31. Januar 2023
Der südkoreanische Geheimdienst hat die Büros des größten Gewerkschaftsverbands gestürmt – ein Zeichen, dass die Regierung nicht vor autoritären Maßnahmen zurückschreckt, um die organisierte Arbeiterschaft zu schwächen.
Präsident Yoon Suk-yeol von der konservativen Partei Gungminui-him.
IMAGO / NurPhotoAm 18. Januar durchsuchte der südkoreanische Geheimdienst NIS die Büros des Gewerkschaftsbundes KCTU – der größten Organisation unabhängiger Gewerkschaften des Landes – sowie einer ihrer Mitgliedsgewerkschaften. Bei der groß aufgezogenen Razzia ging es um angebliche Verbindungen zwischen vier ehemaligen und aktuellen Gewerkschaftsfunktionären und nordkoreanischen Agenten. Befürchtungen, die amtierende konservative Regierung könnte zu den Methoden aus der Zeit der Diktatur zurückkehren und Gewerkschaftsarbeit mit einer Gefährdung der nationalen Sicherheit gleichsetzen, sind seither gewachsen.
Zur gleichen Zeit versucht die Regierung unter Präsident Yoon Suk-yeol, die Arbeitszeitbeschränkungen aufzuheben, die Rentenauszahlungen zu kürzen und dabei die Arbeitnehmerbeiträge zu erhöhen. Yoon wurde im März vergangenen Jahres mit einem offen arbeiterfeindlichen Programm gewählt.
Bei der Razzia vollstreckten dreißig Agenten des National Intelligence Service (NIS), einen Durchsuchungsbefehl für die Zentrale des KCTU in Seoul. Der Geheimdienst wurde durch stundenlange Streitereien mit Mitarbeitenden der KCTU so lange aufgehalten, bis der Anwalt des Gewerkschaftsbundes eintraf.
Die KCTU umfasst mehr als eine Million Mitglieder, die in Südkorea – der zehntgrößten Volkswirtschaft der Welt – in verschiedenen Branchen arbeiten, von der Automobilindustrie und dem Schiffbau bis hin zu aufstrebenden Sektoren wie dem Gesundheitswesen und der Software-Entwicklung. Seit ihrer Gründung im Jahr 1995 (sieben Jahre nach dem Ende der Militärdiktatur) war sie regelmäßig Repressionen seitens konservativer und liberaler Regierungen ausgesetzt. Jeder einzelne der bisherigen zehn KCTU-Vorsitzenden wurde während seiner Amtszeit mindestens einmal inhaftiert. Es ist jedoch das erste Mal, dass die KCTU direkt vom NIS durchsucht wurde.
Obwohl der Haftbefehl wegen angeblicher Verbindungen zur nordkoreanischen Spionagebehörde nur einen einzelnen KCTU-Funktionär betraf, umstellten – offenbar zu PR-Zwecken – rund eintausend Polizeikräfte und Feuerwehrleute das Gebäude. Es waren doppelt so viele wie bei dem Halloween-Straßenfest in Seoul im vergangenen Jahr, bei dem in einer Massenpanik 158 junge Feiernde zu Tode kamen, weil es an Ordnern der Polizei mangelte. Doch der NIS nahm den Funktionär, der angeblich eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstellt, nicht fest. Stattdessen beschlagnahmten die Agenten Daten von seinem Telefon und seinem Computer und zogen dann wieder ab.
Ähnliches ereignete sich im Büro der KCTU-Mitgliedsgewerkschaft für Beschäftigte im Gesundheitswesen und an zwei weiteren Orten, wo der NIS zeitgleich Durchsuchungsbefehle gegen drei weitere frühere und amtierende KCTU-Funktionäre vollstreckte. Der NIS und die Polizei zogen eine spektakuläre Show ab, nur um Daten von elektronischen Geräten herunterzuladen und dann wieder zu gehen.
