20. April 2025
»Deep Space Nine« war die Star-Trek-Serie, die sich am meisten traute. Während die neueren Produktionen des Franchise auf Tempo und Action setzen, stellte »Deep Space Nine« unbequeme Fragen über Krieg und Kapitalismus – vielschichtig, klug und überraschend aktuell.
Terry Farrell als Jadzia Dax und Nana Visitor als Major Kira Nerys in »Star Trek: Deep Space Nine.«
»Star Trek« (in Westdeutschland früher »Raumschiff Enterprise« genannt) ist seit nahezu sechs Jahrzehnten ein besonderes Phänomen der Popkultur. Mit A Different Trek – Radical Geographies of Deep Space Nine hat der Geograph David K. Seitz ein Buch vorgelegt, welches eine bei den Fans, meist Trekkies oder Trekker genannt, zwar äußerst beliebte, aber in der Wissenschaft bisher wenig beachtete Serie in den Fokus nimmt. Seitz stellt dabei Ansätze vor, wie man mit Gender Studies, Black Studies, Religionswissenschaft, Geographie, Geschichtswissenschaft oder verwandten wissenschaftlichen Ansätzen Aspekte der komplexen Geschichte einer Serie mit staffelübergreifenden Handlungen analysieren kann.
In den 1960ern schuf der Ex-Soldat und Ex-Polizist Gene Roddenberry mit »Star Trek« eine wirklich außergewöhnliche Serie. Während bis dahin meist Monster- und Grusel-Geschichten die Welt der Science-Fiction dominierten, erzählte Roddenberry in der ab dem September 1966 auf dem großen US-Fernsehsender NBC ausgestrahlten Serie Geschichten über ein Forschungsraumschiff, das fremde Welten erkundete und im Namen der Wissenschaft von Planet zu Planet zog. Der geborene Texaner nutzte das Sci-Fi-Setting, um die sendereigene Zensur zu umgehen und sagte später, dass er in »Star Trek« Kommentare über Geschlechterrollen, Religion, Vietnam und sogar Interkontinentalraketen machen konnte und das Studio alles durchgehen ließ, da es ja in der Zukunft spielte. Die Serie lief zwei Jahre erfolgreich, wurde dann jedoch auf einen Sendeplatz verschoben, der niedrige Quoten garantierte: Freitagabend. Nachdem dann erwartungsgemäß die Zuschauerzahlen sanken, wurde die Serie nach der dritten Staffel eingestellt.
Durch Wiederholungen bei lokalen TV-Sendern gewann die Serie nachträglich noch an Popularität. Seit 1979 erschienen dreizehn Kinofilme, jüngst erstmals ein Streaming-Film und seit 1987 neun weitere Fernsehserien, die fast immer das Szenario der ersten Serie abwandelten und neu interpretierten. Bei den Fernsehserien gab es zwei Wellen (1987 bis 2005 und 2017 bis heute), wobei im Verlauf der 1990er Jahre »Star Trek« zu einem der weltweit größten Franchises anwuchs und für eine gewisse Zeit den Zeitgeist mitprägte. Die aktuelle Welle von Serien und jüngst einem Film für Streaming-Dienste wiederum zementiert aus verschiedenen Gründen das Franchise als Nischenphänomen.
Im Gegensatz zu allen anderen Star-Trek-Serien stand im Zentrum von »Star Trek: Deep Space Nine« (abgekürzt DS9) kein den Weltall erkundendes Raumschiff, sondern eine Weltraumstation in der Peripherie. Während die anderen Raumschiffkapitäne zum Ende einer Folge von einem jeden Planeten wegfliegen konnten, blieb die Raumstation (fast) immer am gleichen Ort. Allein dieses neue Konzept machte die TV-Serie zu einer Fernsehserie »über Konsequenzen«, wie es der Drehbuchautor Robert Hewitt Wolfe einst passend formulierte.
Unter Fans gilt DS9 gemeinhin als die beste Serie des von Roddenberry erschaffenen Franchises. Trotz dieser Popularität gab es bis vor kurzem kein wissenschaftliches Werk, das sich ausführlich mit der Fernsehserie auseinandersetze bis der Geograph David K. Seitz nun A Different Trek – Radical Geographies of Deep Space Nine vorlegte. Als eine der frühen Serien in den 1990er Jahren hatte das Spin-Off eine staffelübergreifende Handlung. Charaktere, Freundschaften und Beziehungen entwickelten sich im Rahmen der im Autorenzimmer geschriebenen Drehbücher über Jahre hinweg. Trotz dieser lang angelegten Handlungsstränge erkundeten die Drehbuchschreiber immer wieder in einzelnen Folgen ethisch-moralische Dilemmata – eine der klassischen Stärken von »Star Trek«.
