18. September 2024
Studio Ghibli ist nicht das japanische Pendant zu Disney – sondern eher ein Anti-Disney. Die Filme der visionären Animatoren, die in der kommunistischen Bewegung Japans politisiert wurden, zelebrieren die Errungenschaften menschlicher Arbeit und die Solidarität gegen Krieg und Kapitalismus.
Standbild aus dem Studio-Ghibli-Klassiker »Prinzessin Mononoke« (1997).
Die Wurzeln eines der erfolgreichsten Animationsstudios der letzten Jahrzehnte liegen in einer Gewerkschaft, die die Beschäftigten der Animationsabteilung von Toei Doga, einem der größten japanischen Filmunternehmen, organisierte. Die Arbeitsbedingungen in der Branche waren Mitte der 1960er Jahre brutal. Täglich produzierten Teams von Animatoren hunderte Zeichnungen für Cartoons wie Astro Boy. Die Abgabefristen waren eng gesetzt und die Qualität irrelevant – mindestens ein Animator starb während der Arbeit. Zwei der bekanntesten Vertrauensleute der Gewerkschaft bei Toei waren die jungen Animatoren Hayao Miyazaki und Isao Takahata. Vom jungen Miyazaki existiert sogar ein Foto, auf dem er mit einem Megafon in der Hand einen Streik anführt. Zwanzig Jahre später gründeten Miyazaki und Takahata gemeinsam ihr eigenes Studio: Studio Ghibli.
Obwohl es sich der Produktion populärer Unterhaltung verschrieben hat, wollte Ghibli anders sein als die bereits existierenden Studios. Die fließenden und detailreichen Animationen stellen die Gefahren von Umweltzerstörung, Krieg und Kapitalismus offen dar. Sie blieben, wie das »rote Schwein« in Porco Rosso, unter dem politischen Radar. Miyazaki erklärte einmal: »Ich muss sagen, ich hasse Disneys Arbeiten«, obwohl Ghibli 1996 mit dem multinationalen Konglomerat ein Vertriebsabkommen fürs Ausland unterzeichnet hatte. Ghibli Filme waren nie Propaganda, aber sie verkörpern eine bestimmte Vorstellung von Ökosozialismus. Miyazaki und Takahata gehören zu den wenigen marxistischen Filmemachern, die der sozialistische Künstler und Denker William Morris als Gleichgesinnte angesehen hätte.
Gleichzeitig war die Politik Ghiblis nie ein Geheimnis. Mamoru Oshii, der Direktor von Patlabor und Ghost in the Shell, der aus der libertären Neuen Linken kam, bezeichnete Takahata als »Stalinisten« und Miyazaki als »sowas wie einen Trotzkisten« und die Ghibli Studios als »den Kreml«. Die Gewerkschaft bei Toei wurde, wie viele Gewerkschaften in den 1960ern, im Wesentlichen von der Kommunistischen Partei Japans kontrolliert. Obwohl Miyazaki beteuerte, nie ein zahlendes Mitglied gewesen zu sein, besteht kein Zweifel, dass er und Takahata Mitstreiter waren. In ihren Filmen kann man einige Anspielungen darauf entdecken. Das Fliegerass in Porco Rosso (1992) weigert sich der Luftwaffe unter Benito Mussolini zu dienen. Scherzend sagt er, »Ich bin lieber Schwein, als Faschist«. In einer anderen Szene singt seine Geliebte Gina »La Temps des Cerises«, die Hymne der Pariser Kommune. Am stärksten zeigt sich die Politik bei Ghibli in den Filmen, die sich mit den ländlichen Gegenden in Japan und anderswo beschäftigen und die zugleich als Traum und Alptraum erscheinen.
»Ich muss sagen, ich hasse Disneys Arbeiten«
Ghibli hat seinen Sitz in Tokyo, der größten Metropole der Welt. Womöglich ist diese Abwesenheit einer nahen ländlichen Umgebung der Grund, weshalb sich die Arbeiten des Studios darauf fokussieren. Im berühmten Mein Nachbar Totoro (1988) trösten die Geschöpfe eines Fantasiewaldes zwei Stadtkinder, deren Mutter wegen einer chronischen Erkrankung in Behandlung ist. Eine von Ghiblis politischsten Erzählungen, die sich innerhalb einer ländlichen Traumwelt abspielt, ist Das Schloss im Himmel (1986). Darin erkundet ein Junge aus einem Bergbau-Dorf die zerstörte schwebende Zitadelle einer untergegangenen High-Tech-Gesellschaft, die von bösartigen Aristokraten bekämpft wird. Die Landschaften im Film wurden durch einen Besuch von Miyazaki und Takahata in Südwales im Jahr 1985 inspiriert. Mit dem Vorhaben, einen Film über die industrielle Revolution zu machen, begaben sich die beiden auf eine Forschungsreise in die Täler der Region, die für ihre sonderbaren ländlich-industriellen Landschaften bekannt sind. Hier ragen Berge, Minen und Stahlwerke zwischen Reihenhäusern hervor. Für jede und jeden, der die Täler kennt, ist der Film fast schon unheimlich. Südwales war jedoch mehr als nur eine visuelle Inspiration. Durch Zufall waren die beiden unmittelbar nach dem Minenarbeiterstreik von 1984-85 vor Ort. Im darauffolgenden Jahr drückte Miyazaki seine Bewunderung für den »wahren Sinn der Solidarität« aus, den er in den Bergbau-Dörfern vorfand. Der Film ist klar davon geprägt.
