10. Dezember 2021
Niklas Schenker sieht im Berliner Koalitionsvertrag erhebliche Schwächen – dennoch stimmt er dafür. Im JACOBIN-Interview erklärt der Mietenpolitiker der LINKEN, warum er in der Regierung die Chance sieht, den Enteignungs-Volksentscheid umzusetzen.
Kann sich die Mietenbewegung in Berlin auf die LINKE verlassen?
Auf dem Sonderparteitag Deiner Partei hast Du gesagt, dass Du viele kritische Punkte in dem Koalitionsvertrag siehst, aber trotzdem zustimmen wirst. Wieso?
Erst einmal teile ich die Kritik der Gegnerinnen des Koalitionsvertrages an vielen Stellen, weil ich auch sehe, dass gerade in der Mieten- und Wohnungspolitik, die für DIE LINKE zentral ist, Rückschritte angelegt sind. Der Fokus verschiebt sich eindeutig auf einen Vorrang für den privaten Wohnungsneubau. Bei anderen zentralen Fragen gibt es noch keine Einigung, sondern Prüfaufträge. Das Votum der Berlinerinnen und Berliner für den Volksentscheid war überwältigend. Doch im Koalitionsvertrag ist keine Enteignung festgeschrieben. Die politische Entscheidung wurde vertagt.
Trotzdem sehe ich, dass an anderer Stelle wichtige Leitplanken eingezogen wurden. Ich glaube, dass sehr harte Konflikte in der Koalition vorprogrammiert sind. Meine Position ist nicht, bedingungslos in diese Koalition einzutreten, sondern hart, um die Ausrichtung der Wohnungspolitik zu ringen. Wenn das nicht funktioniert, muss man die Reißleine ziehen.
Welche anderen Leitplanken gibt es, die den Koalitionsvertrag aus Deiner Sicht doch rechtfertigen?
Für DIE LINKE ist die Ausweitung und Steuerung des öffentlichen und bezahlbaren Wohnungsbestandes die entscheidende Frage. Wir haben erreicht, dass der Mietendeckel bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen bis 2025 weiter gelten soll. Bei Neubau und Wiedervermietung gelten weiter hohe Sozialquoten. Auch die Ankaufpolitik wird fortgesetzt. Für private Bauvorhaben wird die Sozialwohnungsquote von 30 Prozent um eine Quote für mittlere Einkommen ergänzt. Und bei Neubau müssen auch soziale Infrastrukturen mitwachsen.
Beim Volksentscheid ist die Situation offen. Man kann natürlich argumentieren, warum die geplante Expertenkommission ein Verschiebebahnhof ist. Gleichzeitig gibt es im Koalitionsvertrag einen klaren Fahrplan, wie man die Vergesellschaftung jetzt angehen kann. Und hier müssen wir entschieden auf die Umsetzung drängen.
Du wurdest neu ins Abgeordnetenhaus gewählt. Katalin Gennburg sprach bei uns über derart harte Klassenauseindersetzungen, wie sie sie noch nie erlebt hat. Kann es sein, dass Du den Umgang mit der SPD unterschätzt?
Ich habe die letzte Legislatur außerparlamentarisch begleitet und war jetzt auch an den Verhandlungen beteiligt. Ich mache mir da keine Illusionen. Die SPD sind keine Menschenfresser, aber sie wollen wohnungspolitisch auf jeden Fall etwas anderes als wir. Machtpolitisch ist die Situation extrem schwierig, gerade weil wir die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen verloren haben und die SPD für die Durchsetzung ihres Programms weder das Parlament noch den Haushalt brauchen. Franziska Giffey braucht nur das Bündnis mit den Immobilienunternehmen.
Ich teile die Einschätzung von Katalin Gennburg an vielen Stellen, aber ich ziehe andere Schlussfolgerungen: Der Kampf mit der SPD um den Kurs in der Wohnungspolitik ist aus meiner Sicht nicht entschieden. Wir sollten diesen Kampf in der Regierung entschlossen aufnehmen und versuchen zu gewinnen. Denn ich glaube, dass wir in der Regierung trotz allem mehr Möglichkeiten haben, den Kurs noch zu drehen. Bei allen Gefahren, die es gibt.
Du sagst man kann in der Regierung die Spielräume mehr nutzen. Wie kann man sich das vorstellen? Ein Koalitionsvertrag regelt die Zusammenarbeit ja ziemlich genau.
