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06. Oktober 2025

»Kürzungen sind eine Politik der Vereinzelung«

Der Berliner Senat kürzt bei öffentlichem Verkehr, Bildung und Kultur und macht damit vielen Menschen das Leben noch schwerer. Dagegen mobilisiert das Bündnis #unkürzbar: Die Stadt müsse nicht sparen, sondern funktionieren.

Bereits am 15. Dezember 2024 gingen in Berlin Menschen unter dem Motto »unkürzbar« auf die Straße. Für den 10. Oktober 2025 ist eine weitere Demo angekündigt.

Bereits am 15. Dezember 2024 gingen in Berlin Menschen unter dem Motto »unkürzbar« auf die Straße. Für den 10. Oktober 2025 ist eine weitere Demo angekündigt.

IMAGO / IPON

3 Milliarden Euro kürzte der schwarz-rote Berliner Senat aus dem Landeshaushalt für 2025 heraus. Insbesondere Kulturbetrieb, Bildungssystem und soziale Infrastruktur leiden bereits unter diesen Einsparungen. Auch für 2026 wurden erst Kürzungen angekündigt. Nun soll das Budget im Gegenteil um 4 Milliarden Euro anwachsen. Man könnte meinen, das Schlimmste sei überstanden. Entsprechend bleibt die Kritik bisher eher leise. Doch der Schein trügt.

Hier will das Bündnis #unkürzbar aufklären. Im Gespräch mit Jacobin erklären zwei Beteiligte, warum der kommende Berliner Haushalt in Wirklichkeit ein Kürzungshaushalt ist und wie das Bündnis den Widerstand gegen die Austerität organisieren will.

»Berlin ist #unkürzbar« – unter diesem Slogan ruft Ihr zu einer Demonstration vor dem Abgeordnetenhaus am 10. Oktober auf. Aktuell wird der Doppelhaushalt 2026/27 verhandelt. »Sparen war gestern«, titelte die Berliner Morgenpost diesbezüglich: »Berlins neuer Rekordhaushalt auf Pump«. Die Ausgaben sollen sich von derzeit rund 40 Milliarden Euro auf knapp 44 Milliarden Euro im Jahr 2026 und 45 Milliarden Euro im Jahr 2027 erhöhen. Warum werdet Ihr trotzdem protestieren?

Sam Wüthrich: Der Senat versucht, die Haushaltspolitik schönzureden. Viele der angeblichen Mehrausgaben sind in Wirklichkeit nur Pflichtausgaben – höhere Tariflöhne und andere feste Posten im Budget, für die schlicht die Kosten gestiegen sind. Es wächst lediglich der Umfang des Haushalts, aber es gibt keine substantiellen Investitionen. Faktisch gibt es weitere Kürzungen. Unsere Aufgabe als #unkürzbar wird auch sein, Informationen von den jeweils betroffenen Institutionen zusammenzuführen und ein Stück weit zu dokumentieren, was uns da eigentlich weggenommen wird.

Paula Wolfhardt: Es gibt keine Rücknahme der Kürzungen. Die Darstellung, es stünde mehr Geld zur Verfügung, ist irreführend. In Bildung, Kultur und im sozialen Bereich wird weiter gekürzt – mit Folgen für gleichberechtigte Teilhabe. Obwohl mehr Kinder eingeschult werden, wird ausgerechnet bei den Schulen gekürzt. Deshalb werden wir am 10. Oktober gemeinsam mit allen Bereichen laut werden. Außerdem planen wir eine Intervention, mit der wir uns einen Ort der Kürzung kreativ wieder aneignen werden.

»In Berlin wird die A100 ausgebaut, der Görlitzer Park eingezäunt, Olympia beworben – in solche Projekte fließen enorme Summen. Aber dort, wo Menschen auf echte Teilhabe angewiesen sind, wird gespart.«

Es wird nicht Eure erste Demo sein: Bereits im Dezember 2024 habt Ihr viele Menschen mobilisiert, um auf die Straße zu gehen. Was ist die Entstehungsgeschichte von #unkürzbar?

