04. September 2025
Die Wiener SPÖ macht öffentlichen Verkehr teurer und kürzt bei Familien mit Kindern. Damit begräbt sie das Erbe des »Roten Wiens«.
Von Zusammenhalt sprechen, aber Kürzungen umsetzen: SPÖ-Buergermeister Michael Ludwig bei einer Rede zum 1. Mai in Wien.
In Österreich jagt eine kürzungpolitische Hiobsbotschaft die nächste. Im Frühling präsentierte die Bundesregierung ihr Programm: Die Abschaffung des Klimabonus, die Aussetzung der Anpassung von Familienleistungen an die Inflation, das Ende der Bildungskarenz – die Liste ist lang und sie trifft vor allem die arbeitende Bevölkerung hart. »Wir haben das Geld nicht«, sagte SPÖ-Finanzminister Markus Marterbauer und erklärte den Sparzwang zum Gebot der Stunde.
Diese Woche hat auch die sozialdemokratisch regierte Stadt Wien ihren nächsten Beitrag zur Budgetsanierung verkündet: Kürzungen bei der Mindestsicherung und teurere Öffis. Künftig sollen Beiträge, die für das Wohnen zweckgewidmet sind, auch bei Kindern von der Mietbeihilfe abgezogen werden. Aktuell ist bereits ein Viertel des Bezugs der Erwachsenen für das Wohnen vorgesehen und wird bei der Mietbeihilfe abgezogen. Gleichzeitig werden WGs mit Familien gleichgestellt: Wer bisher als Einzelperson in einer Wohngemeinschaft lebte, erhielt den vollen Betrag der Mindestsicherung. Das soll sich künftig ändern. Diese Kürzungswelle wurde schon Anfang der Woche mit Tariferhöhungen im öffentlichen Verkehr eingeleitet.
In Wien sind diese Einsparungen besonders bitter: Weil hier viele große Familien, Alleinerziehende, Menschen ohne Arbeit und nicht-österreichische Staatsbürger leben, waren schon 2022 21,4 Prozent der Wiener Bevölkerung armutsgefährdet. Das sind um 8,4 Prozentpunkte mehr als im restlichen Österreich. Sie werden von den Kürzungen besonders betroffen sein. Dass die Sozialdemokratie gerade bei diesen Menschen sparen will, ist ein Armutszeugnis für eine Stadt, die sich seit Jahrzehnten als »rote Bastion« gegen das konservative Rest-Österreich inszeniert, während sie das Erbe des roten Wiens politisch begräbt.
Noch im Juli hatte Wiens Bürgermeister Michael Ludwig erklärt, dass die Mindestsicherung »das unterste soziale Netz« und Kinderarmut für ihn »inakzeptabel« sei. Noch im Februar hatte er kurz vor den Wien-Wahlen bekräftigt: »In Zeiten, in denen die Teuerung die Haushalte stark belastet, setzen wir ein klares Zeichen: Die 365-Euro-Jahreskarte der Wiener Linien bleibt!« Natürlich war am Ende nichts davon wahr.
Besonders die Kürzungen im Bereich der Mindestsicherung waren abzusehen. Alle paar Monate rühmt sich der österreichische Boulevard damit, einen neuen Fall einer syrischen Großfamilie »aufzudecken«, die angeblich zu viel Sozialhilfe bekomme. Im Sommer 2024 ging es um eine Familie mit sieben Kindern, die inklusive Mietbeihilfe 4.600 Euro bezieht. Die Kronenzeitung fand im Mai dieses Jahres sogar eine Familie mit elf Kindern, die 6.000 Euro Mindestsicherung erhielt. Diese Fälle sind nicht repräsentativ, aber darum geht es auch gar nicht. Mit eben dieser Skandalisierung werden Angriffe auf den Sozialstaat legitimiert.
»Die aktuell verkündeten Einsparungen sollen bei der Mindestsicherung nur 20 Millionen Euro jährlich bringen. Für die Stadt Wien ist das nicht viel Geld, für Familien aber schon.«
Wenn die SPÖ sich als Gegenpol zur ÖVP inszenieren möchte, hält sie in solchen Fragen dagegen. Dann erklärt etwa Sozialstadtrat Peter Hacker, dass er nicht wolle, »dass in unserer Stadt Menschen in Existenzängsten leben«. Oder Michael Ludwig wirft der ÖVP vor, Politik »auf dem Rücken der Kinder« zu machen. Aber wenn ein Sparpaket zu schnüren ist, sind eben diese Kinder die ersten, die davon betroffen sind.
