17. Januar 2025
Ulf Poschardt ist kein Opfer von Cancel Culture. Sein Buch ist einfach hundsmiserabel, findet Ole Nymoen.
Ulf Poschardt bei einer Diskussionsveranstaltung des Forums Bellevue, 21. März 2018.
Die »Cancel Culture«, so konnten wir es vergangene Woche vernehmen, hat ein neues Opfer gefunden: Ulf Poschardt, Herausgeber der Welt. Der zu Klampen Verlag, der Poschardts neues Buch Shitbürgertum im Februar herausgeben sollte, hatte einen Rückzieher gemacht – mit der Begründung, das Manuskript tendiere »zu sehr in Richtung Polemik«.
Diese Verlagsstreitigkeit verdient genauere Betrachtung, ihr lässt sich einiges entnehmen über das Geschäftsmodell Poschardts. Daher wollen wir von vorne beginnen: Um was für ein Buch handelt es sich überhaupt? Auf den ersten Blick um ein recht unspektakuläres. Poschardt braucht knapp 160 Seiten, um festzustellen, dass die Deutungshoheit in der modernen Bundesrepublik bei »Shitbürgern«, also bei selbstgerechten Weltverbesserern liegen würde, die nur die eigene Meinung für schützenswert halten.
Auch wenn viele Linke das ungern hören werden: Völlig absurd ist diese Einschätzung nicht. In der Tat gibt es in einigen Bereichen der Medienlandschaft eine starke Überrepräsentation linksliberaler Journalistinnen und Journalisten, die hochgradig elitär auftreten – erinnert sei an den unsäglichen Text von Jan Böhmermann, der im vergangenen Jahr in der Zeit erschien, und in dem der ZDF-Moderator breite Schichten der Bevölkerung als ewiggestrige Vollidioten abstempelte. Ulf Poschardt hatte damals eine gleichermaßen dumme Antwort auf Böhmermann verfasst.
Dass dieser elitäre Linksliberalismus im Medienbetrieb stark überrepräsentiert ist, lässt sich nicht von der Hand weisen. Die Frage ist nur: Wie groß ist die Macht solcher Meinungsmacher wirklich? Blickt man auf die aktuellen Wahlumfragen, so können wir konstatieren: Sie hält sich in Grenzen, das Land rückt immer weiter nach rechts – und mit ihm die Medienlandschaft. Kaum eine Talkshow und kein Leitartikel kommen mehr aus, ohne dass eine rigide Grenzpolitik oder die Schröpfung des Sozialstaats gefordert wird. Wer bei diesem Rechtsruck zuerst da war – Henne oder Ei, journalistische Akzentverschiebung oder das »gerechte Volksempfinden« – ist kaum auseinanderzuhalten. So oder so ist der liberal-konservative bis rechtsextreme Backlash unübersehbar, auch wenn bei funk, im ZDF Magazin Royale oder auf dem Evangelischen Kirchentag noch andere Töne vorherrschen mögen.
Das Schlimme an Poschardts Buch ist ganz sicher nicht die oben geschilderte Überdramatisierung eines in seiner Wirkmächtigkeit recht begrenzten Phänomens. Ähnliche Bücher gibt es viele – man denke an Die Selbstgerechten von Sahra Wagenknecht oder Schäm dich! von Judith Sevinç Basad. Das größte Problem ist auch nicht die völlige Weltfremdheit eines Autors, der sich trotz seiner Herausgeberrolle bei einem milliardenschweren Konzern für einen avantgardistischen Rebellen hält. Am schlimmsten ist schlicht die miserable Qualität des Buches.
»An einem Tag lobt Poschardt die Binnenpluralität seiner eigenen Zeitung, am nächsten fordert er, dass seine Gegner ›umfassend zerstört‹ werden. Heute macht er den ›Elfenbeinturm‹ verächtlich, morgen schreibt er dann wie ein schlechter Ableger der Frankfurter Schule.«
Einerseits liest sich der Text wie das Skript einer Dieter-Nuhr-Sendung, mit viel Geraune werden völlig disparate Sachverhalte zusammengewürfelt, die man ohnehin auf Poschardts Twitter-Profil kostenlos nachlesen kann: »Der Staat ist chronisch überfordert und unterfinanziert, weil er in den zwanziger Jahren des 21. Jahrhunderts wächst, während die Privatwirtschaft schrumpft. Anstatt dieses Missverhältnis zu korrigieren, werden neue Absicherungsmechanismen des etatistischen Status Quo konstruiert. Politikerbeleidigung und Staatsdelegitimierung sind die neue Majestätsbeleidigung.« Andererseits liest sich das Pamphlet wie der verzweifelte Versuch eines fortgeschrittenen Bachelor-Studenten, seinen Fuß in die Tür eines kulturwissenschaftlichen Instituts zu bekommen, da fallen allen Ernstes Sätze wie: »Das Shitbürgertum ist die Endmoräne einer die wilde Anthropologie des liberalen und libertären Bürgertums einfangenden Disziplinarmacht.«
Ich muss gestehen, dass ich keine Ahnung habe, was das bedeuten soll – im Gegensatz zu Ulf Poschardt habe ich dem »Elfenbeinturm«, den er so leidenschaftlich gern kritisiert, bereits während meines Studiums wenig abgewinnen können. Dass er diesen Jargon derart gestelzt vor sich her trägt, sagt aber eine Menge aus über sein Geschäftsmodell.
An einem Tag lobt Poschardt die Binnenpluralität seiner eigenen Zeitung, am nächsten fordert er, dass seine Gegner »umfassend zerstört« werden. Heute macht er den »Elfenbeinturm« verächtlich, morgen schreibt er dann wie ein schlechter Ableger der Frankfurter Schule. Das geht vorne und hinten nicht zusammen – muss es aber auch nicht, weil Poschardts Geschäftsmodell seit Jahren nur noch darin besteht, zu trollen, um die Abozahlen von Welt Online zu steigern. Und so hat er es nun auch geschafft, sich zum Opfer der »Cancel Culture« zu stilisieren.
Dabei hat sein Fall nichts mit Cancel Culture oder Mutlosigkeit des Verlags zu tun. Der wollte das Buch ja herausbringen. In Wahrheit war das Manuskript schlicht so hundsmiserabel, dass seine Lektorin es (aus gutem Grund) nicht mehr wollte. Nun erscheint das Buch im Eigenverlag – also als Book-on-Demand-Titel bei Amazon. Die Aufmerksamkeit ist Poschardt dadurch gewiss, und im Gegensatz zu seinen vorherigen Büchern, die kaum jemand gekauft hat, stellt sich nun auch marktwirtschaftlicher Erfolg ein: Shitbürgertum ist auf Platz 2 der Amazon-Bestseller, zwischen einem Buch von Hoss & Hopf und der Welt-Moderatorin Nena Brockhaus.
Der Elfenbeinturm, er ist mal wieder unter sich. Da kann man nur gratulieren.
Ole Nymoen betreibt den Wirtschaftspodcast Wohlstand für Alle und ist Kolumnist bei JACOBIN.