15. Mai 2024
Der Protest des Aktionsbündnisses Disrupt gegen Tesla in Grünheide ist nachvollziehbar, aber mehr Spektakel als der Auftakt einer »Wassergerechtigkeitsbewegung«. Denn die Schwerpunktsetzung und die Aktionsform ersticken Bündnisse mit Beschäftigten im Keim.
Die Demonstration »Wasser. Wald. Gerechtigkeit.« organisiert vom Bündnis Tesla den Hahn abdrehen, 11. Mai 2024.
Um es vorwegzuschicken: Die Aktion des Bündnisses Disrupt und viele seiner Kritikpunkte kommen zur richtigen Zeit und legen einen Finger in die Wunde – das verdient Solidarität. Tesla ist ein perfektes Symbol für die Absurditäten des grünen Kapitalismus: Politikerinnen und Politiker rollen für einen rechtslibertären, misogynen Superstar-Unternehmer den roten Teppich aus. In einem intransparenten europaweiten Bieterwettbewerb bekommt er einen Standort für seine Gigafactory im Wasserschutzgebiet zugewiesen und wird vom Staat gefördert, um dort Luxus-E-Autos für den Export an die globale Upperclass zu produzieren – auf Kosten von Umwelt (Abwasserverschmutzung und Lithiumabbau) und Beschäftigten (Union Busting und Arbeitsunfälle).
Die politische Willkür, die die Tesla-Ansiedelung gefördert hat, die Verfestigung des (E-)Autoverkehrs und der Neokolonialismus, der unter anderem mit dem Lithiumabbau in Chile einhergeht, all das macht rechtmäßig wütend. Tesla weist den Weg in eine unschöne Zukunft – wie sollte der Widerstand dagegen aussehen? Die Antwort von Disrupt lautet: ziviler Ungehorsam in der Tradition von Ende Gelände. Das Ziel ist, das Räderwerk des kapitalistischen Alltags zu stören. Das ist nachvollziehbar. Die eskalierende Klimakrise und Scheinlösungen wie Teslas, die sich nur Reiche leisten können und die ebenso enorme Umweltschäden verursachen, passen nicht zusammen.
So weit die Idee, aber wie sieht das in der Praxis aus? Es folgt einer bekannten Choreografie: Freitagmorgen ziehen einige Hundert Menschen von der »Wasserbesetzung« los und brechen bis zum Gelände der Gigafactory durch. Sie rufen »We are unstoppable, another world is possible« und »Wir drehen heute Tesla den Hahn ab«. Die Aktion wird mit einer Pressemitteilung über die Umweltfolgen der Gigafactory und den Lithium-Abbau in Chile begleitet. Dazu gibt es gut inszenierte Aktionsvideos auf Social Media – und leider auch schmerzhafte Polizeigewalt.
»Vielleicht war es die Letzte Generation, die das Bild dieser Form des Klimaaktivismus massiv beschädigt und die Sympathien der Öffentlichkeit verspielt hat.«
Am Abend sind bis auf die Festgenommenen alle wieder zu Hause. Aufgrund der Betriebsferien gibt es keine Störungen im Betriebsablauf. Denn schon drei Tage vorher hatte Tesla angekündigt, die Bänder über Himmelfahrt und während des angekündigten Aktionszeitraumes stillstehen zu lassen. Das Ergebnis dieses Inszenierungs-Schlagabtauschs? Unentschieden. Tesla: Die Produktion hätte während der Feiertage ohnehin ruhen sollen. Disrupt: Elon Musk ist vor den Aktionen eingeknickt. Ohnehin ist klar: Auch an einem normalen Fabriktag wären die LKWs am Abend wieder durch das Werkstor gefahren.
Diesmal hat das Tesla-Management keine Solidaritätsaktion mit den Beschäftigten organisiert, wie nach dem Anschlag der Vulkan-Gruppe gegen Tesla im Februar. Dafür hat sich Elon Musk wieder hinreißen lassen, die Aktion auf seinem X, ehemals Twitter, zu kommentieren: »Warum lässt die Polizei diese linken Aktivisten durchkommen?« Aber auch: »Warum protestieren sie gegen E-Autos – daran ist etwas faul.« War das eine gelungene Aktion? Es bleiben Fragen.
