08. Juni 2020
Die Tiny House-Bewegung propagiert das Wohnen in winzigen Häusern. Sie ignoriert die wirklichen Ursachen der Wohnungskrise und vertritt stattdessen individualistische Vorstellungen von Eigentum.
Ein Tiny House und dessen Bewohner in Washington, USA.
Das Jahr 2015 war das Jahr des Tiny House – der Moment, in dem kleines Wohnen, vormals ein Nischen-Designtrend für Isolationisten und Weirdos, Mainstream wurde und eine respektable Position in der US-amerikanischen Vorstellung vom Wohneigentum einnahm.
Fernsehsendungen (Tiny House Nation), Filme (TINY: A Story About Living Small) und sogar Politikerinnen (die vorschlugen, Tiny House Communitys zu bauen) priesen das radikale Verkleinern an, um die Konsumkultur zu bekämpfen, die Umwelt zu retten oder andere soziale Notlagen zu lindern. Das Objekt ihrer Begierde war tatsächlich kleiner als die 240 Quadratmeter-Behausung der Durchschnittsamerikanerinnen (gemessen 2014). Folgen wir einer Webseite, die sich diesem Lebensstil verschrieben hat, ist ein Tiny House zwischen 9 und 37 m² groß.
Designtrends, bei denen es um die Winzigkeit von Objekten geht, sind nichts Neues; man kann sie zu Lloyd Kahns 1973 veröffentlichtem Buch Shelter zurückverfolgen. Neuere Ausführungen finden sich in Arbeiten aus den Neunzigern, insbesondere Sarah Susankas The Not So Big House: A Blueprint for the Way We Really Live (1998). Als Reaktion auf die Verbreitung von immer größeren Vorstadtsiedlungen argumentierte Susanka, dass die Häusergröße sich unkontrollierbar aufblasen würde, mit nur geringen Vorteilen für die Gestaltung des Hauses. Sie glaubte, Hausbesitzerinnen könnten mit weniger mehr erreichen, und dass Häuser mit zu viel Raum und zu wenig Substanz gefüllt wären: »Ich habe nach Häusern gesucht, die für den heutigen Lebensstil gemacht wurden, die wunderschön und detailliert designt sind […] und das bedeutet, mit weniger mehr zu machen.«
Heute sind die Ideen von Kahn, Susanka und anderen durch die Tiny House-Bewegungen real geworden, die im ganzen Land entstehen. Die Tumbleweed Tiny House Company – mit Sitz in Sonoma, Kalifornien, und Colorado Springs, Colorado – stellt stilvoll designte 12m²-Häuser auf Rädern her. Ein vollständig eingerichtetes Model hat ein Loft-Schlafzimmer, Holzverkleidung und eine komplette Küche, inklusive Geschirrspüler und Herd. Ein anderes Modell kann mit einer ganzen Terrasse protzen, gerade groß genug, damit zwei Menschen bequem darauf sitzen oder stehen können.
Die Tiny House-Bewegung breitete sich nach dem Ausbruch der Großen Rezession aus. Inmitten weitverbreiteter Unsicherheit, in der Millionen US-Amerikanerinnen ihre Jobs, Ersparnisse und Häuser verloren, entstand in den Köpfen vieler Menschen der Traum von Unabhängigkeit durch kleines Wohnen. Die Sehnsucht nach Autonomie verband sich mit dem deutlichen Bedürfnis, trotz des wirtschaftlichen Zusammenbruchs weiterhin Eigentum zu besitzen.
Dieser Anreiz ließ auch nicht nach, als das Land sich aus den schlimmsten Tiefen der Rezession herausgekämpft hatte. 2015 fanden sich Vorschläge für Tiny Houses in den Plänen von urbanen Aktivistinnen und Politikern, um Obdachlosigkeit und Wohnungskrise zu bekämpfen. In Denver versuchte eine Gruppe von Aktivistinnen namens Denver Homeless Out Loud für Menschen, die von Obdachlosigkeit betroffen sind, in einem städtischen Park mehrere Tiny Houses zu bauen. Im Oktober desselben Jahres berichtete The Atlantic über den Versuch eines Pastors in Nashville, Wohnraum in Tiny Houses für diejenigen bereitzustellen, die keine Wohnung haben. Währenddessen werden in New York 36m lange Mikro-Wohneinheiten als kostensparende Maßnahme für Millennials beworben.