Die Pilotfolge von DS9 ist bis heute die erste Folge von allen Star-Trek-Serien mit den höchsten Einschaltquoten überhaupt. Das ist durchaus eine Besonderheit, hat aber auch mit den speziellen Gegebenheiten der Ausstrahlung zu tun: Die Originalserie aus den 1960ern lief auf dem großen Fernsehsender NBC, das erste Spin-Off »The Next Generation« dann bei verschiedenen Lokalsendern, die beiden DS9-Nachfolgeserien »Voyager« und »Enterprise« bei dem am Ende kurzlebigen Sender UPN des Paramount-Studios (der später in The CW aufging) sowie »Discovery« und »Strange New Worlds« in der Gegenwart auf dem Streaming-Dienst CBS All Access, der im Jahr 2021 in Paramount+ aufgegangen ist.
Allzu oft versuchten die Studiobosse in den vergangenen fünf Jahrzehnten, mit »Star Trek« neue Kanäle wie Fernsehsender und Streaming-Plattformen zu etablieren, da das Franchise in den Chefetagen der Mutterkonzerne stets als Zugpferd galt. Das führte zu einer Reihe von kreativen Fehlentscheidungen – so durfte »Voyager« nur episodisch erzählt werden, damit jede Woche neue Zuschauer neu einsteigen könnten und die Nachfolgeserie »Enterprise« trug anfangs nicht einmal den Franchise-Namen »Star Trek« im Titel, um Nicht-Eingeweihte nicht abzuschrecken (ein Fehler, der später korrigiert wurde und retrospektiv von Fans größtenteils ignoriert wird). Trotzdem scheiterten einige der vielen Medienprojekte (UPN und CBS All Access). »Deep Space Nine« hatte nie den Druck, neue Medienplattformen zu etablieren oder als Zugpferd des Franchise zu dienen – ein Segen für die kreative Freiheit der Serienschöpfer um Michael Piller und dem von Studioseite eingesetzten Rick Berman.
Durch diesen Spielraum konnte die im Januar 1993 gestartete Serie »Star Trek: Deep Space Nine« erzählerisch neue Pfade betreten. Als erste der Star-Trek-Serien wurde in DS9 eine staffelübergreifende Handlung erzählt und mehr als alle andere Serien des gleichen Universums thematisierte sie politische Themen wie Kapitalismus, Kolonialismus, Rassismus, Obdachlosigkeit, Terrorismus und nicht-heteronormative Lebensweisen. So kam es etwa in der vierten Staffel der Serie zu einer der ersten lesbischen Kussszenen der US-Fernsehgeschichte und ein Nebencharakter zitierte während eines Arbeitskampfes direkt aus dem Kommunistischen Manifest.
»Im aktuellen Star-Trek-Revival spielt DS9 so gut wie keine Rolle – und unterscheidet sich fundamental von den Serien des Franchises, die seit 2017 veröffentlicht werden.«
In sechs detaillierten Kapiteln zeichnet Seitz vom kalifornischen Harvey Mudd College nach, wie DS9 die verschiedenen – damals wie heute – aktuellen Themen anpackte. Die im Zentrum stehende Raumstation bei »Star Trek: Deep Space Nine« ist ein post-kolonialer Ort, den die faschistisch organisierten Cardassianer verließen, damit sie die bis dahin brutal unterdrückten äußerst religiösen Bajoraner (und die Föderation aus Menschen sowie den mit den Menschen verbündeten Völkern) übernahm. Auf der Seite der Bajoraner entstand mit der Befreiung der alten Besatzungsmacht eine neue eigenständige Regierung und vormalige Terroristen – oder Freiheitskämpfer, je nach Sicht des Betrachters – mussten sich fortan als reguläre Soldaten, Offiziere und staatliche Offizielle beweisen. Bei der Darstellung des Verhältnisses zwischen Cardassianern und Bajoranern zogen bereits viele Zeitgenossen Parallelen sowohl zu Israel/Palästina (der Oslo-Friedensprozess begann wie DS9 im Jahr 1993) als auch zu Nordirland (im selben Jahr begann der mehr oder weniger erfolgreiche Friedensprozess, der später im Karfreitagsabkommen mündete).
Der Ort des Geschehens der meisten Folgen von DS9 ist darüber hinaus auch ein post-industrieller Ort, der hauptsächlich als Transitpunkt für Reisende und als Raumhafen für den Handel durch den Weltraum dient. Die Weltraumstation steht dabei sinnbildlich für eine Dienstleistungsgesellschaft, die auf den Trümmern einer früheren industriellen Ordnung errichtet wurde. Die Drehbuchautoren von DS9 werden dabei nicht müde, soziale und kulturelle Kämpfe sowie nicht-technologische Innovationen als Schlüssel für eine wirtschaftlich gerechtere Zukunft in den Mittelpunkt zu stellen.
