25. März 2024
Superreiche und ihre Konzerne genießen großzügige Steuerprivilegien vor Durchschnittsverdienern und Kleinunternehmen. Wenn die Politik nicht zeigt, dass sie ihre Profitinteressen dem Gemeinwohl unterordnen kann, sieht es schlecht aus für die Demokratie.
Die BMW-Erbin Susanne Klatten schüttelt die Hand des Bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder, Aufnahme vom 22. Juli 2022.
Deutschland ist ein Hochsteuerland für Menschen, die für ihr Geld arbeiten, aber ein Niedrigsteuerland für Superreiche, die einen Großteil ihres Einkommens aus Vermögen beziehen. Millionen kleiner Unternehmen sowie Durchschnittsverdiener-Familien tragen mehr zur Gemeinschaftskasse bei als die hochprofitablen Großkonzerne und die Milliardäre. Das ist in aller Kürze die Kernaussage des neuen Jahrbuchs Steuergerechtigkeit 2024.
An konkreten Beispielen zeigt das Jahrbuch, dass das vor dreißig Jahren noch anders war und warum es sich wieder ändern muss. Die Superreichen haben unser Steuersystem gekapert, doch wir können es wieder gerechter machen.
»Dem neoliberalen Zeitgeist folgend und unter dem Druck der großen Schattenfinanzplätze haben sich Regierungen weltweit in einen ruinösen Unterbietungswettbewerb begeben.«
Ein Paradebeispiel dafür, wie Konzerne ihre Profite vor der Steuer retten, ist Microsoft. Mithilfe seiner Berater hat Microsoft um die Jahrtausendwende angefangen, seine Gewinne in Steueroasen zu verschieben – vor allem nach Puerto Rico, Singapur und Irland. Bis heute hat Microsoft so etwa 300 Milliarden Euro an Steuern vermieden. Über die Frage, ob das legal war, wird bis heute vor allem in den USA mit zum Teil harten Bandagen gekämpft.
Ein ausführlicher ProPublica-Artikel aus dem Jahr 2020 zeigt, wie Microsoft die Ermittlungen der Steuerbeamten behindert und mehrfach versucht hat, die Steuerbehörde auch politisch zu schwächen. Trotzdem forderten die US-Behörden Ende 2023 zumindest die in den USA erwirtschafteten und nach Puerto Rico verschobenen Gewinne der letzten zwanzig Jahre zurück – insgesamt mehr als 30 Milliarden Euro. Auf Druck der Behörden ist die Struktur in Puerto Rico mittlerweile abgewickelt.
Die in Deutschland erwirtschafteten Gewinne landen jedoch weiterhin in Irland. Im Geschäftsjahr 2021/22 verbuchte Microsoft dort einen Gewinn von knapp 40 Milliarden Euro und zahlte nur knapp 7 Prozent Steuern. Das Geld, das Microsoft letztlich der Gemeinschaftskasse entzogen hat, nutzt der Unternehmensgründer Bill Gates unterdessen, um über seine Stiftung Macht zu kaufen.
2020/21 war die Gates Foundation mit fast 600 Millionen US-Dollar der zweitgrößte Geldgeber der Internationalen Gesundheitsorganisation (WHO). Mit 8,6 Milliarden US-Dollar ist das Budget der Stiftung für 2024 so groß wie das des kleinsten OECD-Landes Island und größer als das vieler Länder im Globalen Süden.
Raucherinnen und Raucher sind die besten Steuerzahler. Ihr Beitrag zum Steueraufkommen ist ähnlich groß wie das aus der Grundsteuer. Für die Tabakkonzerne gilt das aber nicht. Das Unternehmen Philipp Morris – mit einem Marktanteil von 40 Prozent der größte Anbieter in Deutschland – verbuchte für 2022 einen globalen Gewinn von 9 Milliarden Euro, zahlte aber weltweit nur 19 Prozent Steuern.
Insgesamt übersteigt der Schaden für die öffentlichen Gesundheitssysteme die Steuereinnahmen um ein Vielfaches. Obwohl Nikotin nachweislich schädlich ist und extrem süchtig macht, ist der Kampf darum, Jugendliche vor den Verlockungen der Werbefachleute zu schützen, auch nach Jahrzehnten nicht gewonnen.
