11. Dezember 2023
Während die rechte SVP den Umweltschutz für sich entdeckt, um ihre fremdenfeindliche Politik neu zu beleben, schlägt ein Bündnis von Sozialdemokratie und Grünen ein Investitionsprogramm vor, das aber leider hinter den Aufgaben der Zeit zurückbleibt.
Die SVP möchte verhindern, dass die Schweiz durch Zuwanderung die 10-Millionen-Marke knackt – der Umwelt zuliebe, natürlich.
Die spürbaren Folgen des Klimawandels und ansteigende Energiepreise befeuern die Debatte um die Schweizer Klimapolitik. Die Parteien zwischen den politischen Polen haben zu dieser Debatte wenig beizutragen: Entweder versucht man sich wie die Partei Die Mitte als Hüter des demokratischen Kompromisses aufzuspielen, wobei man inhaltlich mit Parolen wie »Wir wollen eine Klimapolitik, die auf Respekt und Innovation basiert« in kompletter Formlosigkeit aufgeht. Oder man bewegt sich weg von der Mitte, so wie die Freisinnige Demokratische Partei (FDP), die ihre Klimapolitik Schritt für Schritt derjenigen der rechten Schweizerischen Volkspartei (SVP) angleicht.
Von den beiden Polen hingegen wurden im vergangenen Wahlkampf Initiativen vorgelegt, die auf ihre jeweils eigene Art ihr erklärtes Ziel, der Zerstörung der natürlichen Umwelt Einhalt zu gebieten, verfehlen. Ein Bündnis aus Sozialdemokratie (SP) und Grünen schlägt einen wenig originellen Green New Deal vor und die SVP verbindet in gewohnt rechtspopulistischer Weise die Klimakrise mit der Forderung nach einer härteren Migrationspolitik.
»Überbevölkerung ist für die SVP keine blosse Frage der Quantität – die ›Qualität‹ des Bevölkerungswachstums ist entscheidend.«
Im Juli dieses Jahres hat die SVP mit der Unterschriftensammlung für ihre »Nachhaltigkeitsinitiative« begonnen – also rechtzeitig, um das Thema zu setzen, das den diesjährigen Wahlkampf dominieren sollte. Weil uns »infolge der unkontrollierten Einwanderung in unser Land« demnächst eine 10-Millionen-Schweiz drohe und die »regelrechte Bevölkerungsexplosion« unsere Infrastrukturen überfordere, unsere Natur zerstöre und die Mieten in die Höhe treibe, lanciert die SVP eine »Nachhaltigkeitsinitiative«.
Die SVP verlangt, dass eine Bevölkerungs-Obergrenze in der Schweizer Bundesverfassung festgeschrieben wird: Die »ständige Wohnbevölkerung der Schweiz darf zehn Millionen Menschen vor dem Jahr 2050 nicht überschreiten«. In diesem Sinne sollen Bund und Kantone »Massnahmen für eine nachhaltige Bevölkerungsentwicklung, insbesondere zum Schutz der Umwelt und im Interesse der dauerhaften Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen, der Leistungsfähigkeit der Infrastrukturen, der Gesundheitsversorgung und der schweizerischen Sozialversicherungen« treffen.
Und weil der Text aus der Feder der SVP stammt, ist auch klar, wo der allfällige Bevölkerungsüberschuss ausgemacht wird: Ab dem Zeitpunkt der Überschreitung der festgelegten Obergrenze sollen »vorläufig Aufgenommene keine Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung, kein Schweizer Bürgerrecht und kein anderweitiges Bleiberecht« mehr erhalten. Darüber hinaus wären »internationale Übereinkommen auf den nächstmöglichen Termin zu kündigen«. Das betrifft einerseits den 2018 geschlossenen UNO-Migrationspakt, der sich für eine »sichere, geordnete und reguläre Migration« einsetzt, und andererseits das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU.
Überbevölkerung ist für die SVP keine blosse Frage der Quantität – die »Qualität« des Bevölkerungswachstums ist entscheidend. So werden Menschen nach nationalen Zuordnungskriterien zum überschüssigen Teil der Menschheit erklärt, für den es innerhalb der Staatenordnung keinen Platz mehr gibt.
Die rechtspopulistische Verknüpfung von Überbevölkerung und Überfremdung hat in der Schweiz Tradition. Mit insgesamt vier »Überfremdungs-Initiativen« musste sich die Schweiz in den 1970er und 80er Jahren herumschlagen. Zwar scheiterten sie allesamt an der Urne, doch prägten sie den politischen und öffentlichen Diskurs der Schweiz nachhaltig.