Wie ihr vorheriger Film, die postapokalyptische Öko-Fabel Nausicaä aus dem Tal der Winde von 1984, ist Das Schloss im Himmel eine Bekräftigung einer bestimmten Sicht auf Natur und Arbeit. Auch wenn einige Filme mitunter groteske Elemente haben, war Ghibli nie daran interessiert, besonders ausgefallen oder anstößig zu sein. Bezogen auf seine Ablehnung der Popularität von nihilistischen Gekiga Comics, die sich nach 1968 verbreiteten, sagte er 1982, es ist »besser ehrlich zu sagen, dass das, was gut ist, gut ist und das, was schön ist, schön ist, und das, was wunderbar ist, wunderbar ist«. Handarbeit ist etwas, dass Miyazaki und Takahata kontinuierlich als wunderbar präsentieren.
»Miyazakis Filme zeigen beides: die Bewunderung für die Errungenschaften menschlicher Arbeit und den Horror, den sie hervorbringt.«
Von den Gießereien in Das Schloss im Himmel bis hin zu den Arbeiterinnen, die in Porco Rosso Flugzeuge zusammensetzen, zeigen Ghibli-Filme Menschen, bei der Produktion von Dingen. Anhand der häufigen Darstellungen ökologischer Zerstörung könnten die Filme als technologiefeindlich karikiert werden. Insbesondere neuere Filme wie Ponyo (2008) handeln vom Klimawandel. Studio Ghibli hängt jedoch eher einer von Morris inspirierten Unterscheidung zwischen »nützlicher Arbeit« und »nutzloser Plackerei« an. Letzteres wurde besonders einprägsam in der endlosen, höllischen und despotisch organisierten Arbeit in Chihiros Reise ins Zauberland (2001) dargestellt. Miyazaki kritisierte 1979 die Mecha-Anime-Serien, für die Japan international bekannt wurde. Das Genre sei ein unvermeidlich kindischer und entfremdeter Versuch, sich dem Thema Technologie zu nähern. Stattdessen glaubte er, dass »der Protagonist damit zu kämpfen haben soll, seine eigene Maschine zu bauen. Er soll sie reparieren, wenn sie kaputt geht, und er soll sie selbst bedienen«. Durch die Arbeit mit ihren eigenen Händen drücken sich die Menschen in Studio Ghibli Filmen aus. Miyazakis Filme zeigen beides: die Bewunderung für die Errungenschaften menschlicher Arbeit und den Horror, den sie hervorbringt. Das in den 1930ern angesiedelte Historienspiel Wie der Wind sich hebt (2013) zeigt in liebevoller Darstellung, die Entwicklung und Konstruktion des Mitsubishi A6M Flugzeugs, aber auch, wie dieses vom japanischen Imperialismus eingesetzt wurde.
Takahata war bis zu seinem Tode 2018 Marxist. Dahingegen verlor Miyazaki in den 1990ern, während der Fertigstellung der Manga-Version von Nausicaä aus dem Tal der Winde, seinen Glauben an den Marxismus. Er »erlebte, was einige Menschen als politischen Verrat ansehen könnten«, und entschied, »dass der Marxismus ein Fehler war«. Er betonte, dies habe nichts mit persönlichen oder politischen Entwicklungen zu tun gehabt, sondern es war eher eine philosophische Absage an die Romantisierung der Arbeiterschaft. Er erteilte auch dem »marxistischen Materialismus« und dem Ethos des materiellen Fortschritts eine Absage. »Die Masse ist fähig, eine unendliche Anzahl dummer Dinge zu tun«, so Miyazaki. Seine politische Reise hatte sich umgekehrt, er sei wieder ein wahrer Einfallspinsel geworden, erklärte er selbst. Miteigentümer einer sehr erfolgreichen, mit Disney kooperierenden Firma zu sein, könnte natürlich etwas damit zu tun gehabt haben. Obwohl Ghibli dafür bekannt ist, dass die Arbeitsbedingungen dort besser sind als in den meisten japanischen Studios, bleibt es ein kapitalistisches Unternehmen, das Millionen mit Merchandise einnimmt.
