13. Mai 2024
Die Steuersätze typischer Multimillionärinnen und Milliardäre liegen in Deutschland und Österreich weit unter den vorgesehenen Höchststeuersätzen. Ausgerechnet die als Steuersumpf bekannte Schweiz zeigt: Eine Vermögenssteuer kann gegenlenken.
Mark Mateschitz, Sohn des verstorbenen Red-Bull-Mitbegründers Dietrich Mateschitz, mit Victoria Swarovski in der Startaufstellung der Formel 1 in Spielberg.
Bei der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington unterstützten der französische Finanzminister und die Chefin des IWF einen koordinierten Vorstoß für eine höhere Besteuerung von Superreichen. Bereits beim Treffen der G20-Finanzminister im Februar dieses Jahres setzte der brasilianische Finanzminister die Vermögensteuer zum ersten Mal auf die Agenda. Zur Debatte stand eine globale Mindeststeuer von 2 Prozent auf die Vermögen der reichsten Menschen weltweit. Zudem forderte auch Joe Biden in seiner Rede zur Lage der Nation im März eine Mindeststeuer von 25 Prozent auf die Einkommen von Milliardärinnen und Milliardären.
Christian Lindner äußerte sich am Rande der IWF-Tagung erwartungsgemäß ablehnend. Es gebe bereits eine angemessene Besteuerung von Einkommen. Das stimmt offenkundig nicht, wie aktuell Untersuchungen des Netzwerks Steuergerechtigkeit, des Momentum Instituts und der KOF/ETH Zürich zu den tatsächlichen Steuersätzen von Superreichen in Deutschland, Österreich und der Schweiz zeigt.
Eigentlich ist das Steuersystem für demokratische Gesellschaften ein zentrales Instrument, um sozialen Ausgleich zu schaffen und Veränderungsprozesse, die im Interesse der Allgemeinheit liegen – wie etwa die ökologische Transformation – zu finanzieren und zu lenken.
In den meisten Demokratien sollen Steuersysteme mit progressiv ansteigenden Steuersätzen diese Aufgaben erfüllen. Menschen mit hohen Einkommen tragen demnach nicht nur einen höheren absoluten Betrag, sondern auch einen höheren relativen Anteil ihres Einkommens zur Gemeinschaftskasse bei. Allerdings haben in den vergangenen Jahrzehnten reichenfreundliche Reformen dafür gesorgt, dass die Steuersysteme gerade bei den höchsten Einkommen versagen und eine progressive Besteuerung entsprechend der Leistungsfähigkeit nicht mehr gewährleisten.
Bereits im vergangenen Jahr konnten Forschende für die USA, Frankreich und die Niederlande in Zusammenarbeit mit ihren nationalen Steuerbehörden nachweisen, dass die Steuerquoten bei den Superreichen wieder abnehmen. Unternehmenssteuern sind praktisch die einzige Steuerart, die sie entrichten. Und weil Steuerwettbewerb und künstliche Gewinnverschiebung dafür gesorgt haben, dass sowohl nominale als auch effektive Steuersätze für Unternehmen weltweit seit vielen Jahren sinken, werden Multimillionen- und Milliardeneinkommen nur noch mit 20 bis 30 Prozent besteuert.
»Das progressive Steuersystem ist darauf ausgerichtet, die breite Masse der arbeitenden Bevölkerung zu besteuern.«
Auch die reichsten Deutschen und Österreicher zahlen zu wenig in die Staatskasse. In der Schweiz trägt immerhin eine Vermögensteuer dazu bei, dass Superreiche mehr als die Steuer zahlen, die ihre Unternehmen entrichten, wie die neue Studie zeigt.
Berechnet wurden die Steuern und Sozialabgaben, die das reichste Prozent sowie Durchschnittsverdienende tatsächlich zahlen, und in welchem Verhältnis diese tatsächlichen Zahlungen zu den jeweiligen Höchststeuersätzen stehen. In Deutschland liegt der Höchststeuersatz bei 47,5 Prozent (Reichensteuersatz inklusive Solidaritätszuschlag) und in Österreich bei 55 Prozent. In der Schweiz hängt der Satz stark vom Wohnort ab und schwankt zwischen 22 Prozent in Zug und 45 Prozent in Genf.
