25. November 2025
Syriens Interimspräsident Ahmed al-Scharaa wird im Westen mit offenen Armen empfangen. Dabei schätzt man an ihm jedoch nicht in erster Linie demokratische Werte, sondern hofft, dass er eine militarisierte Ruhe und Ordnung sichern kann.

Nur einen Tag, nachdem er von der Terrorliste gestrichen wurde, trifft Ahmed al-Scharaa Donald Trump im Weißen Haus.
Es wirkte, als sei für Syrien eine neue Ära angebrochen: Am 24. September trat Interimspräsident Ahmed al-Scharaa vor die Generalversammlung der Vereinten Nationen. Er war der erste syrische Regierungschef seit sechs Jahrzehnten, der in dem UN-Gremium sprach. Er wurde von vielen als neuer Anführer begrüßt, der sich den tiefliegenden Problemen des Landes annehmen wird. In Syrien selbst ist seine Bilanz deutlich weniger rosig.
Am 5. Oktober fanden nach jahrzehntelanger Diktatur und vierzehn Jahren Krieg erstmals wieder Wahlen statt. Der Prozess stand jedoch unter der strengen Kontrolle der neuen Behörden; politische Organisationen waren verboten und nur Einzelpersonen durften kandidieren. Auch der Großteil der Bevölkerung war nicht beteiligt: Nur wenige Tausend waren als Wähler registriert, während die Mehrheit der rund 16 Millionen Syrerinnen und Syrer (plus die 6 Millionen, die ins Ausland geflüchtet sind) kaum wusste, was überhaupt vor sich ging.
Das zeigt bereits das vorrangige Ziel der neuen Regierung: Sie will die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium erlangen und gleichzeitig die Macht in den Händen ihres Anführers zentralisieren.
Um dieses innenpolitische Ziel zu erreichen, hat sich die Regierung von al-Scharaa darauf konzentriert, internationale Unterstützung zu gewinnen. Die türkische Regierung hat von Anfang an ihre volle Mithilfe zugesagt. Das Ende der Wirtschaftssanktionen der USA, Europas und Japans war ein wichtiger Faktor, um die Erwartungen der Bevölkerung an die neue Regierung zu steigern. In diesem Zuge wurden mehrere Absichtserklärungen unterzeichnet, die Investitionszusagen in Milliardenhöhe von US-amerikanischen, chinesischen, katarischen, emiratischen und türkischen Unternehmen für den Ausbau der syrischen Häfen und der Energieversorgung beinhalten. Die Streichung von al-Scharaas Bewegung Hai’at Tahrir asch-Scham (HTS) von den Terrorlisten westlicher Staaten war ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur internationalen Anerkennung seiner Regierung.
»Doch seit ihrer Machtübernahme im vergangenen Dezember tut sich die Regierung nach wie vor schwer, überall in Syrien die Kontrolle zu erlangen oder zu behaupten.«
Doch die viel gepriesene neue Freiheit Syriens hat auch beunruhigende Seiten. Besonders zu erwähnen sind die Zusammenstöße zwischen Beduinenstämmen, Regierungstruppen und drusischen Gruppen im Gouvernement as-Suwaida im Juli dieses Jahres. Ebenso gab es Konflikte in den Küstenprovinzen, in denen es im März zu einem Aufstand der Alawiten kam, sowie im kurdisch dominierten Nordosten.
Zeitgleich zeigten die im Juli in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku aufgenommenen Gespräche mit Israel über die israelische Besetzung der syrischen Golanhöhen sowie die Intervention der Regierung al-Scharaa in as-Suwaida, mit welchen geopolitischen Herausforderungen das Land konfrontiert ist und welche erheblichen internen Auswirkungen diese haben können. Syrien ist offensichtlich nicht in der Lage, Israel auf den Golanhöhen militärisch entgegenzutreten, doch eine mögliche, kampffreie Abtretung dieses Gebiets stößt intern ebenfalls auf starken Widerstand. In as-Suwaida gab es weitere Spannungen, wobei Israel zur Unterstützung drusischer Milizen intervenierte.
