20. Februar 2025
Selbst wenn es Trump gelingen sollte, mit Putin zu verhandeln, werden sich die USA kaum um den Wiederaufbau der Ukraine bemühen. Trumps kläglicher Friedensplan ist ein weiterer Beleg dafür, dass sich die transatlantische Loyalität der EU nicht nur nicht auszahlt, sondern auch zu teuer erkauft wird.
Trump und Putin bei einem Treffen während Trumps erster Amtszeit.
Sicher ist: Die gerade einsetzenden Verhandlungen zwischen Trump und Putin werden noch eine ganze Weile dauern. Noch ist zudem unklar, wer überhaupt daran teilnehmen darf. Befeuert durch den Wahlsieg Donald Trumps bei der Präsidentschaftswahl zeichnen sich jedoch schon einige wesentliche Punkte ab: Donald Trump bietet Russland offenbar eine Teilung der Ukraine an, vermutlich entlang der dann aktuellen Frontlinie. Die Krim dürfte auch offiziell russisches Territorium werden, die anderen besetzten Gebiete mutmaßlich eine Art Zwischenstatus bekommen und unter faktischer Kontrolle Moskaus verbleiben. Die NATO-Mitgliedschaft der Rest-Ukraine ist dagegen wohl endgültig passé, stattdessen gibt es allenfalls wolkige Sicherheitsgarantien des Westens und wahrscheinlich für mehrere Jahre eine europäische Friedenstruppe an der Demarkationslinie.
Noch nicht absehbar ist freilich, ob es zu einem Friedensvertrag kommt oder die Nachkriegsordnung eher auf informellen Absprachen beruht. Das ist kein Detail, denn auch davon hängt ab, ob eine dauerhafte Befriedung gelingt. Sollte das eben skizzierte Szenario so oder so ähnlich eintreten: Was bedeutet das für die beteiligten Akteure mit Blick auf die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Folgen?
Die Ukraine hat den Krieg mindestens teilweise verloren, nur ein Rumpfstaat kann seine Unabhängigkeit unter schwersten Opfern noch behaupten. Das ist nicht wenig gemessen am militärischen Potenzial beider Seiten im Februar 2022. Aber das Land wird auf lange Sicht ökonomisch, sozial und demografisch dahinsiechen. Der Wiederaufbau der zerstörten Wohnungen, Schulen, Krankenhäuser und Infrastrukturen wird nur sehr langsam vorankommen. Das auch, weil viele Flüchtlinge zögern werden, in diese Perspektivlosigkeit zurückzukehren. Angesichts wirtschaftlicher Stagnation und knapper Kassen dürfte die EU kaum allzu spendabel sein, wenn der Pulverdampf erst einmal verzogen und das Interesse der medialen Öffentlichkeit verpufft ist. Von Trump ist sowieso keine Finanzierungshilfe zu erwarten. Was folgen wird, ist ein knallhartes neoliberales Programm zur Ausgabenkürzung im sozialen Bereich und vielen anderen Sektoren, einschließlich Privatisierung von Filetstücken für heimische Oligarchen und westliche Konzerne.
Arbeitnehmerrechte wurden im Windschatten der Kriegsökonomie bereits drastisch eingeschränkt. In diese Richtung wies beispielsweise auch eine Konferenz im schweizerischen Lugano im Juli 2022. Vor Ort waren der ukrainische Regierungschef Schmyhal, ehemals Angestellter des Milliardärs Rinat Achmetow, sowie gleich sieben Minister seines Kabinetts. Zugegen waren auch westliche Konzerne und neoliberale Ökonomen, nicht dabei dagegen etwa ukrainische Gewerkschaften. Wenige Tage zuvor hatte Kiew von der EU den Kandidatenstatus verliehen bekommen. Ob und wann dies in eine Mitgliedschaft mündet, steht in den Sternen; auch andere Länder warten bereits seit Jahrzehnten darauf.
»Russland ist keineswegs der strahlende Sieger in diesem größten europäischen Krieg seit 1945. Zehntausende Tote und hunderttausende Traumatisierte sind die schmerzliche Bilanz eines Angriffs, der doch eigentlich nach wenigen Tagen mit einem Triumph in Kiew enden sollte.«
Im Januar 2023 verkündete dann der CEO des weltgrößten Vermögensverwalters Blackrock in Davos, man werde gemeinsam mit der Bank JP Morgan und anderen Schwergewichten des globalen Kapitals das Land nach dem Kriegsende mit Investitionsgeldern fluten. Dass das nicht aus humanitären Erwägungen heraus geschehen wird, liegt auf der Hand. Ein zentraler Hebel für die Vorgaben des Westens wird die massiv gewachsene Auslandsverschuldung sein, denn ein erheblicher Teil der Hilfsgelder wurde in Form von Krediten vergeben.