PW: Der schwarz-rote Berliner Senat hat Ende letzten Jahres mit dem sogenannten Nachtragshaushalt massive Kürzungen für zahlreiche Bereiche des öffentlichen Lebens und der öffentlichen Daseinsvorsorge bekanntgegeben. Daraufhin protestierten die betroffenen Bereiche meist einzeln für sich. Wir haben die Notwendigkeit gesehen, diese Kämpfe zu verbinden und Solidarität über die einzelnen Bereiche hinweg zu organisieren. Statt uns gegeneinander ausspielen zu lassen, wollten wir ein breites Bündnis schaffen.

SW: Dabei war der Frust nicht nur über die Kürzungen selbst groß, sondern auch über den Umgang des Senats damit. Die Pläne wurden überhaupt erst durch ein Leak bekannt. Gespräche mit den betroffenen Institutionen gab es nicht; viele haben erst ziemlich kurzfristig von den geplanten Kürzungen erfahren. Das hat gravierende Konsequenzen, etwa für die Menschen, die auf die nun gestrichenen Angebote im sozialen Bereich angewiesen sind.

Gleichzeitig geht es auch um Arbeitsstellen und damit das finanzielle Einkommen vieler Menschen. Die Vorgehensweise des Senats hat gezeigt, wie wenig Wertschätzung gegenüber denjenigen vorhanden ist, die diese Stadt zusammenhalten. Das hat enorm viel Vertrauen bei eben diesen Menschen zerstört. Viele kämpfen seitdem um das Überleben ihrer Institutionen oder sozialen Träger. Es herrscht Wut, aber auch Erschöpfung, weil bis heute vieles unklar bleibt.

Wo greifen die Kürzungen besonders gravierend ein?

SW: Besonders einschneidend sind jene Kürzungen, die die soziale Teilhabe direkt beschränken. Aufgrund der Kürzungen 2024 wurden bereits Atelierräume für Kunstschaffende gestrichen, der Diversitätsfonds abgeschafft. Das Projekt Berlin Mondiale, das jahrelang kulturelle Bildungsarbeit in den Außenbezirken gemacht hat, wurde komplett gestrichen. Auch bei Kunst im öffentlichen Raum, Klimaschutzprojekten, Verkehrssicherheit, an den Hochschulen – überall wurde gekürzt.

Und so geht es auch im neuen Doppelhaushalt weiter. 2016 wurde der FabiK Fond erkämpft, der halbwegs gerechte Ausstellungshonorare für Kunstschaffende in den Kommunalen Galerien sichert – dieser wurde jetzt gestrichen. 14.000 Studienplätze sollen wegfallen, Programme für die Lehrkräftebildung werden stark gekürzt, obwohl wir in Berlin dringend Lehrkräfte brauchen. Statt die soziale Ungerechtigkeit in der Digitalisierung anzugehen, streicht der Senat jetzt die Förderung digitaler Endgeräte für Schulkinder. 3 Millionen Euro für externe psychosoziale Hilfsangebote in Schulen fallen weg. Achtzehn Projekte in der mobilen Stadtteilarbeit stehen vor dem Aus, obwohl sie für viele Menschen die einzigen Ansprechpartner in den Kiezen sind.

Das betrifft am Ende fast jede Familie: bei Schule und Bildung, aber auch beim 29-Euro-Ticket, das abgeschafft wurde. Dazu kommt ein Mangel an Investitionen in die Infrastruktur. Wir sehen heute noch die Folgen der harten Kürzungspolitik unter SPD-Finanzsenator Thilo Sarrazin Anfang der 2000er Jahre – marode Infrastruktur und der Ausverkauf sozialer Wohnungen haben hohe Folgekosten.