Die amtierende syrische Regierung hat ihre externe Anerkennung und Legitimation als grünes Licht interpretiert, um die inner-syrische Kontrolle über staatliche Institutionen voranzutreiben. Dabei kam es zu Gewalt und die zugesicherten demokratischen Rechte in Bezug auf Religionsgemeinschaften, Frauen und ethnische Gruppen wurden teilweise in Frage gestellt.
Kein radikaler Islamismus?
Viele westliche Unterstützer betonen, die neue Regierung werde zwar von HTS-Veteranen geführt, gehe bei der Festigung ihrer Dominanz über die syrische Gesellschaft jedoch »pragmatisch« vor. Die Befürchtungen, dass sie eine radikalislamische Regierung etablieren könnte, hätten sich demnach nicht erfüllt. Trotz der eigenen Vergangenheit mit Verbindungen zu Organisationen wie Jabhat al-Nusra scheinen die neuen Führer Syriens ihre Strategie erfolgreich angepasst zu haben, um sowohl die internationale Gefühlslage als auch die gesellschaftliche und ethnisch-religiöse Vielfalt des Landes zu berücksichtigen.
Doch seit ihrer Machtübernahme im vergangenen Dezember tut sich die Regierung nach wie vor schwer, überall in Syrien die Kontrolle zu erlangen oder zu behaupten. Nachdem die Diktatur Assads im Zuge einer von der HTS angeführten Offensive implodiert war, brachen auch viele Sicherheitsinstitutionen des Landes abrupt zusammen. Sie waren durch vierzehn Jahre Krieg, Sanktionen und ein noch viel längeres Erbe von Diktatur und Korruption erheblich geschwächt.
»Um ihre Macht zu festigen, ist es für die Interimsregierung unerlässlich, das Sektierertum zwischen den diversen ethnischen und religiösen Gemeinschaften auszunutzen, anstatt konsequent gegen solche destruktiven Kräfte vorzugehen.«
Das daraus resultierende Vakuum ermöglichte das Entstehen verschiedener Milizen (auch aufgrund der unkontrollierten Übernahme von Waffenarsenalen). Einige dieser Milizen setzen sich aus extremistischen Bewegungen wie dem IS oder Deserteuren der HTS zusammen, die sich neu formiert haben und die Übergangsregierung bekämpfen wollen. Andere wollen vor allem ihre eigenen Communities verteidigen, teilweise auch in Abstimmung mit dem neuen Verteidigungsministerium, jedoch nicht unter dessen vollständiger Befehlsgewalt. Dies ist der Fall bei den Drusen in as-Suwaida oder bei der kurdisch-arabischen Allianz im Nordosten, die bereits seit Längerem ihr eigenes Territorium kontrolliert.
Fast ein Jahr nach al-Scharaas Einzug in Damaskus lebt die Bevölkerung nach wie vor in Unsicherheit. Die Syrerinnen und Syrer warten weiterhin auf bessere Lebensbedingungen: 90 Prozent leben in Armut und 70 Prozent sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Diese prekären ökonomischen Bedingungen werden durch Gewalt und konfessionelle sowie ethnische Spannungen verschärft, die seit dem nominellen Ende des Bürgerkrieges immer wieder und in unterschiedlich schwerem Ausmaß aufgeflammt sind.
All dies belegt eine spannungsgeladene Situation, die man mit »zwei Syriens« umschreiben könnte: Auf der einen Seite stehen Millionen Menschen, die dem Autoritarismus, dem psychologischen Druck und der wirtschaftlichen Unterdrückung der Assad-Ära ausgesetzt waren und nun wirkliche Freiheit wünschen; auf der anderen Seite steht die neue Regierung, die den Staat unter neuen Rahmenbedingungen wiederaufbauen und ihre Macht mit allen erdenklichen Mitteln festigen will – von politischer und gesellschaftlicher Integration einerseits bis hin zu offener Gewalt und Repression andererseits.
