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Das Online-Magazin von JACOBIN Deutschland

15. September 2025

Tech-Hypes führen in die Cyber-Dystopie

Wollen wir nicht in einer Welt enden, die von allmächtigen Konzernen regiert wird, müssen wir Tech-Hypes durchschauen. Denn Unternehmen inszenieren diese gezielt, um Gefahren zu überspielen und immer mehr Kapital und Macht in ihren Händen zu konzentrieren.

Elon Musk, hier zu sehen bei einer SpaceX-Präsentation im Jahr 2020, hat es zwar noch nicht zum Mars, aber dafür zum reichsten Mann der Welt und zwischenzeitlich auch ins Weiße Haus gebracht.

Elon Musk, hier zu sehen bei einer SpaceX-Präsentation im Jahr 2020, hat es zwar noch nicht zum Mars, aber dafür zum reichsten Mann der Welt und zwischenzeitlich auch ins Weiße Haus gebracht.

IMAGO / UPI Photo

Das 21. Jahrhundert begann mit dem Platzen einer Technologieblase. Die Popularisierung des World Wide Web in den 1990er Jahren versprach, alles zu revolutionieren: Wirtschaft, Bildung, Kommunikation, Unterhaltung und Politik. Als wirtschaftlich nutzbares Terrain wurde das Internet zum neuen Eldorado für diejenigen, die bereit waren, Risiken einzugehen.

Zwischen 1994 und 2000 stiegen die Wagniskapitalinvestitionen von 1,5 Milliarden auf 90 Milliarden US-Dollar und überschwemmten den Markt mit Internet-Startups, die keine Gewinne machten, keine Einnahmen, keine Infrastruktur und oft sogar nicht einmal ein klares Geschäftsmodell hatten. Diese aufstrebenden US-Unternehmen bereiteten der »New Economy« den Weg. Viele der heutigen Tech-Gurus, die inzwischen in die Zentren der politischen Macht vorgedrungen sind, begannen in dieser Zeit ihre Karrieren. Der US-NASDAQ-Index, die Börsenplattform der Technologieunternehmen, verfünffachte sich von 1995 bis März 2000.

Die Flaggschiffe der deutschen Startup-Szene wie Zalando, Trivago oder Auto1 gab es damals noch nicht. Im Sparkassenschalter-Deutschland der 1990er Jahre war von der Risikokultur der »New Economy« noch nichts zu spüren. Spätestens mit dem Börsengang der Telekom AG im Jahre 1996, die schnell zu einem Telekommunikationsgiganten heranwuchs, entdeckten auch die Deutschen ihre Spekulationslust mit der T-Volksaktie und investierten in den neuen digitalen Sektor.

Dieser Goldrausch fand jedoch sein abruptes Ende: Investorinnen und Investoren begannen zu erkennen, dass Dotcom-Unternehmen nicht profitabel genug waren, während die US-Notenbank die Zinsen sechs Mal anhob, wodurch Kredite teurer und riskante Investitionen unattraktiver wurden. Diese Situation brachte die Dotcom-Blase zum Platzen. Bis Ende 2002 verlor der NASDAQ 78 Prozent seines Wertes, und viele Internetunternehmen und kleine Risikokapitalfirmen gingen pleite. Der Optimismus der neoliberalen Marktderegulierung, der sich unter westlichen Regierungen in den 1980er und 90er Jahren breit gemacht hatte, wurde entschieden gedämpft.

Spekulation, Sog, Ekstase

Dies ist ein paradigmatischer Fall eines Tech-Hypes, der durch die Faszination für zukunftsorientierte Technologien gekennzeichnet ist: Übertriebene und unrealistische Versprechungen hinsichtlich einer Wertentwicklung gehen einher mit einem lautstarken Optimismus, der die Aufmerksamkeit von Investorinnen, Techoptimisten, Politikerinnen, Journalisten und der allgemeinen Bevölkerung auf sich zieht. Das zeigt: Hypes sind ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Sie haben nicht nur einen wirtschaftlichen, sondern auch einen tiefen sozialen, kulturellen, und politischen Charakter.

Technologieunternehmen und ihre CEOs inszenieren diese Hypes strategisch, um die positiven Auswirkungen einer Technologie überzubetonen und gleichzeitig die konkreten gesellschaftlichen Folgen zu verschleiern. Hypes müssen nicht immer positive Aussichten zeichnen, sondern können auch durch Untergangs- oder Kontrollverlustszenarien auf spekulative Zukünfte auf sich aufmerksam machen.

