01. November 2024
Viele fürchten bei einer zweiten Trump-Amtszeit die Errichtung einer faschistischen Diktatur. Wahrscheinlicher ist jedoch ein beschleunigter gesellschaftlicher Zerfall, wie er die USA schon lange kennzeichnet.
Der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump verabschiedet sich während einer Wahlkampfveranstaltung in Ashwaubenon, Wisconsin, 30. Oktober 2024.
Keine nationale Wahl erregt so viel internationale Aufmerksamkeit wie die Präsidentschaftswahl in den USA, bei der alle vier Jahre etwa die Hälfte der wahlberechtigten Bevölkerung des Landes zu den Urnen geht, um zu entscheiden, wer der mächtigste Mensch der Welt sein wird. Vor acht Jahren entschieden sie sich für Donald Trump, einen milliardenschweren Immobilienmagnaten, Reality-TV-Star und nach verbreiteter Meinung kriminellen Gauner, der es dennoch schaffte, Dutzende von Millionen Amerikanerinnen und Amerikanern in seinen Bann zu ziehen. Vor vier Jahren setzten sie ihn knapp zugunsten von Joe Biden ab, einem alternden Washington-Veteranen, dessen geistiger Verfall sich in den letzten Monaten seiner Amtszeit so sehr beschleunigte, dass seine Partei gezwungen war, ihn in letzter Minute kurzerhand durch seine Vizepräsidentin Kamala Harris zu ersetzen.
Doch selbst wenn die Demokraten durch den Pferdewechsel ihre Chancen verbessert haben, das Weiße Haus zu halten, sieht es wenige Tage vor der Wahl zunehmend so aus, als würden sie auf eine Niederlage zusteuern. Eine Umfrage nach der anderen zeigt, dass Trump näher an Harris heranrückt. Harris wiederum tut sich schwer, die von Inflation und dem Gaza-Krieg frustrierten Wählerinnen und Wähler davon zu überzeugen, dass sie nach vier Jahren als Vizepräsidentin wirklich für einen »neuen Weg nach vorn« in der Politik steht.
Könnte Trump also nächste Woche siegreich nach Washington zurückkehren? Matt Karp, Historiker und regelmäßiger Jacobin-Autor, sprach mit Loren Balhorn in einer aktuellen Folge von JACOBIN Weekly über die strampelnde Kampagne der Demokraten, Trumps enigmatische Anziehungskraft und darüber, warum die Inflation die Achillesferse jedes zukünftigen linken Projekts sein könnte.
Nachdem Biden den Staffelstab kurzerhand an Kamala Harris weitergegeben hatte, herrschte zunächst große Begeisterung über ihre Präsidentschaftskandidatur. Doch je näher die Wahl rückt, desto mehr scheint sie in den Umfragen in mehreren entscheidenden Bundesstaaten zu schwächeln. Was ist schiefgelaufen?
Es herrschte nicht nur eine Atmosphäre der Begeisterung, sondern es gab auch greifbare, materielle Beweise für diese Begeisterung. Harris erfuhr einen enormen Zustrom an Unterstützung, der durch Bidens unfähige Kandidatur gewissermaßen abgewürgt worden war, und diese Unterstützung trug sie bis zum Parteitag. Während Biden bei der beim Sammeln von Wahlkampfspenden hinter Trump zurücklag, nahm Harris in einem Monat 500 Millionen Dollar ein.
Aber seit etwa einem Monat gibt es wieder eine Pattsituation. Die Lage ist brenzlig, aber ich denke, man kann durchaus verstehen, warum, wenn man eine breitere Perspektive einnimmt. Die etablierten Parteien haben in diesem globalen Wahljahr 2024 nicht gut abgeschnitten. Bei so ziemlich jeder größeren Wahl, von Großbritannien bis Indien, haben die Regierungsparteien, die diese Art von Post-Covid-Inflationswirtschaft verwalten, Verluste erlitten. Es gibt einfach nicht viel Rückhalt in der Bevölkerung für die derzeitigen Amtsinhaber. Mexiko ist in dieser Hinsicht wirklich die einzige Ausnahme.
