14. August 2024
Universitäten sollten Orte kritischer Wissensvermittlung sein. Mit der Unterbindung von Lehrveranstaltungen zu Palästina hat sich die Universität Wien von dieser Verpflichtung verabschiedet.
Palästinasolidarische Aktivistinnen und Aktivisten verbreiten Flugblätter im Hörsaal, Universität Wien, 19. März 2024
Die ersten Tage eines neuen Semesters sind fast immer aufregend für mich. Ich spüre, wie Adrenalin durch meinen Körper pumpt und, obwohl ich es besser wissen sollte, trinke ich oft so viel Kaffee, dass meine Hände zu zittern beginnen. Zu Beginn des letzten Sommersemesters begleiteten mich neue Ängste. Zum zweiten Mal in meiner sechsjährigen Lehrtätigkeit sollte ich einen Kurs über palästinensische Literatur an der Universität Wien halten. Dieses Mal aber in einem Kontext, in dem die Spannungen seit dem 7. Oktober spürbar hoch sind. Die Universität Wien ist Theodor Herzls Alma Mater. Sie ist eine Institution mit einer mehr als problematischen Geschichte zur Zeit des Nationalsozialismus. Und sie auch ein Ort, an dem es in den vergangenen Monaten nur wenige gewagt haben, das Wort Genozid in den Mund zu nehmen – trotz der schrecklichen Bilder aus Gaza, die unsere Handys im Minutentakt erreichen.
Egal, wie man es betrachtet, die Vorbereitung auf das letzte Sommersemester war alles andere als normal. Die Universität hatte schon länger hochkarätige Vortragende und Experten ausgeladen und damit die akademische Freiheit verletzt. Diese Aktionen haben die Universität Wien ins Visier zahlreicher Wissenschaftlerinnen und Beobachter aus aller Welt gerückt. Die meisten Mitarbeitenden der Universität selbst, schienen das aber nicht einmal zu bemerken.
Die Nervosität, die ich am ersten Tag des neuen Semesters verspürte, war also anders als sonst. Ich hatte nicht wie üblich Angst davor, dass meine Studierenden mich nicht mögen würden. Stattdessen fürchtete ich, jenen Recht zu geben, die mir schon im Vorhinein erklärten, ich sei nicht darauf vorbereitet oder überhaupt in der Lage dazu, palästinensische Literatur in einem österreichischen Kontext zu unterrichten, in dem das traumatische Erbe von Antisemitismus überall sichtbar ist.
Ich kann davon absehen, dass diese Kritik impliziert, dass ich weder in der Lage bin meinen Job zu machen, noch mich mit Geschichte auseinanderzusetzen – eine belastende Anschuldigung, aber eine, an die ich mich inzwischen gewöhnt habe. Aber noch schlimmer ist, dass angenommen wird, dass das Schreiben und Unterrichten über Palästina antijüdischen Rassismus bedinge. Das funktioniert nur, wenn man palästinensisches Leben als inhärent hasserfüllt wahrnimmt.
»Meine Studierenden waren kein Haufen unbedachter, politisch unreifer Mitläufer, wie sie von jenen, die die Zitadellen der Regierung, der Behörden und der administrativen Macht besetzen, gezeichnet werden.«
Das ganze Jahr über hatte ich mit einer besonderen Form der Ausgrenzung zu kämpfen, die dem entstammt, was Steve Salaita die »Gepflogenheiten des Gehorsams« in der akademischen Welt nennt. Es geht mir nicht darum, dass ich Angst habe, meinen Job zu verlieren (noch nicht zumindest). Es ist eher eine Erfahrung, die zu einer tiefen Entfremdung führt, meine Isolation im Alltag verstärkt. Meine Kolleginnen und Kollegen betrachtet mich plötzlich mit einer seltsamen Form des Misstrauens. Es sind die gleichen Personen, für die ich sechs Jahre lang das war, was man allgemein einen guten Mitarbeiter und Kollegen nennt: Ich stand für Ausschüsse zur Verfügung, war großzügig mit meiner Zeit und beschwerte mich nur selten.
Das System der Arbeitsdisziplin an einer öffentlichen Universität unterscheidet sich (wenn auch nur ein bisschen) von dem einer privaten Universität. Der regulierende Apparat kümmert sich weniger darum, Unterstützung aus der Klasse der Sponsoren und Geldgeber zu erhalten, sondern eher darum, Spannungen unter Studierenden und Mitarbeitenden aufzulösen, damit sie nicht auf den dummen Gedanken kommen zu hinterfragen, wie Universitäten eigentlich funktionieren sollten (oder – Gott bewahre – beginnen, sie demokratisch zur Rechenschaft zu ziehen). Aber die Kultur des Tone Policings und der Schmeichelei bürgerlicher Empfindlichkeiten lebt und floriert auch in öffentlichen Institutionen.