Das zeigt: Das Ziel von Hypes ist es nicht, Wissen über die Zukunft zu vermitteln, sondern allein Aufmerksamkeit zu generieren und Kapital zu akkumulieren. Dazu erzeugen Hypes Dynamik. Zu Beginn gehen sie mit überhöhten Erwartungen einher. Dies schafft die Illusion eines sich schließenden Zeitfensters. Dieses Gefühl der Dringlichkeit fordert sowohl auf der aufsteigenden als auch auf der absteigenden Aufmerksamkeitskurve die Beteiligten dazu auf, Entscheidungen zu treffen und zu handeln.

»Überbordende Versprechen, hemmungslose Zockerei, aufschneiderisches Prahlen, skrupelloses Bullshitting und sogar Betrug sind eher die Regel als die Ausnahme in der Start-up-Kultur des Silicon Valley.«

Anders als ökonomische Blasen verweisen Hypes auf eine gesellschaftliche Dynamik, die eine identitätsstiftende Komponente besitzt. Ein Hype beschreibt einen Moment der emotionalen Ekstase, welcher hinter sich Menschen in einer »Followerschaft« vereint. Die vielversprechende Einladung, das scheinbar unerreichbare, unschuldige oder noch nie dagewesene zu erobern, löst Gefühle der Zugehörigkeit aus. Eine solche Dynamik verweist auf die psychologische Anziehungskraft, die von Hypes ausgehen kann. Follower fühlen sich als Teil einer besonderen Mission, mit der Annahme, eine Erkenntnis zu teilen, die andere nicht sehen.

Und diese Erfahrung kann künstlich generiert werden. Um das anfänglich prekäre Wachstum bei Start-ups anzukurbeln, vermarkten Unternehmerinnen und Unternehmer das Transformationspotential ihrer Technologien überschwänglich in »Inkubatoren« und »Akzeleratoren« – wie dem Y Combinator, dessen Präsident Sam Altman war. Hier werden Gründerinnen und Gründer geschult, die Marktgröße, Marktattraktivität und Marktreife ihres »Ventures« zu übertreiben, um dann ausgefeilte, aber unvollständige Prototypen auf den Markt zu bringen. Viele Investorinnen und Investoren drängen sie ausdrücklich dazu, ein möglichst ambitioniertes und emotionales Bild ihres Produkts zu zeichnen, und stellen dies als notwendige Überlebensstrategie in wettbewerbsintensiven Finanzierungsrunden dar.

Angesichts dieser prekären Umstände ist es wenig überraschend, dass Hype floriert: Überbordende Versprechen, hemmungslose Zockerei, aufschneiderisches Prahlen, skrupelloses Bullshitting und sogar Betrug sind eher die Regel als die Ausnahme in der Start-up-Kultur des Silicon Valley. Im Tech-Konkurrenzkampf der Reichsten und der Rücksichtslosesten bestimmt die Fähigkeit, Hype zu erzeugen und zu verbreiten, eine essenzielle Überlebensstrategie.

Aufbauend auf den Tech-Revolutionen des frühen 21. Jahrhunderts, die zu Hype-Wellen führten (Dotcom-Boom, Web 2.0, Big Data, Nanotechnologie, Cloud-Computing, die Plattformökonomie, die Maker-Bewegung, Virtual Reality, das Internet der Dinge und so weiter) hat der Innovationskult des Silicon Valley Einzug in Schulen, kommunalen Stadträten, kleinen Unternehmen und Regierungen gehalten. Verständlicherweise möchten alle ein Stück vom Kuchen abbekommen: Menschen in prekären wirtschaftlichen Verhältnissen möchten ihre Rente aufstocken und ihre zusammengekratzten Ersparnisse an der Börse anlegen. Journalistinnen inszenieren sensationelle »Tech-Revolution« in den Schlagzeilen, um Klicks zu generieren. Politiker polieren ihre Regierungpapiere mit glänzenden Entwicklungspfaden von »disruptiven« technologischen Innovationen auf.

Alle diese Akteurinnen und Akteure sind notwendig, um Hypes aufrechtzuerhalten. Damit setzen sie sich aber auch den Launen der Märkte und ihren Hype-Drahtziehern aus, die den Mythos der disruptiven »Innovation« nutzen, um Kapital in ihre börsennotierten Ventures zu locken.