»Die moderate Inflation in den Vereinigten Staaten, selbst wenn sie mit starken Lohnzuwächsen einhergeht, hat dazu geführt, dass die Menschen kein gutes Gefühl haben, was die Wirtschaft angeht.«
Ich denke, die allgemeinste politische Lehre, die man ziehen kann, lautet, dass die Situation nicht ganz so beängstigend oder bedrohlich ist, wie manche glauben machen wollen – es klettern keine Faschistenhorden aus den Kanalisationsröhren. Aber auf einer anderen Ebene ist es wirklich beunruhigend für jedes linke politische Projekt, denn die Lektion ist, dass die Menschen die Inflation wirklich hassen, und zwar mehr als uns bewusst war. Die moderate Inflation in den Vereinigten Staaten, selbst wenn sie mit starken Lohnzuwächsen einhergeht, hat dazu geführt, dass die Menschen kein gutes Gefühl haben, was die Wirtschaft angeht.
Es wird viel darüber geredet, dass diese Gefühle von der Parteizugehörigkeit bestimmt werden, dass die Leute, die sagen, dass die wirtschaftliche Lage schlecht ist, alle Trump-Wähler sind. Aber das ist einfach nicht wahr. Die Mehrheit der Afroamerikaner, der treueste Teil der demokratischen Basis, sagt, dass die wirtschaftliche Lage nicht gut ist. Man könnte die Zahlen durchgehen und argumentieren, dass die Löhne der Schwarzen unter Biden viel stärker gestiegen sind als unter früheren Präsidenten, aber Tatsache ist, dass diese Zugewinne im Vergleich zu den Preissteigerungen eher gering sind. Und für viele Menschen ist das ziemlich frustrierend, wenn sie die jetzige Situation mit der vor Covid vergleichen.
Aber es gibt auch einen parallelen Prozess, der darin besteht, dass Trump heute beliebter ist als je zuvor. Vor einem Jahr war ich optimistisch, dass es eine erhebliche Trump-Erschöpfung geben würde – dass all die strafrechtlichen Vorwürfe gegen ihn, sein ständiges Gejammer über die »gestohlene Wahl« im Jahr 2020 und so weiter die Leute von ihm abbringen würden. Aber er hat den Wahlkampf nicht darauf gemünzt. Er hat es geschafft, sich neu zu erfinden und sogar eine Art Spaß hineinzubringen. Von seinem dummen Auftritt bei McDonald’s vor ein paar Wochen bis hin zum Attentatsversuch – er ist als Oppositionsfigur einfach viel überzeugender als wenn er die Figur an der Macht ist.
2016 gab es das, was man den »Auto-mit-dem-Schlüssel-zerkratzen«-Impuls nannte: Alles ist beschissen, also wählt Trump, er ist ein Rebell, ihm ist alles egal. Ich glaube, viele Menschen wählen Trump, weil sie den Status quo satthaben. Und er scheint in gewisser Weise dagegen zu sein, auch wenn sie nicht sicher sind, wofür er eigentlich steht.
Was sagt uns das über Bidens Bilanz und die Grenzen einer sozialdemokratischen Agenda in den USA im Allgemeinen? Du hast Dich kürzlich gegen die Vorstellung gewehrt, dass Bernies Kampagne die Biden-Regierung maßgeblich beeinflusst hat, aber es gab zumindest einige nennenswerte öffentliche Investitionen, eine gewisse Unterstützung für Gewerkschaften und so weiter. Reicht eine moderate Inflation aus, um diese Errungenschaften zu diskreditieren?
Ich schließe nicht aus, dass linke Ideen, die von der Sanders-Kampagne ausgehen, sich als einflussreich erwiesen haben, aber ich denke, das gilt sowohl für die Rechte als auch für die Linke. Man kann das auch in Europa sehen, mit einer Abkehr von einem wirklich dogmatischen Neoliberalismus in der linken Mitte und einer Hinwendung zu einer Art Nationalkonservatismus in der rechten Mitte. Das heißt nicht, dass sie jetzt gegen den Markt sind, aber sie sprechen davon, die Beziehung zwischen Markt und Staat auf unterschiedliche Weise zu nutzen. In Trumps Fall bedeutet dies, dass er verspricht, die bestehenden Elemente des US-amerikanischen Wohlfahrtsstaates zu schützen, was die Republikaner früher nie getan haben. Einiges davon ist also Bernie zu verdanken, aber vieles ist tatsächlich auf die Erschöpfung des neoliberalen Paradigmas zurückzuführen, auf die Tatsache, dass es in wirtschaftlicher Hinsicht einfach nicht mehr funktioniert.