Die erste, vom rechten Publizisten und Politiker James Schwarzenbach initiierte (und nach ihm benannte) »Schwarzenbach-Initiative« kämpfte noch ausschliesslich mit volkswirtschaftlichen Argumenten, doch schon 1974 vereinte die »Volksinitiative gegen die Überfremdung und Überbevölkerung der Schweiz« ökologische mit fremdenfeindlichen Argumenten: »Lebensmittelverknappung und rasant steigende Umweltschutzkosten« seien die »Vorboten kommender Engpässe, die jedes Volk auf seine eigenen Lebensgrundlagen zurückwerfen« würden.
»Stand früher die Bedrohung durch migrantische Kriminalität oder ›fremde Kulturen‹ im Vordergrund, verbindet die SVP neuerdings ihren Kampf gegen Zuwanderung mit gespielter Sorge um Mensch und Umwelt.«
Auch die Initiative von 1977 beklagte die Veränderung des Volks- und Landschaftscharakters durch Zuwanderung und meinte: »Schickte man die Ausländer wieder nach Hause, würde die Wirtschaft dadurch gezwungen, auf gesunde Dimensionen zurückzuschrumpfen, die mit den landeseigenen Produktivkräften zu bewältigen sind.« Rund zehn Jahre später lautete das Argument, Überfremdung führe zu ökologischen und demografischen Verheerungen. Es ginge jetzt um nicht weniger als die »Erhaltung der Schweiz«, ums Abwenden der »ökologischen Katastrophe«.
Wenige Jahre später folgt der Aufstieg der SVP und damit eine ausländerfeindliche Politik, die auch ohne ökologische Argumente genug Wählerinnen und Wähler an die Urnen bringt, um die Rechtskonservativen zur stärksten Partei des Landes zu machen. Aber das Thema Migration verlor im Verlauf der letzten Jahre an politischer Kraft, immer weniger Menschen liessen sich damit zu Wahlen mobilisieren. Die Folge war eine erfolglose Suche nach neuen polarisierenden Themen, bis der SVP dann mit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs eines vor die Tür gelegt wurde. Mit viel Aufwand versucht die Partei seither, über das Konzept der »integralen Neutralität« zu alter Stärke zurückzufinden. Aber sie hat im Hinblick auf die Wahlen auch ihr Lieblingsthema wiederaufgegriffen und neu aufgeladen: Stand früher die Bedrohung durch migrantische Kriminalität oder »fremde Kulturen« im Vordergrund, verbindet die SVP neuerdings ihren Kampf gegen Zuwanderung mit gespielter Sorge um Mensch und Umwelt.
Ihr Doyen Christoph Blocher gibt sich gewohnt volksnah und schreibt: »Die Menschen in der Schweiz machen sich grosse Sorgen, so zum Beispiel wegen der Umwelt.« Und weiter: »Die Menschen sorgen sich auch um die Sozialwerke und die jährlich steigenden Krankenkassenprämien.« Es herrsche Wohnungsknappheit, das Gesundheitssystem sei am Anschlag. Die Versorgungssicherheit mit Strom sei ebenso bedroht wie die Qualität unserer Schulen – alles wegen des masslosen Bevölkerungswachstums. Nachdem die SVP mit ihrer kapitalfreundlichen Politik jahrelang mitgeholfen hat, die öffentlichen Dienste kaputtzusparen und Umweltprobleme zu verschärfen, versucht sie jetzt die mitverursachten Probleme denjenigen anzulasten, die am meisten unter der gegenwärtigen Krise leiden.
Über solche malthusianische Argumente hat die heutige Rechte zu ihren politischen Vorfahren aus den 1970er und 80er Jahren gefunden. Der Ökonom Thomas Robert Malthus profilierte sich um 1800 mit der Behauptung, Überbevölkerung stelle ein zentrales gesellschaftliches Problem dar, weil die Bevölkerung exponentiell, die Lebensmittelproduktion aber nur linear ansteige. Diese angebliche Gesetzmässigkeit, die offensichtlich blind ist für unterschiedliche Gesellschaftsformationen, technologische Innovationen und Produktionsweisen, wurde inzwischen mehrfach theoretisch und empirisch widerlegt.
Die Politologen Kristina Dietz und Markus Wissen haben in einem Aufsatz zu den Beschreibungen der ökologischen Krise im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts bereits festgestellt, dass diese »oft malthusianischen Argumentationsmustern« folgten, »insofern sie einen sozial – d.h. durch Klassen-, Geschlechter- oder rassistische UnterdrückungsverhäItnisse – nicht weiter vermittelten Zusammenhang zwischen menschlichen Aktivitäten und Umweltproblemen unterstellten«.