Eine weiter grassierende Korruption und ein autoritäres Staatsgebilde mit instabilen politischen Verhältnissen dürften ebenfalls zu den Kriegsfolgen zu zählen sein. Die dauerhafte – ob nun faktische oder völkerrechtliche – Teilung des Landes wird ein in vielerlei Hinsicht strukturelles Problem sein, außerdem vergiftet sie das innenpolitische Klima. Die zahllosen Waffen werden teils in kriminelle Hände gelangen oder in Bürgerkriege andernorts weitergereicht und dort nichts Gutes bewirken. Der eine oder andere Veteran wird als Söldner in aller Welt sein Glück suchen und nicht finden, andere bei der lokalen Mafia unterkommen.
Russland ist keineswegs der strahlende Sieger in diesem größten europäischen Krieg seit 1945. Zehntausende Tote und hunderttausende Verletzte oder Traumatisierte sind die schmerzliche Bilanz eines Angriffs, der doch eigentlich nach wenigen Tagen mit einem Triumph in Kiew enden sollte. Hinzu kommen hohe wirtschaftliche Kosten und der Verlust des bei weitem wichtigsten Marktes für Öl, Gas und andere Rohstoffe. Weggefallen sind ebenso zahlreiche Lieferanten von Hochtechnologieprodukten. Die russische Staatskasse ist leer, die Militarisierung in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft muss aufwändig zurückgeschraubt werden und die Armee wird auch künftig viel Geld verschlingen. Der Krieg hat außerdem offengelegt, in welchem Ausmaß Korruption und Nepotismus im Land herrschen. Auf der Habenseite stehen ein paar verwüstete und teils entvölkerte Provinzen, die ebenfalls wieder aufgebaut werden müssen. Dazu ist die politische und ökonomische Abhängigkeit von China deutlich gewachsen.
Die EU und Europa insgesamt sind klare Verlierer des Waffengangs. Man hat einen Lieferanten preiswerter fossiler Energie und gleichzeitig zahlungskräftigen Kunden für Industrieprodukte verloren. Große Anstrengungen für Finanzhilfen, Flüchtlingsversorgung und Waffenlieferungen wurden unternommen, um nun absehbar erneut Geld für den Wiederaufbau und eine Friedenstruppe ausgeben zu dürfen. Dafür behält man einen Absatzmarkt und den Zugriff auf billige Arbeitskräfte in einem zerrütteten Land. Beides wird gesamtwirtschaftlich wenig ins Gewicht fallen, auch wenn es den Druck auf jede ukrainische Regierung erhöhen wird, Arbeitnehmerrechte weiter zu schleifen.
»Hätten die Europäer schon frühzeitig und glaubwürdig eine Friedenslösung gesucht, möglichst gemeinsam mit China, Indien und Brasilien, hätten sie vieles verhindern können.«
Hinzu kommen die enormen Kosten der eigenen Aufrüstung. Ein Blick in die Wahlprogramme der Parteien von SPD und Grünen über Union und FDP bis AfD verrät, dass bei den Militärausgaben noch keineswegs das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Ähnliche Töne sind in der NATO zu hören. Die Rufe nach Kürzungen im Sozialbereich und der Druck auf Geflüchtete sind bereits jetzt kaum zu überhören. Zugleich hat die EU einmal mehr gezeigt, dass sie ohne die USA geopolitisch nicht handlungsfähig ist. Die mit großer moralischer Geste vorgetragenen Forderungen nach einem ukrainischen Siegfrieden sind dagegen längst verstummt – von einer realistischen Analyse der militärischen Kräfteverhältnisse waren sie ohnehin nie unterlegt.
Die kurzzeitigen ukrainischen Erfolge waren stets vor allem der Hybris und dem Dilettantismus russischer Generäle geschuldet. Experten wie der Österreicher Markus Reisner verweisen allerdings auf die stetige Lernkurve dieser Kommandeure. Je länger der Kampf geht, desto gravierender müssen sich die enormen Unterschiede an Waffenbeständen, verfügbaren Rekruten und wirtschaftlicher Potenz auswirken. Faktisch war und ist eine entscheidende Niederlage Russlands auf dem Schlachtfeld wohl nur denkbar, wenn der Westen im großen Stil eigene Truppen entsendet – mit allen Gefahren einer unkontrollierbaren Eskalation. Immerhin das ist uns allen glücklicherweise erspart geblieben. Es bleibt zu hoffen, dass es in absehbarer Zeit keine Mitgliedschaft der Rest-Ukraine geben wird. Das wäre unweigerlich politisch wie finanziell eine schwere Hypothek für die EU. Alles in allem also ein echtes Desaster für den Kontinent, wenngleich die Auswirkungen auf die einzelnen Länder sehr unterschiedlich zu bewerten sind.
