27. Januar 2023
Trotz Organizing-Kampagnen bei Starbucks und anderswo zeigen die jüngsten Zahlen, dass der Anteil der Gewerkschaftsmitglieder in den USA weiterhin schrumpft. Um der Macht des Kapitals etwas entgegenzusetzen, müssen die Gewerkschaften schneller wachsen.
Chris Smalls von der Amazon Labor Union bei einer Rally für eine Gewerkschaftsabstimmung, New York, 10. Oktober 2022.
IMAGO / ZUMA Wire
»Das verarbeitende Gewerbe in den USA ist den Bach runtergegangen, und mit ihm, so scheint es, die gesamte Arbeiterbewegung. Sie ist auf 16 Prozent der Arbeitskräfte geschrumpft, vor zehn Jahren waren es noch 20–25 Prozent. Vielleicht wird der Anteil auf 12 Prozent absinken. Wenn er erst einmal auf 10 gesunken ist, kann er genauso gut weiter auf Null sinken.«
— Thomas Geoghegan, Which Side Are You On?, 1991
Jedes Jahr im Januar bekommen Gewerkschaftsaktivistinnen und -beobachter den jährlichen Bericht des Bureau of Labor Statistics (BLS) über die Gewerkschaftsmitgliedschaft in den USA vorgelegt. Dieser liefert eine Vogelperspektive auf den Zustand der US-amerikanischen Gewerkschaftsbewegung in Zahlen, nach Branchen und Bundesstaaten. Die ernüchternden Ergebnisse des diesjährigen Berichts, der am vergangenen Freitag veröffentlicht wurde, sind in gewisser Weise vorhersehbar, auch wenn die Angaben etwas unzuverlässig sind.
Die Daten auf bundesstaatlicher Ebene scheinen besonders unzuverlässig zu sein – die texanische American Federation of Labor erklärte, dass sie den Zahlen nicht traut, und die Zahlen aus Maine kündigen einen wahrscheinlich stark übertriebenen Rückgang der Mitgliederzahlen um 32 Prozent an. Kurz gesagt: Der jahrzehntelange Abwärtstrend der US-amerikanischen Gewerkschaftsbewegung setzt sich fort.
Der gewerkschaftliche Organisationsgrad in den USA ist seit den 1950er Jahren und in absoluten Zahlen seit den 80er Jahren rückläufig, obwohl die Bevölkerung (und die Zahl der Arbeitsplätze) weiterhin wächst. Als der Organisationsgrad seinen Höhepunkt erreicht hatte, war etwa jeder dritte US-Beschäftigte Mitglied einer Gewerkschaft, heute ist es nur noch jeder zehnte. Im Jahr 1979 waren rund 21 Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter in einer Gewerkschaft, heute sind es noch rund 14 Millionen.
Die schrumpfende Mitgliederzahl ist in zweierlei Hinsicht von Bedeutung: Je höher der Prozentsatz der gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten ist, desto mehr Druck können sie auf die gesamte Wirtschaft ausüben, um Löhne, Sozialleistungen und Arbeitsbedingungen zu verbessern; und je mehr gewerkschaftlich organisierte Beschäftigte es gibt, desto größer ist die gesellschaftliche (und wahlpolitische) Basis für eine fortschrittliche Politik im Interesse der Arbeiterklasse.
Die zentrale Nachricht der diesjährigen Veröffentlichung ist, dass es im Jahr 2022 nach der Zählung des BLS 273.000 mehr Gewerkschaftsmitglieder gab als noch im Jahr 2021, obwohl der allgemeine gewerkschaftliche Organisationsgrad auf den niedrigsten Stand seit den 1920er Jahren gefallen ist – nämlich auf 10,1 Prozent. Das liegt daran, dass zwar die Zahl der gewerkschaftlich organisierten Arbeitsplätze steigt, aber die Zahl der nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeitsplätze noch schneller steigt. Seit 1983 hat das BLS 14 Mal Zuwächse (und 25 Mal Rückgänge) bei der Anzahl der Gewerkschaftsmitglieder verzeichnet; in allen Fällen bis auf zwei war der Organisationsgrad gleichbleibend oder rückläufig. Im Jahr 2022 stieg die Zahl der Erwerbstätigen in den USA um etwa 3,5 Prozent, die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder nahm um etwa 2 Prozent zu.