»Die Behörde ermittelt seit vielen Jahren [gegen die vier Personen] wegen Verstößen gegen das Gesetz über die Nationale Sicherheit«, erklärte der NIS. »Sie hat bereits Beweise gesichert, die sie mit Nordkorea in Verbindung bringen, weshalb die Haftbefehle erlassen wurden.«
Das Gesetz über die Nationale Sicherheit verbietet es, ohne Genehmigung nach Nordkorea zu reisen oder Kontakte zu der Bevölkerung des Landes zu unterhalten. Nach der Razzia zitierten einige konservative Nachrichtenagenturen anonyme NIS-Quellen, die behaupteten, dass KCTU-Funktionäre Anweisungen und Geld aus Nordkorea erhielten.
Das Gesetz wurde Anfang 1948 erlassen, einige Monate vor der Gründungsverfassung des Landes, als sich Südkorea unter US-amerikanischer Vormundschaft zur Republik Korea erklärte. Zu dieser Zeit war die linke Opposition in Südkorea sehr stark, während sich im Norden der Aufstieg einer rivalisierenden kommunistischen Republik abzeichnete. Seitdem wurde das Nationale Sicherheitsgesetz eingesetzt, um unter dem Vorwand der militärischen Bedrohung durch den Norden die eigene Opposition und die einheimischen Gewerkschaften zu unterdrücken.
Das Gesetz blieb auch nach der Demokratisierung Südkoreas in den späten 1980er Jahren bestehen, als Massenproteste der drei Jahrzehnte währenden Militärherrschaft ein Ende setzten. Seither haben auch liberale Präsidenten regelmäßig auf das Gesetz und seinen wichtigsten Vollstrecker, den NIS, zurückgegriffen, um gegen die organisierte Arbeiterschaft vorzugehen.
1998 protestierte die internationale Menschenrechtsorganisation Amnesty International gegen den damaligen Präsidenten Kim Dae-jung, weil er 25 Studentinnen und Gewerkschaftsaktivisten wegen der Bildung einer »Pro-Nordkorea-Gruppe« unter dem Vorwurf des Verstoßes gegen das Nationale Sicherheitsgesetz verhaften ließ. Dessen ungeachtet erhielt Kim 2000 den Friedensnobelpreis.
»Der offenkundige Versuch, gewerkschaftliche Kämpfe mit angeblichen ›pro-nordkoreanischen‹ Aktivitäten in Verbindung zu bringen, ist alarmierend und deutet auf eine Rückkehr zu autoritären Methoden der Unterdrückung abweichender Meinungen hin«, erklärte Amnesty International. »Die Verhaftungen fallen zeitlich zusammen mit einem Generalstreik und Drohungen von Regierungsministern, hart gegen Streikende und Demonstrierende vorzugehen«, erklärte die Organisation damals.
Die jüngste Razzia geschah kurz nachdem ein landesweiter Streik selbständiger LKW-Fahrer gescheitert war. Als im vergangenen November 25.000 Fahrer die Arbeit niederlegten, sahen einige darin den Beginn eines lang erwarteten heißen Winters gegen die arbeiterfeindliche Politik von Präsident Yoon. Unter anderem forderten die Fahrer, die einer KCTU-Mitgliedsgewerkschaft angehörten, den Mindestlohn permanent auf alle LKW-Fahrer auszuweiten. Die von einer gemeinsamen Kommission aus Fahrern, Unternehmern und der Regierung festgelegten Mindestlöhne hätten dazu beigetragen, die Zahl der Verkehrstoten und -verletzten zu verringern, weil die Fahrer so weniger Druck ausgesetzt seien, zu schnell zu fahren und sich zu überarbeiten.
Der Streik endete nach sechzehn Tagen in einer Niederlage. Die größeren Gewerkschaften schlossen sich dem Streik nicht an und die Regierung Yoon setzte die Fahrer mit einer Reihe von Anordnungen unter Druck. Nach sechs Jahren des Wachstums geriet die KCTU in die Defensive. Im Gegenzug stieg Yoons Zustimmungsrate um 9 Prozent, da das harte Durchgreifen gegen die LKW-Fahrer seine konservative Basis mobilisierte.