»Rechtzeitig zur Diskussion über die Ernährungsstrategie der Bundesregierung startete der Süßstoff-Verband, der Coca Cola und Pepsico vertritt, eine Kampagne zur Verteidigung ›unserer Freiheit‹ – oder besser gesagt: der Freiheit ihrer Werbeabteilungen.«
Statt Zigaretten verkauft Red Bull vor allem extrem zuckerhaltige Getränke. Das Suchtpotenzial und der gesundheitliche Schaden dürften ähnlich groß sein wie beim Rauchen. Deswegen wird in Deutschland gerade intensiv über die Regulierung von Werbung diskutiert; Großbritannien hat bereits eine Zuckersteuer auf Süßgetränke eingeführt. Red Bull hat unterdessen 2022 insgesamt 2,3 Milliarden Euro für Werbung und Sponsoring ausgegeben – und stellt damit den Etat des Bundesgesundheitsministeriums für Prävention (1 Milliarde Euro) oder für die Bundeszentrale gesundheitliche Aufklärung (17 Millionen Euro) in den Schatten.
Genau rechtzeitig zur Diskussion über die Ernährungsstrategie der Bundesregierung startete der Süßstoff-Verband, der unter anderem Coca Cola und Pepsico vertritt, eine Kampagne zur Verteidigung »unserer Freiheit« – oder besser gesagt: der Freiheit ihrer Werbeabteilungen. Bei einer Dose Red Bull zum Preis von 1,59 Euro entfallen nur 85 Cent auf Produktion, Transport und Verwaltung, und immerhin 38 Cent auf Werbung. Der Rest ist privater Gewinn für die Erben des verstorbenen Unternehmensgründers.
Microsoft, Philipp Morris und Red Bull haben eine große Gemeinsamkeit. Mit ihrer Marktmacht, ihrem Markennamen und ihrem gut finanzierten Appell an die Schwächen der Konsumentinnen und Konsumenten erwirtschaften sie Gewinne, die es in der reinen ökonomischen Theorie eigentlich gar nicht geben dürfte – zumindest nicht langfristig. Mit 20 bis 40 Prozent liegt ihre Umsatzrendite deutlich über den »normalen« Renditen und hebelt so die Grundlage der Unternehmensbesteuerung aus.
Bei großen Konzernen sollen Verrechnungspreise eigentlich dafür sorgen, dass die Gewinne so auf die beteiligten Tochtergesellschaften und Länder verteilt werden, wie das bei vergleichbaren »normalen« und unabhängigen Unternehmen der Fall wäre. Aber wenn die Gewinne »unnormal« sind, funktioniert das nicht – und ein großer Teil dieser Gewinne landet regelmäßig in Steueroasen.
Der Vorschlag des Netzwerks Steuergerechtigkeit ist deswegen, diese Gewinne auch nicht normal zu besteuern. Passenderweise hat die OECD, die bisher für die internationalen Standards für die Unternehmensbesteuerung zuständig ist, gerade auf mehreren hundert Seiten festgehalten, was »normale« (Routinegewinne) und was »unnormale« (Residualgewinne) sind. Auf dieser Grundlage könnte die deutsche Bundesregierung im nationalen Alleingang – oder, besser noch, mit den europäischen Partnern – auf diese Residualgewinne eine zusätzliche Steuer erheben.
»Weniger als ein Fünftel der deutschen Milliardenvermögen basiert auf vom Gründer geführten Unternehmen.«
Genauso wie bei der französischen Digitalsteuer würden die Doppelbesteuerungsabkommen dem nicht entgegenstehen, weil es sich um eine neue, von den Abkommen nicht abgedeckte Steuer handelt. Nach Regeln der OECD wären knapp 200 Großkonzerne betroffen. Bei einem Steuersatz von 50 Prozent würde Deutschland von ihnen jährlich knapp 20 Milliarden Euro einnehmen – und gleichzeitig dafür sorgen, dass die größten und profitabelsten Konzerne nicht mehr niedriger besteuert werden als die vielen Millionen Kleinunternehmen.
Als Frau ist Susanne Klatten unter den deutschen Milliardären eher eine Seltenheit. Als Erbin nicht. Und auch die Tatsache, dass sie kein Unternehmen lenkt, sondern als Aufsichtsrätin, Investorin und Philantropin vor allem ihr Vermögenswachstum überwacht und verwaltet, ist für die deutschen Milliardenvermögen typisch. Weniger als ein Fünftel der deutschen Milliardenvermögen basiert auf vom Gründer geführten Unternehmen.