Die Massenaktionen zivilen Ungehorsams von Ende Gelände haben es geschafft, den Diskurs über Klimapolitik zu verschieben und den zu späten Kohleausstieg erkämpft. Es war eine gelungene strategische Polarisierung, mit der die Zivilgesellschaft gezwungen wurde, sich zu positionieren. Doch mittlerweile sind die Aktionen an ihre Grenzen gestoßen und routinemäßig geworden. Zudem fehlen die Massen: Von einst Tausenden sind heut nur noch Hunderte übrig. Während der Pandemie sind Strukturen zerbrochen und die Polizei hat dazu gelernt und die Repression verschärft. Es ist seit Jahren nicht mehr gelungen, effektiv zu blockieren und unaufhaltbar ist man eigentlich auch nicht.
»Es macht einen Unterschied, ob wenige Beschäftigte in einem riesigen Braunkohletagebau arbeiten, der unzweifelhaft renaturiert gehört, oder Tausende in einer Fabrik, die auch nützliche Dinge produzieren könnte.«
Die Räumung von Lützerath wirkt im Nachgang wie das letzte Aufbäumen dieser Bewegung. Es gab endlich eine Riesendemo, Tausende aktionsbereite Menschen und den Mönch von Lützerath als Sympathieträger. Danach kam nichts mehr. Vielleicht war es die Letzte Generation, die das Bild dieser Form des Klimaaktivismus massiv beschädigt und die Sympathien der Öffentlichkeit verspielt hat: mit der gleichen Taktik, aber ohne kapitalismuskritisches Selbstverständnis und einer Praxis, die Menschen in ihrem Alltag für das Scheitern einer wirkungsvollen Bekämpfung der Klimakrise verantwortlich gemacht hat.
Bisher gelingt es der Klimagerechtigkeitsbewegung nicht, die Bildstärke und Effektivität der Aktionen zivilen Ungehorsams aus der Kohlegrube herauszuholen. Dazu kommt: Wie wirkt der »Sturm auf Tesla« auf die Menschen, die dort arbeiten? Es macht einen Unterschied, ob wenige Beschäftigte in einem riesigen Braunkohletagebau arbeiten, der unzweifelhaft renaturiert gehört, oder Tausende in einer Fabrik, die auch nützliche Dinge produzieren könnte.
Recherchen haben gezeigt, dass die Gigafactory 450.000 Kubikmeter Frischwasser im Jahr verbraucht – für die Produktion, aber auch für die Toilettengänge der Beschäftigten. Zum Vergleich: laut Tagesspiegel verbraucht eine Müllverbrennungsanlage in Premnitz 23 Millionen Kubikmeter Frischwasser im Jahr. Pro Fahrzeug verbraucht Tesla in Grünheide rund 60 Prozent des Wassers, das in den Fabriken von Volkswagen benötigt wird.
»Es wäre denkbar, Aktionen zivilen Ungehorsams so zu gestalten, dass die Beschäftigten aktiv angesprochen und eingebunden werden. Doch mit dem Schwerpunkt Wasser ist das schwierig.«
Auch wenn die Fabrik in einem Wasserschutzgebiet steht und die Abwassergrenzwerte überschritten werden – der Fokus auf die Wasser-Problematik überzeugt nicht, vor allem in Anbetracht all der anderen Themen, die man in Bezug auf Tesla bearbeiten könnte.
Die Aktionstage richten sich gegen die Erweiterung der Gigafactory. Das ist fair und richtig – eine Million E-Autos statt einer Viertelmillion E-Autos pro Jahr in Grünheide zu produzieren, das wäre massive Ressourcenverschwendung. Aber zur Frage, was mit der jetzt seit vier Jahren bestehenden Fabrik und den in ihr arbeitenden Menschen passieren soll, da wird es dünn bei Disrupt und Tesla den Hahn abdrehen.
Ob ein kompletter Rückbau oder eine Konversion der Gigafactory angestrebt wird, bleibt unklar. Es scheint, es solle keine Industrieproduktion im Wasserschutzgebiet geben – also auch keine Straßenbahnen, Busse oder Solarpaneele. Das zeigt: Der thematische Schwerpunkt Wasser kommt an Grenzen, wenn einem die Jobs von tausenden Industriebeschäftigten nicht egal sind.
