18. Oktober 2021
Weniger Autos, dafür mehr Bus und Bahn: In Sachen Verkehrswende sind sich die Klimabewegung und die Beschäftigten des ÖPNV einig. Wie die Zusammenarbeit gelingen kann, erklären zwei Organizer im Interview.
Ohne bessere Arbeitsbedingungen im ÖPNV wird die Verkehrswende nicht gelingen. Umso wichtiger ist das Bündnis von Gewerkschaften und Klimabewegung.
Die Klimabewegung könnte den Kampf gegen die Kohle- und die Automobilindustrie gewinnen. Doch um es mit der fossilen Industrie aufzunehmen, müssen Gewerkschaften und Klimabewegung gemeinsam in den Ring steigen und zeigen, wie das Versprechen auf grüne Jobs und gute Arbeit eingelöst werden kann.
Eine gemeinsame Kampagne von Fridays for Future und den Beschäftigten des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) könnte die Blaupause für so ein mächtiges Bündnis sein. Ausgehend aus den Fridays- und Students-for-Future-Ortsgruppen entstanden in 25 Städten Aktionskomitees, die Ver.di in der Tarifrunde für den bundesweiten öffentlichen Personennahverkehr unterstützten. Im Gegenzug legte Ver.di die Tarifrunde als Klimakampagne an. Daraufhin streikten die Beschäftigen des ÖPNV gemeinsam mit der Klimabewegung für gute Arbeitsbedingungen und klimafreundliche Jobs.
Im Interview sprechen die Organizerinnen Alexis Karvountzis und Katharina Stierl über die Strategie hinter den Streiks und die wichtigsten Organizing-Tools der Kampagne.
Wie seid Ihr darauf gekommen, die Klimabewegung und die Gewerkschaften zusammenzubringen?
AK: Die Klimastreiks 2019 waren die größten Proteste in der Geschichte dieses Landes. Allein am 20. September waren 1,4 Millionen Menschen auf den Straßen – aber das hat nicht gereicht. Die Gewerkschaften wiederum haben Streikmacht, werden aber ohne politische Bündnisse auf der Stelle treten. Wir dachten uns: Zeit für echte Streikmacht fürs Klima. Wir müssen die Stärke der Klimabewegung mit den Gewerkschaften zusammenbringen.
KS: Die Tarifrunde im ÖPNV war dann der Punkt, an dem sich gezeigt hat: Hier überschneiden sich die Interessen der Klimabewegung und der Beschäftigten ganz klar. Denn wenn wir den Individualverkehr nicht reduzieren und stattdessen den ÖPNV stärken, werden die Emissionen nicht sinken. Aber der Ausbau von Bus und Bahn wird nur dann erfolgreich sein, wenn die Arbeitsbedingungen attraktiv sind und viele Menschen in diesem Bereich arbeiten wollen.
Wie habt ihr die Zusammenarbeit zwischen der Klimabewegung und Gewerkschafterinnen in die Wege geleitet?
KS: Zuerst haben wir die Zusammenarbeit auf Bundesebene vorgeschlagen – dort war man sehr aufgeschlossen. Aber um die Kampagne ins Rollen zu bringen, brauchte es natürlich die Zusammenarbeit mit den Bezirken. Da haben wir ganz andere Erfahrungen gemacht. Einige Aktivistinnen und Aktivisten von Fridays for Future sind auf die Bezirksleitung von Ver.di in Hannover zugegangen. Der Gewerkschaftssekretär dort hat sie dann erst einmal abgewimmelt und im Anschluss eine Mail über den Verteiler geschickt mit dem Betreff: »Kooperationsverbot mit Fridays for Future«.
AK: Wir sind dann in den Bezirken direkt über die Beschäftigten gegangen. Im zweiten Schritt haben wir mit Busfahrerinnen und Busfahrern genau geschaut, wen man ins Boot holen muss, damit das Thema Umweltschutz und gute Arbeitsbedingungen die Kolleginnen und Kollegen erreicht.
Wie habt Ihr zwischen Beschäftigten und der Klimabewegung eine Gesprächsebene aufgebaut?
