22. April 2021
Steven Donziger gewann einen milliardenschweren Prozess gegen den Ölgiganten Chevron. Seither wird er von dem Konzern verklagt und verleumdet. Nach zwanzig Monaten unter Hausarrest spricht er mit JACOBIN über Chevrons Verbrechen und den gesetzwidrigen Prozess gegen ihn.
Steven Donziger in Ecuador mit einer Gruppe der Waorani, die er im Prozess gegen Chevron vertrat.
Der Menschenrechtsanwalt Steven Donziger kann mit gutem Recht als der erste politische Gefangene eines Unternehmens in den USA bezeichnet werden. Donziger, der seit zwanzig Monaten unter Hausarrest steht, war Teil eines Rechtsteams, das 2011 einen milliardenschweren Gerichtsprozess gegen den Ölkonzern Chevron gewann, der die verheerenden Aktivitäten des Unternehmens im Amazonasgebiet von Ecuador anklagte.
Diesen Erfolg konnte Donziger aber nur kurz genießen, denn bald darauf startete Chevron eine beispiellose Verleumdungskampagne und juristische Offensive gegen ihn. Infolge des äußerst fragwürdigen Urteils eines Richters mit Verbindungen in die Tabakindustrie, der Chevron wiederholt öffentlich gelobt hat, steht Donziger inzwischen seit über 600 Tagen in seinem Haus in New York City unter Arrest.
Donziger hat Unterstützung aus der ganzen Welt erhalten: 55 Nobelpreisträger, Hunderte von Juristen und Menschenrechtsorganisationen sowie Prominente wie Sting, Danny Glover und Roger Waters verurteilen Chevrons Kampagne gegen ihn. Am 10. Mai wird er sich vor einem Gericht in New York City wegen Missachtung des Gesetzes verantworten müssen. Der Prozess wird von einer Richterin geleitet, die der Federalist Society angehört – einer rechtsgerichteten Gruppierung, zu deren Spendern Chevron zählt.
JACOBIN sprach mit Donziger über seine Arbeit, bei der er Chevrons Verbrechen gegen die ecuadorianische Bevölkerung aufgedeckt hat, sowie über seinen eigenen Prozess und den gefährlichen Präzedenzfall, der es Konzernen erlaubt, ihre Kritiker gerichtlich zu verurteilen.
Für Dich begann alles mit Deiner Mitarbeit in einem Rechtsteam, das – mit Erfolg – gegen Chevron geklagt hatte. Worum ging es bei dieser Klage?
Ich kam erstmals im April 1993 mit diesem Fall in Berührung. Damals wurde ich eingeladen, als Teil einer Delegation von Juristinnen und Wissenschaftlern die – wie man uns sagte – vielleicht schlimmste ölbedingte Umweltkatastrophe der Welt zu untersuchen. Das Ziel unserer Reise war ein Gebiet des ecuadorianischen Amazonas, direkt südlich der Grenze zu Kolumbien.
Dort erwartete uns eine wirklich apokalyptische Szenerie: riesige Ölpools von der Größe olympischer Schwimmbecken, mitten im Dschungel; Hunderte und Aberhunderte giftige Abfallgruben unter freiem Himmel, die Chevron für die Entsorgung toxischer Abfälle ausgehoben hatte. In die Seiten dieser Becken waren Rohre eingelassen, sodass Chevron den krebserregenden Inhalt in nahegelegene Flüsse und Bäche leiten konnte, auf die die lokale indigene Bevölkerung und andere ländliche Bauerngemeinschaften für ihr Trinkwasser sowie zum Baden und Fischen angewiesen waren.
Es lag auf der Hand, dass diese Verschmutzung absichtlich herbeigeführt wurde, um die Produktionskosten zu senken. Die Katastrophe, deren Zeugen wir wurden, hat mich in vielerlei Hinsicht sehr bestürzt. Aber am meisten beunruhigt hat mich, dass das alles mit Absicht geschah. Das war kein Unfall gewesen. Mit der Zeit begannen Experten, dieses Gebiet als das Tschernobyl des Amazonas zu bezeichnen. Ich bin der Überzeugung, dass es sich nach objektiven Maßstäben um die wohl schlimmste ölbedingte Kontamination auf der Erde handelt. Und sie wurde verursacht durch Chevron. Aber das Unternehmen weigert sich, die Verantwortung dafür zu übernehmen und den von der Verschmutzung betroffenen Menschen Entschädigung zu zahlen – obwohl dies von mehreren Gerichten angeordnet wurde.