In der Gigafactory arbeiten mittlerweile 12.000 Beschäftigte. Bei vielen hängt der Aufenthaltstitel am Arbeitsvertrag – und auch wenn man bei Tesla weniger verdient als bei IG Metall betreuten Autofabriken, sind die Jobs verhältnismäßig gut entlohnt. Aktivistinnen und Aktivisten haben immer wieder versucht, mit den Beschäftigten und der IG Metall ins Gespräch zu kommen – ein sehr guter Anfang.
Hilft eine Aktion zivilen Ungehorsams bei solchen Annäherungsversuchen? Es wäre denkbar, Aktionen zivilen Ungehorsams so zu gestalten, dass die Beschäftigten aktiv angesprochen und eingebunden werden. Doch mit dem Schwerpunkt Wasser ist das schwierig, denn dadurch steht immer die Frage im Raum, was mit den Beschäftigten passieren soll, wenn an diesem Standort eigentlich überhaupt keine Fabrik stehen soll.
Die Mobilitätswende erfordert eine Abkehr vom massenhaften motorisierten Individualverkehr. Politik und Autokonzerne verkaufen uns E-Autos als Lösung, damit wir in unserem Alltag weiter Autofahren können. Diesem Versprechen eines grünen Kapitalismus müssen wir uns entgegenstellen.
Doch gleichzeitig sind viele Menschen auf ihr Auto angewiesen. Gerade auf dem Land wird auch ein so wünschenswerter massiver Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel nicht dazu führen, dass alle Menschen gänzlich aufs Auto verzichten können. Es ist klar, dass wir auch kleine, leichte E-Autos produzieren müssen, die für die Menschen bezahlbar sind.
»Sollen wir alle, die sich an die Bequemlichkeit des Alltags gewöhnt haben, systematisch vor den Kopf stoßen und als Klimafeinde markieren?«
Um kleine, billige E-Autos zu bekommen, müssen wir uns mit der Autoindustrie anlegen und Konzerne wie Tesla angreifen. Denn die Autos, die Tesla produziert, sind unnötig groß und schwer – und für die meisten Menschen zu teuer. Eine Forderung nach mehr Produktion von kleinen, leichten und günstigen E-Autos wäre industriepolitisch realistisch.
Zudem ließe sie sich auch gemeinsam mit den Beschäftigten und allen, die auf diese kleinen E-Autos angewiesen sind, erkämpfen. Der Teilerfolg der IG Metall unter widrigen Bedingungen bei der Betriebsratswahl im März hat gezeigt, dass es auch bei und mit Tesla-Beschäftigten etwas zu holen gibt. Gerade deshalb sollten wir immer vermeiden, die Interessen der Beschäftigten mit denen des Konzerns gleichzusetzen.
Disrupt und das Bündnis unter der Überschrift »Tesla den Hahn abdrehen« begehen zwei Fehler. Erstens: Aus der Überzeugung, mit dem Thema Wasser emotionalisieren zu können und dem Schwerpunkt auf der Zusammenarbeit mit der Bürgerinitiative Grünheide, für die Umweltschutz im Zentrum steht, ist ein inhaltlicher Schwerpunkt entstanden, der keine echten Bündnisse mit Beschäftigten oder Auto-Abhängigen, die billige Autos oder Straßenbahnen brauchen, erlaubt.
Zweitens: Das Festhalten an zivilem Ungehorsam als politischer Praxis zementiert bestehende Vorbehalte in der Bevölkerung und eignet sich nicht, Tesla-Beschäftigte oder Auto-Abhängige zu überzeugen. Was fehlt, ist eine Klassenanalyse: Wie können Menschen gewonnen werden, die sich durch Klimapolitik in ihrem Alltag bedroht fühlen?
Ökologische Klassenpolitik würde heißen, nicht nur die Produktionsverhältnisse zu berücksichtigen (12.000 Industriearbeitsplätze bei Tesla, die gegen das Wasserschutzgebiet ausgespielt werden), sondern insbesondere auch die Reproduktions- und Konsumtionsverhältnisse in den Blick zu nehmen. Das Auto ist neben dem Eigenheim das große Wohlstandsversprechen für die Menschen. Es ist Teil des Klassenkompromisses, für den viele ihren Lohnarbeitsalltag akzeptieren, nach dem Motto: »Wenn ich nach der Arbeit in meinem Auto in mein Haus fahre, und da meine Ruhe habe, kann ich mich dort von meiner Schicht erholen.«
Die grüne Transformation greift genau diese Errungenschaften an. Energetische Sanierungen scheinen unbezahlbar und E-Autos schneiden im Vergleich zum Verbrenner bisher schlecht ab. Auch weil es sie noch nicht gebraucht gibt, sind sie für die meisten zu teuer. Politische Gegner der Transformation setzen genau an dieser Stelle an, der Klimaschutz-Konsens von 2019 bröckelt. Jetzt haben wir nicht nur die AfD, die die Klimakrise sowieso leugnet. CDU, FDP und auch das BSW machen Stimmung gegen Verbrenner-Aus und Heizungsgesetz und treffen damit einen Nerv.