Diejenigen von uns, die über Palästina schreiben oder lehren, werden oft als »zu politisch« (und damit als intellektuell unredlich) angesehen. Ganz gleich, welchen Status ich erreiche, ich werde immer noch als jemand abgestempelt, der nicht den Erwartungen an professionellem Anstand oder Respektabilität entspricht.
Meine Begegnung mit den Studierenden erzählt jedoch eine ganz andere Geschichte. Meine Studierenden waren kein Haufen unbedachter, politisch unreifer Mitläufer, wie sie von jenen, die die Zitadellen der Regierung, der Behörden und der administrativen Macht besetzen, gezeichnet werden. Vielleicht braucht man aber auch eine tief sitzende Verachtung und Feindseligkeit gegenüber Studierenden, um sie so wahrzunehmen.
Die Studierenden in meinem Kurs gehörten zu den nachdenklichsten, eifrigsten und scharfsinnigsten Köpfen, die ich seit Jahren kennengelernt habe. Sie haben sich dem Thema mit intellektueller Ernsthaftigkeit genähert und sich nicht auf Klischees und andere Plattitüden verlassen, die von der Analyse und dem Verständnis der Geschichte, der Macht, des Krieges und der Besatzung ablenken. Ihr Engagement für Palästina wurzelte in einer echten Auseinandersetzung mit der Geschichte und einem anhaltenden Interesse an kritischem Denken. Ich hatte das Vergnügen, unter anderem die Werke von Hala Alyan, Susan Abulhawa, Mohammed El-Kurd und Atef Abu Shaif zu unterrichten, die an vielen Stellen für Klarheit und Einsicht sorgten.
Vor diesem Jahr gab es an der Universität Wien noch nie einen so intensiven Aktivismus für Palästina. Allein diese Tatsache ist ein Skandal; dass es eines Massenmordes bedurfte, damit es überhaupt eine aktive Studierendenorganisation für Palästina gibt, ist nichts, worauf man stolz sein kann. Vor allem nicht, wenn man weiß, dass die palästinensische Frage nicht erst im Oktober 2023 begonnen hat. Allein die ersten drei Monate des Jahres 2023 gehörten zu den tödlichsten im Westjordanland seit der Zweiten Intifada.
Dennoch lernten die Studierenden schnell, dass ihre Universitätsleitung ihnen niemals die Möglichkeit geben würde, sich mit der Geschichte Palästinas auseinanderzusetzen. Sie würde es ihnen somit nicht ermöglichen, das Martyrium in Gaza und die umfassende politische Struktur zu verstehen, die die ethnische Säuberung in Palästina erlaubt. Selbst die Bemühungen der Fakultäten, Teach-Ins, Workshops und Vortragsreihen anzubieten (an denen ich zum Teil beteiligt war), wurden mit Zensur beantwortet. Als Antwort darauf haben einige der mutigsten und leidenschaftlichsten Menschen, die ich kenne, die Dinge selbst in die Hand genommen und einen neuen Raum für Solidarität mit Palästina geschaffen, wie es ihn an der Universität Wien noch nie gegeben hat.
»Die Studierenden wollten Sicherheit und Fürsorge; es war die Universität, die sie durch Einschüchterung zu disziplinieren versuchte.«
Diese Dynamik ist emblematisch für das, was dem politischen, diskursiven Kampf schon immer zugrunde lag, insbesondere wenn er an einer Universität stattfindet. Das ist auch der Grund dafür, dass sich unter den Verwaltungsangestellten und Entscheidungstragenden Panik breitmachte. Universitäten sind seit jeher Orte des politischen Kampfes. Die Studierenden heute fordern den Status quo heraus, stellen den zionistischen Konsens auf die Probe und lehnen die Kampagne der Universität ab, ihre eigene Mitschuld an der Aufrechterhaltung der Apartheid zu verschleiern.
Das Camp auf unserem Campus, das von den Camps in den USA, Großbritannien und auf der ganzen Welt inspiriert wurde, dauerte nur zwei Tage. Die Wiener Polizei räumte die Studierenden kurzerhand (und gewaltsam), mit der fadenscheinigen Begründung, sie würden den Terrorismus fördern.
Zu sagen, dass diese Anschuldigungen und andere Verleumdungen nicht nur falsch, sondern auch beleidigend waren, ist viel zu offensichtlich. In den kurzen zwei Stunden, die ich im Lager der Students for the Palestine Cause (SPC) verbrachte – wo ich die Ehre hatte, ein Teach-in über die Invasion im Libanon 1982 und den dazugehörigen literarischen Kontext zu halten – habe ich etwas Besonderes gelernt. Ich entdeckte die elektrisierende Kraft der Solidarität, die von denjenigen ausgeht, deren Engagement für die palästinensische Befreiung von der humanistischen Sorge um alle Menschen ausgeht – unabhängig davon, wer sie sind. Die Integrität und der Zusammenhalt, den ich erlebte, stellte die angeblichen Sicherheitsbedenken der Universität in den Schatten. Die Studierenden wollten Sicherheit und Fürsorge; es war die Universität, die sie durch Terror und Einschüchterung zu disziplinieren versuchte.