Ich wurde Teil des Rechtsteams, das die Klage gegen Chevron bearbeitete, und das Verfahren endete 2011 mit einem Erfolg für die Menschen in Ecuador. Das ecuadorianische Gericht entschied, dass Chevron haftbar ist und den betroffenen Gemeinden für die Beseitigung der Verschmutzungen 9,5 Milliarden US-Dollar schuldet. Doch das Unternehmen hat bis heute nichts davon gezahlt. Stattdessen verfolgt es seitdem eine Angriffsstrategie gegen mich und andere, um die Strafe zu umgehen.
Anstatt dem Urteil des ecuadorianischen Gerichts Folge zu leisten, das von mehreren Berufungsgerichten – einschließlich der Obersten Gerichtshöfe von Ecuador und Kanada – bestätigt wurde, hat sich Chevron einfach rundheraus geweigert, mit dem Gesetz konform zu gehen. Führungskräfte des Unternehmens haben der indigenen Bevölkerung von Ecuador mit lebenslangen Prozessen gedroht, wenn sie die Klage nicht fallen lassen. Und sie haben im Rahmen einer Verleumdungskampagne eine Reihe von Gerichtsverfahren gegen mich eingeleitet, die mich finanziell ausgeblutet und mich ohne Anhörung meiner Anwaltslizenz beraubt haben – auf Grundlage gefälschter Beweise, vorgelegt von einem von Chevron bezahlten Zeugen.
Meiner Ansicht nach versuchen Chevron, dessen Anwaltskanzlei Gibson, Dunn & Crutcher und der New Yorker Richter Lewis A. Kaplan das Justizsystem der USA zu instrumentalisieren, um das Urteil des ecuadorianischen Gerichts zu untergraben. Deswegen haben sie mich ins Visier genommen und versuchen, mich persönlich zu zerstören und meine Arbeit zu kriminalisieren. Und die Art und Weise, in der sie das tun, kommt meiner Meinung nach einer ungeheuerlichen Verletzung der Menschenrechte und einer Missachtung jeglichen menschlichen Anstands gleich.
Ich möchte nochmals betonen, dass die Angriffe gegen mich fast vollständig auf gefälschten Beweisen beruhen. Sie wurden vor dem US-Gericht vom ehemaligen ecuadorianischen Richter Alberto Guerra vorgebracht – einem Mann, dem Chevron 2 Millionen Dollar gezahlt hat, in bar und in Form von Zuwendungen, um gegen mich auszusagen. Dabei gab es keinen stichhaltigen Beweis dafür, dass ich, wie mir vorgeworfen wurde, den Prozessrichter im Fall gegen Chevron bestochen hätte. Nichts dergleichen ist geschehen.
Guerra gab später zu, wiederholt vor Richter Kaplan gelogen zu haben. Er gibt zu, dass er korrupt ist. Er gibt zu, dass er massive Geldsummen von Chevron entgegengenommen hat, was gegen die Arbeitsethik juristischer Berufe verstößt. Dennoch hat Richter Kaplan, ein ehemaliger Anwalt der Tabakindustrie, Guerras Aussage gegen mich gelten lassen. Er hat mich ohne Geschworenenprozess eingesperrt, mit der Begründung, dass ich gegen Gerichtsanordnungen verstoßen habe, die Chevron entworfen hat, um meine Verteidigung zu beeinträchtigen.
Eine dieser Anordnungen war, dass ich meinen Computer und mein Handy an Chevron aushändigen sollte. Dagegen habe ich Berufung eingelegt. Aber während das noch in Berufung war, hat Richter Kaplan mich wegen Missachtung des Gerichts angeklagt und mich in meinem Haus unter Arrest gestellt, wo ich mich jetzt seit über 600 Tagen aufhalte, ohne Prozess, für eine Ordnungswidrigkeit – bei der die höchste Strafe, die jemals verhängt worden ist, 90 Tage Hausarrest beträgt.
Am 10. Mai soll Dein Prozess wegen Missachtung des Gerichts stattfinden. Die zuständige Richterin hat angekündigt, den Zoom-Zugang für diese Verhandlung zu unterbinden, sodass man nicht wird sehen können, was während der Sitzung geschieht. Wie ist der derzeitige Stand der Dinge?