Teile und herrsche
Zwar hat al-Scharaa versprochen, die ethnisch-religiösen Minderheiten Syriens zu schützen, doch viele Mitglieder der alawitischen, drusischen, christlichen und anderer Gemeinschaften sind nicht überzeugt. Gegen Dissidenten wird Gewalt angewendet; in den Gouvernements Hama, Homs, as-Suwaida und Damaskus kam es in unterschiedlichem Maße zu Übergriffen. Das untergräbt die Hoffnungen vieler Syrerinnen und Syrer auf die Zukunft.
In der südsyrischen Provinz as-Suwaida herrscht seit Juli Chaos. Es ist die dritte große Krise Syriens unter der Interimsregierung. Die heftigen Zusammenstöße zwischen bewaffneten Beduinenstämmen und lokalen drusischen Milizen, die in den überwiegend drusischen Provinzen as-Suwaidas begannen, ließ bei vielen Erinnerungen an den Krieg wieder aufleben. Bis heute sind bewaffnete drusische Gruppen vor Ort präsent, die trotz ihrer internen Differenzen eine gewisse Distanz zur neuen Regierung halten (oder sich ihr direkt widersetzen).
»Präsident al-Scharaa hat weder die vollständige Kontrolle über die verschiedenen Fraktionen innerhalb der HTS noch herrscht er über das gesamte syrische Territorium.«
Im Juli hatte die Entführung eines drusischen Kaufmanns durch Beduinengruppen (die mit der neuen Regierung verbündet sind) heftige Kämpfe ausgelöst. Es kam zum Eingreifen der Regierungstruppen mit Unterstützung lokaler drusischer Fraktionen. Das führte zu einer Katastrophe. Auch die Einmischung Israels im Süden Syriens verstärkte sich: Tel Aviv ließ Luftangriffe gegen die syrische Armee fliegen. Ebenso kam es zur Massenmobilisierung unter Beduinenstämmen, was zu Massakern auf beiden Seiten führte, die in Dutzenden schrecklichen Videos auf Social Media dokumentiert wurden. Derzeit sind Verhandlungen zur echten Integration des Gouvernements as-Suwaida unter die Kontrolle der neuen Regierung in Damaskus wohl unwahrscheinlicher als je zuvor.
Laut dem Syrian Network for Human Rights wurden bei den Auseinandersetzungen im Juli mindestens 814 Zivilisten oder unbewaffnete Kämpfer getötet und 903 verletzt. Humanitäre Hilfsorganisationen schätzen, dass sich mehr als 100.000 Binnenflüchtlinge in Notunterkünften in Dar’a und Damaskus aufhalten. Aktuell gibt es in der südsyrischen Region eine fragile und temporäre Waffenruhe. Allerdings bleibt der Zugang für die Presse blockiert, humanitäre Hilfe ist rar und seit mehreren Wochen gibt es nur unzureichende Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln.
Diese Krise wirkt wie die Kopie einer Situation, die sich entwickelte, als Überbleibsel des alten Regimes in der Küstenregion um Latakia und Tartus gegen Zivilisten und Sicherheitskräfte vorgingen und damit eine repressive Reaktion der neuen Interimsregierung provozierten. Diese Reaktion führte zu weiteren Massakern an Zivilisten sowie außergerichtlichen Hinrichtungen. Die Regierungstruppen gingen unterschiedslos brutal vor: Das Syrian Network for Human Rights dokumentierte die Tötung von mehr als 1.500 Menschen. Die Regierung in Damaskus bezeichnete die Übergriffe als die »Taten Einzelner« und versprach, Ermittlungen einzuleiten. Mehrere Monate später gibt es allerdings nach wie vor keinerlei Anzeichen dafür, dass die Verantwortlichen festgenommen werden könnten.
Die offiziellen Mitteilungen klingen wie ein Alibi; Rache scheint oft vor Gerechtigkeit zu gehen. Eine Recherche von Reuters kam derweil zu dem Schluss, dass die Befehlskette der Täter bis in die Hauptstadt Damaskus reicht. Dort wiederum wird versucht, die gesamte alawitische Community für die früheren Verbrechen der Assad-Familie verantwortlich zu machen.
