08. Mai 2024
SPD und Grüne fordern auf einmal einen höheren Mindestlohn – als wären sie nicht selbst an der Regierung. Solange sie die Erhöhung nicht entschieden in die Tat umsetzen, bleibt die Forderung ein fauler Wahlkampftrick.
Olaf Scholz macht Europa-Wahlkampf.
Sage und schreibe 8,4 Millionen Menschen in Deutschland arbeiten für weniger als 14 Euro die Stunde. Deswegen ist es zu begrüßen, wenn jetzt auch SPD und Grüne endlich aus der Hecke kommen und eine Erhöhung des Mindestlohnes fordern. 14 Euro fordert die SPD, 15 Euro sogar die Grünen. Außerdem wollen beide die Mindestlohnkommission reformieren. Das ist die Kommission, die alle zwei Jahre über den Mindestlohn entscheidet. Darin sitzen sieben Stimmberechtigte: drei von der Arbeitgeberseite, drei von der Arbeitnehmerseite und eine neutrale Person als Schlichter.
Man fragt sich: Wie kommen SPD und Grüne jetzt darauf? Nun, es war jüngst Tag der Arbeit, da sind kämpferische Forderungen en vogue und außerdem ist es nur noch ein Monat bis zur EU-Wahl. Die Forderungen sind also keine ernstgemeinte Reform, sondern ein billiges Wahlkampfmanöver.
Oder warum haben sie das nicht längst schon auf den Kabinettstisch der Bundesregierung gelegt? Stellt die SPD nicht sogar den Bundeskanzler? Hat der nicht einen Respekt-Wahlkampf gemacht? Und hat die SPD übrigens nicht die Mindestlohnkommission überhaupt erst eingeführt? Ja, das war die SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles, heute Chefin der Bundesagentur für Arbeit.
»Es gibt noch einen weiteren Grund, warum SPD und Grüne an den Mindestlohn wollen. Sie müssen es nämlich. Denn es gibt eine EU-Richtlinie, die fordert, dass die nationalen Mindestlöhne armutsfest sind.«
Diese von der SPD gegründete Mindestlohnkommission hat übrigens den selbsternannten Respektkanzler Olaf Scholz bei der jüngsten Erhöhung düpiert. Die Ampel hatte zwar die SPD-Forderung umgesetzt und den Mindestlohn per Gesetz von 10,45 Euro auf 12 Euro erhöht, aber die Kommission hat bei der Erhöhung auf 12,41 Euro einfach von ihrem eigenen alten Wert, den 10,45 Euro gerechnet – nicht von den geltenden 12 Euro. Sie hat die gesetzliche Erhöhung also ignoriert, als hätte sie nie stattgefunden. Öffentlich ist das untergegangen, die SPD dürfte das aber massiv verärgert haben. Kein Wunder, dass Parteichefin Esken jetzt vorprescht und eine Reform der Kommission will.
Doch es gibt noch einen weiteren Grund, warum SPD und Grüne an den Mindestlohn wollen. Sie müssen es nämlich. Die Zeit drängt. Denn es gibt eine EU-Richtlinie, die fordert, dass die nationalen Mindestlöhne armutsfest sind. 2022 wurde sie beschlossen, bis November 2024 muss sie umgesetzt sein.
Und armutsfest heißt, der Mindestlohn muss 60 Prozent des Brutto-Medianlohns entsprechen. In Deutschland wären das rund 14 Euro. Gerade liegt Deutschland mit 12,41 Euro weit darunter. Gar nicht gut für den EU-Wahlkampf von SPD und Grünen, will man sich doch als Vorbild-Europäer in blauen Pullovern mit aufgedruckter Europaflagge gerieren.
Das Thema ist zu wichtig, um es zu bloßem Wahlkampfgetöse abzukanzeln. So einfach dürfen wir SPD und Grüne nicht davonkommen lassen. Es ist ja schön, eine Pressemitteilung mit mutigen Forderungen zu verschicken. Das ist alles ganz gemütlich und bequem. Das tut niemandem weh. Aber solange sie nicht knallhart fordern, das jetzt in der Ampel noch umzusetzen, ist es nicht glaubwürdig.
Maurice Höfgen ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Bundestag und Autor des Buches »Mythos Geldknappheit«. Zudem betreibt er den YouTube-Kanal »Geld für die Welt«.