Was damals die sozialistische Kritik an der ökologischen Debatte als
»natural
limits conservatism« zurückwies, lebt heute wieder
auf – in der Schweiz spätestens seit 2014 mit der Initiative
zum »Stopp der Überbevölkerung – zur Sicherung der natürlichen
Lebensgrundlagen«, lanciert von der Umweltorganisation Ecopop.
Damals äusserte sich die SVP noch kritisch – allerdings in erster
Linie, weil die Begrenzung der Zuwanderung an die Forderung geknüpft
wurde, man müsse Entwicklungsgelder für Familienplanung in
Entwicklungsländern zahlen. Sympathie für das Anliegen zeigte
die SVP aber durchaus: »Die Initiative ist gut gemeint, schiesst
aber über das Ziel hinaus.«
»Auch für Links-Grün ist die ganze Welt zum Weltmarkt, sind alle Menschen zu Arbeitskräften geworden.«
Auf die heutige Neuauflage der »Ecopop-Initiative« trifft eine Kritik perfekt zu, die Rosa Luxemburg einst gegen Malthus richtete: Malthus werde mit seiner Argumentation zum Apologeten des Kapitalismus. »Nicht etwa in dem Sinne, dass er ihre Widersprüche leugnete […], sondern umgekehrt, dass er diese Widersprüche brutal zum Naturgesetz erhebt und absolut heiligspricht.«
Besonders gefragt sind solche Apologien freilich in Zeiten, in denen diese Widersprüche offen aufbrechen. Schon 1873 stellte der Sozialist August Bebel fest: »Die Furcht vor Übervölkerung tritt stets in Perioden auf, in denen der bestehende Sozialzustand im Zerfall begriffen ist. Die allgemeine Unzufriedenheit, die dann entsteht, glaubt man in erster Linie dem Überfluss an Menschen und dem Mangel an Lebensmitteln und nicht der Art, wie sie gewonnen und verteilt werden, zuschreiben zu müssen.« Und wie sich im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts vor dem Hintergrund der Überakkumulationskrise der 1970er ökologische Forderungen mit einem »natural limits conservatism« verbanden, sieht heute eine immer grössere Zahl von Menschen ihre Lebensgrundlagen bedroht – und könnte damit empfänglich für malthusianische Erklärungsmuster werden.
Wer nun hoffte, dass diese Muster von den etablierten links-grünen Parteien geschickt durchbrochen werden, ist bisher enttäuscht worden. SP und Grüne behandeln die beiden Themen Ökologie und Migration getrennt und berufen sich bei letzterem üblicherweise auf den volkswirtschaftlichen Nutzen, den die Schweiz aus der Zuwanderung zieht. Auch für Links-Grün ist die ganze Welt zum Weltmarkt, sind alle Menschen zu Arbeitskräften geworden. Im Wahlkampf des vergangenen Herbstes gab es darüber hinaus den Versuch, sich rechte Parolen von links anzueignen – sich also auf die rechte Kritik an der Migrationspolitik einzulassen, um sie dann irgendwie nach links zu biegen. Damit konnten linke Politikerinnen und Politiker zwar Glanzresultate bei den Wahlen erzielen, aber nur um den Preis, dass sie sich mit den rechten Stimmen auch gleich den rechten Inhalt angeeignet haben.
Und betreffend Klima? Da wird uns der Green New Deal vorgelegt. Die Koalition aus SP und Grünen ist überzeugt: »Um diese Jahrhundertaufgabe richtig und sozial gerecht angehen zu können, braucht es parteiübergreifend Druck für massive öffentliche Investitionen in den Klimaschutz.« Deshalb lancieren sie gemeinsam die »Klimafonds-Initiative«, die jährlich 0.5 bis 1 Prozent des BIP in die ökologische Wende der Schweiz investieren will, was etwa 3.5 bis 7 Milliarden Franken entspricht.
Verwandte Konzepte liegen schon seit Jahren vor. Was der Ökonom Jeremy Rifkin 2019 in seinem Bestseller The Green New Deal als Zukunftsperspektive umriss, haben politische Figuren von Bernie Sanders bis Ursula von der Leyen verschiedentlich zu ihrem politischen Programm gemacht. Diese gehen durchgehend davon aus, »dass die kapitalistische Produktionsweise mit entsprechenden institutionellen Reformen auf eine ökologisch nachhaltigere und sozial weniger ungleiche Entwicklungsweise geschoben werden kann«, wie der Wirtschaftsgeograf Christian Zeller schreibt.
