01. Oktober 2020
Im ersten TV-Duell zwischen Joe Biden und Donald Trump sah man einen mittelmäßigen Herausforderer gegen einen gefährlichen Reaktionär antreten. Wer hätte es anders erwartet?
Diejenigen, die es geschafft haben, die erste von drei Präsidentschaftsdebatten komplett anzusehen, werden sich im Nachhinein wahrscheinlich weniger an eine Reihe von einzelnen Momenten erinnern und vielmehr an die angeschlagene und irritierende Gemütsverfassung der beiden Kontrahenten.
Die beiden Männer – Joe Biden und (häufiger) Donald Trump –, die darum wetteifern, die wohlhabendste und mächtigste Nation der Welt anzuführen, versuchten neunzig schmerzhafte Minuten lang den jeweils anderen einzuschüchtern. Sie schrien sich an, während der Moderator Chris Wallace bemüht war, die Kontrolle wiederzuerlangen – und in der Regel scheiterte. Würde erwies sich als Mangelware in der Debatte, in der Trump sich weiter zu verstörenden, reaktionären Appellen hinreißen ließ und eine für alle Beteiligten peinliche Vorstellung bot.
Obwohl Wallace eine Reihe von themenbezogenen Fragen stellte, tendierten die Antworten zu assoziativen Monologen auszuarten, die sich schnell von dem, was angeblich zur Debatte stand, entfernten. Während Biden in seinen Aussagen eher schwammig blieb, legte Trump einen äußerst störenden (und auch verstörenden) Auftritt hin. Immer wieder unterbrach er sowohl seinen Gegner als auch den Moderator, die beide kaum zu Wort kamen.
Damit spiegelte die Debatte in gewisser Weise die amerikanische Politik in ihrem gegenwärtigen Zustand wider: demoralisierend, desorientierend und ganz und gar um die Persönlichkeit des Präsidenten kreisend. Da Trump seinem Gegner so häufig über den Mund fuhr, verwandelten sich viele der Wortwechsel hastig in lautstarke Wortgefechte, die Biden aus dem Konzept brachten und ihn zwangen, auf das Gesagte zu reagieren. Und während Biden wenig inspirierend auftrat, waren Trumps Interventionen schlicht wahnsinnig.
Alles in allem geriet die ganze Sache so sehr aus den Fugen, dass sich vieles davon schon jetzt der Beschreibung zu entziehen scheint – die wenigen einprägsamen Momente waren allesamt deprimierend und fielen Trump zu. In einem besonders düsteren Schlagabtausch bat Wallace Trump, rechtsextreme Gruppierungen härter zu kritisieren, woraufhin er unaufgefordert antwortete: »The Proud Boys? Haltet euch zurück und seid bereit«, und bezog sich damit auf eine gewalttätige neofaschistische Gruppe, die vom reaktionären Radiomoderator Gavin McInnes gegründet wurde. Gegen Ende der Debatte tat Trump ebenfalls sein Äußerstes, um weiter Desinformation über die Briefwahlen zu streuen, und weigerte sich, ein Zugeständnis zu machen, sollte ihm am 3. November eine Niederlage drohen.
Der einzige Hoffnungsschimmer – wenn es denn einen gibt – ist, dass die Debatte wahrscheinlich nur sehr wenige Meinungen geändert hat. Der größte Teil der Wahlberechtigten hat sich bereits entschieden, wobei der demokratische Kandidat aktuell den Vorsprung genießt. Eine im Vorfeld durchgeführte CBS-Umfrage ergab zum Beispiel, dass nur 6 Prozent der Wähler, die die Debatte wahrscheinlich verfolgten, dies taten, weil sie unentschlossen waren. Eine YouGov-Umfrage, die direkt im Anschluss der Debatte durchgeführt wurde, zeigt den bisherigen nationalen Wahldurchschnitt mit leichtem Vorsprung für Biden ziemlich deutlich.
Alles in allem war das Fernsehduell eine Gong-Show epischen Ausmaßes, die wenig erhellte und die wahrscheinlich nur wenige Meinungen änderte, wenn überhaupt. Es war ein fahriges Wortgefecht zwischen einem mittelmäßigen Herausforderer und einem rasenden Reaktionär. Andererseits: Was haben wir erwartet?
Luke Savage ist fester Autor bei Jacobin.