22. September 2021
Jürgen Todenhöfer mimt gerne den Weltverbesserer und will für Gerechtigkeit und Frieden sorgen. Wie der Name seiner Partei vermuten lässt, geht es aber vor allem um eines: ihn selbst.
An Selbstüberschätzung mangelt es Jürgen Todenhöfer nicht, dafür umso mehr an Realitätssinn.
Seit Wochen grinst er einem in vielen Großstädten von großflächigen Plakaten entgegen: Jürgen Todenhöfer – Politiker, Manager, Autor. Nachdem er zwischen 1972 und 1990 schon einmal 18 Jahre lang im Bundestag war, gibt er mit seinen 80 Jahren nochmal Gas. Mit Slogans wie »Respekt statt Rassismus« oder »Ja, Politik ohne Lügen, Korruption und Krieg ist möglich« will er jetzt zurück in die Bundespolitik. Doch was steckt hinter dem Team Todenhöfer und seinem unbestrittenen Anführer?
Todenhöfer nennt sein Wahlprojekt, das er an seinem 80. Geburtstag am 12. November 2020 in Berlin gegründet hat, »Die Gerechtigkeitspartei«. Die massive soziale Ungleichheit in diesem Land und das globale Nord-Süd-Gefälle möchte er allerdings nicht angehen. Eine Vermögenssteuer lehnt der Multimillionär Todenhöfer strikt ab. Stattdessen müsse man auf die Wohltätigkeit der Reichen setzen.
Wie er im Interview mit Tilo Jung nicht müde wird zu betonen, hat er selbst etwa an Weihnachten Essen an Geflüchtete ausgegeben. »Wohlhabende und besonders Superreiche sollten ermutigt werden, freiwillig wesentliche Teile ihres Vermögens für gemeinnützige Zwecke zu spenden«, so will es zumindest Todenhöfers Parteiprogramm. Dass diese meist in Stiftungsform verbrämte Form der »Wohltätigkeit« oft nur ein Steuersparmodell für Reiche ist, unterschlägt er dabei geflissentlich. Vor diesem Hintergrund verwundert es kaum, dass sein Parteiprogramm weitere Steuererleichterungen für Reiche vorsieht, die Teile ihres Vermögens spenden.
Auch im Gespräch mit Tilo Jung argumentiert er vehement gegen höhere Steuern für Vermögende. Er wolle keinen Staat, »der immer an die Reichen« rangeht. Die Reichen sollten nicht ärmer, sondern die Armen reicher werden. Dabei hat schon Bertolt Brecht festgestellt, dass dies ein Paradoxon ist: »Reicher Mann und armer Mann standen da und sah’n sich an. Und der Arme sagte bleich: Wär’ ich nicht arm, wärst Du nicht reich.«
Die entschiedene Ablehnung höherer Steuern für Reiche ergibt für Todenhöfer durchaus Sinn, das offenbart nicht zuletzt ein Blick auf seine Vermögensverhältnisse. Er ist selber sehr reich und an einer Vielzahl von Unternehmen, Stiftungen und aller Wahrscheinlichkeit nach auch Privatbanken beteiligt. Wie viel er genau besitzt, darüber gibt er keine Auskunft.
Reich und einflussreich waren auch andere Mitglieder seiner Familie – etwa sein Onkel Gerhard Kreuzwendedich Todenhöfer. Dieser war in der Zeit des deutschen Faschismus im Auswärtigen Amt Vertrauensmann des führenden NSDAP-Funktionärs Martin Bormann. Letzterer war in jeder Phase der Judenverfolgung und Judenvernichtung eine treibende Kraft und in die judenfeindliche Gesetzgebung als auch ihre verwaltungsmäßige Durchführung involviert. Im Auswärtigen Amt wurde Gerhard Kreuzwendedich Todenhöfer stellvertretender Referatsleiter für »Judenangelegenheiten«.
Später, in der nicht entnazifizierten BRD, wurde Gerhard Kreuzwendedich Todenhöfer zum engen Vertrauten von Kurt Georg Kiesinger, der von 1966 bis 1969 Bundeskanzler und von 1967 bis 1971 Bundesvorsitzender der CDU war. Kiesinger war seit 1933 Mitglied der NSDAP und während des Faschismus ebenfalls im Auswärtigen Amt tätig. Diese alten Netzwerke verhalfen Jürgen Todenhöfer zu einer rasanten Karriere in der Politik. Kürzlich erst behauptete er, keinen engen Kontakt zu seinem Onkel gehabt zu haben. Doch in seiner 2011 veröffentlichten Autobiographie Teile dein Glück klang das noch ganz anders: »Für mich war mein Onkel ein Held«. Dort weist er auch selber darauf hin, dass es sein Onkel war, der ihm »einen Job in Bonn besorgte«. Im Januar 1970 trat Todenhöfer in die CDU ein, war schon einen Monat später persönlicher Referent des CDU-Generalsekretärs Bruno Heck und 1972 direkt im Bundestag. So schnell kann es gehen, wenn man über die entsprechenden Kontakte verfügt.
