05. April 2023
Milliardäre wie Peter Thiel würden am liebsten niemals sterben – und sie glauben, dass ihnen das auch zusteht. Selbst wenn der Traum von der Unsterblichkeit ein größenwahnsinniges Hirngespinst ist, steigert das Streben danach die Macht der Superreichen.
Detail aus Giulio Romanos »Allegorie der Unsterblichkeit« (1540).
CC BY 4.0Die Unsterblichkeit gehört zu den Ideen, die als Abstraktion um einiges ansprechender sind als in der Realität. Der Mensch ist eine Spezies mit Hang zum Exzess. Unsere Lebenszeit exponentiell zu verlängern wäre aber – ironischerweise – gleichzeitig auch ein Todesurteil für uns und alle, mit denen wir diesen Planeten bevölkern. Abgesehen von ganz praktischen Aspekten wie der Ausweitung der Produktion, des Konsums, der Umweltverschmutzung und der Nachfrage nach bewohnbarem Land sind extreme Lebensspannen auch eine Klassenfrage.
»Ich werde sicherlich um die 160 Jahre alt werden und Teil einer neuen Klasse von, gewissermaßen, unsterblichen Overlords sein.«
Die Industrie des ewigen Lebens ist schon jetzt ein Metier der Superreichen, die die Forschung über lebensverlängernde Maßnahmen finanzieren. Diese Forschung – wie auch das Geschäft mit Bluttransfusionen und Organen im Allgemeinen – ist eng mit dubiosen Schwarzmärkten und ausbeuterischen globalen Lieferketten verstrickt. Es sind diese moralisch äußerst zweifelhaften Aspekte, die das skrupellose Streben nach Unsterblichkeit in Gänze verdächtig erscheinen lassen. Dieses Unterfangen stößt selbstredend auch an physische Grenzen.
Doch damit nicht genug: Es sind vor allem die Reichen, die die Suche nach dem ewigen Leben fördern. Hieraus ergibt sich eine soziale Architektur, die dafür sorgt, dass sie die ersten sein werden, die von dieser Forschung profitieren.
Eine potenzielle und besorgniserregende Konsequenz der Unsterblichkeit bestünde in der endlosen Akkumulation von Reichtum, wie die Tech-Journalistin Maggie Harrison argumentiert. Reichtum bedeutet Macht. Wer also über extrem lange Zeiträume hinweg immer mehr Vermögen anhäufen kann, wird im Zuge dessen auch immer mehr Macht an sich binden. Durch diese zunehmende Konsolidierung und Konzentration von Macht würde die Klassenhierarchie verfestigt und die Oligarchie gestärkt. Für einen Schluck aus dem heiligen Gral – eine Garantie für unvergängliches Eigentum und nie endenden Reichtum – müssten Plutokraten lediglich die Erbschaftssteuer abschaffen.
Bislang dienen die Verheißungen der Automatisierung und der künstlichen Intelligenz eher der kapitalistischen Klasse als uns allen. Innerhalb der Linken gibt es eine lange Tradition, die in Robotern ein utopisches Versprechen witterte. Dennoch sollten wir jeglichen Behauptungen, wonach technologischer Fortschritt als solcher befreiend ist, mit Skepsis begegnen. Natürlich kann Technik unser Leben erleichtern und verbessern, aber solange Technologie im Besitz und unter der Kontrolle einer kleinen Elite ist, wird sie nicht zum Werkzeug der Befreiung werden. Für Technologien, die darauf abzielen, unsere Lebensspanne zu erweitern, gilt das genauso. Wenn es uns nicht gelingt, sie zu demokratisieren, könnten sie die Befreiung der Arbeiterklasse sogar behindern.
Die Ziele der lebensverlängernden Forschung sind vielfältig – es geht nicht lediglich darum, »ewig zu leben«. Auf konzeptueller Ebene sind biomedizinische Eingriffe, durch die Krankheiten geheilt oder biologische Funktionen wiederhergestellt werden, von jener Forschung zu unterscheiden, die darauf abzielt, Menschen unbegrenzt am Leben zu erhalten.
Ende letzten Jahres wurde in Großbritannien eine neue Methode zur Editierung des Crispr-Gens – eine Technologie, die im Zusammenhang mit dem Streben nach Unsterblichkeit häufig diskutiert wird – bei der Therapie einer 13-jährigen Krebspatientin eingesetzt, was ihr das Leben rettete. Die erfolgreiche Behandlung krebskranker Teenager ist offensichtlich und unbestreitbar zu begrüßen. Mit Technologien, die das Altern oder den Tod aufhalten sollen, sollten solche Eingriffe aber nicht verglichen werden.
Im Jahr 2018 schrieb Jon Christian über die Gefahren, die sich aus dem Streben nach Unsterblichkeit für die Arbeiterklasse ergeben. Er zitierte den ehemaligen »Präsidenten« von Facebook, Sean Parker, der verkündete: »Weil ich Milliardär bin, werde ich Zugang zu einer besseren Gesundheitsversorgung haben, [...] Ich werde sicherlich um die 160 Jahre alt werden und Teil einer neuen Klasse von, gewissermaßen, unsterblichen Overlords sein«. Parker mag sich hier anhören wie ein Bösewicht aus einem Comic-Buch, aber sein Zitat offenbart die Geisteshaltung der Superreichen, die dazu neigen, ihre Anspruchshaltung und ihren Größenwahn durch leichtfertige Äußerungen bloßzustellen.