Doch sie weisen auch einige Unterschiede auf. Zeller unterscheidet zwei Gruppen von Green New Deals: Auf der einen Seite jene, die auf eine Modernisierung des Kapitalismus setzen. Dazu zählen etwa der von der EU-Kommission eingebrachte European Green Deal oder der Global Green New Deal von Jeremy Rifkin. Zeller stellt fest, dass diese Modernisierungsvorstellungen weder von grundsätzlichen gesellschaftlichen Widersprüchen noch einem »Widerspruch zwischen der kapitalistischen Produktionsweise und den Wirkungsmechanismen des Erdsystems und der Ökosysteme« ausgehen.
Auf der anderen Seite stehen jene Konzepte, die auf eine sozial-ökologische Reform zielen und »nach einem neuen postneoliberalen Akkumulationsregime« streben. Darunter fallen etwa die Vorschläge von DiEM25, Bernd Riexinger oder Bernie Sanders, dessen Green New Deal eine Summe von 16 Billionen Dollar an öffentlichen Investitionen mobilisieren und rund 20 Millionen neue Jobs schaffen soll. Die Investitionen sollen etwa in den Ausbau erneuerbarer Energien, für die Modernisierung von Wohnhäusern und den Umstieg auf Elektromobilität fliessen. Wesentlicher und begrüssenswerter Bestandteil von Sanders’ Green New Deal sind ausserdem sozialpolitische Forderungen bezüglich Lohnverhältnissen und Altersversorgung sowie transformative Gerechtigkeit für besonders betroffene Bevölkerungsgruppen.
»Brachte die gesamtgesellschaftliche Durchsetzung des Autos standardisierte Massenproduktion, Fliessband und Vollbeschäftigung mit sich, verspricht die flächendeckende Inbetriebnahme von Windrädern und Solarzellen bei weitem nicht dasselbe.«
Auch die Schweiz hat den Green New Deal nicht neu erfunden und ist mit Sanders’ Vorschlag vergleichbar: Die vorzugsweise über höhere Besteuerung und Staatsverschuldung gewonnenen Gelder sollen etwa in eine umfassende Forschungs- und Entwicklungsoffensive fliessen, die Relokalisierung kritischer Infrastrukturen und wichtiger Wirtschaftsleistungen ermöglichen, also die Abhängigkeit von fragilen Lieferketten vermindern, über kostengünstige Kinderbetreuungsangebote die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sicherstellen, mittels Umschulungs- und Weiterbildungsoffensiven dem Fachkräftemangel entgegenwirken und berufliche Perspektiven schaffen sowie die öffentliche Grundversorgung insgesamt ausbauen. Kurz: Die Klimawende soll sozial verträglich sein.
Dass auch der Schweizer Green New Deal eine bruchlose Fortsetzung jenes Systems bedeutet, das uns an den Rand des ökologischen Zusammenbruchs geführt hat, kümmert die Koalition aus SP und Grünen wenig. Sie glauben, die verschränkte ökologische und ökonomische Krise mit einem Streich lösen zu können, und setzen ihre Hoffnung in eine Zukunft, die auf einem neuen Akkumulationsregime fußen soll. Die kapitalistische Gesellschaft soll ökonomisch transformiert werden, indem ökologische und regenerative Industriezweige die Rolle von wirtschaftlichen Leitsektoren einnehmen. Was das Auto in den 1950er, 60er und 70er Jahren für die fordistische Ära des Kapitalismus war, sollen nun Solarzellen und Windräder für den Postfordismus sein.
Green New Deals sollen also nicht »nur« den drohenden ökologischen Kollaps abwenden, sondern in erster Linie eine Antwort auf die umfassende Krise liefern. Trotz neoliberaler Wende stagnieren die nationalen Profitraten in den kapitalistischen Zentren, von der privaten, profitgesteuerten Kapitalakkumulation ist ein Umstieg auf ein neues, nicht mehr auf fossilen Energieträgern gestütztes Akkumulationsmodell nicht zu erwarten. Deshalb soll der Staat es richten.
Doch ein staatlich initiierter Umstieg auf ein neues Akkumulationsmodell wird aus denselben Gründen scheitern, aus denen die ökonomische Durchsetzung des regenerativen Sektors auch in den vergangenen Jahrzehnten nicht gelungen ist. In seinem Buch Klimakiller Kapital erklärt Tomasz Konicz: »Das Verhältnis zwischen notwendigen Investitionen und tatsächlicher Verwertung von Lohnarbeit in der Ökobranche ist ungünstig […], die unproduktiven Fixkosten einer Energiewende sind gigantisch.« Die Kosten für den Aufbau einer für die Energiewende notwendigen Infrastruktur (Netzwerkumbau, Stromspeicher, Infrastruktur für Elektromobilität und so weiter) stehen in keinem Verhältnis zur potenziellen Verwertung von Arbeitskraft in den regenerativen Branchen.