Dies ist nur dem Namen nach ein Gerichtsprozess. In Wirklichkeit versuchen Chevron und Richter Kaplan, das Gesetz als Waffe zu benutzen und mich ohne eine Geschworenenjury und ohne eine neutrale Ermittlung zu kriminalisieren. Das ganze ist eine Farce: Ich werde nicht von einem Staatsanwalt angeklagt – die Staatsanwaltschaft hat sich geweigert, den Fall zu übernehmen –, sondern von einem Richter; Kaplan selbst hat Seward & Kissel, eine private Anwaltskanzlei von Chevron, damit beauftragt, mich im Namen des Volkes anzuklagen. Und die Richterin in meinem Prozess ist Loretta Preska. Sie ist ein hochrangiges Mitglied der Federalist Society, einer unternehmensfreundlichen Gruppierung, zu deren Spendern Chevron zählt.
Meine Ankläger haben also finanzielle Verbindungen zu Chevron, meine Richterin hat finanzielle Verbindungen zu Chevron, der Richter, der die Klage veranlasste, hat in Chevron investiert – und sie verweigern mir eine Geschworenenjury. Die Fakten in meinem Fall soll also eine Richterin beurteilen, die mich bereits für zwei Jahre eingesperrt hat, ohne Beweise zu hören. Sie hat mich längst vorverurteilt. Das technische Ergebnis der Verhandlung am 10. Mai ist also so gut wie vorbestimmt. Wenn dieser Prozess stattfindet, wird Richterin Preska mich verurteilen und ich werde in Berufung gehen. Aber es wird keinen Prozess geben, wie man ihn sich vorstellt. Denn es gibt niemanden, der daran interessiert wäre, die Tatsachen zu ermitteln.
Was können Menschen, die durch Deinen Fall und die gefährliche Präzedenz, die er schafft, beunruhigt sind, tun, um Dir vor dem 10. Mai und darüber hinaus zu helfen?
Man kann mir helfen, indem man das Geschehen bezeugt. Man kann sich auf unserer Website, FreeDonziger.org, anmelden. Wer in New York lebt oder die Möglichkeit hat, hier her zu kommen, sollte versuchen, persönlich zum Prozess zu erscheinen. Für alle anderen werden wir uns weiterhin dafür einsetzen, zumindest eine Audioübertragung der Verhandlung zu ermöglichen.
Viele Menschen auf der ganzen Welt haben großes Interesse daran bekundet, dem Prozess beizuwohnen, können aber aufgrund von Covid-19 nicht in die USA reisen. Auch im Gerichtsgebäude gibt es derzeit Einschränkungen, sodass nicht mehr als 20 bis 25 Prozent der Kapazität des Gerichtssaals für Publikum geöffnet sein werden. Meiner Ansicht nach macht sich Richterin Preska die Pandemie zunutze, um die öffentliche Aufmerksamkeit für dieses beschämende Verfahren so gering wie möglich zu halten.
Ihr habt außerdem eine Petition beim US-Justizministerium eingereicht.
Richtig. Eine Reihe von Juristinnen und Menschenrechtsorganisationen bittet das Justizministerium der Biden-Regierung, meinen Fall der privaten Anwaltskanzlei von Chevron zu entziehen – denn es ist illegal, von einer privaten Kanzlei strafrechtlich belangt zu werden, die einen Interessenkonflikt hat, und von einem Richter angeleitet wird, der einen schon einmal angeklagt hat. Im Grunde ist Richter Kaplan mein Richter, meine Jury und mein Ankläger. So etwas hat es noch nie gegeben – es ist eine gefährliche Präzedenz und eine Verletzung der Rechtsstaatlichkeit. Das wäre in keinem Land der Welt zulässig.
Außerdem kann man mir helfen, indem man an die Anwaltskanzlei spendet, die mich in diesem Verfahren verteidigt. Wir haben viel Unterstützung bekommen, darunter viele kleine Spenden über einige Dollar – und auch diese helfen. Ich werde von einem riesigen Ölkonzern angegriffen, der vor nichts zurückschreckt und über 60 Kanzleien und 2.000 Anwälte verfügt. Um dagegen anzukommen, braucht es Ressourcen.