25. April 2024
Die Gewerkschaft UAW hat in einem VW-Werk in Tennessee einen weiteren Sieg errungen: Erstmals erhalten Beschäftigte eines ausländischen Automobilherstellers in den Südstaaten eine Interessenvertretung. Im Interview spricht einer von ihnen über den Erfolg.
Die Beschäftigten von VW in Chattanooga und der UAW-Vorsitzende Shawn Fain (mittig) feiern ihren Sieg.
Foto: UAWAm Freitagabend vergangener Woche war klar: die Arbeiterinnen und Arbeiter im Volkswagen-Werk Chattanooga, Tennessee, können sich gewerkschaftlich organisieren. Der Sieg war deutlich: 2.628 zu 985 Stimmen, also 73 Prozent sprachen sich für die Gründung einer UAW-Gewerkschaftsgruppe aus. Von 4.300 Wahlberechtigten gaben 83,5 Prozent ihre Stimme ab, eine erstaunlich hohe Wahlbeteiligung. Die Zahlen zeigen: Die Arbeiter wollten unbedingt eine gewerkschaftliche Vertretung.
Mit dem Sieg wird die VW-Fabrik das bisher erste gewerkschaftlich organisierte Automobilwerk in ausländischem Besitz im Süden der USA. Zwar ist die UAW in mehreren Werken der »Big Three« in der Region aktiv (Ford und GM haben Produktionsstätten in Kentucky, Tennessee und Texas), doch das VW-Werk ist das erste Automobilwerk im Süden seit den 1940er Jahren, das durch eine Wahl über das National Labor Relations Board (NLRB) gewerkschaftlich organisiert wird. Das ist bedeutsam.
Die UAW hat rund 40 Millionen Dollar an zusätzlichen Mitteln für die Organisierung von nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeitern und von Angestellten in der Elektrofahrzeugindustrie bereitgestellt. Mit dem jüngsten Sieg dürfte die Kampagne noch mehr Rückenwind erhalten: Nun könne man schließlich nicht mehr behaupten, gewerkschaftliche Organisierung im Süden der USA sei unmöglich.
Das Werk in Chattanooga war in den vergangenen zehn Jahren schon mehrfach Schauplatz diverser (gescheiterter) UAW-Organisierungskampagnen. Im Jahr 2014 gab es 712 Gegenstimmen und 626 Befürworter. Die damalige Niederlage war wohl auf eine gewerkschaftsfeindliche Intervention zurückzuführen, bei der der Gouverneur des Bundesstaates persönlich eine verpflichtende Versammlung mit den Arbeiterinnen und Arbeitern leitete, um diesen von der gewerkschaftlichen Organisierung abzuraten. 2019 kam es erneut zu einer Abstimmung, die mit 833 Nein- zu 776 Ja-Stimmen noch knapper ausfiel. Vergangene Woche haben die organisierungswilligen Angestellten im Werk nun gesiegt.
Dank der Reformbemühungen in der UAW inklusive einer neuen Führung, die sich gewillt zeigt, gegen die Unternehmensbosse zu kämpfen, anstatt mit ihnen zusammenzuarbeiten, und dank des historischen Streiks bei den Big Three im vergangenen Herbst, der den Gewerkschaftsmitgliedern erhebliche Lohnerhöhungen einbrachte, ist die UAW aktuell im Aufwind. Sie hat sich vorgenommen, 150.000 nicht gewerkschaftlich organisierte Automobilarbeiter zu organisieren. Mit dem jüngsten Sieg bei Volkswagen hat sie den Beweis erbracht, dass dies möglich ist.
Etwa 6.000 Angestellte eines Mercedes-Benz-Werks in Vance, Alabama, werden vom 13. bis 17. Mai in einer NLRB-Wahl abstimmen, und die 4.000 Hyundai-Beschäftigten im Werk in Montgomery, Alabama, werden voraussichtlich in Kürze eine NLRB-Wahl beantragen. Die UAW stürmt somit endlich die gewerkschaftsfeindlichen Bastionen in den südlichen US-Bundesstaaten. Zwar haben sich bereits sechs Gouverneure aus dem Süden im verzweifelten Versuch, die UAW zu stoppen, zusammengeschlossen, aber der Sieg bei VW deutet darauf hin, dass Angstmacherei und Drohungen die Arbeiterschaft im Süden möglicherweise nicht (mehr) aufhalten.