Seitz analysiert, wie vor diesen verschiedenen Folien die in den 1990er Jahren aktuelle Politik in »Star Trek: Deep Space Nine« kritisch kommentiert wurde. Die Bajoraner erinnern dabei an die Palästinenser, schließlich war die Dekade der 1990er die Zeit, in welcher aus vormaligen PLO-Terroristen Staatsmänner- und -frauen wurden, welche die palästinensische Autonomiebehörde aufbauten. In dem Buch zieht Seitz zusätzlich Parallelen zwischen einzelnen Aspekten von DS9 und der schwarzen Bürgerrechtsbewegung in den USA und diversen afrikanischen Befreiungsbewegungen, welche jeweils stark durch Religion geprägt wurden.
Der Geograph betont dabei, dass die vorliegende Quelle der Fernsehserie sowohl rassistisch als auch anti-rassistisch, kolonial und anti-kolonial, kapitalistisch und anti-kapitalistisch, patriarchal und feministisch sowie heteronormativ und queer gelesen werden kann. Genau wie die reale Welt nicht in einfache Gut-Böse-Schemata eingeteilt werden kann, gelingt das auch nicht im Falle von »Star Trek: Deep Space Nine«. Bereits in der ersten regulären Folge nach der Pilotepisode taucht ein Terrorist auf, der trotz des Friedensprozesses den bewaffneten Kampf fortführen will, was besonders die bajoranische erste Offizierin der Station, Major Kira Nerys (gespielt von Nana Visitor), vor ein Dilemma stellt, da sie selbst erst kurz zuvor die Waffen niedergelegt hat und nun einen vormaligen Mitstreiter von den Vorteilen des Friedensprozesses überzeugen muss. Später in der Serie entsteht eine von Menschen angeführte Terroristenbewegung, welche sich gegen Umsiedlungen wehrt, welche auf politische Lösungen zurückzuführen sind, die die politischen Zentren ausgehandelt haben. Die Ungerechtigkeiten vor Ort in der Peripherie stehen dabei in einem konstanten Spannungsverhältnis zu größeren Friedensprozessen, welche von den Protagonisten der Serie verteidigt werden (müssen).
In seinem Buch A Different Trek analysiert der Geograph Seitz nicht nur die Ebene der Handlung, sondern wirft auch einen Blick auf die Schauspieler, welche die Serie geprägt haben, allen voran Avery Brooks. Der Hauptdarsteller von DS9 ist bis heute der einzige Darsteller eines Star-Trek-Serien-Protagonisten, der auch Vollzeit als Professor gearbeitet hat. Brooks gelang es viele Jahre vor der Serie im Jahr 1976 als erster Schwarzer, einen Master of Fine Arts in Schauspiel und Regie an der renommierten Rutgers University in Neuengland zu erhalten. Seit 1979 spielte Brooks im Theater den Künstler und Aktivisten Paul Robeson und erhielt dafür viele positive Rezensionen. Robeson, ein überzeugter Sozialist, sah sich in der McCarthy-Ära mit politischer Repression in den USA konfrontiert und ging ins Exil. Nach seinem Tod im Jahr 1976 erhielt Robeson in den Vereinigten Staaten verstärkt Aufmerksamkeit und Avery Brooks trug mit seiner Theaterrolle dazu bei. Brooks‘ Robeson-Performance prägte dann in den 1990er Jahren auch seine Darstellung des Raumstationskommandanten in »Star Trek: Deep Space Nine«.
Trotz der großen Beliebtheit der Serie gibt es bis heute kaum wissenschaftliche Aufsätze zu »Star Trek: Deep Space Nine«. Der Geograph Seitz hat dabei seine Hausaufgaben gemacht und 37 Seiten Literaturverzeichnis belegen das überzeugend. Dank der dem Lesefluss abträglichen Harvard-Zitierweise wird das im Text auch immer wieder deutlich. Als Hilfe für Nicht-Eingeweihte enthält A Different Trek zum Anfang eine achtseitige Übersicht über die Charaktere in der Serie und die wichtigsten Personen hinter der Kamera. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Buch sowohl für Neulinge der jahrzehntealten Science-Fiction-Franchise als auch für alteingesessene Trekkies lesenswert ist, da Seitz der Serie viele neue Perspektiven hinzufügt und einige Verbindungen zur Politik in Geschichte und Gegenwart zieht.