Brachte die gesamtgesellschaftliche Durchsetzung des Autos standardisierte Massenproduktion, Fliessband und Vollbeschäftigung mit sich, verspricht die flächendeckende Inbetriebnahme von Windrädern und Solarzellen bei weitem nicht dasselbe. Zur Produktion von Solarstrom werden keine Fliessbandarbeiterinnen und -arbeiter benötigt, Windräder werden nicht in einem in kleinste Arbeitsschritte zerlegten Produktionsprozess zusammengebaut, in dem in grossem Umfang Arbeitskräfte ausgebeutet werden könnten.
Das Auto eröffnete der Kapitalverwertung neue Märkte und neuartige, arbeitsintensive Produktionsmethoden, was in vielen Industriestaaten zu Vollbeschäftigung führte und die Staatskassen mit Steuergeldern füllte. Das war auch deshalb entscheidend, weil damit über Steuergelder die für den Umbau notwendige Verkehrsinfrastruktur geschaffen werden konnte. Der Auf- und Ausbau von Strassen, Parkplätzen, Händler-, Werkstatt- und Tankstellennetzen hätte aufgrund geringer Rentabilität nicht im Rahmen von Marktprozessen bewerkstelligt werden können. Sowas ist auf dem heutigen Stand der Automatisierung undenkbar geworden.
Es wird also – auch mit einem über Steuern und Verschuldung finanzierten Klimafonds – nicht möglich sein, eine ökologische Wende mit staatlichen Geldern zu initiieren, die sich dann nach den bekannten kapitalistischen Regeln verselbständigt. Selbst Modellrechnungen des IWF haben ergeben: Ein »klimafreundlicher« Umbau der Wirtschaft im Sinne eines Green New Deals würde aufgrund eines starken Impulses staatlicher Investitionen für eine kurze Zeit das BIP-Wachstum direkt durch höhere Investitionsnachfrage stimulieren. Von einer nachhaltigen Belebung des Akkumulationsprozesses ist hingegen nicht auszugehen.
Insofern ist anzunehmen, dass die Green New Deals ihr Ziel, der kapitalistischen Akkumulation ein neues Fundament zu legen und sie damit aus der Krise hinauszuführen, verfehlen werden. Weil sich die Lösungsvorschläge innerhalb des vorgegebenen Rahmens bewegen, ist zudem mindestens zweifelhaft, ob sie der Zerstörung der Umwelt Einhalt gebieten können. So soll etwa auch die Umstellung auf »erneuerbare« Energien unter kapitalistischen Vorzeichen vollzogen werden.
Zu Recht macht der Ökonom Jörg Goldberg in seinem Buch Ein neuer Kapitalismus darauf aufmerksam, dass die vollkommen normal gewordene Qualifizierung von Wind, Wasser und Sonne als »erneuerbar« insofern in die Irre führt, als sie die »Überschreitung planetarer Kapazitäten« einfach »an anderer Stelle vorantreibt« – solange, bis sich diese Überschreitung als weitere Krise bemerkbar macht. »Auch ein ›grün‹ getöntes Wirtschaftsmodell basiert, wie das ›braun-fossile‹ der vergangenen dreihundert Jahre, auf unendlicher Akkumulation von Kapital«, wie Birgit Mahnkopf schreibt.
Von der Auflösung dieser Widersprüche sind die aktuell vorliegenden Green New Deals noch weit entfernt. Allerdings kann man diese auch als Mittel zur Mobilisierung sozialer Bewegungen begreifen – so wie Sanders oder Riexinger das explizit tun. Zeller meint, wir sollten Green New Deals »trotz ihrer inneren Widersprüchlichkeit und unzureichenden Programmatik […] auch unter dem Gesichtspunkt des Potenzials zur Veränderung der Kräfteverhältnisse beurteilen«. Wenn es dem Green New Deal gelingt, eine gesellschaftliche Diskussion anzustossen, Kräfte zu mobilisieren und etwas Zeit zu gewinnen, wäre das ein Anfang – ob er sich in dieser Hinsicht als verbindendes Programm eignet, wird sich zeigen.
Dominic Iten ist Redakteur beim Widerspruch und beim Schweizer Vorwärts.