Wie kann eine Antwort darauf aussehen? Sollen wir alle, die sich an die Bequemlichkeit des Alltags gewöhnt haben, systematisch vor den Kopf stoßen und als Klimafeinde markieren? Im Gegenteil. Gerade weil die Menschen im Alltag betroffen sind, eignet sich diese Frage hervorragend für eine soziale Politisierung. Die Forderungen liegen auf der Hand – und sind im Interesse vieler, die ohnehin wenig haben und denen die grüne Zukunft als eine Freiheitseinschränkung erscheint.
»Viele Klimabewegte können und wollen nicht warten. Sie haben sich mit der Vorstellung politisiert, dass wir nur wenige Jahre haben, um die Klimakrise aufzuhalten.«
Im Mobilitätsbereich gilt es, Forderungen zu formulieren, die Freiheit und Wohlstand versprechen: den öffentlichen Nahverkehr für Stadt- und Umland ausbauen und kostenlos machen, Strecken reaktivieren, die Bahn dem Markt entziehen, um Druck von den Beschäftigten zu nehmen und den Betrieb an den Bedürfnissen der Kundinnen und Kunden statt der Profitabilität auszurichten. Aber auch: kleine, leichte und bezahlbare E-Autos für den ländlichen Raum produzieren. Schließlich ist klar, dass es Orte gibt, an denen Menschen auch in der Zukunft auf ein Auto angewiesen sein werden.
Das ist alles nicht neu und die politische Praxis, die an diese Forderungen ansetzt, muss nicht erst erfunden werden. Teile der Klimagerechtigkeitsbewegung haben bereits den Schluss gezogen, dass die Mobilisierungsstrategien der letzten Jahre an Grenzen gekommen sind. Die letzten Monate haben Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten bundesweit in Dutzenden Städten gemeinsam mit Busfahrerinnen und Busfahrern gestreikt und diese in der Tarifrunde Nahverkehr beim Arbeitskampf unterstützt – und das nicht nur mit netten Worten, sondern mit gemeinsamer Organisierung und Praxis.
Die Konsequenz wäre, solche Kooperationen auch mit Industriebeschäftigten zu erproben. Es liegt auf der Hand, dass das ein langfristiges Projekt ist, das viel Arbeit und Überzeugung erfordern wird – als erstes bei der IG Metall, die sich in Grünheide für eine Erweiterung der Gigafactory einsetzt und damit die Zusammenarbeit erheblich erschwert. In der aber auch viele engagierte Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter seit Jahren für eine Mobilitätswende anstelle einer Antriebswende kämpfen. Denn was wäre die Alternative: Sollen die 760.000 Autoindustriebeschäftigten in Deutschland einfach entlassen werden?
Viele Klimabewegte können und wollen nicht warten. Sie haben sich mit der Vorstellung politisiert, dass wir nur wenige Jahre haben, um die Klimakrise aufzuhalten. Es ist nachvollziehbar, dass viele Leute keine Lust mehr auf Demos haben. Dass sie Aktionen durchführen wollen, die die dringende Notwendigkeit schnellen Handelns betonen. Das ist berechtigt und gibt Aktionen wie Disrupt eine gewisse Legitimität. Zu wünschen wäre trotzdem eine langfristige Perspektive. Denn es wird nur gelingen, die Klimakrise aufzuhalten, wenn wir es schaffen, Mehrheiten für Klimagerechtigkeit zu organisieren. Dazu gehört, Aktionen so durchzuführen, dass die arbeitende Klasse in Deutschland die Klimagerechtigkeitsbewegung nicht als Gegnerin wahrnimmt, sondern als Verbündete.
Jonathan Burkert ist Teil der Klimagerechtigkeitsbewegung und arbeitet im Bereich Strategie & Grundsatzfragen in der Bundesgeschäftsstelle der Linken.