»›Raumschiff Enterprise‹ wurde als fortschrittlich rezipiert, da auf der Brücke des namensgebenden Raumschiffes ein Russe, ein Japaner und US-Amerikaner nebeneinander dienten – inmitten der Systemkonfrontation ein Novum.«
Bereits in der Einleitung des Buches erzählt der Geograph die Anekdote, wie 2019 Briahna Joy Gray, die frischgebackene Pressesprecherin der damaligen Präsidentschaftskampagne von Bernie Sanders, den Black-Girl-Nerds-Podcast besuchte und dort gefragt wurde, welcher der Star-Trek-Kapitäne ihr Favorit sei, und sie antwortete, das sei Benjamin Sisko aus »Star Trek: Deep Space Nine«. Etwas zugespitzt schreibt Seitz, dass die Frau die »verdammt nah« dran war, Pressesprecherin des Weißen Hauses zu werden, in ihrer praktischen politischen Arbeit Parallelen zum Schicksal der Bajoraner aus dieser jahrzehntealten Science-Fiction-Serie zog.
Die besondere Relevanz der Serie kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass im aktuellen Star-Trek-Revival DS9 so gut wie keine Rolle spielt. Während Handlungsstränge und die Geschichte einiger Charaktere aus »Raumschiff Enterprise – Das nächste Jahrhundert« und »Raumschiff Voyager« in den jüngsten Serien »Picard« und »Prodigy« teilweise weitererzählt werden, bleibt die 1990er-Jahre-Serie über die Raumstation in der Peripherie dabei nahezu komplett außen vor. Das ist besonders schade, wenn man bedenkt, welche interessanten und weiterhin relevanten Themen bei DS9 im Fokus standen.
Die komplexe und sich über viele Folgen entwickelnde Handlung von DS9 sowie die Thematisierung von vielen internationalen Konflikten und teilweise sogar politökonomischen Themen unterscheidet sich auch fundamental von den Serien des Franchises, die seit 2017 veröffentlicht werden. »Star Trek« galt in den USA der späten 1960ern als progressiv, da eine schwarze Frau als gleichberechtigte Offizierin neben ihren weißen Kollegen diente und man schwarze weibliche Schiffsmitglieder zeitweise mit einer Afro-Frisur sah – ein bis heute in den Vereinigten Staaten aufgeladenes politisches Symbol. »Raumschiff Enterprise« wurde aber auch in Westeuropa und Japan als fortschrittlich rezipiert, da auf der Brücke des namensgebenden Raumschiffes ein Russe, ein Japaner und US-Amerikaner nebeneinander dienten – zwanzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und inmitten der Systemkonfrontation ein Novum.
Die Serien des Franchises in der Gegenwart wiederum haben jedwede Internationalität verloren. Zwar feiern die Produzenten der Serie diese weiterhin als progressiv, das bezieht sich aber einzig und allein auf einen US-Kontext und klammert den Kapitalismus als Thema komplett aus. In »Star Trek: Discovery« gab es endlich ein offen schwules Paar unter den Hauptcharakteren (ein Thema, mit welchem das Franchise in den 1990ern noch fremdelte) und die Serie schloss später auch trans und non-binäre Charaktere ein – wichtige Themen und das nicht nur für die USA. Themen wie Kapitalismus, Kolonialismus und Post-Kolonialismus spielen wiederum keine Rolle. Einen Venezolaner, einen Kubaner und einen Chinesen wird man heute auf den Brücken der aktuellen Serien des Franchises nicht finden – ganz im Gegensatz zum Beispiel zu der sehr guten Alternative-History-Sci-Fi-Serie »For All Mankind«, in welcher es ständig um die politischen Konflikte zwischen US-Amerikanern, Sowjets und Nordkoreanern bei der Besiedlung von Mond und Mars geht.
Hinter »For All Mankind« steht Drehbuchautor und Produzent Ronald D. Moore, der in den 1990ern noch bei »Star Trek« mitwirkte. Die Provinzialität eben jenes Franchises heute wurde besonders deutlich als eine Regionalpolitikerin der Demokratischen Partei als Präsidentin der Erde einen Gastauftritt hatte – eine Referenz, die jenseits der USA die wenigsten Zuschauer verstehen werden. Erschwerend hinzu kommt, dass die Handlungen der Serien wenig konsistent geschrieben sind und die neuesten Inkarnationen von »Star Trek« nur als simple Action-Serien ohne besonderen Tiefgang daherkommen. In einer Zeit der Verflachung des Geschichtenerzählens ist es umso wichtiger, auf die vielen verschiedenen inhaltlichen Dimensionen von »Star Trek: Deep Space Nine« hinzuweisen, die der Geograph David K. Seitz in seinem Buch A Different Trek – Radical Geographies of Deep Space Nine auf interessante und gut lesbare Weise analysiert hat.
David X. Noack lehrt Geschichte an der Universität Bremen. Er ist Historiker und Politikwissenschaftler mit den Schwerpunkten Osteuropa, Zentralasien und britisches Empire.