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05. September 2022

Trajans Säule, Hitlers Fetisch

Mit der Capitalis Monumentalis fand der Imperialismus bereits vor über 2000 Jahren seinen endgültigen Ausdruck in der abendländischen Typografie.

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Was haben diese Filme gemeinsam? Die Monumental-Schmonzette Titanic (1997) und der Bodyhorror-Alptraum The Human Centipede (2009).

Six Entertainment Company, Paramount Pictures, 20th Century Fox, Lightstorm Entertainment

Von Karl dem Großen über Napoleon Bonaparte bis Adolf Hitler – die mondäne Ästhetik des Imperium Romanum war der feuchte Traum eines jeden Imperialisten von Weltrang. Die Römer statuierten nicht nur ein beeindruckendes Exempel, wie man Herrschaft durch Sklavenhaltung und kontinuierliche Kriegsführung konstituiert, sondern auch darin, diese Barbarei visuell äußerst geschmackvoll einzurichten. Für monumentale Inschriften an Säulen, Wänden und Gräbern entwickelten sie eine eigene Schriftart, die heute als »Capitalis Monumentalis« bezeichnet wird.

Wie die Architektur, in die ihre Lettern eingemeißelt wurden, basiert sie auf den geometrischen Grundfiguren Quadrat, Kreis und Dreieck. Was könnte dem Anspruch ewiger Herrschaft besser Ausdruck verleihen als diese Signifikanten unverrückbarer, mathematischer Logik? Doch typografische Schönheit lässt sich nicht al­go­rith­misch herbeizaubern. Wie jede andere relevante Schrifttype in der Geschichte ist auch die Capitalis nicht einfach mathematisch konstruiert. Gerade die präzise Abweichung von Idealformen – als optische Korrektur und Ausdruck gestalterischer Intuition und Schöpfungskraft – macht die Formgebung für das menschliche Auge erhaben.

Romain du Rois

Diese Erfahrung mussten auch die Gelehrten der Akadémie Royale des Sciences machen, als sie im Jahre 1692 vom Sonnenkönig Ludwig XIV. damit beauftragt wurden, eine exklusive Variante der Capitalis zu zeichnen. Vom Geiste cartesianischer Vernunft durchdrungen, gingen sie daran, in jahrelanger Arbeit eine 500-seitige technokratische Konstruktionsanleitung für die königlichen Kupferstecher, Stempelschneider und Buchdrucker auszuarbeiten, die auf einem 2304-teiligen Raster basierte. Herausgekommen ist ein plumpes Machwerk, dessen Stümperhaftigkeit nur dank seiner »unpräzisen« Anwendung durch erfahrene Handwerker kaschiert werden konnte. Ein Treppenwitz der Geschichte: Die »Romain du Rois« getaufte Schriftart wurde der Öffentlichkeit zugänglich, als sich die Revolutionäre nach 1789 der königlichen Druckerei bemächtigten. Unter anderem wurde der Beschluss zur Hinrichtung von Ludwig XVI. in ihr gesetzt.

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Andreas Faust ist Creative Director der deutschsprachigen Ausgabe von JACOBIN.