Weil Steuerdaten zu hohen Vermögen lückenhaft sind, arbeitet die Studie mit exemplarischen Modellrechnungen für die Anteilseignerinnen und -eigner der größten Familienunternehmen des jeweiligen Landes. In Deutschland sind das die BMW-Erben Susanne Klatten und Stefan Quandt, in Österreich der Red Bull-Erbe Mark Mateschitz und in der Schweiz die Roche-Erben Jörg Duschmalé und André Hoffmann. Ihr Einkommen, ihre Steuerzahlungen und damit auch ihre effektiven Steuersätze (Anteil der Steuern am Einkommen) lassen sich näherungsweise aus den öffentlich zugänglichen Geschäftsberichten ihrer Unternehmen und den Beteiligungsstrukturen berechnen.
Während die Roche-Erben mit einem Steuersatz von rund 32 Prozent immerhin etwas mehr als drei Viertel des geltenden Höchststeuersatzes ihres Kantons (40,5 beziehungsweise 41,5 Prozent) abgeben, liegen die Steuersätze der Menschen mit Milliardenvermögen in Deutschland und Österreich bei lediglich 26 Prozent beziehungsweise 25 Prozent und damit weit unter den jeweiligen nationalen Höchststeuersätzen (47,5 beziehungsweise 55 Prozent). Auch die typischen Multimillionäre bleiben in Deutschland und Österreich deutlich unter den Höchststeuersätzen: Ihre Steuer- und Abgabensätze liegen bei rund 29 Prozent in Deutschland und 30 Prozent in Österreich.
Wie kann es sein, dass der effektive Steuersatz auf die Einkommen der reichsten Personen eines Landes weit unterhalb des geltenden Höchststeuersatzes liegt? Und warum gelingt es der Schweiz, Milliardärinnen und Milliardäre angemessener zu besteuern?
Das progressive Steuersystem ist darauf ausgerichtet, die breite Masse der arbeitenden Bevölkerung zu besteuern. Arbeitseinkommen werden in der Regel vollständig dem progressiven Einkommensteuertarif unterworfen. Das bedeutet, dass auch der Vorstand eines DAX-Unternehmens auf sein Millioneneinkommen den Reichensteuersatz zahlt. Ebenso zahlen Milliardärinnen und Milliardäre, sofern sie arbeiten, diesen Steuersatz auf ihre Arbeitseinkommen (Aufsichtsratsvergütungen oder Geschäftsführergehälter).
Allerdings machen diese Einkommensquellen nur einen geringen Anteil ihres Gesamteinkommens aus. Das Einkommen der Superreichen besteht zum größten Teil aus den Gewinnen und Dividenden ihrer Unternehmen sowie aus den Renditen ihrer Investitionen. Im Gegensatz dazu bestreiten die Durchschnittsverdienenden ihren Lebensunterhalt hauptsächlich mit Arbeitseinkommen. Entscheidend für die Besteuerung der Reichen ist also die Besteuerung der Vermögenseinkommen, vor allem – aber nicht nur – aus Unternehmensbeteiligungen.
»Entscheidend für die Besteuerung der Reichen ist also die Besteuerung der Vermögenseinkommen, vor allem – aber nicht nur – aus Unternehmensbeteiligungen.«
Unternehmensgewinne unterliegen in allen drei Ländern einer zweistufigen Besteuerung. Zunächst werden die Gewinne im Unternehmen selbst besteuert. Die unternehmensbezogenen Steuersätze variieren zwischen durchschnittlich 13 Prozent in der Schweiz, 23 Prozent in Österreich und im Schnitt 30 Prozent in Deutschland. Sowohl innerhalb der Schweiz als auch in Deutschland gibt es aber Kantone beziehungsweise Kommunen, die deutlich niedrigere Steuersätze verlangen.
Im Schweizer Kanton Zug liegt der Steuersatz beispielsweise unter 12 Prozent und in deutschen Gemeinden mit sehr niedrig angesetzter Gewerbesteuer fällt der Steuersatz auf bis zu 23 Prozent. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Ausnahmen, beispielsweise für Erträge aus Patenten oder aus Mieteinnahmen. Gerade die größten und profitabelsten Unternehmen schaffen es mit aggressiver Steuergestaltung einen großen Teil ihrer Gewinne in sogenannte Steuersümpfe zu verschieben.
