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17. September 2025

Verachtung für Boomer ist nicht progressiv

Mit Boomer-Bashing und AfD-Memes sammelt Sveamaus Hunderttausende Likes auf Instagram. Doch der Spott über schlechten Geschmack in Mobiliar und Politik verdreht Gesellschaftskritik in soziale Distinktion linksliberaler Millennials.

Sich hiervon durch spitzzüngige Stilkritik abgrenzen.

Sich hiervon durch spitzzüngige Stilkritik abgrenzen.

IMAGO / mm images/Fickinger

Eine Essgruppe in hellem Eichenholz, Stühle mit marineblauem Bezug, darunter ein rostroter Teppich auf hellem Laminatboden. Im Hintergrund eine weiß lackierte Schrankwand, darauf eine Orchidee. Der Muff der 2000er liegt in der Luft. Dazu der Text: »Hier nach 24 Jahren noch über die Witze aus Der Schuh des Manitu lachen.« Im Hintergrund läuft PUR: »Ich lieb’ dich«. 130.000 Likes.

Auf Instagram bespaßt Sveamaus, mit bürgerlichem Namen Svea Mausolf, über 300.000 Follower mit Memes über Geschlechterrollen, Spießigkeit, Männlichkeitskult und die ästhetischen Fehltritte der Babyboomer. Typisch sind Motive wie weiße Plastik-Gartenmöbel (»Hier Prospekte durchblättern«), ein altbackener Eiche-Kleiderschrank mit einem kurzärmeligen, weiß-grau karierten Hemd (»Er würde ja nackt gehen, wenn ich ihm nichts rauslege«) oder ein spärlich bestückter Gewürzschrank aus Kiefernholz (»Aber Achtung, ist etwas schärfer geworden heute«).

Die Bilder bedienen kollektive Erinnerungen der Generation Y, sind aber nicht nostalgisch. Im Gegenteil: Mit viel Spott werden hier gesellschaftliche Grenzen anhand feiner Unterschiede gezogen. Zwischen jenen, die mit der Zeit gehen und im stylischen Altbau wohnen sowie all denjenigen, für die Paprika rosenscharf der Gipfel kulinarischer Exotik ist und die sich nach nichts mehr sehnen als einem glücklichen Familienleben im Eigenheim.

»Politik verkommt zu einem Lifestyle-Produkt, das das Distinktionsbedürfnis linksliberaler Millennials befriedigen und ihnen versichern soll, keineswegs wie ihre Eltern zu sein.«

Wenn sich Sveamaus etwa mit der AfD beschäftigt, geht es weniger darum, was deren Politik abstoßend macht als darum, dass die Wohnungen, in denen ihre Wählerinnen und Wähler leben, nicht dem eigenen Stilempfinden entsprechen. Wieder das bekannte Motiv: eine Essgruppe aus Holz mit ahornrotem Polsterbezug, Vitrinen, Sideboard und Metallic-Deckenlampe. An der Wand ein Tapetenmuster in Apricot. Dazu in weißer Schrift: »Hier von Mama die 6 in Geschichte unterschreiben lassen und 15 Jahre später AfD wählen.« Im Hintergrund die Amigos mit »Ich geh’ für dich durchs Feuer«. 112.000 Likes.

Der Witz ist eigentlich platt: Wähler rechter Parteien sind dumm und haben keinen Geschmack. Politik wird also zur Bildungs- und Tugendfrage: Zu der Politik, die die 32-Jährige mit abgebrochenem Kunststudium für moralisch geboten hält, gibt es keine Alternative.

OK, Boomer!

Der vermeintlich dumme AfD-Wähler steht aber gar nicht im Mittelpunkt ihrer Memes. Ihre liebsten Zielscheiben sind Männer und Frauen jenseits der fünfzig – oder genauer: die archetypischen Babyboomer. Den Männern montiert sie in ihren Memes die Köpfe von Markus Söder oder Friedrich Merz auf, lässt sie sexistische oder homophobe Sprüche klopfen und karikiert sie als reaktionär und geistig verstaubt. Den Frauen verleiht sie die Köpfe von Annalena Baerbock und Angela Merkel und stilisiert sie als altmodische Hausfrauen, die sich durch provinzielle Kulinarik, Prüderie und allgemeine Kleingeistigkeit auszeichnen.

In Interviews gibt Mausolf offen zu, dass sie die Boomer beneidet: Während ihre Generation nur schwer über die Runden komme, würden die Babyboomer wie die Maden im Speck leben. Hinzu kommt ihre Diskriminierungserfahrung als lesbische Frau: »Für mich ist der weiße heterosexuelle Boomer immer noch ein Aggressor. Denn egal auf welcher sozialen Ebene er steht, er steht immer noch über mir«, so Mausolf.

»Die Lage weiter Teile der Millennials ist in der Tat prekär. Daran etwas zu verändern, erfordert jedoch eine Kritik, die sich nicht an Oberflächlichkeiten individueller Geschmäcker abarbeitet.«

So nachvollziehbar das Lamento von Mausolf ist: Die Zuspitzung auf das Feindbild »Boomer« erweckt mit der patzigen Tonalität ihrer Memes den Eindruck, als ginge es ihr gar nicht um die Kritik an gesellschaftlichen Missständen. Stattdessen scheint es der Mittdreißigerin wichtiger, sich durch spitzzüngige Stilkritik an ihrer Elterngeneration zu rächen. Ein ausgestreckter Mittelfinger der Rebellion, dem aufgrund der Sehnsucht nach Abgrenzung und Konflikt pubertärer Trotz anhaftet.

Stilkritik statt Gesellschaftskritik

Die Memes von Sveamaus erheben zwar den Anspruch, Gesellschaftskritik zu sein, doch unter dem Firnis des postironischen Millennial-Humors bleibt am Ende nur apolitische Stilkritik. Denn mit dieser Ästhetisierung des Politischen verflachen politische Fragen zu einem postpubertären Gekicher über Boomer-Interieur und alles, was dem Geschmack linksliberaler Millennials zuwider ist. Politik verkommt auf diese Weise zu einem Lifestyle-Produkt, das das Distinktionsbedürfnis dieser Menschen befriedigen und ihnen versichern soll, keineswegs wie ihre Eltern zu sein.

Sveamaus liefert mit ihren Memes zielsicher Schmunzler über den politischen Gegner, während sie bestehende gesellschaftliche Gräben – geschlechtlich, kulturell, generationell – für sich nutzt. In der Verheißung generationeller Selbstvergewisserung erspart ihr der sichere Spott von linksliberalen Millennials die kritische Auseinandersetzung mit dem Status quo. Genau das aber wäre bitternötig, denn die Lage weiter Teile der Millennials ist angesichts zunehmender Vermögensungleichheit, stagnierender Löhne, steigender Immobilienpreise und der Zunahme geopolitischer Konflikte in der Tat prekär.

Daran etwas zu verändern, erfordert jedoch eine Kritik, die sich nicht an Oberflächlichkeiten individueller Geschmäcker abarbeitet. Insofern ist die positive Resonanz, die Sveamaus für ihren Content auf Instagram und in den Medien erfährt, ein Offenbarungseid: Offenbar gibt es wenig Substanzielles, was man dem Rechtsruck entgegenzusetzen hat.

Michael Burkhardt hat Geschichte, Politik und Wissenschaftsgeschichte studiert. Er schrieb unter anderem für den telegraph sowie café américain.