Wenn ich meinen Kurs über palästinensische Literatur erwähne, fragen mich meine Kolleginnen und Kollegen sofort, wie ich mit Antisemitismus umgehe. Schließlich kann man in Wien keine Straße länger als fünf Minuten entlanggehen, ohne auf Erinnerungen an den Anschluss der Nazis und die Schrecken der faschistischen Deportationen zu stoßen. Die Angst und die Auswirkungen des Antisemitismus durchdringen das gesamte Stadtbild.
Dieses allgegenwärtige Schuldgefühl fügt sich in das Gesamtgefüge der »Erinnerungskultur« in Deutschland und Österreich ein. Der Historiker Samuel Clowes Huneke dokumentiert den historischen Prozess, durch den diese Erinnerungskultur in Deutschland schließlich »verkalkte« und »eine Reihe von Ritualen hervorbrachte, die nach und nach die kritische Schärfe verloren, die sie ursprünglich ausüben sollten«. Huneke hebt hervor, dass dies besonders in Bezug auf Israel der Fall war, wo »die Anerkennung der historischen Verantwortung des Landes, Völkermord zu verhindern, sich langsam zu Merkels Formel von 2008 verhärtete, dass ›die Sicherheit Israels‹ die deutsche ›Staatsräson‹ sei, die Existenzberechtigung des deutschen Staates.«
In Österreich weist dieses Engagement für Erinnerungskultur ähnliche Züge auf, einschließlich der Gedenkstätten, Ausstellungen und Stolpersteine, die in allen größeren Städten installiert sind. Wie meine Kollegin Birgit Englert feststellt, hat Österreich aber auch nur ein Jahr nach der Verabschiedung der Anti-BDS-Resolutionen in Deutschland nachgezogen. Damit wurden genau die gleichen Instrumente geschaffen, um Solidarität mit Palästina und die öffentliche Diskussion darüber zu untergraben. Es überrascht nicht, dass das zu einem Umfeld geführt hat, in dem Wissenschaftler, die über Palästina lehren und forschen, an den Rand gedrängt werden.
»Das verspätete Eingeständnis der nationalsozialistischen Vergangenheit Österreichs und das angestrebte diplomatische Bündnis mit Israel verstärkten die Investitionen in und die Panik rundum die Erinnerungskultur.«
Die Unterschiede im Umgang mit der eigenen Vergangenheit sind jedoch frappierend, wenn man bedenkt, dass sich Österreich erst sehr spät zu seiner Mitverantwortung am Holocaust bekannt hat. Einst als »erstes Opfer der nationalsozialistischen Aggression« positioniert, hat das Land inzwischen seine besondere Rolle als Täternation anerkannt. Dieser Wandel kristallisierte sich nach der sogenannten Waldheim-Affäre heraus, als bekannt wurde, dass der damalige Präsidentschaftskandidat von 1986, Kurt Waldheim, während des Zweiten Weltkrieges Offizier der Wehrmacht gewesen war. Anfang der 1990er Jahre bekannte sich Bundeskanzler Franz Vranitzky vor dem Parlament und in Jerusalem zu Österreichs Rolle im Krieg. Ab diesem Zeitpunkt wurde, wie Noga Sagi anmerkt, das österreichische Narrativ zu seiner Mitverantwortung auch in Israel sehr wohlwollend aufgenommen. Die bilateralen, diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich und Israel erforderten, dass Österreich seine Vergangenheit anerkennt und dazu beiträgt, »den Erinnerungsdiskurs zwischen den beiden Ländern zu sichern.«
Das verspätete Eingeständnis der nationalsozialistischen Vergangenheit und das angestrebte diplomatische Bündnis mit Israel verstärkten die Investitionen in und die Panik rundum die Erinnerungskultur. Daraus ergab sich der widersprüchliche Kurs, einerseits Deutschland nachzueifern, andererseits aber in Kriegszeiten eine vermeintlich »neutrale« (also opportunistische) Haltung einzunehmen. Diese oberflächliche (und letztlich nicht überzeugende) Unparteilichkeit wird zu einer Farce ihrer selbst, wenn die Universität Wien die Zensur ihrer eigenen Forscher und Mitarbeiterinnen rechtfertigt.