Die meisten dieser neuen Mitglieder waren auch nicht das Ergebnis öffentlichkeitswirksamer neuer Organizing-Kampagnen. Während die Zahl der Anträge, die bei dem National Labor Relations Board (US-Bundesbehörde zur Regulierung der Arbeitsbeziehungen) eingereicht wurden, um eine Abstimmung über eine gewerkschaftliche Vertretung am Arbeitsplatz abzuhalten, um über 50 Prozent anstieg, brachten die rund 1.200 gewonnenen Abstimmungen im Jahr 2022 nur etwa 70.000 zusätzliche Beschäftigte – weniger als ein Viertel des jährlichen Anstiegs (und nur ein halber Prozentpunkt Verbesserung im Vergleich zur Gesamtzahl der Mitglieder). Die Gewerkschaftskampagne bei Starbucks war ein Lichtblick, aber das Wachstum der Gewerkschaften in den USA beruht nach wie vor hauptsächlich auf der Ausweitung bereits gewerkschaftlich organisierter Arbeitsplätze.
Die Pandemie hat die Unzuverlässigkeit der BLS-Zahlen verstärkt. Ein Drittel des Mitgliederzuwachses entfiel auf das Freizeit- und Gastgewerbe, das sich wahrscheinlich immer noch von seinem Totalkollaps im Jahr 2020 erholt. Aber die Trends in den meisten Branchen sind eindeutig und für diejenigen, die versuchen, die Gewerkschaftsbewegung wieder aufzubauen, ist es wichtig, sie zu verstehen.
Seit dem Jahr 2000 sind über 2 Millionen gewerkschaftlich organisierte Arbeitsplätze verschwunden. 70 Prozent dieses Verlustes entfallen auf gewerkschaftlich organisierte Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe, und zwar sowohl in absoluten Zahlen (4,5 Millionen Arbeitsplätze wurden abgebaut) als auch in Bezug auf den gewerkschaftlichen Organisationsgrad (der wiederum sank von etwa einem von sieben Beschäftigten auf etwa einen von zwölf Beschäftigten). Allein die Gewerkschaft United Auto Workers hat seit dem Jahr 2000 300.000 Mitglieder verloren. Im Baugewerbe sind rund 200.000 Arbeitsplätze weggefallen und der gewerkschaftliche Organisationsgrad hat sich fast halbiert.
Doch es geht nicht nur um Bau- und Fabrikarbeiter: Rund 300.000 Arbeitsplätze wurden bei der Post gestrichen, die meisten darunter gewerkschaftlich organisiert. Im breiteren öffentlichen Sektor – der vor den 1960er Jahren nur einen verschwindend geringen Anteil der organisierten Arbeiterschaft ausmachte und soweit anwuchs, dass er letztlich die Hälfte der Gewerkschaftsbewegung stellte – ist die Mitgliederzahl im Wesentlichen gleichgeblieben, während der Organisationsgrad von etwa 37 Prozent aller Beschäftigten im öffentlichen Dienst auf ein Drittel abgesunken ist.
Der Mitgliederschwund wurde durch den rasch expandierenden Gesundheits- und Bildungssektor etwas aufgehalten. Die Gewerkschaften haben im privaten Gesundheits- und Bildungswesen 600.000 Mitglieder mehr als noch im Jahr 2000, aber die Organisationsdichte ist im Allgemeinen gleichgeblieben oder leicht gesunken. Neue Organizing-Kampagnen konnten also mit dem allgemeinen Beschäftigungswachstum nicht Schritt halten.
