04. November 2020
Der Ausgang der US-Präsidentschaftswahl ist bisher unklar. Jetzt könnte eine lange juristische und institutionelle Auseinandersetzung drohen. Die Demokraten haben dabei die schlechteren Karten. Ihnen fehlt ein systematisches Verständnis gesellschaftlicher Macht.
Donald Trump spricht in seinem ersten Statement nach der Wahl von Betrug, 4. November 2020.
Die allermeisten Beobachterinnen und Beobachter hätten sich wohl einen klaren Ausgang der Präsidentschaftswahlen erhofft. Nun ist es anders gekommen. Bis alle Stimmen ausgezählt sind, könnte es noch Tage dauern. Doch dass danach ein Ergebnis feststeht, darf angezweifelt werden. Am Ende könnten es die Gerichte sein, die über den Wahlausgang entscheiden.
Für Biden wäre dies ein denkbar schlechtes Szenario. Denn wenn es um institutionell-juristische Kämpfe geht, sind die Republikaner den Demokraten deutlich überlegen. Nicht nur dominieren konservative Richter die Bundesgerichte, die Rechte in den USA ist auch wesentlich geschickter darin, über Proteste und ein Kapern des Narrativs Druck auf Entscheidungsträger auszuüben.
Bereits bei den Wahlen von 2000, die im Bundesstaat Florida zwischen Al Gore und George W. Bush entschieden wurden, waren die Demokraten auf den hybriden Propagandakrieg der Konservativen völlig unvorbereitet und verließen sich fatalerweise auf die Unabhängigkeit der Gerichte. Seither haben sie wenig dazugelernt. Die Gouverneurswahlen von 2018 in Florida und Georgia liefen ebenfalls alles andere als sauber ab, am Ende erklärten sich in beiden Fällen die Republikaner zum Sieger, obwohl bei einer fairen Wahl ohne Hindernisse und einer sauberen Stimmenauszählung wohl die Gegenseite gewonnen hätte.
Wie konnte es aber dazu kommen? Wie kann es eine Partei zweimal nacheinander kaum schaffen, eine Mehrheit gegen Donald Trump zu organisieren? Den Demokraten fehlt ein Verständnis dafür, dass man sich in der politischen Auseinandersetzung nicht durch Fairplay, sondern Diskurshoheit und strukturelle Macht durchsetzt. Ihre Unfähigkeit, effektive politische Kämpfe zu führen, geht über bloße Inkompetenz hinaus und hat tiefere strukturelle Ursachen.
Die Partei ist in hohem Maß von Politikberaterinnen und Werbefirmen durchsetzt, die für Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitiker Wahlkämpfe organisieren und dabei hohe Gewinnmargen einstreichen. Diese Leute werden bezahlt, egal, ob eine Wahl verloren oder gewonnen wird. Und je wirtschaftsfreundlicher das Profil der Partei ist, desto großzügiger die Unternehmensspenden und Wahlkampfbudgets, und desto üppiger die Provisionen der Beraterkaste. Wahlen zu gewinnen, ist für diese Leute nur ein unbeabsichtigtes Nebenprodukt ihrer Arbeit, der Hauptfokus liegt ganz klar darauf, reiche Spender abzuklopfen und eine Politik zu legitimieren, die ihren materiellen Interessen entspricht.
Die zeitweisen Erfolge von Bernie Sanders und anderen Linksaußen-Demokratinnen und -Demokraten zeigen aber auch, dass es durchaus das Potential für eine Mehrheit jenseits von Trump gibt. Doch hierzu müsste es den Demokraten gelingen, breitere Schichten der Arbeiterklasse wieder anzusprechen. Aufgrund ihrer institutionellen Korruption ist es für das Establishment der demokratischen Partei nahezu unmöglich, die Art von materieller Umverteilungspolitik zu betreiben, mit der ein Teil der Arbeiterklasse zurück an die Urnen gelockt und das Weiße Haus zurückerobert werden könnte. Die Parteigrößen wissen sehr wohl, welche Stimmen ihnen fehlen, sie fühlen sich nur strukturell machtlos, die richtige Politik für sie anzubieten.
Sollte Trump aus der möglicherweise bevorstehenden juristischen Auseinandersetzung als Sieger hervorgehen, brechen für die USA noch dunklere Zeiten an. Das Justizwesen würde wohl vollständig von den Republikanern übernommen. Politische und persönliche Freiheiten würden eingeengt werden, die Perspektive auf einen funktionierenden Rechtsstaat und faire Wahlen schwinden. Noch mehr Einwanderer würden von der Straße aufgesammelt und hinter Gitter gesperrt werden, die Polizei noch häufiger scharf schießen und töten. Millionen würden ihre Krankenversicherung verlieren. Für einen Schwangerschaftsabbruch muss man vielleicht bald nach Kanada, falls man das Geld dazu hat, oder andernfalls auf irgendeinen Hinterhof. Falls nach der Pandemie die Jobs irgendwann wiederkommen, werden sie unter Trump Hungerlöhne einbringen und größtenteils über die dystopischen Arbeitsmärkte der Gig-Economy vermittelt werden.
Sollte es für die Demokraten gerade nochmal gutgehen, hätte die Partei eine letzte Chance, sich vom Neoliberalismus abzuwenden. Dass sie diese auch ergreift, ist nicht sehr wahrscheinlich. Sollte sich das Demokratische Establishment standhaft weigern, die offensichtliche Lektion von 2016 und 2020 zu lernen, muss sich die neue sozialistische Linke im Land fragen, wie sie am besten ihre Brückenköpfe in der Legislative behalten und ausbauen kann, ohne sich an eine unfähige und teils offen feindlich gesinnte Partei zu binden.
In den letzten Jahren war die Demokratische Partei ein nützliches Vehikel, um linke Ideen unter einer breiteren Wählerschaft bekannt zu machen, und ermöglichte den Aufstieg von beliebten Star-Linken wie Alexandria Ocasio-Cortez. Doch auch dies wird als Basis für eine wirksame Opposition zu Trump nicht ausreichen. Widerstand müsste aus der organisierten Arbeiterschaft kommen, rein symbolische Proteste können als kurzfristiges Mobilisierungswerkzeug dienen, sind mittelfristig gegen eine fest im Staatsapparat verankerte extreme Rechte aber machtlos. Nur eine Klassenpolitik, mit Basis in der Arbeiterschaft, kann die USA vor dem sozialen Verfall bewahren. Und nur massenhafte Streiks können einen Präsidenten, der sich zunehmend über das Gesetz stellt, ernsthafte Schwierigkeiten bereiten.
Trotz aller Versuche, sie zu etablieren, ist eine solche Politik den USA von heute weitestgehend fremd, und eine sozialistischen Massenbewegung liegt noch in weiter Ferne. Doch nur weil sie zweimal vom Establishment der Demokraten niedergeschlagen wurde, bedeutet das nicht, dass sie nicht der richtige Weg ist, um die amerikanische Gesellschaft vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Selbst die treuesten Parteisoldaten der Demokraten werden im Fall eines Trump-Siegs hoffentlich anfangen zu verstehen, dass es so schlicht und einfach nicht weitergehen kann. Die einzige mögliche Antwort auf die Verzweiflung aller liberalen oder progressiven Amerikanerinnen und Amerikaner, die von den Demokraten abermals im Stich gelassen wurden, lautet: Bernie hätte gewonnen.
Loren Balhorn ist Editor-in-Chief von JACOBIN.
Alexander Brentler ist Journalist und Übersetzer.