Vom Tech-Hype zum Cyberlibertarismus

Da Wagniskapital und die Start-up-Kultur gerne Fortschritt mit Technologie verwechseln und zeitgleich immer tiefporiger in alle gesellschaftlichen Sphären dringen, übernehmen Bürgerinnen und Lokalpolitiker das Leitcredo des Silicon Valley: »Hohes Risiko, hohe Rendite«.

Dabei wird leicht vergessen, dass dies für Insider ein kalkulierter Schritt ist, da diese durch Informationsvorteile ein Sicherheitsnetz haben, um ihr Kapital schnell zu verlagern. Das zeigt zum Beispiel die Pyramidenstruktur des Kryptomarktes, wo Investorinnen und Investoren mit Insiderwissen umgehend Aktien aus ihren Portfolios stoßen, wenn Werte fallen, und verdutzte Marktneulinge mit allen Verlusten in ihrem Schoß zurückbleiben. Dies verstärkt eine Dynamik der Enteignung, bei der finanziell Privilegierte den Schwächeren Ressourcen entziehen. Schließlich wird Geld nicht verbrannt, es wird nur abgezogen und umgeleitet.

Und hierbei handelt es sich nicht um lapidare Summen. In Deutschland, so hat die KfW beziffert, sammelten deutsche Start-ups im zweiten Quartal 2025 2,4 Milliarden Euro Wagniskapital ein. Gegenüber der US-Branche sind dies jedoch Peanuts. Allein Microsofts OpenAI, Vertreiber des Chatbots ChatGPT, wird im September 2025 auf der Börse mit astronomischen 438,70 Milliarden US-Dollar bewertet. Die gesamte Volkswirtschaft Österreichs, wohlgemerkt ein Nationalstaat, erzeugte im Jahre 2024 ein BIP von 484,2 Milliarden Euro.

Zweitens geht es bei Tech-Hypes nicht nur um Geld, sondern auch um diskursive Macht. Technologische Errungenschaften werden mit utopischen Heilsversprechen begleitet. Hier fungiert Tech-Hype in der Aufmerksamkeitsökonomie als ein nützliches Sprachrohr für Denkerinnen und Denker, welche eine cyberlibertäre Zukunft vorantreiben. Der Begriff »Cyberlibertarismus« wurde Mitte der 1990er Jahre vom Technologiephilosophen Langdon Winner geprägt – und kürzlich vom verstorbenen David Golumbia erweitert. Tech-Libertäre sind rechte Akzelerationisten, die ein radikales Fortschritts-Dogma vertreten, das auf eine tiefgreifende Transformation der Gesellschaft durch Technologie-Entwicklung baut.

»Cyberlibertäre betrachten Regulierung, demokratische Rechenschaftspflicht und Armutsbekämpfung nur als lästige Hindernisse, die durch eine allein technologiegesteuerte Zukunftsvision ersetzt werden müssten.«

Vordenker dieser düsteren Abzweigung der Moderne sind Figuren wie Nick Land oder Curtis Yarvin. Diese erhoffen sich durch ein kybernetisch gesteuertes Gesellschaftsmodell eine beschleunigende Modernisierung. Alle Hindernisse, welche die Menschheit von dem Ziel der nächsten Evolutionsstufe abbringen können – wie den Mars zu besiedeln oder den biologischen Körper hinter uns zu lassen – müssten aus dem Weg geräumt werden.

Auch in weniger radikaler Form geht Tech-Akzelerationismus einher mit einer Regierungsrationalität, die auf der Überzeugung basiert, dass radikal freie Märkte und individuelle Freiheit ohne Staatsstrukturen nicht nur effizienter, sondern absolut notwendig für technologischen Fortschritt seien. Cyberlibertäre betrachten Regulierung, demokratische Rechenschaftspflicht und Armutsbekämpfung nur als lästige Hindernisse, die durch eine allein technologiegesteuerte Zukunftsvision ersetzt werden müssten.

Für Tech-Akzelerationisten ist das Marktprinzip dafür sekundär. Wettbewerb wird nicht als Regulationsmechanismus und Ordnungsprinzip wie im Neoliberalismus angesehen, sondern als ein Instrument zur Machtkonzentration. Wie Peter Thiel, der aus Frankfurt stammende Investor, Ziehvater von JD Vance und Vordenker der Neuen Rechten in den USA betont: »Wettbewerb ist für Loser«. Folglich stellt sich die Frage, ob die angestrebte Gesellschaftsordnung überhaupt noch als extremer Neoliberalismus oder besser als Technofeudalismus bezeichnet werden muss.