Der Anteil von Susanne Klatten am BMW-Gewinn summierte sich dank ihres Aktienanteils von knapp 21 Prozent im Rekordjahr 2022 auf knapp 4 Milliarden Euro. 1 Milliarde davon wurde als Dividende an ihre Holdinggesellschaft ausgeschüttet. In der Hoffnung, dass BMW und Susanne Klatten dieses Geld sinnvoll investieren, wurde die darauf fällige Steuer seit 1996 von mehr als 60 Prozent auf nur noch 25 Prozent gesenkt. Von der niedrigen Steuer profitieren die Eigentümerinnen und Eigentümer aber unabhängig davon, ob das Geld sinnvoll investiert wird.
Wo das Geld investiert wird, lässt sich bei BMW anhand der Geschäftsberichte noch einigermaßen nachvollziehen. Ein großer Teil der einbehaltenen Gewinne floss zuletzt in die Übernahme der Anteile der chinesischen Joint-Venture-Partner von BMW Brilliance. In den letzten zehn Jahren wuchs vor allem die Händlerfinanzierung – also letztlich Kredite an die Kunden, vor allem in China – auf zuletzt 85 Milliarden Euro.
Was dagegen mit den an Klatten ausgeschütteten Dividenden – in den letzten zehn Jahren immerhin fast 5 Milliarden Euro – geschah, lässt sich nur zu einem kleinen Teil nachvollziehen. Die Parteispenden von BMW und den beiden Geschwistern Susanne Klatten und Stefan Quandt von knapp 6 Millionen Euro machen sie zwar zu den größten Spendern unter den Milliardären, fallen aber kaum ins Gewicht.
Über eine andere problematische Investition berichtete 2021 die Süddeutsche Zeitung: Über einen luxemburgischen Investmentfonds war Klatten am Kauf von Münchner Bestandswohnungen beteiligt. Erst als durch Mieterhöhungen aufgeschreckte Mieterinnen und Mieter durch einen seltenen Zufall an interne Unterlagen des Fonds gelangten, wurde die Beteiligung von Susanne Klatten öffentlich – und von ihr umgehend beendet. An anderer Stelle geht das Vermögenswachstum unbemerkt und niedrig besteuert weiter – egal, ob damit Arbeitsplätze geschaffen werden oder nur mit steigenden Wohnungspreisen spekuliert wird.
Statt um 89 Wohnungen – wie im Fall von Susanne Klatten – geht es bei der Familie W. um etwa 6.000 Münchner Wohnungen. Die zwei Geschwister bekamen die ehemals gemeinnützigen Wohnungen 2015 von ihrem Vater geschenkt. Weil die Mieten seit dem Ende der Gemeinnützigkeit und der Preisbindung jedes Jahr um etwa 5 Prozent gestiegen sind – also so schnell, wie es die Mietpreisbremse gerade noch erlaubt –, erwirtschaftete das geerbte Unternehmen zuletzt einen Gewinn von fast 30 Millionen Euro.
»Die großen Vermögen können quasi steuerfrei auf die nächste Generation übertragen werden und die Vermögenserträge aus ihren Unternehmen werden nur mit etwa 25, 17, 7 oder sogar nur 2 Prozent besteuert.«
Statt in Modernisierung oder Neubau flossen diese Gewinne bisher vor allem in den Schuldenabbau. Als Ergebnis ist das Portfolio im Wert von etwa 1 Milliarde Euro mittlerweile quasi schuldenfrei. Das Netto-Vermögen der Familie wächst also jedes Jahr – und profitiert dabei von einem spektakulär niedrigen Steuersatz von nur 17 Prozent.
Der Grund dafür stammt noch aus der Nazi-Zeit: Um Investitionen in den Wohnungsbau zu fördern, können sich Wohnungsunternehmen von der Gewerbesteuer befreien lassen und zahlen damit nur Körperschaftssteuer und Soli – ob sie tatsächlich Wohnungen bauen, spielt dabei keine Rolle.
Über einen der weltweit wohl niedrigsten Steuersätze durfte sich auch 2023 wieder Klaus-Michael Kühne freuen. Hapag-Lloyd gehört zu einem der zehn Anbieter, die zusammen 80 Prozent der globalen Containerkapazitäten kontrollieren. Dank Preisexplosion nach der Coronakrise erzielten diese Unternehmen 2021 und 2022 Rekordrenditen von bis zu 50 Prozent und auch für 2023 wird die Rendite voraussichtlich noch bei etwa 20 Prozent liegen.
Wegen der sogenannten Tonnagesteuer wurden darauf lediglich etwa 2 Prozent Steuern fällig. Grund dafür: Die Logistikanbieter hatten mit dem Versprechen oder der Drohung, ihre hochmobilen Schiffsflotten in andere Länder zu verlegen, ein Land nach dem anderen von der Sonderregel überzeugt.