Nichtsdestotrotz haben Miyazaki und Studio Ghibli sich ihre Abscheu gegen Krieg – es gibt keinen besseren Antikriegs-Film als Takahatas Die letzten Glühwürmchen von 1988 – und Imperialismus bewahrt. Durch die Darstellung des japanischen und deutschen Faschismus in Wie der Wind sich hebt zog er den Zorn japanischer Nationalisten auf sich. Miyazakis letztes großes Meisterwerk, Das wandelnde Schloss (2004), kanalisierte seine »Wut« über den Irak-Krieg, während dessen Dauer er sich weigerte, in die USA zu reisen. Das Schloss im Film, eine biologische, gestaltenwandlerische und reaktionsfähige Maschine, ist eine von Miyazakis beeindruckendsten Darstellungen einer nicht entfremdeten Technologie. Ebenso hat sich Miyazaki, zumindest philosophisch betrachtet, niemals mit dem Kapitalismus versöhnt: Chihiros Reise ins Zauberland strotzt vor Horrorbildern der industriellen Ausbeutung und der Klassenherrschaft.
»Lächelnd, aber mit etwas Hohn, besteht der Landarbeiter darauf, dass alles, was sie hier sehen kann, Produkt menschlicher Arbeit ist.«
Die Feinheiten von Ghiblis Betrachtung des Fortschritts kommen in einigen der ruhigeren Filme zum Ausdruck. Die Filme Pom Poko und Stimme des Herzens spielen in Tama New Town, einer staatlichen Planstadt, die in den 1970ern auf einer riesigen eingeebneten Fläche außerhalb Tokyos erbaut wurde. Pom Poko ist eine Öko-Kritik, wie man sie von Ghibli gewöhnt ist. Im Film wehren sich die Tanuki gegen den Bau der neuen Stadt. Tanuki sind Marderhunde aus der japanischen Folklore, denen nachgesagt wird, ein Doppelleben zu führen, zum einen als gewöhnliche Tiere und zum anderen als anthropomorphe Gestaltwandler. Diese wunderbare Posse zeigt eine optimistischere Darstellung nicht-menschlicher Revolutionäre, als man sie bei George Orwell finden kann. Das dennoch errichtete Tama ist die Kulisse von Stimme des Herzens, der im nachfolgenden Jahr veröffentlichten Teenager-Romanze. Ein Mädchen, dass in einem Danchi-Block lebt – einer der vielen Sozialwohnungsblöcke in Tama – entwickelt Gefühle für einen Jungen, der bergaufwärts im wohlhabenderen Teil der Stadt wohnt. Ohne Verbitterung wird dort der Klassenantagonismus und die von einer anthropomorphen Geisterkatze angeregte Anziehung zwischen den beiden dargestellt. Die urbane Landschaft ist liebevoll und akkurat gezeichnet: Sanft und menschlich, wie ein Bild der japanischen Moderne selbst. Natürlich verdeutlicht dies Miyazakis Abkehr vom Klassenkampf, aber es zeigt ebenso seine Ablehnung von jeglicher Art von Nihilismus. Auch in dieser Landschaft ist das Wunderbare schlichtweg wunderbar.
Takahatas Tränen der Erinnerung (1991) ist Ghiblis dialektischster und am subtilsten marxistischer Film. Darin reist Taeko, eine Frau um die Dreißig, die mit ihrem Leben in Tokyo unzufrieden ist, aufs Land, um bei der Ernte zu helfen. Ein junger Landarbeiter fährt sie durch eine liebevoll animierte Landschaft, voller üppiger und akribischer Details, von Flüssen, Feldern, Sümpfen und Wäldern. Voller Ehrfurcht bestaunt sie die Landschaft und drückt ihre Bewunderung für »die Natur« aus. Ein Disney-Film hätte es dabei belassen, aber nicht Ghibli. Lächelnd, aber mit etwas Hohn, besteht der Landarbeiter darauf, dass alles, was sie hier sehen kann, Produkt menschlicher Arbeit ist. Scheinbar The Country and the City des südwalisischen Marxisten Raymond Williams umschreibend, sagt er: »Ihr Großstadtmenschen, ihr sagt immer Natur, wenn ihr Wälder seht und Bäume und fließendes Wasser. Ihr denkt dann immer, alles ist nur Natur. Jedes Fleckchen Erde hier hat eine eigene Geschichte. Nicht nur die Wiesen und Reisfelder. Unsere Vorfahren haben dieses Land gerodet und kultiviert.«
Am Ende des Films entscheidet sich Taeko im Dorf zu bleiben – weil sie statt Zuschauerin und Betrachterin zu sein, die Erfahrung gemacht hat, in einer Gemeinschaft zu arbeiten. Studio Ghiblis imaginäre Welten sind Landschaften der Produktion und Räume der Solidarität. Hier in seinem realistischsten Film findet sich ein kleines Bild einer wahren Utopie.
Owen Hatherley ist Culture Editor bei »Tribune« und Autor mehrerer Bücher. Zuletzt ist von ihm »Red Metropolis: Socialism and the Government of London« bei Repeater erschienen.