All diese Versionen des winzigen Wohnens – vom mobilen Tumbleweed House bis zu New Yorks Mikroapartments – setzen auf individuellen Raum und Besitz. Sie grenzen das Selbst oder das Paar von der Außenwelt ab. Betrachtet man den Enthusiasmus für das Mini-Wohnen aus der Perspektive von individuellem Raum und Eigentum, erinnert es an weitaus ältere Ideen als Kahns Unterschlupf oder Susankas Nicht-so-große Räume: der Traum vom Tiny House basiert auf Eigentums- und Expansionsvorstellungen, die seit mehr als einem Jahrhundert im US-amerikanischen Bewusstsein verankert sind.
»Wenn man zwischen den Zeilen liest, merkt man, dass diese Räume eigentlich für junge, weiße, NGO- und Regierungsarbeiterinnen gedacht sind.«
Frederick Jackson Turner war zentral für die Entwicklung dieses Bewusstseins. Der Historiker argumentierte – in Werken aus den 1890ern wie The Significance of the Frontier in American History – dass es hartgesottene, freidenkende Pionieren waren, die das westliche Grenzgebiet Amerikas vorantrieben – bewaffnet nur mit ihrer Geistesgegenwart, ihrem materiellen Know-How und ihrer umstandslosen Aneignung des »freien Landes«, um damit eine lebhafte, gesunde, liberale Demokratie aufzubauen.
Diese Wegbereiterinnen, schrieb Turner, besaßen »Rauheit und Stärke, kombiniert mit Schärfe und Gewinnstreben; praktischem Erfindergeist, der schnell Hilfsmittel zu finden weiß; meisterhafter Beherrschung materieller Dinge […] dominierendem Individualismus.«
Enthusiastinnen des Tiny House tragen genau dasselbe kulturelle Streben in sich. Die Pionierinnen des Tumbleweed Tiny House halten sich für unabhängige Persönlichkeiten, die sich in sich selbst genügenden Kapseln auf dem noch immer offenen Highway des großen amerikanischen Westens umherbewegen.
Da sie alle auf Rädern sind, können sich die Tumbleweed-Häuser im amerikanischen Grenzgebiet ungehindert fortbewegen. Und weil jede Behausung eigene Spülbecken, Toiletten, Betten und Geschirrspüler besitzt, ist die Zusammenarbeit mit anderen Menschen als sich selbst – oder dem Paar – unnötig, vielleicht sogar unerwünscht. Weder Tumbleweed noch andere Vordenkerinnen der Tiny House-Bewegung haben einen Plan wie – und wo – sie ihr Tiny House parken sollen. Das ist ein Problem für jeden, der sich dazu entschließt, ein Tiny House zu kaufen.
Jarred Ehart, ein Spezialist für Tumbleweed Tiny Houses, der mir in Colorado eine ganze Reihe der winzigen Häusern gezeigt hat, gab zu, dass es schwer ist, einen geeigneten Parkplatz zu finden. Bevor er in den »Jahrhundert-Staat« [Centennial State, Spitzname von Colorado] zog, baute er mit eigenen Händen ein Tiny House im ländlichen Kansas, aus Holz, das er aus dem Schrott rettete. Nur für die Nägel hat er bezahlt. Die sich ausbreitende Urbanisierung von Colorado Springs, wo die Wohngesetzgebung streng und das Land nicht im Überfluss vorhanden ist, machte die Suche nach Raum noch schwieriger.
Zu Turners Zeiten schnappten sich raue Individuen, unterstützt von der Staatsmacht, das Land im amerikanischen Westen relativ ungehindert. Doch in den Hochburgen der Tumbleweed Häuser, Colorado und Kalifornien, steht das Land nicht länger frei zur Verfügung – auch wenn die Ästhetik des Unternehmens (in der wunderschöne Miniaturholzhäuser über unberührte amerikanische Highways durch eine schroffe Berglandschaft fahren) das Land als leeren Raum imaginiert, der durch Kreativität und harte Arbeit transformiert werden kann. Doch möglicherweise sind die praktischen Unannehmlichkeiten nicht wichtig, angesichts der behaupteten Vorteile für die Umwelt: nachhaltiges Wohnen mit weniger Energie.
Es stimmt, dass die großen Häuser sowohl finanziell betrachtet als auch in Bezug auf fossile Brennstoffe mehr Heizung und Kühlung erfordern. Und viele Tiny House Projekte, die zu Lieblingen der Medien wurden – wie Jay Austins Matchbox, ursprünglich designt für Washington, D.C.s inzwischen untergangene Boneyard Studios – sind Sonderanfertigungen, die Nachhaltigkeit mitbedenken. Sie sind ein umweltbewusstes Beispiel für uns alle. Doch ob winzige Häuser wirklich der Umweltsegen sind, für den man sie hält, ist fraglich. Sie verbessern die Energieeffizienz nicht im großen Maßstab – insbesondere in urbanen Räumen, wo winziger Wohnraum mehr und mehr als Gegengift sowohl zur Umwelt- als auch zur Wohnungskrise verstanden wird.