Die ablehnende Haltung gegenüber den Streiks zog sich jedoch durch alle Parteien. Am 8. Dezember – einen Tag bevor die LKW-Fahrer darüber abstimmen würden, ob sie den Streik beenden sollten – forderte die sozialliberale Demokratische Partei des Miteinanders, die eine knappe Mehrheit in der Nationalversammlung innehat, die Streikenden dazu auf, das Angebot der Regierung – eine begrenzte dreijährige Verlängerung der Mindestlohnregelungen – anzunehmen. Die Fahrer beendeten daraufhin ihren Streik, doch die Regierung hat diese Verlängerung bis heute nicht vorgenommen.
Die Liberalen äußerten sich auch nicht zu den NIS-Razzien. In einem Fernsehinterview am Abend nach den Durchsuchungen verlor Lee Jae-myung, der Vorsitzende der Oppositionspartei und Yoons Kontrahent im letzten Präsidentschaftswahlkampf, kein Wort über den NIS oder die KCTU.
Derweil versucht der NIS, seine einst allumfassenden Befugnisse wieder auszudehnen. Im Dezember wurde die Behörde dazu ermächtigt, Nachforschungen über Regierungsbeamte anzustellen und Informationen über sie zu sammeln. Die Überwachung von Zivilpersonen durch den NIS war 2020 verboten worden, nachdem eine Untersuchung weit verbreiteten Missbrauch offengelegt hatte.
Da die neuen Leitlinien den Umfang der Informationsbeschaffung nicht genau festlegten, kann die Behörde die Überwachung nun effektiv willkürlich und ohne richterliche Anordnung ausweiten. Der NIS hat sich auch dafür eingesetzt, ein neues Gesetz abzulehnen, dass ihnen zum Ende des Jahres untersagen würde, im Inland zu ermitteln. Anlass für dieses Gesetz war ein Skandal aus dem Jahr 2013. Damals wurde bekannt, dass die Behörde Beweise manipuliert und die Schwester eines chinesischen Überläufers aus dem Nord gefoltert hatte, um ihn als nordkoreanischen Agenten auszugeben.
Einen Tag nach der Razzia bei der KCTU stürmte die Polizei zwei Büros von Baugewerkschaften, die für ihre Militanz bekannt, aber auch mit Korruptionsvorwürfen belastet sind. In seiner am 3. Januar im Fernsehen übertragenen Neujahrsansprache stellte Yoon die gesamte organisierte Arbeiterschaft als eine sich selbst bevorteilende Elite dar, die im Vergleich zu den nicht organisierten Arbeiterinnen und Arbeitern privilegiert sei. Die Regierung versucht, Arbeitende gegeneinander auszuspielen und einige ihrer Führungsfiguren als privilegiert und korrupt – oder gar pro-nordkoreanisch – zu brandmarken. Damit bereitet sie vermutlich einen weiteren Schlag gegen die organisierte Arbeiterschaft vor.
Sollte das der Plan sein, wird Yoon kaum darum herum kommen, Gewalt und autoritäre Apparate wie den NIS einzusetzen. Denn er wird es zunehmend schwer haben, arbeiterfeindliche Gesetze durchzusetzen, da die oppositionelle Demokratische Partei des Miteinanders, die im Parlament in der Mehrheit ist, seine Agenda in der Legislative blockieren wird. Sie tut das nicht, weil die Partei ein zuverlässiger Verbündeter der Arbeiterinnen und Arbeiter wäre, sondern weil sie Yoons politischen Erfolg verhindern will.
Die Razzia gegen die KCTU versinnbildlicht die Herausforderungen, mit denen die organisierte Arbeiterschaft in vielen Ländern der Welt konfrontiert ist. Während sich die Angriffe auf die Lebensstandards, die Löhne und die Renten fortsetzen, werden die Gewerkschaften nun zusätzlich wieder zur Zielscheibe autoritärer und repressiver Maßnahmen. Das ist ein globales Problem und erfordert globale Solidarität.
Die Originalversion dieses Artikels erschien zuerst bei »Labor Notes«.
Kap Seol ist ein koreanischer Autor und Forscher und lebt in New York. Seine Artikel sind in unter anderem bei »Labor Notes«, »In These Times« und im »Business Insider« erschienen.