Hype-Kompetenz ist gefragt

In diesem historischen Kontext, da Tech-CEOs, die die finanzstärksten Unternehmen der Welt regieren, so offen neo-reaktionäre (und intellektuell ziemlich oberflächliche) Positionen vertreten, ist es von entscheidender Bedeutung, Hype-Dynamiken zu erkennen und früh zu intervenieren. Dies gilt insbesondere, zumal der Mythos der künstlichen allgemeinen Intelligenz (AGI) – auch bekannt als Transzendenz – die größte private Kapitalinvestitionsrunde in der Geschichte eingesammelt hat.

Hype ist zu einem strategischen politischen Instrument geworden – und damit zu einer dringenden Angelegenheit für eine linke Gegenagenda. Darunter fällt neben der Entmystifizierung der kruden ideologischen Ideen und einer Regulierung von Spekulationskapital auch eine Zerschlagung der Machtbasis der großen Tech-Giganten.

Denn mit dem quasi-Monopol ihrer Plattformen und Clouds über die KI-Entwicklung bestimmen Tech-CEOs, in was für eine gesellschaftliche Zukunft wir steuern. Paradiesische Traumlandschaften eines »grenzenlosen« Wachstums paaren sich zurzeit im Silicon Valley mit einem christlichen, äußerst bizarren Prophetentum des Antichristen. Zudem übernimmt Big Tech mit KI-Chatbots zunehmend die gesellschaftliche »Wissensproduktion« und hat mit der Verlagerung des »öffentlichen« Kommunikationsraumes auf ihre Social-Media-Plattformen die Kontrolle über riesige Datenmengen und die intimsten Bedürfnisse der Bevölkerung. Eine derartige Zentralisierung gesellschaftlicher Macht sucht ihresgleichen in der modernen Weltgeschichte.

Die derzeitigen westlichen Regierungen, vom Weißen Haus bis zur Europäischen Kommission, versuchen nicht einmal Tech-Hypes zu regulieren, sondern haben deren Verfechter ins Zentrum der Macht eingeladen. Nie zuvor konnten Tech-Bros wie Peter Thiel, Elon Musk, Marc Andreessen, Alex Karp oder Mark Zuckerberg so offen ihre antidemokratischen Agenden predigen. Sie werden ermutigt und unterstützt, ihre Geschäfte in Demokratien auf der ganzen Welt zu betreiben.

Alex Karp, der CEO der Sicherheitsfirma Palantir, hat die deutschen Sicherheitsbehörden schon in seinen Bann gezogen. CSU-Bundesinnenminister Dobrindt plant den bundesweiten Einsatz von Palantir – NRW, Hessen und Bayern nutzen die Datenanalyse Software schon. Deutschland macht sich damit sicherheitspolitisch von einer Firma abhängig, dessen CEO sich für eine US-Außenpolitik einsetzt, die sich darauf konzentrieren sollte, »allen, die einem Amerikaner Schaden zufügen, über Generationen hinweg Schmerz zuzufügen«.

Um den aktuellen Aufstieg des Tech-Autoritarismus zu verstehen und zu bekämpfen, brauchen resiliente Demokratien und linke Bewegungen Hype-Kompetenz. Sie müssen verstehen und lesen lernen, wie der Tech-Hype als ein politisches Instrument rechter neo-reaktionärer Politik fungiert. Diese vermittelte Kompetenz kann Politikerinnen und Regulierungsbehörden, Journalisten und Bürgerinnen helfen, weniger anfällig für die kruden eugenischen Zukunftsvisionen zu sein, die von den Tech-Bros als natürlich und unvermeidlich dargestellt werden.

Eine frühere Fassung dieses Beitrags erschien zuerst bei TechPolicy.press.

Jascha Bareis ist Politikwissenschaftler und Senior Researcher an der Université de Fribourg. Seine Interessen drehen sich um die Themen Hype, Demokratietheorie und Tech-Oligarchie. Er ist Mitbegründer der HypeStudies.org.

Andreu Belsunces Gonçalves ist Soziologe aus Barcelona, mit den Schwerpunkten Design, Technologie und Imagination. In seiner aktuellen Forschung untersucht er das Zusammenspiel von Finanzwelt, Unsicherheit und Fiktion. Er ist Mitbegründer der HypeStudies.org.