20. Juni 2024
Der entfesselte Wohnungsmarkt frisst nach und nach die historische Berliner Subkultur. Das Tuntenhaus in der Kastanienallee konnte ihm aber noch einmal entkommen.
»Wie so vielen Orten, die bereits dem finanzialisierten Wohnungsmarkt zum Opfer gefallen sind, drohte auch dem Tuntenhaus der Tod durch Luxussanierung.«
Leere Sektflaschen bedecken den Boden in einem grün bewachsenen Innenhof in Berlin. Ungeordnet stehen ein paar Bänke und Sofas herum, in einer Ecke steht ein provisorisch aus Kisten errichteter Tresen. Neben einem markanten Kronleuchter, der mit seinen bogenförmigen Metallarmen wie ein Feuerwerk aussieht, hängen Discokugel-Luftballons. Der Morgen nach der Party – doch hier wurde kein normaler Hauptstadt-Rave veranstaltet, sondern ein großer Erfolg gefeiert: Das Tuntenhaus bleibt.
Das Hausprojekt in der Kastanienallee 86 ist eine Institution. Seit knapp 34 Jahren ist es ein wichtiger Ort für die weltweit einzigartige Subkultur in Berlin, die vor allem queeren und diskriminierten Menschen Schutz und Heimat bietet. Doch wie so vielen Orten, die bereits dem finanzialisierten Wohnungsmarkt zum Opfer gefallen sind, drohte auch dem Tuntenhaus der Tod durch Luxussanierung.
Auf einer der Bänke sitzt Jil Brest, eine Bewohnerin des Tuntenhauses, und berichtet von Schlafmangel und 80-Stunden-Wochen. Auf einmal musste alles schnell gehen. Im Haus gebe es große WGs mit bis zu fünfzehn Leuten und kleinere, manche wohnten auch alleine. Strukturen wie das regelmäßig stattfindende Hausplenum und ein E-Mail-Verteiler für alle Bewohnerinnen hätten den Informationsfluss während des Existenzkampfes deutlich erleichtert, meint Jil. Sie hätten Arbeitsgruppen gegründet für Öffentlichkeitsarbeit, politische Gespräche, juristische Abklärung, Kundgebungs- und Veranstaltungsorganisation.
Von morgens bis abends wurde geplant und organisiert, als Pressesprecherin musste Jil auf allen Kanälen durchgehend erreichbar sein. Bald war es in der ganzen Stadt zu lesen: »Rettet das Tuntenhaus!« Fast jeden Samstag gab es ein kulturelles Programm, regelmäßig fanden Kundgebungen vor dem Abgeordnetenhaus statt. Eine Rave-Kundgebung in der Kastanienallee mit über dreitausend Menschen zeigte die breite Unterstützung der Berlinerinnen.
Als kurz vor Schluss der Verkäufer drohte, eine Abwendungsvereinbarung zu unterschreiben, zogen die Tunten kurzerhand in dessen Heimat, das bayrische Wörth. Mit Blumen, Musik, Pride Flags und Transparenten zogen sie im Fummel durch den beschaulichen Ort. Auch dort erhielten sie viel Zuspruch und Unterstützung. Das Tuntenhaus hat einen hohen Bekanntheitsgrad und einen starken Zusammenhalt innerhalb der Hausgemeinschaft. Besonders bei einem so kräftezehrenden und existenzbedrohenden Prozess sei es wichtig, dass man aufeinander Acht gibt, sagt Jil, »und dass, während man eine Kundgebung leitet, jemand anderes vielleicht den Regenschirm hält«.
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Laura Stoppkotte ist Verlagsassistentin beim Brumaire Verlag.