Wie David Owen und andere gezeigt haben, ist New York City bereits heute der grünste Ort in den USA, dessen Bewohnerinnen allein dank seiner dichten Besiedlung den kleinsten ökologischen Fußabdruck pro Kopf hinterlassen. Anstatt winzige, alleinstehende Behausungen zu bauen, könnten Städte viel mehr Menschen Wohnraum zur Verfügung stellen – effektiv und kostengünstig – wenn sie leistbare Apartmentwohnungen in der Nähe von wichtigen Dienstleistungen und Grundbedürfnissen bieten würden.
Technisch gesehen sind die Tiny Houses von Tumbleweed Wohnmobile. Sie gesetzlich so zu definieren, erklärt mir Tumbleweed Betriebsleiter Ross Beck, erlaubt es Tumbleweeds-Kundinnen, ihr Zuhause an Orten zu parken, die für Wohnmobile vorgesehen sind. Ebenso gibt es ihnen eine Art Legitimation im öffentlichen Raum. Die Ironie ist offensichtlich. Wohnwagen und Wohnmobile sind gegenwärtig in den USA – und das schon seit vielen Jahren – die einzige Wohnform, die der Markt für Familien mit niedrigem Einkommen anzubieten hat. Andere Wohnorte für Familien mit niedrigem Einkommen sind entweder alte Gebäude, die offensichtliche Mängel aufweisen, oder Wohnraum, der staatlich unterstützt wird.
Die Autorin July Westhale wuchs in einem mobilen Zuhause in Kalifornien auf. Sie beschreibt ihre Probleme mit den Wohnmobilen, oder eben »Tiny Houses«: »Aus meiner Perspektive ist es wahrscheinlich, dass dieses [Tiny House bezogene] Zurück-in-die-Natur und diese eingepackte Schlichtheit sich nicht an Menschen wie mich richtet, die aus einfachen Umständen kommen und ein stärkeres Bewusstsein für Armut haben. Es richtet sich an Menschen, die nie unkomfortabel leben mussten. Damit sie diese Lebensweise ausprobieren und glorifizieren können, sich damit identifizieren können.«
Der Plan von Ratsmitglied Vincent Orange, in Washington, D.C. 1.000 Tiny Houses zu bauen, ist angesichts der Geschichte dieser Stadt ähnlich beunruhigend. Der Gesetzesentwurf von Orange fordert den Bau von 55m² Eigentumswohnungen, die pro Stück 50.000 Dollar oder weniger kosten sollen, um so jungen Menschen den Einstieg in den Wohnungsmarkt zu erleichtern. Und David Alpert, Redakteur des Blogs Greater Greater Washington, hat auch eine Idee, wo man diese platzieren könne: »Es gibt einen Ort, wo sowas eine großartige Idee wäre: Gassen«, schrieb Alpert vor ein paar Jahren. »Überall in D.C. gibt es in den Gassen kleine Garagen, Schuppen und historische Kutschenhäuser.« Alpert (und Orange) scheinen sich nicht bewusst zu sein, dass vor ungefähr hundert Jahren Tiny Houses in den Gassen von D.C. Gang und Gäbe waren – nur damals nannte man sie Baracken.
»Kleines Wohnen ist nur eine weitere oberflächliche Verbesserung, die cleveres Design vermarktet und an die Nostalgie appelliert.«
Um die Jahrhundertwende herum waren Politiker in Washington geradezu erzürnt darüber, dass überall in den Gassen von D.C. afro-amerikanische Communitys lebten. Charles Wellers Buch Neglected Neighbors von 1909 versuchte die Gräuel des Gassenlebens zu enthüllen und auszulöschen.
Weller verstand die Behausungen in den Gassen als ein Problem, dass »in den US-amerikanischen Städten nur mit wenigen anderen vergleichbar war, wenn es überhaupt Vergleichbares gibt«. Historiker James Borchert erklärt in Alley Life in Washington: Family, Community, Religion and Folklife in the City, 1850-1970: »Washingtons ›Mini-Ghettos‹ waren in der ganzen Stadt verbreitet, oftmals in außerordentlicher Nähe zu den teuersten und elegantesten Häusern«.
Diese Aussagen stehen in deutlichem Gegensatz zur heutigen Sprache: Die stadtplanerischen Theorien bewerten dichte Nachbarschaften, mit gemischten Einkommen und mehrfachem Nutzen positiver als zuvor. Doch das Tiny House-Phänomen kann die urbane Dichte in Städten wie Washington D.C. nicht erhöhen, da Menschen dort bereits auf engem Raum leben und es ansonsten wenig Platz gibt.
