14. Dezember 2023
Wie ein nachhaltiger Sozialismus aussehen könnte – und wie wir da hinkommen.
»Würde man Hunderte Millionen Menschen aus extremer Armut befreien, würden die globalen CO₂-Emissionen nicht einmal um 1 Prozent steigen.«
»Wir sind auf dem Highway zur Klimahölle, mit dem Fuß auf dem Gaspedal«, so hat António Guterres die Lage anlässlich der Weltklimakonferenz Cop-27 auf den Punkt gebracht. Der UN-Generalsekretär hat allen Grund zur Besorgnis. Schon in wenigen Jahren werden die CO₂-Budgets, die zur Einhaltung des vom Weltklimarat propagierten 1,5-Grad-Erderhitzungsziels noch zur Verfügung stehen, aufgebraucht sein. Würden alle Maßnahmen, die für eine Eindämmung des menschengemachten Klimawandels bereits vereinbart sind, tatsächlich realisiert, wäre das Ergebnis bestenfalls ein 2,8-Grad-Szenario. Doch warum geschieht noch immer viel zu wenig, um das Ruder herumzureißen?
Ein Grund ist das vereinnahmende »Wir« der gegenwärtig dominanten Klimapolitik. Es suggeriert, bloßes Wissen um ökologische Großgefahren genüge, um Menschen zu Einsicht und Umkehr zu bewegen. Diese Erwartungshaltung ökologischer Aufklärung ist trügerisch, denn sie verkennt, dass ökologischen Großgefahren wie dem Klimawandel stets die Dimension sozialer Gerechtigkeit eingeschrieben ist. Weil sie ein Gerechtigkeitsproblem beinhalten, münden Klimawandel und Klimapolitik in Transformationskonflikte, die sich aus gegensätzlichen, ja mitunter geradezu unvereinbaren Interessen speisen.
Not sei hierarchisch, Smog demokratisch, hatte der Soziologe Ulrich Beck Mitte der 1980er Jahre in seiner Risikogesellschaft notiert und von einer »Allbetroffenheit« durch ökologische Großgefahren gesprochen. Man erwartete, in reichen Gesellschaften würden die Luxusprobleme der »vollen Bäuche« die Konfliktlogik der leeren Mägen, das heißt der klassenspezifischen Verteilungskämpfe, verdrängen. Das war ein großer Irrtum – und man hat ihn in vielen Fällen bis heute nicht eingesehen. Er findet sich etwa dann, wenn die Bevölkerungen des reichen Nordens insgesamt als Täter und die Bevölkerungen des Globalen Südens ebenso pauschal als Opfer ökologischer Gefahrenproduktion betrachtet werden.
Ökologische Großgefahren betreffen alle Mitglieder einer Gesellschaft, aber eben nicht in gleicher Weise, und sie machen auch nicht alle gleich. Im Gegenteil: Wird der demokratische Klassenkampf öffentlich marginalisiert, löst das Widerstände aus, die als gewaltiger Bremsklotz für die ökologische Transformation wirken können. Um solche Hemmnisse zu überwinden, müssen soziale und ökologische Nachhaltigkeit zusammengedacht werden. Denn das eine ist nicht ohne das andere zu haben. Was die ökologische Aufklärung häufig verkennt: Auch die vergleichsweise reichen und sicheren Gesellschaften des Globalen Nordens sind noch immer Klassengesellschaften.
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Klaus Dörre ist Professor für Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er ist Mit-Herausgeber des kürzlich erschienen Sammelbandes »Die Zukunft des Automobils. Innovation, Industriepolitik und Qualifizierung für das 21. Jahrhundert« sowie Ko-Autor des kürzlich erschienen Beitrags »Klasse gegen Klima? Transformationskonflikte in der Autoindustrie«.