Genauso wie die Arbeiterschaft steht die Technologie im Dienst der Besitzenden und ihren Zielen – das gilt für die Kapitalakkumulation genauso wie für die Unsterblichkeit. Und wie im Falle der Kapitalakkumulation wird es auch bei der Verlängerung des Lebens eine Klasse von steinalten »Overlords« geben und einen Dunstkreis von Menschen, der sie umgibt und in ihrer Gunst steht.
Da lebensverlängernde Technologien mit Machtkonzentration einhergehen, sollten sie demokratisiert werden, um zu gewährleisten, dass keine einzelne Klasse einen strukturell besseren Zugang zu ihnen hat. Gesundheitliche Versorgung ist ein öffentliches Gut, auf das die gesamte Gesellschaft Zugriff haben sollte. Die Industrie der privatisierten Biomedizin läuft diesem Imperativ jedoch zuwider.
»Wer immer mehr Reichtum anhäufen und über extrem lange Zeiträume hinweg immer mehr Macht erlangen kann, wird damit Einfluss auf die Welt nehmen.«
Man könnte jetzt argumentieren, dass diejenigen, die ihr Kapital in eine bestimmte Industrie investieren, damit auch ein Risiko eingehen und daher auch davon profitieren sollten, wenn sich dieses Risiko auszahlt. Man könnte auch einwenden, dass es nicht die Aufgabe des Staates sei, Einzelne davon abzuhalten, die Erfolge dieser Forschung zu genießen, selbst wenn das nur wenigen vorbehalten bleibt. Genau dieser Logik folgt die private Gesundheitsversorgung. Wenn es sich jemand leisten kann, selbst für die eigene Versorgung aufzukommen, warum sollte der Staat oder sonst irgendjemand sich da einmischen? Dieser Auffassung zufolge hat private Versorgung nichts mit öffentlicher zu tun. Das mag die tatsächlichen Zustände beschreiben, aber diese sind grotesk: Gesundheitsversorgung auf diese Weise zu organisieren, zeugt von moralischer Verarmung.
Die Technologien, die im Zuge des Strebens nach Unsterblichkeit entwickelt werden, haben einen inhärent öffentlichen Charakter, da ihre potenziellen Vorteile die Wirtschaft, die Politik und die Gesellschaft zweifellos beeinflussen werden. Wenn wir darüber sprechen, dass Superreiche unter Umständen weit über 100 Jahre alt werden oder theoretisch ewig leben könnten, wird offensichtlich, dass es sich hierbei eben nicht um eine Angelegenheit handelt, aus der sich der Staat herausziehen sollte. Wer immer mehr Reichtum anhäufen und über extrem lange Zeiträume hinweg immer mehr Macht erlangen kann, wird damit Einfluss auf die Welt und damit auch auf das Leben der Mehrheit der Menschen nehmen. Ob das möglich sein sollte oder nicht, geht die Öffentlichkeit natürlich etwas an – und dementsprechend müsste diese Forschung auch behandelt und reguliert werden.
In der Menschheitsgeschichte wurden Technologien schon sehr lange und sehr oft eingeführt und normalisiert, bevor man sich mit ihren ethischen Implikationen auseinandergesetzt hat. Bei großen technologischen Fortschritten zeigt sich immer wieder, dass Regierungen bei der Regulierung zum Schutz des Gemeinwohls zögern. In einigen Fällen, etwa den sozialen Medien, kann es Jahrzehnte dauern, bis man sich der Lösung der mit ihnen verbundenen Probleme zuwendet – wenn überhaupt.
Die Worte des Ian Malcolm aus Jurassic Park, gespielt von Jeff Goldblum, haben nicht ohne Grund über Jahrzehnte hinweg den Test der Zeit bestanden und sind zum Meme geworden: »Eure Wissenschaftler waren so sehr damit beschäftigt, ob sie es können, dass sie nicht darüber nachgedacht haben, ob sie es sollten«, sagt er voller Ehrfurcht, Staunen und Angst.
Die Sehnsucht nach dem ewigen Leben konfrontiert uns mit demselben Problem – nur dass wir es in diesem Fall mit einer Klasse von Oligarchen zu tun haben, die fest überzeugt sind, dass Unsterblichkeit nicht nur eine gute Idee ist, sondern dass Angehörige ihrer Klasse darauf von Geburt an ein Anrecht haben. Man kann natürlich darüber debattieren, ob die Idee an sich gut oder schlecht ist – zuallererst müssen wir aber darauf bestehen, dass niemandem ewiges Leben gewährt werden sollte, wenn das Recht darauf nicht allen, die es wünschen, zugestanden wird. Wenn die Erforschung lebensverlängernder Technologien als gesellschaftliches Gut demokratisch beschlossen wird, muss ihr Nutzen dem Gemeinwohl zugutekommen. Anderenfalls sollte sie aufgegeben werden. Gleichzeitig sollten wir unsere Steuergesetze, unsere Rechtssysteme und unsere Politik so ausgestalten, dass dem Einfluss von unsterblichen Eliten ein Riegel vorgeschoben wird. Unsterbliche Räuberbarone – und ihre geisterhaften juristischen Begleiterscheinungen – wären schlimmer als nutzlos für uns.
David Moscrop ist Autor und politischer Kommentator. Er moderiert den Podcast Open to Debate. Von ihm erschien das Buch Too Dumb for Democracy? Why We Make Bad Political Decisions and How We Can Make Better Ones.