In der CDU war Todenhöfer in der Stahlhelm-Fraktion und als rechter Hardliner bekannt. So forderte er im Kampf gegen die RAF Jagdkommandos, gezielte Todesschüsse und Zwangsernährung bei Hungerstreiks. Seinen von der RAF ermordeten Freund Hanns Martin Schleyer bezeichnet er bei Jung & Naiv als »ganz milden Mann«. Dass Schleyer SS-Untersturmführer gewesen war, dürfte Todenhöfer bewusst sein. Da überrascht es auch nicht weiter, dass Todenhöfer in Franz Josef Strauß einen Modernisierer Bayerns sieht und keinen Reaktionären, der mit den Diktatoren dieser Welt engste Kontakte pflegte.
Diese Bewunderung scheint auf Todenhöfer abgefärbt zu haben, der im März 1975 selbst ins faschistische Chile fuhr, Diktator Pinochet seine Aufwartung machte und sich dafür einsetzte, dass die Bundesrepublik dem Regime Kredite ausstellt. Ende der 1970er Jahre war Todenhöfer zudem ein Unterstützer der Apartheid in Südafrika. Als 1978 im von Südafrika de facto besetzten Namibia Wahlen stattfanden, bei denen keine Partei der schwarzen Bevölkerung zugelassen war (z.B. die SWAPO), hielt Todenhöfer diese Wahlen für die demokratischsten, die je in Afrika stattgefunden hätten. Unterdrückung von Schwarzen im Apartheid-Südafrika? Gab es nicht. Der ANC und Nelson Mandela? Terroristen. Heute sei Mandela für ihn natürlich ein Vorbild.
Todenhöfers Unterstützung autoritärer Regime zieht sich trotz dieses scheinbaren Sinneswandels bis in die Gegenwart. Er trifft sich immer wieder freundschaftlich mit Abgeordneten und Diplomaten der türkischen AKP und beteuerte nach den letzten Kommunalwahlen, die Türkei sei demokratischer, als viele Kritikerinnen und Kritiker behaupten würden. Dass Todenhöfer den Völkermord an den Armenierinnen und Armeniern relativiert und sich dabei auf die »Argumente« der AKP bezieht, passt ins Bild. Für Todenhöfer scheint sich der rege Austausch ausgezahlt zu haben, denn am 9. September 2021 erklärte die BIG Partei – der deutsche Ableger der AKP – in einer Presseerklärung ihre Unterstützung für das Team Todenhöfer. Der Erdogan-Fan Mesut Özil twitterte kurz darauf ein Foto von sich und Todenhöfer. Eine Hand wäscht die andere. Zur brutalen Verfolgungspolitik gegen die Kurdinnen, Kurden und alle anderen, die nicht ins Weltbild des türkischen Regimes passen, hat er hingegen nichts zu sagen.
Zurück zum Team Todenhöfer, in dem vor allem einer das Sagen hat: Todenhöfer selbst. Die Partei behauptet von sich, eine progressive, offene Asylpolitik zu befürworten, will aber im Endeffekt die Mauern um Europa beibehalten und sogar ausbauen. Der angebliche Kontrollverlust im Sommer der Migration 2015 wird von Todenhöfer massiv kritisiert. Es wären zu viele Menschen aufgenommen worden, dies dürfe nicht mehr passieren, so Todenhöfer. Um das auch sicherzustellen, müsste Nachbarstaaten von Krisenländern finanziell geholfen werden. Im Klartext heißt das: Der Türkei sollen noch mehr Milliarden zugeschoben werden, damit sie weiterhin den Türsteher Europas spielt. Damit unterscheidet sich Todenhöfer nicht von den Unionsparteien, der FDP und der SPD, die die Abschottung Europas weiter aufrecht erhalten wollen.
Über Todenhöfer und seine Positionen ließe sich noch einiges schreiben, vieles davon liegt mehr als vierzig Jahre zurück – alles lange her und Menschen können sich ändern. Dass ein Großteil der Gründungsmitglieder von Todenhöfers Partei schon wieder das Boot verlassen hat oder rausgeworfen wurde, zeigt aber zumindest, dass Todenhöfer weniger teamfähig ist, als es der Name seiner Partei nahelegen will.
Heute gibt sich Todenhöfer als der große Wohltäter und Vertreter der muslimischen Community. Dass er sich vor allen Dingen aus Machtkalkül so darstellt, könnte in den nächsten Tagen der Journalist Tahir Nadim Chaudhry offenlegen. Chaudhry war selbst im Gründungsteam der Partei und hat die Machenschaften dieses Mannes hautnah miterlebt. Diese Woche erscheint ein von ihm produzierter Enthüllungsfilm, der den passenden Titel Der Märchenonkel. In 80 Jahren um sich selbst trägt.
Es ist klar, dass Todenhöfer letztendlich nur ein weiterer Interessensvertreter des deutschen Kapitals ist, der den Reichen nichts nehmen, die Festung Europas beibehalten und vor allem sich selbst ein Denkmal setzen will. Um das zu erreichen, ist er sich scheinbar auch nicht zu schade, mit den Gefühlen von Menschen zu spielen, die in der Tat Rassismus und Ausgrenzung in unserer Gesellschaft erleben.
Dr. Kerem Schamberger ist politischer Aktivist und hat kürzlich zum Thema »Kurdische Medien« promoviert. Im Jahr 2018 erschien sein Buch »Die Kurden – ein Volk zwischen Unterdrückung und Rebellion« im Westend Verlag.
Dr. Kerem Schamberger ist politischer Aktivist und hat kürzlich zum Thema »Kurdische Medien« promoviert. Im Jahr 2018 erschien sein Buch »Die Kurden – ein Volk zwischen Unterdrückung und Rebellion« im Westend Verlag.