Wenn man in diese Regierung geht, dann geht das aus meiner Sicht erfolgversprechend nur mit der Strategie einer rebellischen Stadtpolitik. Das heißt unsere wichtigste Koalitionspartnerin ist zuerst einmal die Mietenbewegung. Und mit der müssen wir die Konflikte auf Augenhöhe führen, die Koalition produktiv provozieren und auch in der Öffentlichkeit nachvollziehbar machen, wie in dieser Koalition gerungen wird.
Wenn man 0:2 hinten liegt, kann man eben auch ein Foul spielen, wenn es spielentscheidend ist. Wenn wir die Justizverwaltung besetzen, dann könnte diese Eckpunkte für ein Vergesellschaftungsgesetz erarbeiten, auch wenn das so vielleicht nicht in der Koalition abgestimmt wurde. So eine Strategie benötigt eine klare Haltung: Fraktion, Partei und Senatsmitglieder müssen sich entsprechend aufstellen. Es geht darum, nicht etwa »gutes Regieren« als Leitbild zu verfolgen, sondern alles daran zu setzen, die Konflikte, die sich anbahnen, gemeinsam zu gewinnen.
Also Foulspiel über das Justiz-Ressort?
Das halte ich zumindest nicht für ausgeschlossen. Genau das hat die SPD in den letzten fünf Jahren gemacht. Alles, was wir von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen aus an positiven Akzenten setzen wollten, hat sie über die Senatskanzlei zu blockieren versucht. Die Reform der Bauordnung zum Beispiel oder die Novellierung des Wohnraum-Versorgungsgesetzes wurden ja kassiert, obwohl man sich eigentlich darauf geeinigt hatte. Da dürfen wir jetzt nicht den Fehler machen und sagen: Wir spielen immer fair.
Auf dem Sonderparteitag gab es nun eine Abstimmung gegen den Antrag, der sich kritisch zum Koalitionsvertrag positioniert. 60 Prozent waren dagegen und 40 Prozent dafür, den Antrag überhaupt abzustimmen, also ein relativ knappes Ergebnis. Nun stimmen noch die Mitglieder über den Koalitionsvertrag ab. Gibt es jetzt die Gefahr, dass die LINKE in der Regierung geschwächt und zugleich innerlich zerrissen ist?
Das kann man so sehen. Auf der anderen Seite ist es auch wichtig , der SPD zu verdeutlichen, dass wir diese Regierung nur mittragen, wenn die Koalition in wichtigen Fragen eine linke Handschrift trägt. Wenn z.B. die Kommission zur Enteignung die Perspektive für eine Umsetzung des Volksentscheids nicht verbessert, dann muss DIE LINKE raus aus der Koalition.
Natürlich wird es vor einer Entscheidung über einen Exit aus der Regierung immer gute Gegenargumente geben, wie etwa, dass in anderen Bereichen noch zentrale Projekte in der Pipeline stehen. Ich glaube aber auch, dass DIE LINKE im Vergleich mit der Regierungsbeteiligung unter Rot-Rot anders aufgestellt und viel pluraler geworden ist. Und die Wohnungspolitik und vor allem der Volksentscheid sind zentrale Projekte für die Partei und haben auch enorm mobilisiert. Wenn die Koalition hier nichts liefert, wird der parteiinterne Druck massiv anwachsen.
Man kann auch in der Opposition für die Mietenbewegung kämpfen, vielleicht sogar besser.
Klar. Und wenn wir am Ende in der Regierung nur zwischen den Stühlen sitzen und zwischen der SPD und der Mietenbewegung moderieren, haben wir versagt. Und dann war es auch ein großer Fehler, in die Regierung zu gehen. Wir sollten stattdessen versuchen, die Schalthebel in der Regierung nutzen, um unsere Inhalte durchzusetzen und den Möglichkeitsraum der sozialen Bewegungen zu vergrößern. Wenn uns das unter sehr schwierigen Bedingungen gelingt, dann kann unsere Beteiligung auch eine Chance sein.
Aber ja, das kann schiefgehen und deswegen finde ich eine Exit-Option auch absolut wichtig. Auf die muss man sich auch vorbereiten, damit nicht nach zwei Jahren der große Knall kommt, ohne das jemand versteht warum. Man muss die Konflikte so führen, dass auch von außen ersichtlich wird, dass da hart gerungen wird. Und zwar im Interesse der Mieterinnen und Mieter Berlins.
Wenn man allerdings so eine Exit-Option nach einem oder auch zwei Jahren hat und das auch von vornherein klar kommuniziert, steht man ja mit einem Bein schon in der Opposition.
Ja, das kann man so sehen. Gleichzeitig ist es ja nicht so, als ob wir uns in allen Fragen mit der SPD uneinig wären. Es gibt auch eine ganze Reihe an Projekten, in der wir grundsätzlich eine ähnliche Richtung verfolgen. Es geht mir wirklich darum, sich auf die 4-5 entscheidenden Auseinandersetzungen zu konzentrieren und hier harte Konflikte zu führen.