»Wäre Trump jetzt an der Macht, wäre er meiner Meinung nach hoffnungslos unpopulär, und das Rennen wäre nicht so knapp.«
Und doch ist es so, dass es eine enorme Übertreibung bezüglich Bidens sogenannter linker Bilanz gibt. Ja, er hat mehr Geld für weitgehend linksliberale Prioritäten in Bezug auf grüne Energie und Infrastruktur ausgegeben als andere US-Präsidenten in den letzten fünfzig Jahren, aber das ist ein wirklich niedriger Standard aus der Perspektive eines sozialdemokratischen Projekts. Zu sagen, er sei der linkeste Präsident seit Lyndon B. Johnson, sagt eigentlich nicht viel aus.
Obwohl sie in anderer Hinsicht viel zentristischer war, hat die Obama-Regierung die medizinische Versorgung in den USA durch ein dauerhaftes Sozialprogramm erheblich ausgebaut. Biden hat nichts dergleichen getan. Es gab einige neokeynesianische Elemente in den Bidenomics, aber nichts davon hat die bestehende politische Ökonomie des Landes und den bestehenden Wohlfahrtsstaat wirklich verändert.
Ja, Biden hat eine härtere Gangart beim Handel eingeschlagen. Ja, er hat sich für die Gewerkschaften starkgemacht – zumindest rhetorisch, obwohl er einen Streik der Eisenbahner gebrochen hat. Es gibt eine gewisse Bewegung an den Rändern. Aber wenn in Deiner Heimatstadt keine Fabrik gebaut wurde, wenn Du keine neue Brücke in Deiner Nachbarschaft bekommen hast, dann siehst Du das nicht. Die Liberalen führen gerne Tabellen an, die zeigen, dass es der Wirtschaft besser geht. Aber es ist viel wichtiger, ein oder zwei Programme zu haben, die Bestand haben.
Aber welche anderen Programme als die Steuersenkungen kann Trump für sich beanspruchen? Viele der Schwierigkeiten, die Du beschreibst, insbesondere die Inflation, hätten die Republikaner genauso hart treffen können.
Die Steuersenkungen von Trump kamen vor allem Großunternehmen und Reichen zugute. Ein Teil ging an die Mittelschicht, wie es bei den Republikanern üblich ist, aber ich glaube nicht, dass die Leute sich an die Steuersenkungen erinnern und ihn deshalb wählen. Ich denke, die Wahrheit ist, dass er jetzt nicht mehr an der Macht ist und wir eine kurze Gedächtnisspanne haben. Und bis zu einem gewissen Grad erinnern sich die Menschen gerne an die Zeit vor der Covid-Krise, an eine US-Wirtschaft, der es zahlenmäßig ziemlich gut ging, die aber nicht diese Preisschocks und diese Instabilität hatte.
Wäre Trump jetzt an der Macht, wäre er meiner Meinung nach hoffnungslos unpopulär, und das Rennen wäre nicht so knapp. Es könnte sein, dass wir in eine Phase eintreten, in der der Vorteil des Amtsinhabers auf der Präsidentenebene nicht mehr so stark ist. Wenn Trump dieses Jahr gewinnt, werden drei Herausforderer in Folge die Wahlen gewonnen haben. Was auch immer im Jahr 2028 passiert, die Demokraten werden wahrscheinlich als Favorit ins Rennen gehen, denn wir befinden uns in einer Zeit, in der die Menschen unzufrieden sind, die Wählerschaft gespalten ist und es nur ein paar Wählerinnen und Wähler braucht, die ihre Unterstützung der Partei geben, die nicht an der Macht ist.
Das verheißt nichts Gutes für die Aussichten, ein linkes Projekt mit einer langfristigen Vision aufzubauen.
