05. Juli 2023
Die Debatte ums Elterngeld ist das perfekte Ablenkungsmanöver von Lindners Kürzungshaushalt und den Sparvorschlägen bei den Ärmsten.
Christian Lindner forderte das Familienministerium zum Sparen auf – und Lisa Paus kam dem nach.
IMAGO / photothekEs war klar, dass der Haushalt der Ampelregierung auf Kante genäht ist. Nicht ohne Grund verschob Lindner mehrmals den ersten Entwurf. Schlussendlich musste dann sogar der Kanzler die Verhandlungen übernehmen und mit Lindner zusammen die Sparpolitik verteidigen. Rausgekommen ist ein Haushalt mit einem Volumen von 445,7 Milliarden Euro. Davon sind 16,6 Milliarden Euro Schulden im Rahmen der Schuldenbremse.
Für die nächsten Jahre besteht noch weiterer Kürzungsbedarf von 14,4 Milliarden Euro. Das liegt zuallererst an den selbst auferlegten neoliberalen Spielregeln der Ampel bei Steuern und Schulden. Über diese beiden Wege ließen sich eigentlich ohne größere Probleme zwei- bis dreistellige Milliardenbeträge mobilisieren.
Der wohl größte Coup ist aber die mitbeschlossene Entkernung der Kindergrundsicherung ab 2025, dem wichtigsten sozialpolitischen Projekt der Ampel. Ursprünglich verlangte die grüne Familienministerin Lisa Paus 12 Milliarden Euro für das Vorhaben, das alle Ausgaben für in Armut lebende Kinder zu einer Grundsicherung bündeln und Hürden für Familien aufheben soll. Diese Grundsicherung soll nun laut Lindners Haushalt auf 2 Milliarden zusammengestaucht werden. Damit ist der Fortbestand von Kinderarmut besiegelt. Außerdem gibt es Kürzungen beim Bildungsministerium in Höhe von 1,16 Milliarden Euro. Das dürfte die unhaltbaren Zustände beim Bafög zementieren.
Doch statt diese Streichungen zu attackieren und den Sparkurs im Ganzen infrage zu stellen, wird der haushaltspolitische Diskurs nun vom Elterngeld dominiert. Es ist das perfekte Ablenkungsmanöver vom neoliberalen Sparkurs.
Lindner forderte das Familienministerium auch jenseits der Kindergrundsicherung zum Sparen auf – und Lisa Paus kam dem nach. Dazwischen fanden einige Briefwechsel zwischen den beiden statt, die nun an die Öffentlichkeit gelangten. So forderte das FDP-Ministerium die Ministerin explizit dazu auf, beim Elterngeld zu kürzen. Lisa Paus antwortete, dass dies schwerwiegende gleichstellungspolitische Konsequenzen hätte. Eine für ihr Kind sorgende Mutter mit Durchschnittsgehalt würde stärker auf die finanzielle Unterstützung ihres bestverdienenden Mannes angewiesen sein.
Lisa Paus hat die Kröten schließlich geschluckt. Was aber ausblieb, ist ein öffentlicher Aufstand gegen Lindners Sparpolitik, die beim Elterngeld ganz direkt zu Lasten vor allem von Frauen und und bei der Kindergrundsicherung zu Lasten von Kindern geht.
Beim Elterngeld soll nun die Grenze statt bei 300.000 Euro zu versteuerndem Haushaltseinkommen bei 150.000 Euro liegen. Manche Linke und Linksliberale feiern dies nun als einen Schlag gegen die Reichen. Dabei werden Dax-Managerinnen oder gar Milliardäre hiervon gar nicht berührt. Stattdessen werden Ärzte, Manager der dritten Reihe oder Abgeordnete stärker belastet, denen es ohne Zweifel nicht schlecht geht, die aber nicht zur Klasse des Kapitals gehören. Dem liegt eine Reihe von Fehlschlüssen zugrunde.
»Die Wirtschaftsliberalen spielen sich auf zu Verteidigern der Familien und der Mittelschicht, während die Presse zu den restlichen Untaten des Haushalts fast schweigt.«
Der erste Fehlschluss: Etliche grüne Parteisoldaten haben auf die Kritik der Liberalen geantwortet, dass Paus die Sparvorgaben doch umgesetzt hätte. Doch genau hier liegt das Problem. Es ist eine Optimierung unter neoliberalen Bedingungen, die man vorher akzeptiert hat. Wenn man nun das vorbildliche Sparen betont, stärkt man lediglich das vorherrschende Narrativ.
Der zweite Fehlschluss: Einige Linksliberale beweisen, dass es ihnen an Klassenanalyse mangelt. So twittert der Taz-Redakteur Erik Peter: »Eat the Kindergeld of the rich!« Abgesehen davon, dass es um Elterngeld und nicht um Kindergeld geht, sind die wirklich Reichen nicht einmal betroffen. Spitzenverdiener werden ärmer, nicht die Milliardäre. Es offenbart mal wieder, dass allzu oft die Klassengrenze relativ willkürlich gezogen wird.
Der dritte Fehlschluss: Einige Linke entdecken das Bedürftigkeitsprinzip wieder. Dieses besagt, dass Reiche ja nicht auch noch die Sozialleistungen bräuchten – hier das Elterngeld. Wenn das beim Elterngeld gilt – wieso sollte es dann nicht auch bei der Kindergrundsicherung, bei dem 9-Euro-Ticket oder beim Heizungsgesetz gelten? Die Folge ist, dass damit der Gedanke der Sparpolitik reproduziert wird, an manchen Stellen unsinnige Bürokratie entsteht und die 99 Prozent gespalten werden.
Stattdessen müsste es üppige Entlastungen für alle geben. Den Reichtum der Superreichen kriegt man sowieso nicht umverteilt, indem man sie von Sozialleistungen ausnimmt. Ob sie ein paar Hundert oder Tausend Euro mehr erhalten oder nicht, ist ihnen egal. Die ausschlaggebende Frage ist, ob sie zehntausende Euro durch Umverteilung von Steuern bis Vergesellschaftungen verlieren oder nicht.
Die Elterngeldkürzung dominiert die Presse und die Politik, vermutlich weil sie genau jene Schichten am meisten trifft, die selbst Teil des Presserummels sind. Alle Beteiligten spielen sich zu etwas auf, was sie nicht sind: Die Wirtschaftsliberalen zu Verteidigern der Familien und der Mittelschicht, während die Presse zu den restlichen Untaten des Haushalts fast schweigt. Und die Grünen werden zu hörigen Sparpolitikern. Das ganze zeigt, wie viel Gegenwind es allein schon bei einem Hauch von Fake-Umverteilung gibt.
Kaum vorstellbar, was los wäre, wenn es um echte Umverteilung ginge, wenn Reichtum wirklich angetastet würde. Aber einen solchen echten Fortschritt wird es unter dieser selbsternannten Fortschrittskoalition nicht geben. Stattdessen gibt es die Verwaltung des Neoliberalismus – mit den Stimmen von linken Grünen und Sozialdemokraten.
Lukas Scholle ist Volkswirt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Deutschen Bundestag und Kolumnist bei JACOBIN.