»Die Frage, was eine ›gute‹ Investition ist, wird viel zu eng gestellt. Auch Maßnahmen, die sich nicht unmittelbar monetär auszahlen, leisten einen entscheidenden Beitrag zu einer funktionierenden Stadt.«

Betroffene Institutionen, aber auch Gewerkschaften wie Verdi rufen ebenfalls immer wieder zum Protest auf. Warum habt Ihr zusätzlich noch #unkürzbar ins Leben gerufen?

PW: Wir sehen uns vor allem als Anlaufpunkt für kleinere Träger und Initiativen, die in großen Strukturen manchmal nicht genug Gehör finden. Uns war wichtig, dass alle Stimmen gleichberechtigt gehört werden – und nicht nur jene, die über eine starke Lobby oder öffentliche Sichtbarkeit verfügen und dadurch die Kürzungen potentiell abwenden können. Wir haben bei #unkürzbar zwar viele Verbindungen zu Institutionen oder Kollektiven, sind aber letztlich ein Zusammenschluss von Einzelpersonen, die beim Plenum zusammenkommen. Wir möchten möglichst wenig Hierarchien reproduzieren. Wer da ist, macht mit.

SW: In allen Bereichen gibt es Widerstand. Manche führen Verhandlungen, manche machen Demos vorm Abgeordnetenhaus. Aber wir brauchen auch immer wieder Momente, in denen wir zusammenkommen, denn Kürzungen sind eine Politik der Vereinzelung. Sie bedroht Existenzen und isoliert die Betroffenen. Eine Demo ist deshalb nicht nur ein Zeichen der Wehrhaftigkeit, sondern auch ein Ort der Solidarität.

Darüber hinaus geht es uns darum, die Kürzungspolitik grundsätzlich infrage zu stellen. Wir sehen die Gefahr, dass die Austeritätspolitik europaweit rechte Parteien stärkt. Wenn der Staat öffentliche Infrastruktur und soziale Netze abbaut, untergräbt er Vertrauen in die Demokratie. Auch in Deutschland befinden wir uns hier an einem kritischen Punkt.

Die politische Ökonomin Clara Mattei hat Austeritätspolitik in ihrem Buch Die Ordnung des Kapitals als Klassenkampf von oben analysiert: Menschen, die ohnehin schon geringe Lohneinkommen haben und kein Vermögen, werden immer weitere Ressourcen entzogen, weil sie es sind, die mehr auf die öffentliche Daseinsvorsorge angewiesen sind.

PW: Uns ist wichtig klarzumachen, dass diese Kürzungen der CDU-Regierung kein Sachzwang sind, sondern, wie Mattei es formuliert, Klassenpolitik von oben – und damit eine bewusste politische Entscheidung. Unsere langfristige Strategie ist es deshalb, eine Diskursverschiebung zu erreichen: Wir wollen deutlich machen, dass es Alternativen gibt, und diesen Punkt so breit und mehrheitsfähig wie möglich vermitteln. Dafür braucht es eine Sprache, die zugänglich ist und nicht nur auf einem abstrakten Niveau stattfindet.

Dafür muss man es manchmal plakativ auf den Punkt bringen: Für Panzer ist Geld da, aber nicht für Pflege. In Berlin wird die A100 ausgebaut, der Görlitzer Park eingezäunt, Olympia beworben – in solche Projekte fließen enorme Summen. Aber dort, wo Menschen auf echte Teilhabe angewiesen sind, wird gespart. Und genau hier setzt auch unsere antifaschistische Perspektive an: Diese Kürzungen schaffen überhaupt erst die Grundlage, auf der faschistische Tendenzen gedeihen können.

