26. September 2023
Warum die Hyperinflation bis heute falsch verstanden wird – und was linke Regierungen daraus lernen können.
»Die Hyperinflation kam vom Gelddrucken, weiß doch jeder. Oder nicht?«
Illustration: Angelica LivInflation ist verpönt, eigentlich überall, in Deutschland aber besonders. Mit der Schubkarre voller Scheine zum Bäcker, täglich die Lohntüte bekommen, keine Ersparnisse mehr unter dem Kopfkissen: Die Hyperinflation von 1923 ruft dramatische Bilder auf. Deutschland hat ein kollektives Trauma davongetragen. Und der aktuelle Preisschock durch den Ukrainekrieg ist ein Triggerpunkt – viele Menschen sind verunsichert, die Ampel-Regierung wird in Umfragen abgestraft.
Linke, die regieren wollen, sollten sich für dieses Trauma sensibilisieren. Gerade weil das Klischee besagt, Linke hätten keine Wirtschaftskompetenz. Eine Regierungsstrategie, die die Wirtschaft nachhaltig umkrempeln und das Land gerechter machen will, ist gut beraten, aus 1923 die richtigen Schlüsse für 2023 zu ziehen.
Die gängige Erzählung, was die schreckliche Hyperinflation vor hundert Jahren auslöste, ist verkürzt. Die Hyperinflation kam vom Gelddrucken, weiß doch jeder. Oder nicht? So findet man es jedenfalls in Büchern für den Geschichtsunterricht. Und auch, wenn man die Wörter »Hyperinflation« und »Deutschland« in die Suchmaschine tippt.
»Geld für Erneuerbare auszugeben, wirkt antiinflationär.«
Das ist ein Problem für Linke. Denn viele soziale Reformen gehen mit mehr Staat und höheren Ausgaben einher: ob für moderne Schulen, kostenfreien Busverkehr oder Stromnetze in staatlicher Hand. Da bekommt man schnell vorgeworfen, linke Reformen wirkten inflationär. Rumms! Trauma getriggert. Dramatische Bilder in den Köpfen. Gift für die Popularität einer potenziellen linken Regierung.
Linke
Regierungsstrategien müssen das vermeiden. Ein Teil der Lösung:
stabile Preise zum zentralen Regierungsversprechen machen. Ein
anderer: Inflationsepisoden als das benennen, was sie wirklich sind
und waren – Angebotsschocks – und auch dagegen eine politische
Versicherung anbieten. Der Ausbau der erneuerbaren Energien zum
Beispiel dient nicht nur dem Klimaschutz, sondern schützt auch gegen
den jüngsten Preisschock bei Öl und Gas. Geld
für Erneuerbare auszugeben, wirkt also
antiinflationär. Solche Argumentationsbrücken
muss man bauen. Das gelingt umso einfacher, je besser man die
Hyperinflation von 1923 versteht.
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Maurice Höfgen ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter für Finanzpolitik im Bundestag und Autor des Buches »Mythos Geldknappheit«. Zudem betreibt er den YouTube-Kanal »Geld für die Welt«.