Der 34-jährige Zach Costello arbeitet seit 2017 im VW-Werk in Chattanooga. Er unterstützte die Gewerkschaft bereits im Jahr 2019, erklärt aber, dass die Dynamik der jüngsten Kampagne unvergleichlich stärker war. Alex N. Press sprach mit Costello am Rande der Labor-Notes-Konferenz bei Chicago über den Sieg, die Arbeitsbedingungen im Werk und darüber, wie es für die Automobilarbeiter im Süden nun weitergeht.
Zach, wo bist Du aufgewachsen? Gab es irgendwelche Verbindungen zur Arbeiterbewegung, bevor Du bei Volkswagen angefangen hast?
Mein Vater war früher in der Gewerkschaft. Das fand ich allerdings erst heraus, als ich ihm erzählte, dass wir unsere Fabrik gewerkschaftlich organisieren wollen. Ich bin in Florida geboren und aufgewachsen, in Jacksonville. Ende 2016 zog ich nach Chattanooga. Ich habe mit Arbeit im Fast-Food-Bereich angefangen. Ich habe bei KFC, Taco Bell und dann von 2013 bis 2016 bei Moe’s gearbeitet. Ich habe ADHS. Das macht bestimmte Aktivitäten sehr frustrierend und anstrengend. Wenn man Fast-Food-Bestellungen aufnimmt, ist man quasi gleichzeitig der Bestellannehmer und der Verarbeiter; es ist alles sehr chaotisch.
Die diversen Aufgaben zu jonglieren war etwas, mit dem ich nicht gut zurechtkam. Ich habe sehr empfindliche Hände, und in einem Restaurant hatte ich ständig Ausschläge an den Händen. Bei Moe’s gab es allerdings eine bunt gemischte Gruppe von Leuten in der sogenannten »Super Crew«. Das machte Moe’s zu einem prägenden Ort für mich, denn einer von ihnen half mir, den stetig geführten Kampf gegen soziale Gerechtigkeit zu hinterfragen.
»Ich arbeite deutlich härter als viele der Geschäftsleute, denen dieser Laden hier gehört. Sie verdienen das große Geld und sie treffen alle Entscheidungen – und alle ihre Entscheidungen sind scheiße.«
Ich schaute damals oft Videos von einem Youtuber, von dem ich nicht wusste, dass er absolut rechts ist, und der vor allem gegen den Feminismus wetterte. Dann sprach ich mit einer Feministin, die in der Crew arbeitete – und es war großartig. Sie konnte mir wirklich viele Dinge erklären. Man sollte sich auf keinen Fall einreden lassen, dass solche Leute nicht integrativ sind, denn das sind sie auf jeden Fall! Ich persönlich würde mich inzwischen als Sozialist bezeichnen.
Dieser Job hat mir auch klar gemacht, dass die Menschen mehr Mitspracherecht am Arbeitsplatz brauchen. Ich hinterfragte diese Idee, dass wir einfach tun sollten, was man uns sagt, und dass ungelernte Arbeit etwas ist, mit dem man nicht viel Geld verdienen dürfte. Ich würde behaupten: Ich arbeite deutlich härter als viele der Geschäftsleute, denen dieser Laden hier gehört. Sie verdienen das große Geld und sie treffen alle Entscheidungen – und alle ihre Entscheidungen sind scheiße, denn meine Arbeit wird immer härter und schmerzhafter, wenn sie eine Entscheidung treffen.
Jeder Tag, an dem einer der Bosse auftaucht, ist mit mehr Frustration verbunden. Wie viel Elend kann man in einen arbeitsreichen Tag stecken? Und trotzdem verdiene ich keinen Cent mehr, wenn ich ihnen mehr Geld einbringe. Wie kann das sinnvoll sein? Das war der Moment, in dem es in meinem Kopf zu rattern begann und mir klar wurde, dass der bisherige Deal einfach nicht in Ordnung ist.
Warum bist Du nach Chattanooga gezogen?
Ich hatte einerseits Probleme mit meinem Mitbewohner; und dann brach ich mir auf dem Weg zur Arbeit das Schlüsselbein – das geschah kurz nachdem ich 26 geworden war und damit aus der Krankenversicherung meines Vaters geworfen wurde. Ich hatte also Schulden wegen der Behandlung. Es stapelten sich die Rechnungen, auch wegen der Wohnsituation. Deswegen musste ich wieder bei meiner Mutter einziehen. Sie war nach Chattanooga gezogen.
