die Fürsorgearbeit übernehmen und man so die Sozialausgaben verschlanken kann.
Der Gesundheitsökonom Friedrich Breyer skizziert die Leitlinie einer »bürgerlichen Sozialpolitik« konsequent dann auch folgendermaßen: »Bürgerliche Sozialpolitik hat wenig mit dem System zu tun, das die Politik Bürgergeld genannt hat. Eine bürgerliche Sozialpolitik setzt vielmehr auf die Familie als das erste und wichtigste Solidarsystem.«
»Es sind nicht einfach nur verstaubte, bürgerliche Moralvorstellungen, die Frauen unterdrücken. Es ist die Verquickung dieser Moralvorstellungen mit einer Form von Ausbeutung, die Frauen mürbe und kaputt macht, nur um hier und da ein paar Posten im Haushalt einzusparen.«
Die Soziologin Melinda Cooper hat hinsichtlich dieser unheilige Allianz zwischen Neoliberalismus und »traditionellen Familienwerten« beschrieben, wie im Zuge des neoliberalen Wandels die Familie als zentrale soziale Einheit die Verantwortung für Fürsorge übernommen hat. In der Familienpolitik der CDU konkretisiert sich diese Entwicklung: So erklärt sich etwa, warum die Union immer noch am Ehegattensplitting festhält, das die traditionelle Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern verteidigt und es steuerlich prämiert, wenn Frauen in eine Abhängigkeitsbeziehung zu ihrem besser verdienenden Partner gehalten werden.
Unter der CDU dürften auch Alleinerziehende – die mit 82 Prozent überwiegend Frauen sind – stärker belastet werden. Ein Drittel aller Alleinerziehenden ist armutsgefährdet. Alleinerziehende bilden die zweitgrößte Gruppe aller Bürgergeldbezieher. Die Tatsache, dass die CDU die Hürde für Sozialleistungen weiter erhöhen, die Regelsätze beim Bürgergeld weiter absenken und den Druck auf Bürgergeldbezieher weiter verschärfen will, um mit Sanktionen »Arbeitsanreize« zu schaffen, zeigt nochmal, dass in den Augen der Konservativen auch im Jahr 2025 eine alleinstehende Frau noch immer ein massives Problem darstellt: Wenn sie sich nicht im Rahmen von einem »anständigen« Mutter-Vater-Kind-Gefüge versorgen kann und alleine ihr Kind großziehen möchte, denkt man sich Maßnahmen aus, um sie dafür sanktionieren zu können.
Starke staatliche Fürsorgemodelle befreien Frauen aus familiärer oder partnerschaftlicher Abhängigkeit, Sozialkürzungen und Steuererleichterungen für Eheleute treiben sie in die Abhängigkeit zurück und laden Sorgetätigkeiten auf ihren Schultern ab. Gleichberechtigung kostet Geld. Deswegen haben wir sie nicht bekommen. Sparpolitik ist nicht einfach nur unsozial, sie ist eine Politik, die Frauen verschleißt. Die Stärkung »der Eigenverantwortung« und der »Familie als Solidarsystem« bedeutet im Klartext einen stillen Angriff gegen Frauen – weil sie es sind, die die Arbeit im Privaten auffangen, weil sie es sind, die in der Erwerbsarbeit zurückstecken, weil sie es sind, die deswegen im Alter eher in Armut landen und denen dieses System, das ohne sie kollabieren würde, dann entgegen höhnt: »Selbst schuld!«
»Die Kürzungswelle, die jetzt vorbereitet wird, wird uns unter die Räder schmeissen. Wir sind schon jetzt überlastet und unsere Gegner planen, sozialstaatliche Leistungen in die Solidarität im Familienband zu verlagern, wo sie de facto auf uns abgewälzt werden.«
Es sind nicht einfach nur verstaubte, bürgerliche Moralvorstellungen, die Frauen unterdrücken. Es ist die Verquickung dieser Moralvorstellungen mit einer Form von Ausbeutung, die Frauen mürbe und kaputt macht, nur um hier und da ein paar Posten im Haushalt einzusparen. Kleine, alte und kranke Menschen müssen gepflegt und versorgt werden, so wie wir selbst auch. Diese Arbeit muss erledigt werden, es führt kein Weg daran vorbei. Eine gute strukturelle Unterstützung und starke soziale Sicherungssysteme sind deswegen im besonderen im Interesse von Frauen – »Frauenfragen« sind sie deswegen aber noch lange nicht. Sie werden dazu gemacht, weil sich sonst keiner kümmert.
Überlastung, unentlohnte Arbeit, Gewalt – die Kernanliegen feministischer Kämpfe – werden durch die ökonomischen und politischen Bedingungen dieser Gesellschaft stabilisiert und befördert. Heute am Frauentag muss sich unser Kampf auch darum drehen, wie wir unsere Forderung nach Gleichberechtigung materiell absichern, damit sie wahr werden kann.
Wenn es uns ernst ist mit dem Feminismus, mit der Emanzipation aller Frauen, dann ist jetzt der beste Moment, um daran zu erinnern, dass dieser Tag in sozialistischer Tradition steht. Um unseren Widerstand so stark wie möglich zu organisieren, müssen wir einen Feminismus entwickeln, der Milieu- und Szeneschranken durchbricht und die Bevölkerung in der Breite erreicht. Anders werden wir die notwendigen Veränderungen kaum erstreiten können. Die Kürzungswelle, die jetzt vorbereitet wird, wird uns unter die Räder schmeissen. Wir sind schon jetzt überlastet und unsere Gegner planen, sozialstaatliche Leistungen in »die Solidarität im Familienband« zu verlagern, wo sie de facto auf uns abgewälzt werden. Es reicht. In diesem Sinne: Heraus zum 8. März!
Astrid Zimmermann ist Managing Editor bei JACOBIN.