»Die im März verabschiedete Übergangsverfassung garantiert nominell Glaubens- und Meinungsfreiheit sowie Gleichheit vor Gericht, festigt jedoch in erster Linie die ohnehin schon weitreichenden Befugnisse al-Scharaas.«
Leiden mussten auch die Drusen im April während vier Tage andauernden Auseinandersetzungen in den Vororten von Damaskus; ebenso die christliche Minderheit am 22. Juni, als mindestens 25 Menschen getötet und 65 verletzt wurden. Die Regierung schrieb den damaligen Angriff dem Islamischen Staat zu, doch kurz später bekannte sich eine wenig bekannte Organisation namens Saraya Ansar al-Sunnah zu der Tat. In jedem Fall zeigen die Vorfälle, dass die Regierung nicht in der Lage ist, alle unterschiedlichen Gemeinschaften und Bevölkerungsgruppen im Land zu schützen.
Andererseits kommt die Gewalt der neuen Führung recht gelegen: Um ihre Macht zu festigen, ist es für die Interimsregierung unerlässlich, das Sektierertum zwischen den diversen ethnischen und religiösen Gemeinschaften auszunutzen, anstatt konsequent gegen solche destruktiven Kräfte vorzugehen. Dabei werden zwei Ziele verfolgt: Zunächst stellt die Regierung die sunnitische Community als einziges Opfer der Unterdrückung durch Assad dar und wirbt gleichzeitig um Teile der sunnitischen Bevölkerung, die zu Aufständischen werden könnten (siehe die jüngsten Mobilisierungen unter Beduinenstämmen). Auf der anderen Seite macht die Regierung einzelne Gruppen zu Sündenböcken und stellt sie als Bedrohung für die Sicherheit oder als Verantwortliche für die Probleme des Landes dar. Dadurch kann die öffentliche Aufmerksamkeit von den tieferliegenden ökonomischen und politischen Herausforderungen Syriens abgelenkt werden.
Fragile Zentralisierung
Hinter den jüngsten gewalttätigen Ausschreitungen in Syrien verbirgt sich ein tiefergehendes strukturelles Problem: Präsident al-Scharaa hat weder die vollständige Kontrolle über die verschiedenen Fraktionen innerhalb der HTS noch herrscht er über das gesamte syrische Territorium. Seine Unfähigkeit, umfassende politische Abkommen durchzusetzen, ist auf das Fehlen einer einheitlich agierenden Armee, das Fortbestehen rivalisierender lokaler Warlords und ein strategisches Narrativ zurückzuführen, in dem es praktisch ausschließlich um die »Beseitigung der Überreste des Assad-Regimes« geht. Faktisch scheint sich die Machtausübung weg von Damaskus zu bewegen; die zentralisierte Autorität der Interimsregierung wird zunehmend untergraben.
Während also Fragmentierung die politische Landschaft Syriens prägt, wird dennoch versucht, Zentralisierung von oben nach unten durchzusetzen: Die im März verabschiedete Übergangsverfassung garantiert nominell Glaubens- und Meinungsfreiheit sowie Gleichheit vor Gericht, festigt jedoch in erster Linie die ohnehin schon weitreichenden Befugnisse al-Scharaas. Er und seine Verbündeten kontrollieren nun die Ernennungen zum Verfassungsgericht, ein Drittel der Legislative und können nach Belieben den Ausnahmezustand ausrufen. Unter dem Deckmantel der »nationalen Einheit« wurden institutionelle Kontrollmechanismen systematisch abgeschafft.
Zeitgleich schafft Syrien allerdings auf internationaler Ebene bedeutende Schritte. Die angekündigte Aufhebung der US-Sanktionen unter Trump sowie die Wiedereingliederung Syriens in das SWIFT-Bankensystem (auch wenn es noch Monate dauern wird, bis dies umgesetzt wird) lassen von wirtschaftlicher Erholung träumen. Gleichzeitig laufen Verhandlungen mit Israel über die Golanhöhen: Syrien möchte vermeiden, Opfer einer weiteren Ausweitung der zionistischen Besatzung zu werden. Diese Entwicklungen deuten tatsächlich auf eine starke diplomatische Wende hin, wobei die HTS sich von der radikalen Dschihad-Doktrin entfernt, die noch in der ehemaligen Al-Nusra-Front gepflegt wurde.