Nun, es ist nicht so, dass die Linke unter der ersten Trump-Regierung oder in den Obama-Jahren wirklich vorwärtsgekommen wäre. In gewisser Weise könnte man also sagen, dass es angesichts der großen Unzufriedenheit mit dem heutigen politischen Angebot eine Chance gibt. Das sieht man daran, dass die beiden großen Kampagnen größtenteils darüber laufen, welche schlechten Dinge die andere Partei tun wird. Es geht um negative Polarisierung, wie die Politikwissenschaftler sagen: »Ich weiß nicht, was ihr von mir haltet, aber den anderen hasst ihr doch so richtig, oder?«
»Die Standardbotschaft der Demokraten, das ›Gefahr-für-die-Demokratie‹-Argument, spricht in erster Linie Menschen aus der professionellen Mittelschicht an. Das mag gut sein, um die Basis der Demokraten zu erreichen, aber nicht, um unentschlossene Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren.«
Einiges davon ist, denke ich, im Dienste dieses gescheiterten »Gefahr-für-die-Demokratie«-Arguments, dem die Demokraten aus einer Reihe von Gründen verfallen sind, aber einiges davon ist auch einfach nur reine Parteinahme. In Trumps Anzeigen geht es immer darum, dass Kamala verrückt ist, oder dass Kamala für Geschlechtsumwandlungen von Gefangenen bezahlen will. Es sind alles negative Botschaften auf beiden Seiten.
Du arbeitest mit dem Center for Working-Class Politics zusammen, das neulich eine Studie über Wählerpräferenzen in Pennsylvania, einem bedeutenden Bundesstaat für die anstehende Wahl, veröffentlicht hat. Was habt ihr herausgefunden, welche Art von Rhetorik funktioniert, um diese hyperparteiliche, polarisierte Atmosphäre zu durchbrechen?
Pennsylvania ist ein bisschen wie das Ruhrgebiet – es ist industriell geprägt, hat aber auch eine ländliche Komponente und ist proletarisch im weitesten Sinne. Und was noch wichtiger ist: Es ist ein zentraler Staat für diese Wahl. Wir haben also 1.000 Menschen aus Pennsylvania befragt und wie alle anderen auch festgestellt, dass es ein sehr enges Rennen ist, bei dem Harris leicht vorne liegt. Aber wir haben ein paar Dinge anders gemacht: Wir haben uns die Berufsgruppen angeschaut, was in den USA sehr ungewöhnlich ist, und wir haben auch, was noch ungewöhnlicher ist, die Leute zu einer Reihe von verschiedenen politischen Botschaften beider Kampagnen befragt.
Wir fanden heraus, dass die Botschaft »Trump ist ein verurteilter Verbrecher, er ist eine Gefahr für die Demokratie, der die Verfassung abschaffen wird« bei allen Wählern mit Abstand am schlechtesten abschnitt und bei Wählern aus der Arbeiterklasse, die in Pennsylvania eine wichtige Wählergruppe sind, sogar deutlich schlechter. Auf der anderen Seite haben wir herausgefunden, dass die stärksten Botschaften aggressivere, populistische Versionen von Dingen waren, die Kamala Harris nur ansatzweise sagt, wie etwa die Milliardäre anzugreifen. Das hat sie nicht wirklich getan. Wie man weiß, hat sie ihre eigenen Milliardäre in Washington, die sie im Moment mag. Aber die Rhetorik ein wenig zu verschärfen, die Reichen in beiden Parteien anzugreifen – das ist sehr effektiv. Das Gleiche gilt für das Anbieten von Dingen wie garantierte Arbeitsplätze oder erweiterte medizinische Versorgung – Dinge, die sie ebenfalls nicht sagt.
Im gesamten 20. Jahrhundert tendierte die Arbeiterklasse in den USA dank der Gewerkschaften und der Bürgerrechtsbewegung zur Demokratischen Partei. Heute ist sie ziemlich genau in der Mitte gespalten, und viele dieser Gräben verlaufen entlang der Linien von Geschlecht und Ethnie. Viele von ihnen sind auch berufsbedingt. Arbeiter, Lkw-Fahrer, Bauarbeiter – Berufe, die eher männlich geprägt sind – stimmen derzeit sehr stark für Trump, darunter auch gewerkschaftlich organisierte Arbeiter. Dagegen tendieren Beschäftigte in der Dienstleistungsbranche, im Einzelhandel oder Angestellte zu den Demokraten. Wir haben jedoch festgestellt, dass sich beide Gruppen von populistischen Botschaften angezogen fühlen. Die Standardbotschaft der Demokraten, das »Gefahr-für-die-Demokratie«-Argument, spricht dagegen in erster Linie Menschen aus der professionellen Mittelschicht an. Das mag gut sein, um die Basis der Demokraten zu erreichen, aber nicht, um unentschlossene Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren.