Dabei geht es nicht einmal um große Summen. Insgesamt sollen die aktuell verkündeten Einsparungen bei der Mindestsicherung nur 20 Millionen Euro jährlich bringen. Für die Stadt Wien ist das nicht viel Geld, für Familien aber schon. Laut Rechnung des Bürgermeister-Büros erhalten Familien pro Kind monatlich 80 Euro weniger. Das sind 80 Euro weniger für Schulausflüge, für neue Turnschuhe, für die Stromrechnung am Ende des Monats. Das ist das Gegenteil von einer Kindergrundsicherung, zu der sich Michael Ludwig noch letztes Jahr bekannte.
Von der Gleichstellung von WGs und Familien erwartet man sich 75 Millionen Euro jährlich. Gemeinsam mit dem erhöhten Schulungszuschlag – ein Bildungsbonus für Sozialhilfebezieher, die an längeren Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen des AMS teilnahmen –, der schon im Juni gestrichen wurde, sollen so 115 Millionen Euro an Sozialleistungen eingespart werden. Ähnlich wie die Bundesregierung entscheidet sich also auch das sozialdemokratische Wien, das Budget ausgabenseitig zu sanieren.
Besonders bitter ist auch die Erhöhung der Preise im öffentlichen Verkehr. Es gibt vielleicht kaum eine andere Maßnahme, die die Kosten der Budgetsanierung so deutlich auf den Schultern der arbeitenden Bevölkerung verteilt wie diese. Rund 830.000 Wienerinnen und Wiener besaßen laut Wiener Linien Ende 2024 eine Jahreskarte für die öffentlichen Verkehrsmittel. Künftig sollen sie statt 365 Euro 467 Euro für ein Jahresticket bezahlen.
Die Stadt begründet die Preiserhöhung mit den ebenfalls gestiegenen Kosten für das österreichweite Klimaticket. Dieses kostet ab 2026 fast 28 Prozent mehr als bei seiner Einführung 2021 – ein Prozentsatz, den Wien quasi deckungsgleich übernimmt.
Das Perfide daran ist, dass die höchste Tarifsteigerung wieder eine Gruppe betrifft, die besonders häufig unter der Grenze der Armutsgefährdung lebt: Studierende. Bisher zahlten sie 75 Euro im Semester und konnten sich im Juli und August eine Ferienmonatskarte für je 29,50 Euro kaufen. Künftig müssen sie ein Jahresticket für 300 bezahlen. Das ist eine Preissteigerung von mehr als 41 Prozent. Zynisch ist, dass die Stadt diese Erhöhung auch noch als Serviceleistung für Studierende verkauft. Man habe mit dieser Aktion nämlich, »ein Anliegen vieler Studierender umgesetzt«, da man jetzt nur noch eins statt vier Tickets im Jahr brauche.
Die Wiener SPÖ hat immer davon profitiert, dass die meisten Leute – von Linken bis hin zu Nicht-Rechtsextremen – halbwegs zufrieden mit ihrer Verwaltung der Stadt waren. Das zeigte sich unter anderem daran, dass Michael Ludwig bei der Wien-Wahl im April mit rund 40 Prozent immer noch mit großem Abstand erster wurde. Diese Zeit könnte jetzt vorbei sein.
Natürlich hatte die Partei schon in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Maßnahmen gegen die arbeitende Bevölkerung durchgesetzt. Aber die Härte, mit der sie aktuell gegen armuts- und ausgrenzungsgefährdete Gruppen vorgeht, hat eine neue Qualität. Auch wenn sie sich folkloristisch so gern darauf beruft: Die SPÖ war schon vorher Lichtjahre vom Roten Wien der 1920er mit seinen Gemeindebauten, seinen öffentlichen Bädern und Sportanlagen für Arbeiter entfernt. Jetzt hat sie es ganz begraben.
Magdalena Berger ist Assistant Editor bei JACOBIN.