Aber was ist das Drohpotenzial der LINKEN? Euer Spitzenkandidat Klaus Lederer hat etwa einen zweiten Volksentscheid angekündigt.
Die Entscheidung, ob ein Gesetzesvolksentscheid angestrebt wird oder nicht, liegt allein bei der Initiative. Unsere Aufgabe ist es, zu versuchen den Volksentscheid in der Regierung umzusetzen, und da müssen wir jetzt liefern und auch die Existenz der Regierung danach bewerten.
Ich halte es für falsch, jetzt schon vorwegzunehmen, dass die Kommission ohnehin nichts voranbringen wird. Das kann sein. Wir müssen dafür sorgen, dass eine Umsetzung nach der Kommission in greifbare Nähe rückt oder zumindest wahrscheinlicher wird.
Das machen die regierungswilligen Reformer in der Partei dann auch mit, also vorzeitig beenden?
Das wird hart und wir werden intern auch darum streiten. Aber man muss schon sagen, dass sich DIE LINKE so wie die Stadtgesellschaft in den letzten Jahren wirklich radikalisiert hat. Und so ein rebellischer Kurs ist natürlich viel anstrengender. Aber die Rolle als Moderatorin, die der Mietenbewegung nur erklärt, warum es nicht vorangeht, wird uns definitiv nicht weiterbringen, sondern schaden. Stattdessen muss von außen sichtbar sein, in wessen Interesse wir in der Koalition ringen und warum wir das im Einzelfall tun.
Bei der LINKEN geht es auch bundespolitisch um eine Existenzfrage. Gerade deshalb schaut man besonders auf Berlin. Habt Ihr da nicht eine besondere Verantwortung?
Definitiv, aber ich glaube man kann es aus zwei Richtungen diskutieren. Es gibt viele Gründe anzunehmen, dass wir beim nächsten Mal verlieren, wenn wir in diese Regierung gehen. Genauso gibt es aber auch gute Anhaltspunkte dafür, dass wir in der Opposition verlieren können. Wir haben sowohl im Westen in Flächenländern ohne Regierungsbeteiligung verloren, als auch im Osten, wo wir mitregiert haben.
Eine Frage, die wir uns manchmal zu wenig stellen, ist, ob das, was wir tun, auch tatsächlich wahrgenommen wird. Man kann die besten Gesetze verabschieden und schöne kleine Erfolge feiern, aber unsere Aufgabe besteht ja nicht darin, eine zweite Sozialdemokratie zu sein. Wir müssen radikale Reformen ermöglichen und sie mit Symboliken des Aufbruchs kenntlich machen. Und wenn wir das schaffen, wird man davon auch bundesweit etwas mitbekommen.
Und sollten wir uns an keiner zentralen Stelle durchsetzen können, ständig verlieren und an klare Grenzen stoßen, dann müssen wir notfalls aussteigen. Mit so einer starken Haltung kann man dann auch an Glaubwürdigkeit gewinnen.
Hast Du Sorge, Deine Glaubwürdigkeit zu verlieren, gerade weil Du so nah an den Mietenprotesten dran bist und die Fallhöhe ziemlich groß ist?
Auf jeden Fall. Deswegen mache ich mir die Entscheidung auch nicht leicht. Die Gefahren sind groß. Ich glaube trotzdem, dass ein Gebrauchswert der LINKEN darin liegen kann, zu sagen: Wir probieren es trotzdem und versuchen gemeinsam mit der Mietenbewegung den Kurs der letzten fünf Jahre beizubehalten. Das ist jetzt ein Stück weit unsere Bewährungsprobe. Wir müssen in der Lage sein, auch unter erschwerten Bedingungen im engen Bündnis mit der Bewegung Konflikte auszutragen und zu gewinnen. Und falls das wirklich alles schiefgeht, müssen wir unter Beweis stellen, dass die Beharrungskräfte in so einer Regierung zu bleiben, nicht so stark sind, wie die Nähe zu den Bewegungen.
Wie wird der Mitgliederentscheid ausgehen?
Ich denke, dass es eine Mehrheit für die Regierungsbeteiligung geben wird. Und ich hoffe, dass wir das als Rückenwind begreifen und dann auch liefern werden.
Niklas Schenker sitzt seit 2021 für die LINKE im Abgeordnetenhaus in Berlin.
Niklas Schenker sitzt seit 2021 für die LINKE im Abgeordnetenhaus in Berlin.