Warum sind die Demokraten Deiner Meinung nach so resistent gegenüber dieser Art von aggressiven, populistischen Botschaften, obwohl alle Daten zeigen, dass sie funktionieren?
Ich glaube, dass es in dieser Frage eine Spaltung innerhalb des Machtzentrums der Demokraten gibt. Kamalas Super-PAC, Future Forward USA Action, der über fast 1 Milliarde Dollar verfügt, hat etwa viel Geld für Anzeigen ausgegeben, in denen sich Menschen aus der Arbeiterklasse über die Wirtschaft beschweren, gemischt mit Clips, in denen Trump über seine reichen Freunde spricht, und in denen Arbeiter sagen: »Er ist für diese Leute, er ist keiner von uns.« Dennoch unterscheide ich zwischen dieser Art von Anzeigen und Populismus, denn es handelt sich um Anti-Republikaner- und Anti-Reiche-Botschaften, die eine Art wirtschaftliches Gerechtigkeitselement enthalten. Aber Populismus bedeutet für mich auch, dass ich die regierenden Institutionen angreife und nicht nur sage, »mein politischer Gegner ist reich und will seinen reichen Freunden helfen«. Eine populistische Analyse muss den Status quo in einem größeren Zusammenhang betrachten und über die rein parteipolitischen Aspekte hinausgehen.
»Die wahre Bedrohung durch Trump ist nicht der Faschismus, sondern die totale gesellschaftliche Aushöhlung. Was er repräsentiert, ist völlige Entfremdung und soziale Isolation: OnlyFans, Online-Glücksspiel, soziale Medien, dieser komplette Ausstieg aus gesünderen, sinnstiftenden sozialen Formen.«
Ich denke, dass die Demokraten strukturell keine populistische Linie verfolgen können, auch wenn sie aufgrund ihrer eigenen Daten wissen, dass Wirtschaftspopulismus ihre wirksamste Botschaft ist. Das liegt daran, dass es viele demokratische Wählergruppen gibt, die an anderen Botschaften hängen, die sagen, dass es wirklich wichtig ist, sich für Abtreibungsrechte einzusetzen oder gezielt schwarze Wähler anzusprechen oder eine spezielle Klimabotschaft zu haben. Diese Wählergruppen wollen nicht die breitere, populistische Ansprache – sie hängen sehr an der Botschaft, dass Trump eine Bedrohung für die Verfassung ist.
Das ist etwas anders als Hillary Clintons Botschaft, in der es hauptsächlich darum ging, dass Trump für das Amt ungeeignet war, dass er keinen geeigneten Charakter hatte und so weiter. Jetzt lautet die Ansage: Trump ist ein Faschist. Ich denke, dass diese Art von Botschaft nur für Menschen von Bedeutung ist, die ständig die Nachrichten verfolgen und in einer Welt leben, in der sich diese dunkle Macht seit dem 6. Januar 2021 sammelt. Aber wenn man nicht in dieser Welt lebt, wenn man all das nicht verfolgt, selbst wenn man den Wahrheitsgehalt dieser Behauptungen beiseite lässt – ich glaube nicht, dass Trump auch nur annähernd die Fähigkeit hat, ein Diktator zu werden –, denke ich, dass sie bei jemandem, der nicht in dieser Echokammer eingeschlossen ist, einfach nicht ankommt.
Du erwähntest die Klassenverschiebung innerhalb der Basis der Demokratischen Partei, ein Phänomen, das wir auch in Europa beobachten können, wo Wählerinnen und Wähler aus der Arbeiterklasse zu rechten und sogar rechtsextremen Parteien abdriften. In Europa ist diese Verschiebung eher individuell – Arbeiter wählen vielleicht Rechtspopulisten, aber sie treten nicht rechtsextremen Parteien bei oder engagieren sich in einer rechten Massenpolitik. Wie sehen die Dinge in den USA aus? Siehst Du die Gefahr, dass die organisierte Rechte innerhalb der Arbeiterklasse wächst?