Im zweiten Schritt werden die Unternehmensgewinne bei der Ausschüttung an die Anteilseignerinnen und Anteilseigner besteuert. Auf diese Kapitalerträge sind in Deutschland 26,4 Prozent und in Österreich 27,5 Prozent Steuern zu zahlen. In der Schweiz wird – bei einer Beteiligung von mehr als 10 Prozent – ein Teil des ausgeschütteten Gewinns steuerbefreit und der Rest zum Einkommensteuersatz versteuert. In Kombination mit den gesetzlichen Unternehmenssteuern entspricht diese Schweizer »Gewinnsteuer« weitgehend den Höchststeuersätzen der Einkommensteuer.
Allerdings kann die zweite Stufe der Besteuerung in allen drei Ländern vermieden werden, indem die Anteile am Unternehmen über vermögensverwaltende Gesellschaften gehalten werden. Wird der Gewinn an solche Gesellschaften ausgeschüttet, fällt keine Steuer oder nur ein Bruchteil dessen an, was Kleinaktionärinnen auf ihre Kapitalerträge zahlen. Wenn die in der vermögensverwaltenden Gesellschaft angesparten Gewinne reinvestiert werden, profitieren deren Eigentümer vom Zinseszins-Effekt. Dieser sorgt dafür, dass ihre niedrig besteuerten Vermögen noch schneller wachsen als ohnehin.
»Eine Übertragung des Schweizer Modells der Besteuerung von Vermögen, Erbschaften und Schenkungen auf Deutschland würde hierzulande die Vermögensteuereinnahmen drastisch erhöhen: von aktuell 9 auf 73 Milliarden Euro.«
Lediglich in der Schweiz sorgt die Vermögensteuer dafür, dass die Steuersätze von Hochvermögenden deutlich näher an den jeweiligen Höchststeuersätzen liegen. Die Vermögensteuer wirkt wie eine indirekte Steuer auf Vermögenserträge, der man sich auch durch Beteiligungsstrukturen nicht entziehen kann. Egal ob die Unternehmensanteile direkt oder über andere Gesellschaften gehalten werden – Vermögende müssen sich einen Teil der Gewinne auszahlen lassen, um daraus die Vermögensteuer zu begleichen.
Warum ist die Schweiz bei Steuerflüchtlingen dennoch so beliebt? Das liegt daran, dass ausländische Vermögende eine Vergünstigung erhalten, die Schweizer Staatsbürgern nicht zuteilwird. Menschen ohne Arbeitseinkommen, die ihr Steuerdomizil in die Schweiz verlegen, zahlen nur eine pauschale, stark reduzierte Vermögensteuer. Dabei wird das Vermögen typischerweise auf das Zwanzigfache der jährlichen Durchschnittsausgaben festgesetzt und damit das Vermögen der Superreichen massiv unterschätzt. Zieht man in einen Niedrigsteuerkanton, lassen sich noch mehr Steuern sparen. Insgesamt ist die Vermögensteuer in der Schweiz so niedrig, dass nur wer keine oder kaum Erträge auf das Vermögen erwirtschaftet, die Steuer aus der Substanz des Vermögens bezahlt. Aus diesem Grund vermag sie die Vermögensungleichheit nur mäßig zu mindern.
Dennoch zeigt die Schweiz: Eine Vermögensteuer ist trotz des Wettbewerbsdrucks von Kantonen und Staaten möglich. Mit immerhin knapp 7 Prozent trägt sie zum Steueraufkommen der Schweiz bei. Ein weiteres Prozent stammt aus Steuern auf Erbschaften und Schenkungen. Eine Übertragung des Schweizer Modells der Besteuerung von Vermögen, Erbschaften und Schenkungen auf Deutschland würde hierzulande die Vermögensteuereinnahmen drastisch erhöhen: von aktuell 9 auf 73 Milliarden Euro.
Die in Brasilien und in den USA diskutierte Vermögensteuer von 2 Prozent würde den Steuersatz der deutschen Beispiel-Milliardärinnen auf etwa 35 Prozent ihres Einkommens erhöhen. Gäbe es außerdem eine Mindeststeuer von 25 Prozent auf das wirtschaftliche Einkommen, müssten die BMW-Erben insgesamt rund 43 Prozent auf ihre Milliardeneinkommen abführen. Auch diese Zahl liegt noch unterhalb des geltenden Reichensteuersatzes. Zumindest aber wäre dafür gesorgt, dass die Milliardenvermögen weniger schnell wachsen. Über das Steuersystem lassen sich nicht alle Probleme lösen, aber die Zahlen zeigen: das Umsteuerungspotential ist groß und man muss nicht auf internationale Lösungen warten.
Julia Jirmann ist Referentin für Steuerrecht beim Netzwerk Steuergerechtigkeit.