»Wir Berlinerinnen und Berliner dürfen erwarten, dass es Erzählungen darüber gibt, wie diese Stadt in Zukunft funktionieren soll. Stattdessen hören wir nur: eine neue Autobahn.«

SW: Auffällig ist, wo zuerst gekürzt wird – in Bereichen, in denen Gesellschaft zusammenkommt und auch Kritik entstehen kann: Kultur, Bildung, soziale Projekte. Das ist kein Zufall, sondern folgt einem Muster: Dort, wo Widerstand wachsen könnte, wird gestrichen. Betroffen sind gerade jene, die am wenigsten Lobby haben, sich zu wehren. So sind – neben vielen anderen – Projekte wie ReachOut, eine Beratungsstelle für Betroffene rassistischer und rechter Gewalt, und der Sonntags-Club e.V., der psychosoziale Beratung für queere Menschen anbietet, stark von den Kürzungen betroffen.

Gleichzeitig erzeugt Austerität ein Klima der Angst und Vereinzelung. Die Botschaft lautet: Alle müssen sehen, wie sie allein klarkommen, weil die soziale Infrastruktur wegbricht – sei es beim Nahverkehr, bei Kitas oder anderen Angeboten, auf die Menschen angewiesen sind. All das geschieht in einer Zeit großer Unsicherheit und schwindenden Vertrauens in gesellschaftliche Strukturen.

Dass Austerität rechte Tendenzen stärkt, ist wissenschaftlich belegt: Studien zeigen, dass schon eine Reduzierung der öffentlichen Ausgaben um 1 Prozent den Stimmenanteil rechter Parteien um rund 3 Prozent erhöhen kann. Der Zusammenhang zwischen Kürzungspolitik und Wahlergebnissen ist also direkt und deutlich. In Deutschland bedeutet das: Die AfD wird stärker.

Was sollte stattdessen passieren?

SW: Es gibt genug Möglichkeiten, Einnahmen zu steigern. Eine gerechtere Steuerpolitik würde erhebliche Mittel mobilisieren. Das gängige Narrativ »Das Geld ist nicht da« stimmt schlicht nicht. Ein öffentlicher Haushalt ist kein privates Konto, das am Monatsende leer ist. Es geht darum, welche Investitionen wir als Gesellschaft für notwendig halten. Dazu gehören nicht nur Dinge, die sich unmittelbar in Euro und Cent rechnen, sondern genauso Bildung, Kultur und Teilhabe.

Wichtig ist auch, die gängige Gegenüberstellung von »Sparen« und »Investieren« zu hinterfragen. Denn die Frage, was eine »gute« Investition ist, wird viel zu eng gestellt. Auch Maßnahmen, die sich nicht unmittelbar monetär auszahlen, leisten einen entscheidenden Beitrag zu einer funktionierenden Stadt. Genau das müssen wir gemeinsam deutlich machen. Zentral ist zudem die Frage, welches Zukunftsbild Politikerinnen und Politiker überhaupt noch anbieten. Momentan vermitteln sie den Eindruck, dass es von allem nur weniger geben wird – und damit eine schlechtere Zukunft für alle.

PW: Wir Berlinerinnen und Berliner dürfen erwarten, dass es Erzählungen darüber gibt, wie diese Stadt in Zukunft funktionieren soll und wie wir friedlich darin zusammenleben können. Stattdessen hören wir nur: eine neue Autobahn. Doch langfristig haben wir alle davon nichts.

Wir lehnen es ab, wenn soziale Infrastruktur oder ein funktionierender ÖPNV als »Privilegien« dargestellt werden, auf die man in Krisenzeiten verzichten müsse. Dieses Narrativ, dass alle den Gürtel enger schnallen müssen, weisen wir zurück. Hier geht es nicht um Extras, sondern um öffentliche Daseinsvorsorge – und damit um Grundrechte. Deshalb werden wir auch in Hinblick auf die Abgeordnetenhauswahl im September 2026 deutlich machen: Kürzungen sind eine politische Entscheidung.

Paula Wolfhardt ist Aktivistin und setzt sich für eine gerechte Stadtpolitik ein.

Sam Wüthrich arbeitet seit vielen Jahren im Kulturbereich mit Museen und Bildungsträgern in Berlin zusammen und engagiert sich bei #unkürzbar für eine bereichsübergreifende Solidarität.