Ob die USA gewonnen haben, hängt von der Perspektive ab, dürfte aber in der Summe sehr fraglich sein. Auch sie haben massive Finanzmittel aufgewendet und große Mengen Waffen geliefert. Wenngleich das nie direkt artikuliert wurde, blieb die Unterstützung freilich stets in einem Rahmen, der lediglich das Überleben der Ukraine sicherte. Die Vereinigten Staaten haben zumindest wirtschaftlich von den Sanktionen profitiert und werden das wahrscheinlich auch künftig tun. Allein die Exporte von LNG-Gas in die EU haben sich seit Kriegsbeginn massiv erhöht. Die USA haben zugleich einen geopolitischen Rivalen geschwächt – auch wenn man mit guten Gründen argumentieren kann, dass es langfristig klüger gewesen wäre, Russland in das westliche Lager zu ziehen.
Außerdem werden sie sich, da kann man auf Trump vertrauen, abgesehen von ein paar symbolischen Dollar am Wiederaufbau kaum beteiligen. Amerikanische Soldaten wird es in der Friedenstruppe ebenfalls nicht geben. Die Waffenlieferungen dürften aber weitergehen – bezahlt in harter Währung oder mit den reichen Rohstoffvorkommen der Ukraine, versteht sich. Das hat die US-Regierung jüngst sehr deutlich formuliert. Attraktiv sind hier nicht nur Agrarprodukte, sondern auch Lithium oder Titan. Bei der weit überwiegenden Mehrzahl der dreißig von der EU als besonders wichtig eingeschätzten Rohstoffe verfügt die Ukraine über entsprechende Vorkommen. Dass der Kriegsausgang zumindest auf der Landkarte einen Punktsieg für Russland darstellt, fördert freilich nicht unbedingt Washingtons Ansehen in der Welt. Und: Ein spürbar geschwächtes Europa kann letztlich nicht im Interesse der USA sein.
Umgekehrt gesprochen: Hätten die Europäer schon frühzeitig und glaubwürdig eine Friedenslösung gesucht, möglichst gemeinsam mit China, Indien und Brasilien, hätten sie vieles verhindern können, vom menschlichen Leid ganz abgesehen. Wenn nun in den europäischen Regierungszentralen der Katzenjammer einsetzt, werden die Schuldigen an diesem Debakel sicherlich rasch gefunden werden: im Zweifel die, die vor dem Krieg Deals mit Moskau machten oder seit 2022 nicht noch mehr Waffen liefern wollten.
Die Strack-Zimmermanns und Hofreiters werden sicher nicht müde werden zu betonen, dass die Taurus-Marschflugkörper oder einfach mehr Panzer zu einem ganz anderen Ende geführt hätten. Es sind die gleichen, die sich nun über Trumps hemdsärmeligen Verhandlungsvorstoß mokieren, da ihre transatlantische Nibelungentreue möglicherweise nicht mal mit einem Platz am Katzentisch belohnt wird. Kurz nach dem Waffenstillstand wird ein Afghanistan-Effekt eintreten: Man vergisst das ganze Thema still und heimlich und redet nicht mehr darüber, nicht in den Wahlkämpfen und auch nicht in den Talkshows.
Die nahezu ausgefallene Debatte um den Afghanistan-Untersuchungsausschuss und seine fragwürdige Schlussfolgerung, man müsse solche Invasionen im Grunde nur besser managen, kann hier als willkommene Blaupause dienen. Eine kritische Selbstreflexion oder gar sinnvolle Schlussfolgerungen sind von den Entscheidern in Politik und Medien hierzulande jedenfalls nicht zu erwarten. Umso wichtiger wird es jetzt sein, dass in den kommenden Friedensgesprächen und der öffentlichen Debatte die Interessen der breiten Bevölkerung eine Stimme bekommen. Hier ist die politische Linke ebenso gefragt wie Gewerkschaften und andere Akteure aus der Zivilgesellschaft. Dazu braucht es einen Dialog auf Augenhöhe mit den sozialen Bewegungen aus der Ukraine – ein Punkt, der gerade angesichts der aktuellen, massiven Marginalisierung der dortigen Opposition nicht hoch genug veranschlagt werden kann. Das wird allerdings einen langen Atem benötigen. Gerade auch dann, wenn sich die Augen der Welt längst auf andere Konflikte richten werden.
Axel Weipert ist promovierter Historiker. Er arbeitet vor allem zur Geschichte der Arbeiterbewegung und des Ersten Weltkriegs. Von ihm erschienen sind unter anderem »Das Rote Berlin. Eine Geschichte der Berliner Arbeiterbewegung 1830-1934« (2019) und »›Den Fürsten keinen Pfennig!‹ Der Volksentscheid zur Fürstenenteignung 1926« (2021).