Ich denke, es ähnelt strukturell dem, was Du in Europa beschreibst. Die wahre Bedrohung durch Trump ist nicht der Faschismus, sondern die totale gesellschaftliche Aushöhlung. Was er repräsentiert, ist völlige Entfremdung und soziale Isolation: OnlyFans, Online-Glücksspiel, soziale Medien, dieser komplette Ausstieg aus gesünderen, sinnstiftenden sozialen Formen. Ich glaube nicht, dass er ein christlicher Nationalist ist oder an der Spitze einer Bewegung steht, die man als christlich-nationalistisch bezeichnen kann. Die Zahl der Kirchenbesucher ist landesweit stark rückläufig, und dieser Trend ist auch unter Trump nicht zu stoppen. Nun kann man jederzeit einen kleinen verschlungenen Pfad von einem rechtsextremen Intellektuellen zu einem republikanischen Politiker nachzeichnen, aber ich denke, das erklärt nur sehr wenig.
Es ist ein globales, postindustrielles Phänomen, dass die Linke nicht mehr automatisch die Stimmen der Arbeiterklasse auf sich vereinigt: In einer Zeit der Globalisierung sind die linken Parteien in die Mitte gerückt und haben überall die Stimmen der professionellen Mittelschicht auf sich gezogen, während die Arbeiterinnen und Arbeiter zur rechten Mitte abgewandert sind. Aber wenn man sich die Zahlen ansieht, ist das alles sehr dünn und zerstreut. Es ist ja nicht so, dass die Proud Boys oder andere rechtsextreme Gruppen in ganz Amerika aus dem Boden schießen. Diese Leute sind Schwindler, sie sind Online-Kommentatoren, die traurigste Form von sozialem Sein und Zugehörigkeit.
»Wir sehen keine Linke, die ihre Wurzeln in der Arbeiterklasse schlägt, indem sie Elemente dieser populistischen Botschaften aufgreift und sich auf wirtschaftliche und Klassenfragen konzentriert.«
Allerdings ist die Wahl von Trump in den Arbeiterbezirken im Vergleich zwischen 2016 und 2024 wirklich bemerkenswert. Es ist so etwas wie ein Erdrutschsieg. Und das ist nicht ethnisch bedingt. Trump steigert seine Zahlen bei den Latino-Wählern, aber in gewissem Maße auch bei den Schwarzen, bestimmten asiatischen Gemeinschaften und sogar bei den Native Americans. Es gibt eine Tendenz unter weniger gebildeten, weniger professionalisierten, sozial entfremdeten Gruppen, die sich von ihm angezogen fühlen. Aber ich denke, das ist etwas sehr Spezifisches für Trump, und es wird wahrscheinlich mit Trump enden. Die Republikaner haben sonst niemanden mit dieser Art von Anziehungskraft.
Du hast vor einigen Monaten einen Artikel in Harper’s veröffentlicht, in dem Du Dich recht pessimistisch über die Aussichten der US-Linken nach der Kampagne von Bernie geäußert hast, die anscheinend jeglichen Schwung verloren hat, den sie vor vier Jahren noch gehabt haben mag. Was ist Deiner Meinung nach passiert?
Der Artikel beginnt mit der Palästina-Solidaritätsbewegung, weil ich sehr eindrücklich finde, wie wenig Einfluss sie hat, trotz sehr beeindruckender Mobilisierungen und wirklich starker Energie. Das ist sicher nicht die Schuld der Demonstrierenden, aber für mich zeigt es, wie wenig Einfluss die Linke auf die Demokraten hat, selbst auf die Mitglieder des Progressive Caucus. Dieser ist mit hundert Mitgliedern der größte im Kongress, aber als es darauf ankam, konnten nur etwa dreißig von ihnen eine Stimme gegen den Waffenverkauf an Israel aufbringen. Das hat gezeigt, dass die Führung der Demokraten in Fragen, in denen sie sich voll und ganz engagiert, einfach ein Machtwort spricht und die Progressiven als unbedeutende Randgruppe entlarvt werden.
In den letzten Jahren haben viele von uns unsere jüngeren Errungenschaften gefeiert, wie zum Beispiel: »Oh, wir haben zwei weitere sozialistische Stadträte in Bellingham, Washington, gewählt.« Nun, nichts gegen Bellingham, aber ich denke, das Problem ist größer, nämlich dass die Wählerschaft der sozialistischen Bewegung heute Leute wie wir sind, Zeitschriftenredakteure und Unidozenten, und wir versammeln uns in bestimmten Vierteln und schaffen es, ein paar Sozialistinnen und Sozialisten zu wählen. Aber selbst wenn wir ein paar wichtige Sitze gewinnen, ist das alles immer noch sehr, sehr marginal.