Schon 1999 startete Deutschland als eines der ersten Länder in den wechselseitigen Unterbietungswettbewerb. Letztlich profitiert davon aber wieder nur eine Gruppe – die profitabelsten Großkonzerne und deren milliardenschwere Eigentümerinnen und Eigentümer – auf Kosten aller anderen Steuerzahler weltweit. Dass auch die Stadt Hamburg als Hapag-Lloyd-Aktionär von der Sonderregel profitiert, stellt nebenbei noch den Länderfinanzausgleich auf den Kopf.
In den vergangenen zehn Jahren hat sich der Wert der deutschen Milliardenvermögen etwa verdreifacht, während die ärmere Hälfte der Deutschen weiterhin so gut wie kein Vermögen besitzt. Dass die großen Vermögen quasi steuerfrei auf die nächste Generation übertragen werden können und die Vermögenserträge aus ihren Unternehmen nur mit etwa 25, 17, 7 oder sogar nur 2 Prozent besteuert werden, hat wesentlich dazu beigetragen.
Eine Vermögenssteuer auf Milliardenvermögen – wie der französische und der brasilianische Finanzminister sie beim G20-Finanzministertreffen in Brasilien im Februar 2024 und der US-amerikanische Präsident in seiner Rede zur Lage der Nation gefordert haben – würde die Vermögensanhäufung zwar nicht stoppen, aber verlangsamen.
»Hätte man den 24 Menschen, die 2022 zusammen 6 Milliarden Euro geschenkt bekommen haben, das Steuerprivileg gestrichen, wären allein von ihnen 1,43 Milliarden Euro mehr Steuern fällig geworden.«
Bei einem Steuersatz von 2 Prozent müsste Susanne Klatten von ihrer BMW-Dividende etwa 20 Prozent mehr abgeben, vom BMW-Gewinnanteil sogar nur 6 Prozent. Um die von Biden geforderte Mindeststeuer von 25 Prozent – einschließlich der Wertsteigerungen – zu erreichen, müsste der Steuersatz noch um ein Vielfaches höher sein.
Hätte man den 24 Menschen, die 2022 zusammen 6 Milliarden Euro geschenkt bekommen haben, ihre »Bedürftigkeit« aberkannt und das Steuerprivileg gestrichen, wären allein von ihnen 1,43 Milliarden Euro mehr Steuern fällig geworden. Das wäre etwa das Zehnfache dessen, was härtere Sanktionen für Bürgergeldempfänger einsparen. Und der Wert wird in den nächsten Jahren, wenn die Verschonungsbedarfsprüfung ihre Wirkung entfaltet, noch deutlich ansteigen.
Dem neoliberalen Zeitgeist folgend und unter dem Druck der großen Schattenfinanzplätze haben sich Regierungen weltweit in einen ruinösen Unterbietungswettbewerb begeben. In Deutschland wurde zur Jahrtausendwende die Vermögenssteuer ausgesetzt, die Steuer auf angesparte Unternehmensgewinne halbiert, der Spitzensteuersatz gesenkt und zum Ausgleich die Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte angehoben. Mit diesen absurden Privilegien hat sich das Steuersystem in den Dornröschenschlaf verabschiedet.
Trotzdem – oder gerade deswegen – wurde weder im privaten noch im öffentlichen Sektor genug in die Zukunft investiert. Stattdessen sind die Preise von Bestandsimmobilien und Unternehmensaktien explodiert und das Vermögen der Milliardäre hat sich verdreifacht. Aber der Zeitgeist hat sich gewandelt. Mit dem automatischen Informationsaustausch für Finanzkonten und dem Vorschlag zur Neuverteilung von Besteuerungsrechten für große Konzerne hat die OECD das Ende der Schattenfinanzplätze eingeläutet. In Brasilien, Frankreich und den USA ist das Umdenken beim Steuersystem schon auf höchster Ebene angekommen.
Es ist Zeit, dass wir auch in Deutschland endlich erkennen: Unser Steuersystem braucht dringend ein Update. Wenn sie nicht untergehen will, muss die Demokratie beweisen, dass sie die Mehrheit der ehrlichen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler und der kleinen Unternehmen über die wenigen hundert Profiteure der größten Steuerprivilegien und des globalen Steuermissbrauchs stellen kann.
Das Jahrbuch Steuergerechtigkeit 2024 kann auf der Website des Netzwerks Steuergerechtigkeit eingesehen und heruntergeladen werden.
Christoph Trautvetter ist Koordinator des Netzwerks Steuergerechtigkeit.