04. März 2022
Die Risiken des Klimawandels sind verheerender als gedacht, warnt der jüngste Bericht des Weltklimarats IPCC. Uns bleibt keine Zeit für kleine Schritte.
Waldbrände überziehen im Sommer 2021 Griechenland.
Der in dieser Woche veröffentlichte Bericht des Weltklimarats (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) ist alarmierend. Vor drei oder vier Jahren hätte ein derart schockierender Report vermutlich die Nachrichten beherrscht. Er steht den bahnbrechenden Berichten von 2018 um nichts nach, die uns vor einer drohenden Heißzeit warnten und uns noch zwölf Jahre gaben, um den Planeten zu retten. Denn er erklärt, dass viele der Auswirkungen der globalen Erwärmung bereits unumkehrbar sind.
Gegenwärtig werden diese Befunde verständlicherweise vom Krieg in der Ukraine überschattet. Aber auch dadurch, dass Gruppen wie Extinction Rebellion seit Jahren anhaltend Alarm schlagen, haben die erschreckenden Effekte des Klimawandels einiges an Schockfaktor eingebüßt.
Dies ist der zweite Teil des sechsten Weltklimaberichts des IPCC. Der erste erschien im August 2021 und aktualisierte »die physikalischen Grundlagen« des Klimawandels; der zweite beschreibt nun die Auswirkungen, Anpassungsmöglichkeiten und Anfälligkeiten für dessen Folgen. Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Situation ist jetzt schon katastrophal und sie wird sich noch drastisch verschlechtern.
Die Tenor ist derselbe wie schon bei anderen Reporten dieser Art: Mit der zunehmenden Erforschung des Klimawandels zeigt sich, dass dessen Auswirkungen gravierender sind und schneller eintreten werden, als zuvor prognostiziert wurde. Mit Verspätung belegt »die Wissenschaft« nun vieles von dem, was einige schon lange wussten. Seit Jahren wird davor gewarnt, dass die Einschätzungen der Klimaforschung konservativ seien. Der Guardian zitierte etwa Madeleine Diouf Sarr, die senegalesische Vorsitzende der Gruppe der am wenigsten entwickelten Länder (Least Developed Countries, LDC): »Ich habe diesen Bericht mit Angst und Traurigkeit gelesen, aber ich kann nicht sagen, dass ich überrascht war.«
Viele der extremen Wetterereignissen, die wir bereits aufgrund der globalen Erwärmung erlebt haben – Hitzewellen, Dürren, Waldbrände, Überschwemmungen, Stürme –, sind nicht mehr abzuwenden. Einen gewissen Anstieg des Meeresspiegels, der einige kleine Inseln existenziell bedroht, wird es zwangsläufig geben. Auch zentrale wirtschaftliche Infrastrukturen werden dadurch voraussichtlich zerstört werden. Wir müssen damit rechnen, dass in den kommenden Jahren viele Häfen und Küstenregionen schwer getroffen werden. Bis zum Ende dieses Jahrhunderts sind zwischen 7,9 Billionen und 12,7 Billionen Dollar an globalen Vermögenswerten und über 1 Milliarde Menschen in Küstenregionen gefährdet.
Eine Erderwärmung um 1,7 oder 1,8 Grad wird die Hälfte der Weltbevölkerung lebensbedrohlicher Hitze und Feuchtigkeit aussetzen, wie der Bericht darlegt. Erwartungsgemäß werden die Auswirkungen des Klimawandels diejenigen Menschen und Nationen am frühesten und am heftigsten treffen, die am wenigsten zu den globalen Emissionen beigetragen haben. Steigt die Temperatur um 1,6 Grad, werden 8 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen nicht mehr nutzbar sein, was die Ernährungsunsicherheit, Armut und Unterversorgung im Globalen Süden verschärfen wird. Die Liste der aktuellen und zukünftigen Folgen ließe sich noch weiter fortsetzen.
Die Veröffentlichung von Klimaberichten wird von der herrschenden Klasse routinemäßig dazu genutzt, um ihr Öko-Image aufzupolieren, ohne jedoch irgendwas zu unternehmen. Wir werden mit pathetischen Worten über die bevorstehenden Bedrohungen, mit heuchlerischen Aufrufen zum »Handeln« und mit wenig überzeugenden Plädoyers für die Notwendigkeit der »Hoffnung« überschüttet.
Diese leeren Worte kommen von Menschen, die unverhältnismäßig viel Macht haben und leicht dafür sorgen könnten, dass die Politik die wissenschaftlichen Befunde nicht länger ignoriert, sondern die erforderlichen Maßnahmen ergreift. Es sind dieselben Regierungsvertreter, die Netto-Null-Ziele (wie die Großbritanniens) gutheißen, obwohl diese ein Massensterben garantieren. Es sind dieselben westlichen Regierungen, die sich geweigert haben, ärmeren Ländern angemessene Finanzmittel für den Klimaschutz zur Verfügung zu stellen. Auch der IPCC-Bericht stuft die Verfügbarkeit solcher Finanzmittel als »unzureichend« ein. Die USA wollten die Formulierung »Verluste und Schäden« aus dem Bericht tilgen lassen, weil sie befürchten, dies würde einen Aufhänger bieten, um sie beim globalen finanziellen Ausgleich zur Verantwortung zu ziehen.