»Die derzeitige Strategie des Westens scheint diese neue fragile Ordnung in Syrien hinzunehmen und als Garant für eine ›militarisierte Stabilität‹ in der Region zu unterstützen.«
Abschließend lässt sich festhalten, dass die Sorge vor einer sich anbahnenden Autokratie oder gar einem islamistischen Staat übertrieben sein könnte. Die Regierung von Al-Scharaa scheint derzeit ein hybrides Regierungsmodell anzustreben: autoritäre Zentralisierung einerseits, jedoch gepaart mit taktischer Dezentralisierung und Allianzen mit Stammesführern sowie lokalen Machthabern andererseits.
Der Fokus liegt auf ethnischer oder religiöser Identität. Die Entwicklung einer klassenbasierten Politik ist dabei geradezu unmöglich gemacht worden: Die Zivilgesellschaft, die in den ersten Tagen des Aufstands noch sehr vital agierte, wurde mit staatlicher Gewalt unterdrückt. Darüber hinaus wurden politische Parteien und Gewerkschaften im Namen des »nationalen Übergangs« aufgelöst. Proteste von Staatsbediensteten gegen Entlassungen und für bessere Löhne, die in den ersten Monaten nach dem Fall Assads stattfanden, sind nach den Massakern in Latakia und Tartus verebbt.
Mehrere Arbeiterinnen und Arbeiter wurden auf ihrem nächtlichen Heimweg ermordet. Untersuchungen kamen zu dem Schluss, dass es sich dabei nicht um bandenbezogene Vorfälle handelte, sondern um geplante Angriffe. Die Reallöhne liegen unter 150 Dollar pro Monat, aber nur wenige wagen es zu protestieren, nachdem unbekannte Angreifer mehrfach Demonstranten eingeschüchtert haben. Zwar gab es kürzlich Demonstrationen von Lehrkräften, die in Aleppo und Deir ez-Zor höhere Löhne forderten, aber dies ist weit entfernt von einer Massenpolitisierung rund um ökonomische Fragen und Forderungen.
Aktuell bleibt die Frage der bewaffneten Gruppen von entscheidender Bedeutung. Es gibt Bemühungen, eine einheitliche syrische Armee zu konsolidieren, die alle bewaffneten Fraktionen unter einem zentralen Kommando vereint. Die HTS-Führung übt derzeit zwar strikte Kontrolle über viele sunnitische Milizen in Idlib aus, muss aber mit nicht-sunnitischen Bevölkerungsgruppen wie den Drusen und auch mit den Kurden verhandeln, deren bewaffnete Fraktionen Teile des Südens beziehungsweise des Ostens Syriens kontrollieren. Diese Integrationsbemühungen stoßen jedoch an ihre Grenzen. Entscheidungen auf höchster Ebene werden weiterhin von einem kleinen inneren Zirkel getroffen, und rivalisierende bewaffnete Fraktionen widersetzen sich lokal der Unterstellung unter die neuen Behörden.
Besonders schädigend ist dabei die Straflosigkeit, mit der die Gewalt weitergeht. Sie untergräbt die Glaubwürdigkeit der Zentralisierungsbemühungen von al-Scharaa. Und sie offenbart eine unangenehme Wahrheit: Die derzeitige Strategie des Westens scheint diese neue fragile Ordnung in Syrien hinzunehmen und als Garant für eine »militarisierte Stabilität« in der Region zu unterstützen. Damit riskiert der Westen, Fehler aus der Vergangenheit zu wiederholen: Er könnte einen weiteren gewalttätigen Machthaber stützen – in einer Region, die immer weiter ins Chaos abgleitet.
Santiago Montag ist ein argentinischer Journalist und Fotograf. Seine Arbeit erschien in spanischsprachigen Medien wie La Izquierda Diario, La Tinta, Jacobin America Latina, Nueva Sociedad, CTXT und El Salto.