AK: Wir haben immer eine Ich-Geschichte, eine Wir-Geschichte und eine Hier-und-jetzt-Geschichte erzählt. Diese Methode geht auf den US-amerikanischen Gewerkschafter Marshall Ganz zurück. Die Leute arbeiten nicht mit Dir zusammen, wenn sie Deine Motivation nicht verstehen. Wenn ich Busfahrerinnen und Busfahrer angerufen habe, erzählte ich ihnen von meiner Erfahrung als Organizer bei Ver.di, durch die ich viel Kontakt zu den Beschäftigten im ÖPNV hatte.
Die Wir-Geschichte war die Situation der Klimabewegung und der Gewerkschaft, also: 1,4 Millionen Menschen waren für Klimaschutz auf der Straße, richtig streiken können sie aber nicht. Die Gewerkschaft wiederum kann streiken, wird aber in den Tarifrunden oft nur mit kleinen Häppchen abgespeist. Also sollten wir uns zusammentun. Und dann kam die Einladung zu den gemeinsamen Aktiventreffen.
Für Euch ist Organizing ein entscheidender Begriff. Könnt Ihr erklären, was Ihr damit meint?
AK: Am besten erklärt das meiner Meinung nach die Gewerkschafterin Jane McAlevey. Sie unterscheidet Organizing von Advocacy und Mobilizing. Advocacy ist eine Expertinnenstrategie, also eine Politik aus dem Verhandlungszimmer. Für den gewerkschaftlichen Kontext bedeutet diese Strategie: Gute Ergebnisse basieren auf der Verhandlungsstärke von dafür ausgebildeten Fachleuten. Mobilizing bedeutet, ich nehme mir als Gewerkschaftssekretär fünf meiner Leute und sage ihnen genau, was sie tun sollen. Beim Organizing liegt der Fokus darauf, eine immer größere Zahl der Beschäftigten in Aktion zu bringen. Denn: Egal wie gut Du verhandeln kannst, wenn die Belegschaft draußen steht, dann wirst Du ein besseres Ergebnis erzielen.
Welche Ansätze waren besonders hilfreich?
KS: Wir haben alle zwei Wochen große Aktiventreffen mit Beschäftigten und Aktivistinnen und Aktivisten gemacht. Bei den Treffen konnte man erleben, wie wir immer mehr Menschen wurden und sich unsere Anliegen gegenseitig stärken.
AK: Für mich war der Strukturtest besonders zentral. Wir haben das mit einer Foto-Petition gemacht und versucht, alle Aktionen so zu gestalten, dass sie nicht nur nach außen wirken, sondern auch nach innen eine Struktur aufbauen. Die Busfahrerer sollten Fotos mit anderen streikbereiten Busfahrerinnen und Unterstützern machen. So konnten wir testen, wie groß das Potenzial für weitere Aktionen in der Belegschaft an den verschiedenen Standorten ist. Über diese Tests kann man auch die organischen Führungspersönlichkeiten in der Belegschaft identifizieren. Ob Du die Mehrheit der Menschen im Betrieb dazu bringen kannst, in die Gewerkschaft einzutreten und zu streiken, hängt auch maßgeblich davon ab, ob die organischen Führungspersönlichkeiten an Bord sind oder eben nicht.
KS: Aber auch die Wirkung nach außen ist zentral, denn wenn gestreikt wird, sind die Beschäftigten auf die Solidarität der Bevölkerung angewiesen: Wenn die Busse nicht fahren, müssen die Eltern ihre Kinder mit dem Auto in die Schule bringen. Man muss also die Notwendigkeit des Streiks gut vermitteln, damit Menschen widersprechen, wenn gegen die Streiks gehetzt wird.
Ver.di konnte sich in der Tarifrunde nicht durchsetzen. Ist die Kampagne damit gescheitert?
AK: Das würde ich nicht sagen. Beim Organizing geht es darum, das Selbstbewusstsein der Beschäftigten zu stärken und langfristige Strukturen aufzubauen. Außerdem ist es für das Umwelt- und Klassenbewusstsein wichtig, die Klimabewegung an die Gewerkschaften heranzuführen und umgekehrt. Die nächste Tarifrunde wird kommen und auch in Zukunft ist nur ein gemeinsames Vorgehen von Klimabewegung und Gewerkschaft sinnvoll.
Alexis Karvountzis ist Gewerkschafts-Organizer.
Katharina Stierl arbeitete als Krankenschwester bevor sie in Leipzig ihr Studium begann. Sie ist Mitbegründerin der Students for Future.
Die komplette Fassung dieses Interviews erschien im Podcast »Was tun?«.