Mit den mageren Investitionen, ihrem unkritischen Verhältnis zur fossilen Industrie und ihrem Vertrauen in die Märkte beweisen diese Politikerinnen und Politiker, dass ihr Hauptanliegen nicht ist, die Klimakatastrophe abzuwenden, sondern sie vor allem die Profitabilität des Status quo aufrechterhalten wollen. Der Schattenminister für Klimaschutz der britischen Labour Party Ed Miliband reagierte entschlossener auf den Bericht: »Business as usual kommt in einer sich schnell erwärmenden Welt einer Katastrophe gleich.« Damit hat er Recht. Fraglich ist jedoch, ob die Labour Party oder irgendeine andere große Partei eine solche Abkehr ernsthaft in Erwägung zieht.
Das Zeitfenster, das uns noch bleibt, um das Schlimmste zu verhindern, ist nur sehr kurz, warnt der IPCC-Bericht. Der Aspekt der Zeit ist von entscheidender Bedeutung, genauso aber auch der Aspekt der politischen Machtverhältnisse, der häufig vernachlässigt wird. Wenn wir bei einem Wirtschaftssystem bleiben, das uns strukturell daran hindert, den Klimawandel einzudämmen und uns auf ihn einzustellen, dann ist es gleichgültig, wie schnell wir zu handeln versuchen.
Das Profitstreben des Kapitalismus verunmöglicht den nötigen rapiden Übergang von fossilen zu erneuerbaren Energieträgern. Die versunkenen Kosten privater Investoren in umweltverschmutzende Infrastrukturen schaffen einen Anreiz, weiterhin fossile Brennstoffe abzubauen. Die politische Klasse ist fest in der Hand des Kapitals. Der Klimawandel ist eine Krise, die durch den Kapitalismus verursacht wurde. Im Gegensatz zu den Finanzkrisen des letzten Jahrhunderts wird der Kapitalismus diese jedoch nicht selbst lösen können.
Die warmen Worte und die hartnäckige Tatenlosigkeit der politischen Elite beweisen, dass sie nicht bereit ist, die Maßnahmen zu ergreifen, die notwendig wären, um diese Katastrophe noch aufzuhalten. Stattdessen brauchen wir eine Massenbewegung, die diesen Wandel in die eigenen Hände nimmt. Wir müssen anerkennen, dass die globale Expansion kapitalistischer Märkte durch den Kolonialismus der Auslöser der Klimakrise war.
Der IPCC-Bericht räumt zwar ein, dass der Klimawandel mit anderen sozialen Problemen verbunden ist. Dieses Narrativ der »Verflechtung« sollten wir jedoch zurückweisen und stattdessen das kapitalistische Wirtschaftssystem anfechten. Das bedeutet nicht, dass wir einen vollständigen Systemwandel abwarten müssen, bevor wir mit der Dekarbonisierung beginnen können, sondern dass Klimagerechtigkeit nur durch eine sozialistische Transformation zu erreichen sein wird.
Wenn der jüngste IPCC-Bericht eines in aller Deutlichkeit gezeigt hat, dann ist es die Notwendigkeit internationaler Solidarität. Wenn wir dieses Prinzip ernst nehmen, können wir uns jedoch nicht darauf beschränken, Tragödien nur abzumildern, während sie sich bereits ereignen. Unsere Solidarität muss proaktiv sein und eine neue Ordnung anstreben, die den Globalen Süden stärkt und die arbeitenden Menschen gegenüber dem Kapital ermächtigt.
Wir brauchen eine neue globale politische Ökonomie, die unsere Abhängigkeit von umweltschädlichen Ressourcen neu justiert und Anreize für Kooperation und ökologische Gerechtigkeit schafft. Den Pseudo-Internationalismus der militärischen Intervention und selektiven Hilfe sollten wir ablehnen und einen sozialistischen Internationalismus der Gleichheit, Gerechtigkeit und kollektiven Transformation dagegen halten.
Chris Saltmarsh hat die Kampagne Labour for a Green New Deal mitbegründet. Er ist Autor des Buches »Burnt: Fighting for Climate Justice« (Pluto Press, September 2021).
Chris Saltmarsh ist Mitbegründer der Kampagne Labour for a Green New Deal, die sich im letzten Jahr erfolgreich dafür einsetzte, einen radikalen Green New Deal zum Ziel der Labour-Partei zu erklären.