Außerdem sind Oranges Häuser für junge Menschen mit Aufwärtsmobilität gemacht – das Gesetz enthält eine diskriminierende Sprache, welche diese Wohnungen nur Millennials verfügbar machen. Wenn man zwischen den Zeilen liest, merkt man, dass diese Räume eigentlich für junge, weiße, NGO- und Regierungsarbeiterinnen gedacht sind. Die urbanen Tiny House- und Mikrowohnraum-Experimente legen ihren Schwerpunkt auf unabhängige Erwachsene, wodurch sie große Teile derjenigen Bevölkerung übersehen, die tatsächlich Obdachlosigkeit oder akute unsichere Wohnverhältnisse erleben, einschließlich Familien und Jugendliche.
Einer Studie aus dem Jahr 2014 zufolge, die von der National Alliance to End Homelessness erarbeitet wurde, waren zu diesem Zeitpunkt 216.197 US-amerikanische Familien i ohne ein Zuhause. Da die Wohnräume in den Städten in immer kleinere Teile zerteilt werden, die junge unabhängige Lohnarbeiterinnen privilegiert, ziehen die Mitglieder der Gemeinschaft den Kürzeren, die am meisten darauf angewiesen sind. Zusätzlich waren im dritten Quartal von 2015 mehr als 17,4 Millionen Wohnungen in den USA unbewohnt, einschließlich Millionen von Wohnungen und Häusern, die junge Menschen oder Familien, die von unsicheren Wohnverhältnissen betroffen sind, weitaus besser beherbergen würden als es die Tiny House-Lösung je könnte.
Wie David Harvey argumentierte, hat der Trend zu großflächigen, zersiedelten Städten – ausgelöst durch die Suburbanisierung – die Protest- und Organisierungsmöglichkeiten reduziert. Die vormals eng zusammengepferchten, aber so auch eng miteinander verwobenen armen Communitys sind jetzt über die Vororte verteilt.
Gleichzeitig ist der öffentliche Raum oftmals nicht mehr für öffentliche Aktivitäten verfügbar. Orte wie der Union Square in New York haben inzwischen mehr Blumenbeete als Versammlungspunkte, während der Triangle Park in Denver – vormals für viele obdachlose Menschen tagsüber ein gemeinsamer Raum – in einen abgesperrten »Community«-Garten verwandelt wurde. Harveys Analyse legt nahe, dass eine Wiederbelebung der Stadt durch gemeinsame Räume und verstärkte Dichte ermöglicht werden könnte.
Doch Tiny House-Projekte adressieren weder das eine noch das andere Problem. Weil sie im Allgemeinen mobil sind und die Besitzer für gewöhnlich nicht die Eigentumsrechte am Land besitzen, auf dem sie parken, sind sie verwundbarer gegenüber Vertreibung, wenn der Markt einen profitableren Zweck für die von ihnen bewohnten Räume findet. Aktivistinnen in Denver lernten diese Lektion im Oktober auf die harte Tour, als die Polizei eine sich formende Tiny Home-Siedlung im sogenannten Sustainability Park zerstörte und zehn Organisatorinnen festnahm. Das Unvermögen der Aktivistinnen, Tiny House-Siedlungen zu bilden, macht deutlich, dass die sozialen Dynamiken, welche Städte unbezahlbar und isolierend machen, tiefer greifen als die rein physische Präsenz von Wohnungen.
Tiny Houses sind keine Lösung. Kleines Wohnen ist nur eine weitere oberflächliche Verbesserung, die cleveres Design vermarktet und an die Nostalgie appelliert, während sie zugleich die zugrunde liegenden sozialen Verhältnisse ignoriert, die Obdachlosigkeit, unsichere Wohnverhältnisse und Umweltzerstörung ursprünglich erst verursachen. Doch auch wenn der Modetrend des winzigen Wohnens nichts Neues ist – der beispielhaft für Ideenwelten von individuellem Besitz und einer sich immer erweiternden Grenze steht, die er zugleich bestärkt – verweist er dennoch auf die wachsende Unsicherheit und eine besorgniserregende Zukunft, in denen temporäre, instabile und atomisierte Lebensformen möglicherweise die Norm werden.
Schlussendlich werden die Milderung der Wohnungsnot, das Schaffen von dicht besiedelten, umweltfreundlichen Städten und die Umsetzung des Verlangens nach Unabhängigkeit und Selbstständigkeit Ergebnisse von kollektiven Forderungen und Kämpfen sein. Ein besseres Haus zu kaufen oder zu bauen wird dies nicht erreichen, egal wie klein es auch sein mag.
Arielle Milkman ist freiberufliche Autorin und lebt in Denver, Colorado.