Jemand erzählte mir, dass es bei Volkswagen eine Einstellungsbörse gab. Ich weiß noch, dass ich dachte, sie würden mich nicht nehmen. Ich hatte schon mehrfach versucht, aus dem Fastfood-Geschäft auszusteigen, aber es nicht geschafft. Sie haben mich aber genommen, und so fing ich im Juni 2017 an. Sie brauchten einfach Leute, und als Arbeiter ist man oft viel mehr wert, als man vielleicht denkt. Wenn man jeden Tag kommt und gut arbeitet, ist das schon sehr wichtig.
Fünf Jahre lang habe ich in der Produktion gearbeitet. Der Hauptteil meines ersten Jobs bestand darin, die Schrauben für Sicherheitsgurte anzuziehen. Dabei habe ich mir den Rücken verletzt. In meiner letzten Überstunde – es war tatsächlich das letzte Auto – spürte ich ein Knacken in der Hüfte. Seitdem leide ich darunter.
Es mag komisch klingen, wenn ich mich zu den Glücklichen zähle, aber das tue ich, denn so viele andere Leute mussten wegen solchen Unfällen operiert werden. Ich wurde später an einen anderen Arbeitsplatz versetzt, an dem ich Scheinwerfer einsetzte, aber ich hatte trotzdem jeden Tag Schmerzen. Ich humpelte jeden Abend aus der Fabrik heraus. Jetzt bin ich Ausbilder am Standort und arbeite in Tagesschichten von 6 Uhr morgens bis 14:30 Uhr.
Sind Verletzungen und Sicherheit denn ein großes Problem in der Fabrik?
Auf jeden Fall. Am Bandstehen ist Knochenarbeit und macht dich kaputt. Ich musste kürzlich nochmal am Band aushelfen, und es war der absolute Wahnsinn. Ich dachte eigentlich, es wäre schlimm gewesen, als ich dort aufgehört habe, aber jetzt war es komplett irre. In jedem dieser Jobs gibt es mindestens eine Aufgabe zu viel. Ich kann nicht glauben, was sie die Leute hier draußen machen lassen. Die Menschen werden verletzt, sie sind müde, verschwitzt und wütend. Es kann einfach nicht sicher sein, wenn man versucht, so schnell zu arbeiten.
Nie zuvor habe ich von so vielen Menschen gehört, die sich Rücken- oder Schulteroperationen unterziehen mussten. Das ist wirklich schlimm. Das sind Leute, die ich ausbilde und die total Lust haben, dort zu arbeiten – und dann schaue ich einen Monat später bei ihnen vorbei und sie haben einen leeren Blick und müssen operiert werden.
Wir mussten auch auf einige freiwillige Mitglieder in unserer Organisationsgruppe verzichten, weil sie bei der Arbeit verletzt wurden. In dem Bereich, den ich mitorganisiert habe, haben diese Leute dafür gesorgt, dass wir genug Menschen für die Gewerkschaft gewinnen konnten, aber einige von ihnen sind inzwischen weggefallen. Sie haben gekündigt. Ich kann es ihnen nicht verdenken.
»Es geht darum, deutlich zu machen: ›Ich pfeife auf deine Marge, denn jeder Penny in dieser Marge ist ein unrechtmäßig erzielter Gewinn.‹ Das müssen die Menschen verstehen.«
Ein Mann kam zu jedem einzelnen Treffen, aber dann musste er sich einer Rückenoperation unterziehen. Er sah jedes Mal so müde aus. Er war eigentlich immer gut gelaunt, bis er sich verletzte – und dann musste er kämpfen, weil das Unternehmen ihm keine Arbeitsunfallversicherung zahlen wollte. Sie sagten immer wieder, dass die Verletzung nicht arbeitsbedingt sei und zwangen ihn sogar, verletzt zur Arbeit zu kommen. Sie drohten damit, ihn zu entlassen, was sie gar nicht hätten tun können. Aber die ewigen Kämpfe mit der Personalabteilung haben ihn am Ende dazu gebracht, selbst zu kündigen.
Er hat uns bei der Organisierung geholfen, will jetzt aber nicht mehr hier arbeiten. Das ist eine Schande. Es widert mich an, überhaupt über solche Dinge sprechen zu müssen.
Euer Sieg war eindeutig. Und es ist ein wirklich historischer Sieg. Offenbar war die Freiwilligen-Gruppe, die Du gerade angesprochen hast, sehr wichtig und sehr effektiv: Die Wahlbeteiligung war mit 83,5 Prozent unglaublich hoch. Warum war die Abstimmung Deiner Ansicht nach so eindeutig?