Kein ernsthaft denkender Mensch ist der Meinung, dass diese Geschichte und die Erinnerung an den Antisemitismus uns davon abhalten sollten, uns für den palästinensischen Kampf einzusetzen. Aber wir reden hier auch nicht über Menschen, die ernsthaft nachdenken. Wir reden über diejenigen, denen es wichtiger ist, die Absolution für die Verbrechen ihrer Vorfahren zu erhalten, als einen Völkermord anzuerkennen, der sich aktuell ereignet. Wir sollten uns weigern, ihnen auf dieser Grundlage Absolution zu erteilen, genauso wie wir uns weigern sollten, zu akzeptieren, dass Menschen in Gaza dafür sterben müssen. Die Unterstützung für Israels Kampagne der verbrannten Erde hat jedes Bild, das das österreichische Establishment von Frieden und Gerechtigkeit zeichnen wollte, zerstört. Dieses Land hat spätestens durch seinen aktuellen Umgang mit dem Krieg in Gaza jeden Anspruch auf Sühne für seine völkermörderische Vergangenheit nachhaltig beschädigt.
Darüber hinaus gefährden die Universität und ihre Apologeten für Israels Verbrechen routinemäßig die Sicherheit jüdischer Aktivistinnen und Aktivisten, die ihren Körper und ihr Leben für die palästinensische Sache aufs Spiel setzen. Sie entlassen jüdische Antizionisten, die sich vehement dagegen wehren, dass ihr Schmerz, ihre Erinnerung und ihre Identität zur Unterstützung eines Völkermordes instrumentalisiert werden. Wer nach einem besseren Weg sucht, seine Schuld zu sühnen und die Verbrechen der Vergangenheit zu korrigieren, wird ihn im Kampf gegen die Klassenherrschaft und die Kräfte der Enteignung finden – eine Einsicht, die wir von einem der wichtigsten palästinensischen Autoren, Ghassan Kanafani, geerbt haben.
»Universitäten schaffen ein Klima des Misstrauens und der Paranoia, in dem Studierende immer weniger erwarten können.«
Die Tatsache, dass dieser Kontext einst Theodor Herzl hervorbrachte und noch immer im Großen und Ganzen die moderne zionistische Tradition vertritt, zeigt uns heute etwas noch Düstereres. Offenbar geht es hier nicht bloß um ein pathologisches Bedürfnis nach Schuldabwehr. Es sagt uns, dass Aimé Césaire Recht hatte: Die kollektive Scham der Europäer rührt nicht daher, dass es den Holocaust gab, sondern daher, dass seine Grausamkeiten für die Verdammten jenseits europäischer Grenzen reserviert waren. Gerade jetzt werden die bösartigen Werkzeuge des völkermörderischen Rassismus, die schon vor dem Zeitalter des Empire perfektioniert wurden, mit Erlaubnis und Komplizenschaft des europäischen Establishments gegen die bereits belagerte Bevölkerung von Gaza eingesetzt. Hier in Österreich sind viele bereit, im Dienste eines explizit imperialen Projekts zu handeln und zu sprechen, solange sie dessen schreckliche Auswirkungen aus der Ferne ignorieren können.
Ich mache mir Sorgen um Studierende, die an diese Bedingungen nicht gewöhnt sind. Während es für mich normal ist, dass Leute mit den Augen rollen, fühlen sich die Studierenden wahrscheinlich, als würden sie wahnsinnig werden. Sie verbringen nur neunzig Minuten pro Woche damit, über Palästina zu lesen, die restliche Woche hören sie von Politikern, Journalistinnen und anderen Lehrenden, dass alles, was ich ihnen beibringe, eigentlich »zu kompliziert und zu komplex« sei, um sich eine Meinung bilden zu können. Solche beschwichtigende »sowohl-als-auch«-Rhetoriken werden überall an den Universitäten angewandt, aber im deutschsprachigen Raum sind sie besonders verbreitet. Damit diskreditieren sich diese Universitäten dauerhaft als Institutionen der kritischen Wissensvermittlung
Hört man der Universitätsleitung zu, geht es viel um die Befürchtung, dass eine Vorlesung oder Veranstaltung zu Palästina ein gefährliches Bildungsumfeld schaffen könnte. Ich habe gelernt, diese Befürchtung als Angst zu interpretieren, dass die Studierenden mehr von ihrer Institution und ihren Dozenten verlangen könnten. Es ist die Angst davor, dass Studierende erkennen könnten, dass jene, deren Aufgabe die Produktion und Vermittlung von Wissen ist, auch Zivilcourage und kritisches Denken vorleben sollten. Um Studierende davon abzuhalten diese Rückschlüsse zu ziehen, schaffen die Universitäten ein Klima des Misstrauens und der Paranoia, in dem Studierende immer weniger erwarten und hoffen können.
Kevin Potter ist Postdoktorand in Anglistik und Amerikanistik an der Universität Wien und Autor von »Poetics of the Migrant: Migrant Literature and the Politics of Motion«.