Wie sieht es geografisch aus? Im sogenannten »Rostgürtel« und im Mittleren Westen sind die Trends der letzten zwanzig Jahre mehr oder weniger gleich geblieben, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität. In Wisconsin, Illinois, Indiana, Iowa, Michigan, Missouri, Ohio und Pennsylvania sind in den letzten zwei Jahrzehnten jeweils mehr als 20 Prozent der Mitglieder verschwunden, sowohl aufgrund der aggressiven gewerkschaftsfeindlichen Gesetzgebung als auch durch den Verlust von gewerkschaftlich organisierten Arbeitsplätzen in der Privatwirtschaft. Nur acht Bundesstaaten haben heute mehr Gewerkschaftsmitglieder als im Jahr 2000, und nur in vier dieser Bundesstaaten hat sich der Organisationsgrad erhöht. Kalifornien hat in diesem Zeitraum etwa 200.000 Gewerkschaftsmitglieder hinzugewonnen, und der Organisationsgrad ist mit 18 Prozent weitgehend konstant geblieben. Hawaii und New York haben mit 23,4 Prozent und 22,1 Prozent den höchsten gewerkschaftlichen Organisationsgrad.
Für die Arbeiterschaft bedeutet das, dass sie sich trotz des lokalen Aufschwungs durch neue Organizing-Kampagnen auf demselben Abstieg befindet wie schon seit Jahrzehnten. Wenn der Rückgang in diesem Jahr proportional gesehen weniger stark ausfällt als in der Vergangenheit, so liegt das vielleicht nur daran, dass es weniger weit nach unten geht.
Die offizielle Antwort des AFL-CIO, dem Dachverband der US-Gewerkschaften, bestand darin, darauf hinzuweisen, wie katastrophal das US-amerikanische Arbeitsrecht ist, dessen Unterstützung für Gewerkschaften unverhältnismäßig gering ausfällt, während gleichzeitig der Beitritt zu einer Gewerkschaft unverhältnismäßig schwierig ist. Das ist soweit richtig, aber angesichts der Tatsache, dass der Oberste Gerichtshof der USA versucht, die Arbeitsrechte weiter auszuhöhlen, ist das keine vollständige Erklärung, geschweige denn ein Plan, um dagegen vorzugehen. Wenn die Gewerkschaften 273.000 Mitglieder in einem Jahr hinzugewinnen können und die Organisationsdichte trotzdem sinkt, dann wird ein Mitgliederzuwachs von 1 Million Mitgliedern in einem Zeitraum von zehn Jahren den kontinuierlichen Zusammenbruch nicht aufhalten können.
Um der Macht des Kapitals etwas entgegensetzen zu können, muss das Wachstum durch neues Organizing stärker zunehmen. Und wie der Gewerkschaftsforscher Chris Bohner festgestellt hat, verfügen die Gewerkschaften über die Möglichkeit, um genau das zu tun – oder um zumindest etwas zu tun. Dazu gehören nicht nur neue Organisationsformen, sondern auch neue Kämpfe und neue Siege.
Die größte Meldung aus der Gewerkschaftsbewegung im Jahr 2023 wird wahrscheinlich nicht ein Anstieg der Zahl der Gewerkschaftsmitglieder in den USA um 2 Prozent sein, sondern die einmalige Überlappung von zwei der größten Tarifkonflikte des Landes, die bei UPS und den drei großen Automobilherstellern – unter einer neuen militanten Gewerkschaftsführung bei den Teamsters und möglicherweise den United Auto Workers – anstehen. Diese Kämpfe werden etwa eine halbe Million Mitglieder betreffen. Aber die gesamte Arbeiterklasse wird beobachten, ob die Gewerkschaften noch kämpfen und gewinnen können.
Jonah Furman arbeitet als Journalist und Organizer bei US-amerikanischen Zeitschrift »Labor Notes«.