Ich denke, dass die gewerkschaftsfeindliche Kampagne uns geholfen hat, die Wahlbeteiligung zu erhöhen. Ich habe alle dazu ermutigt, zur Wahl zu gehen, unabhängig davon, ob sie die Gewerkschaft unterstützen oder nicht. Ich wollte, dass jede einzelne Stimme gehört wird.
Aus Organisierungssicht hatten wir das Werk definitiv nicht zu 100 Prozent abgedeckt, aber es sah ziemlich gut aus. Wir verständigten uns darauf, die Messlatte dafür, wen wir als Unterstützer betrachteten, niedriger zu legen. Es gab große Beteiligung an den Treffen, aber nachdem das Werk in den Weihnachtsferien stillstand, sank die Beteiligung an den Treffen ebenfalls. Einmal war ich bei einer Sitzung, an der nur sechs Personen teilnahmen. Ich dachte schon, wir hätten es vermasselt. Doch wir berappelten uns wieder und wuchsen von Tag zu Tag.
Und in gewisser Weise hat uns das Unternehmen auch geholfen: Ein vorheriger Gewerkschaftsgegner, der regelmäßig unsere Flugblätter weggeworfen hatte, ist zum Beispiel ausgeflippt und hat seine Meinung geändert, weil das Unternehmen ihn schlecht behandelte. Ein anderer Gewerkschaftsgegner – ich glaube, er ist nicht zur Wahl gegangen – war so wütend auf das Unternehmen, weil er gerade eine Verletzung überstanden hatte und trotzdem immer wieder über den Tisch gezogen wurde. Sie haben vor der Abstimmung sehr viele Leute sehr schlecht behandelt.
Wir unterhalten uns gerade am Rande der Labor-Notes-Konferenz. Labor Notes wurde vor fast fünfzig Jahren unter anderem von Autoarbeitern gegründet, die die UAW reformieren wollten. Damals hießen die Reformer noch New Directions. Heute gibt es Unite All Workers for Democracy (UAWD). Auch der Gewerkschaftsvorsitzende Shawn Fain ist UAWD-Mitglied. Wie schätzt Du die Bedeutung von solchen Gewerkschaftsreformern ein, sowohl mit Blick auf Reformbemühungen der Basis als auch auf den Ansatz der neuen Gewerkschaftsführung, die im letzten Jahr ins Amt gewählt wurde?
Vieles von dem, was wir heute haben, würde es ohne Reformen nicht geben: mehr Demokratie und progressive Leute, die das Ruder übernehmen. Menschen, die kämpfen wollen, anstatt sich mit den Leuten in der Unternehmensspitze zu arrangieren, die uns ohnehin ausnehmen wollen. Die Reformer wissen: »Das ist Mist.«
Shawn Fain sagte: »Wir werden ihre Wirtschaft ruinieren.« Ich liebe diese Energie. Es geht darum, deutlich zu machen: »Ich pfeife auf deine Marge, denn jeder Penny in dieser Marge ist ein unrechtmäßig erzielter Gewinn.« Das müssen die Menschen verstehen. Ich denke, bei den früheren Organisierungsversuchen bei VW war es ein großes Problem, dass es an dieser Energie mangelte. Die Leute dachten, dass es einfach keinen Sinn hat, dass nichts passiert, wenn man einer Gewerkschaft beitritt. Und ehrlich gesagt war das damals auch schwer zu widerlegen.
Glaubst Du, dass die Veränderungen bei der UAW – zum Beispiel, dass die Führung nun per Direktwahl gewählt wird und somit neue Führungspersönlichkeiten wie Shawn Fain an die Macht kommen, oder die allgemeine Stärkung der Basis – ein wichtiger Faktor für die Unterstützung bei Deinen Kolleginnen und Kollegen war?
Ja, bestimmt. Man musste sich nicht mehr von der Gewerkschaft distanzieren. Ich habe immer gesagt: »Das ist nicht mehr die UAW von 2019.«
Shawn statte uns einen Überraschungsbesuch ab, um dabei zu sein, als ein Brief an das Unternehmen überreicht wurde, in dem es aufgefordert wurde, die gewerkschaftsfeindliche Haltung einzustellen. Das war großartig. Als er dort war, betonte er unter anderem, dass mexikanische Arbeiterinnen und Arbeiter hier nur Menschen sind, die versuchen, ein besseres Leben aufzubauen und für ihre Familien zu sorgen.