Es ist nicht so, dass es an Absicht mangelt, aber es mangelt an Strategie. Wir sehen keine Linke, die ihre Wurzeln in der Arbeiterklasse schlägt, indem sie Elemente dieser populistischen Botschaften aufgreift und sich auf wirtschaftliche und Klassenfragen konzentriert. Wir haben es bei Bernie gesehen: Er hat die Koalition 2016 erweitert, er hat viele Leute gewonnen, die keine Professoren oder Redakteure waren. Warum haben wir diese Vision aufgegeben? Das ist noch gar nicht so lange her.
Du hast Deine Skepsis darüber zum Ausdruck gebracht, ob Trump wirklich eine faschistische Bedrohung darstellt. Nehmen wir einmal an, dass er gewinnen wird. Was glaubst Du, wird das realistischerweise für die Arbeiterklasse und für die Politik bedeuten?
Mein Argument gegen die Angst vor Trump als Diktator ist, dass die Demokratische Partei, wenn man sich das grobe Maß der Wahlkampfspenden ansieht, einen so großen Teil unserer Wirtschaft dominiert. Ich weiß, dass es abtrünnige Milliardäre gibt, die Trump unterstützen – Elon Musk ist eines der widerlichsten Beispiele für diesen Wahlkampf –, aber die Vorstände dieser Tech-Unternehmen stehen alle hinter den Demokraten.
»Wie würde also eine zweite Trump-Präsidentschaft aussehen? Ich denke, es wird eine Menge Golf und Skandale geben, mehr soziale Aushöhlung, vergiftetes Trinkwasser – all die Dinge, die unsere Gesellschaft schlechter machen.«
Wenn man sich renommierte Universitäten, Anwaltskanzleien oder den öffentlichen Sektor ansieht, werden diese nicht von der Linken dominiert, aber sie sind demokratisch, und sie lassen sich nicht von MAGA vereinnahmen. Dazu gibt es auch keine Anzeichen dafür, dass das Militär daran interessiert ist, Trump zu unterstützen. Er hat seine gesamte erste Amtszeit damit verbracht, sich mit ihnen zu streiten. Selbst wenn Trump also die extremen Maßnahmen des Projekts 2025 durchführen wollte, würde er auf eine Menge Hindernisse stoßen.
Die Republikaner sind kulturell nicht auf der Höhe der Zeit. Sie sind immer noch gut darin, Wahlen zu gewinnen, aber das war’s. Sie gewinnen nicht die Herzen und Köpfe in allen möglichen Fragen, auch nicht innerhalb ihrer eigenen Partei. Sie haben es in diesem Wahlkampf vielleicht auf Trans-Personen abgesehen, aber es ist unbestreitbar, dass die Republikaner in den letzten zehn Jahren in LGB-Fragen nach links gerückt sind, weil sich das Land in diesen Fragen nach links bewegt hat. Ihre Hochburgen liegen in der fossilen Brennstoffindustrie, in Baumärkten und dergleichen – sie sind nicht an der Spitze des Kapitalismus des 21. Jahrhunderts. Ich glaube nicht, dass ein Wahlsieg der Republikaner ein gutes Szenario für die Linke oder für das Land ist, aber sie sind nicht in der Lage, eine Diktatur zu errichten.
Wie würde also eine zweite Trump-Präsidentschaft aussehen? Ich denke, es wird eine Menge Golf und Skandale geben, mehr soziale Aushöhlung, vergiftetes Trinkwasser – all die Dinge, die unsere Gesellschaft schlechter machen. Ich will die Bedrohung also nicht herunterspielen, aber das ist das Problem mit dem Faschismus-Argument: Viele von uns klingen am Ende wie Apologeten für ihn, obwohl ich ihn eigentlich verabscheue. Dennoch ist es lächerlich, ihn in das Gewand der europäischen Zwischenkriegszeit zu stecken.
Matt Karp ist Professor für Geschichte an der Princeton University und Contributing Editor bei Jacobin.