»Natürlich hoffen wir jedes Mal, wenn eine Mauer niedergerissen und sich gewerkschaftlich organisiert wird, dass es dadurch für die nächsten Menschen einfacher wird, dies auch zu tun. Genau das braucht dieses Land jetzt.«
Ich weiß noch, wie ich dachte, dass einige meiner Kollegen das dringend hören sollten. Es war eine angenehme Überraschung zu sehen, wer die Gewerkschaft unterstützt: Man könnte ja erwarten, dass das Ganze sehr einseitig ist. Und der »Kulturkrieg«-Mist hat die Menschen tatsächlich polarisiert. Aber dort, wo es wirklich drauf ankommt, wo man sieht, dass es wirklich Alle betrifft, da ist man klar einer Meinung.
Es ist gut und wichtig, zu hören, dass die Menschen, die uns unterstützen, gleichzeitig andere Menschen aus einem Land südlich von uns nicht so behandeln wollen, als wären sie minderwertig oder hätten weniger verdient als wir.
Shawn hat bei dem Treffen auch darüber gesprochen, wie schrecklich die Lage in Palästina ist.
Einer der Gründe, warum wir diesen Brief an das Unternehmen geschickt haben, war, dass uns gesagt wurde, dass wir kein Informationsmaterial am Tor drei des Werks verteilen dürfen. Das war unser erstes Flugblatt. Der Sicherheitsdienst kam heraus und sagte uns, dass wir dort nichts verteilen dürften. Das war offene Gewerkschaftsfeindlichkeit – vor mehreren Zeugen. Wir boten sogar an, uns weiter weg vom Tor, auf der anderen Seite der Brücke, aufzustellen. Uns wurde gesagt, wir würden auch von dort vertrieben. Das war einer der Gründe, warum Shawn hierher kam.
Euer Sieg hat Auswirkungen über Euer Werk hinaus. Nun wird spekuliert, was als nächstes passiert. Du steckst gerade mitten drin: Was erwartest oder erhoffst Du Dir als Folge aus diesem Sieg?
Ich hoffe, dass es einen Dominoeffekt gibt. Natürlich hoffen wir jedes Mal, wenn eine Mauer niedergerissen und sich gewerkschaftlich organisiert wird, dass es dadurch für die nächsten Menschen einfacher wird, dies auch zu tun. Genau das braucht dieses Land jetzt. Ich mache mir keine Illusionen, ich glaube nicht, dass wir überall gewinnen werden, aber wir sind in diesem Land an einem Punkt, an dem wir es uns einfach nicht leisten können, zu verlieren. Ich bin zuversichtlich, dass wir noch mehr erreichen werden. Ich hoffe, dass sich die Vorstellungen der Menschen von dem, was möglich und normal ist, verändern wird. Wir können vieles besser machen.
So viele Menschen haben in diesem Land gelitten. Jeder einzelne dieser Orte muss gewerkschaftlich organisiert werden.
Die Menschen fragen, wie wir dann die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Markt erhalten wollen. Warum werden wir als Arbeiterinnen und Arbeiter gegeneinander ausgespielt? Die Menschen bekämpfen sich gegenseitig, obwohl wir doch Solidarität über Unternehmen hinweg brauchen. Wenn es hart auf hart kommt, müssen die Arbeiterinnen und Arbeiter zusammenhalten. Denn wenn wir das nicht tun, wenn wir uns zwischen einzelnen Unternehmen streiten und bekämpfen, macht das unser aller Leben kaputt.
Viele betonen, gerade im Süden der USA müsse viel mehr organisiert werden, aber die Gewerkschaftsbewegung hat dies lange Zeit nicht vermocht. Nun wart ihr erfolgreich. Was würdest Du zum Thema gewerkschaftliche Organisierung im Süden sagen?
Wir fangen endlich an, an der Fassade zu rütteln, die die Herrschenden so lange aufgebaut haben. Ihr sagt uns, dass wir die Gewerkschaftsbildung nicht schaffen können? Wir haben es euch gezeigt: Ein Sieg mit 73 Prozent. Ich hoffe, dass wir nun eine neue Ära erleben, in der wir anfangen, diese alten Dynamiken aufzubrechen, die bis zur Sklaverei und der Ausbeutung in den Südstaaten zurückreicht.
Ausbeutung gibt es auch anderswo, aber hier sind manche Leute richtig stolz darauf. Wir sollten nicht stolz darauf sein, dass wir uns den Arsch aufreißen, um von anderen ausgebeutet zu werden. Im Süden gibt es diese Denkweise: Klappe halten, Zähne zusammenbeißen und nicht rumjammern. Meine Hoffnung ist, dass diese Denkweise bald ein Ende hat.