08. November 2020
Liberale feiern den Wahlsieg von Joe Biden. Doch an den Umständen, die Trump ins Weiße Haus brachten, hat sich wenig geändert.
Biden-Fans feiern seinen Sieg in Washington, DC am Samstag, den 7. November 2020.
Linke und Liberale auf beiden Seiten des Atlantiks atmen auf. Der Alptraum der Trump-Präsidentschaft ist vorbei. Trump tobt und wütet zwar, letztlich ist der Abstand zu Biden in zu vielen Staaten einfach zu groß, um seinem Gegner juristisch beizukommen, selbst wenn der Präsident auf die von ihm ernannten konservativen Richter zählen könnte. Prominente Republikaner, wie Mike DeWine, der Gouverneur von Ohio, ließen ihn allerdings bereits fallen. Der wichtigste Grund: Sie brauchen Trump nicht mehr.
Die Steuern für Reiche und Unternehmen wurden bereits radikal gesenkt, am obersten Gerichtshof haben die Konservativen eine Zweidrittelmehrheit, im Senat werden die Republikaner ihre Mehrheit behalten. Das Lebenswerk des republikanischen Fraktionschef Mitch McConnell, tiefgreifende Veränderungen zum besseren auf absehbare Zeit zu verhindern, ist erfüllt.
Die Versuchung wird nun übergroß sein, diese hässliche Episode schnell hinter sich zu lassen und zur Tagesordnung überzugehen. Ähnlich wie das Land die Verbrechen und Traumata der Bush-Regierung verarbeitete, indem es sie zügig vergaß und in Obama-Mania überging, wird man nun versuchen, die neue Normalität zu akzeptieren und die alte zu verdrängen. Doch für die Zukunft des Landes könnte nichts verheerender sein. Trump mag besiegt sein, der Nährboden für seine Politik ist aber weiterhin vorhanden.
Nach der Niederlage von 2016 war es für die Demokraten ein äußerst riskantes Manöver, wieder auf einen wenig inspirierenden Zentristen ohne besondere Weitsicht zu setzen, der nicht einmal vorgibt, sich um die Interessen von Arbeiterinnen und Arbeitern kümmern zu wollen. Doch die Umstände der Wahl von 2020 waren schlicht und einfach andere.
Solange die Wirtschaft gut lief, konnte sich Trump bequem zurücklehnen und sich darauf konzentrieren, die Nachfrage seiner Basis nach Grausamkeit zu bedienen. Während Einwanderer brutal verfolgt wurden, die Polizei praktisch straffrei mordete und hunderte Arbeits- und Umweltschutzrichtlinien zurückgenommen wurden, bemerkte die Mittelschicht davon wenig, und Trumps Umfragewerte blieben stabil.
Zwar verloren die Republikaner 2018 bei den Wahlen zum Repräsentantenhaus deutlich, doch war es vor allem die asymmetrische Wahlbeteiligung, die ihnen schadete, da empörte Demokraten massenhaft Proteststimmen abgaben. Es war alles andere als klar, dass sich eine Präsidentschaftswahl gegen einen Amtsinhaber nach dem gleichen Schema gewinnen lassen würde. Trump bekam Millionen von Stimmen mehr, als 2016. Zu Bidens Glück konnte die demokratische Basis jedoch ebenso mobilisiert werden.
In der Pandemie wurde Trumps Passivität ihm selbst zum Verhängnis. Denn er regierte wie ein normaler Republikaner und überließ die Leute ihrem Schicksal , anstatt ihnen durch entschlossenes staatliches Handeln zu helfen. Trump manipuliert das Narrativ der Medien wie kein zweiter und vergaß einfach irgendwann, dass ein Virus kein Fernsehen schaut und man mit ihm keine großartigen Deals machen kann. Seine Weigerung, ein zweites Hilfspaket für die Wirtschaft abzusegnen, besiegelte wohl sein Schicksal.
In guten Zeiten mögen sich erfolgreiche Regierungsarbeit und Showbusiness nicht sonderlich unterscheiden. Doch Trumps berüchtigte Instinkte ließen ihn im Stich, da er bei der Bekämpfung von Corona nicht den gleichen Aktionismus zeigte wie bei der Verfolgung von Einwanderinnen und Einwanderern. Auch wenn seine loyale Anhängerschaft nach wie vor jeden seiner Schritte bejubelte, waren die Bilder von Hunderttausenden Toten und 10 Millionen Arbeitslosen für zu viele Wählerinnen und Wähler ein zu starker Kontrast zu seinen Versprechen, um seine Wiederwahl zu garantieren.
Dies lässt sich auf die gesamte Wirtschaftspolitik der Trump-Regierung verallgemeinern: Hätte Trump auch nur ein Zehntel seiner »populistischen« Versprechen gehalten, etwa, indem er in der Handelspolitik einen ernsthaften Kurswechsel vollzogen und Industriejobs zurückgeholt hätte, wäre ihm ein Wahlsieg in vierzig Staaten sicher gewesen. Doch es blieb bei Symbolpolitik und kurzfristigen Zollkriegen, die wenig strukturelle Veränderungen bewirkten. Das neue Handelsabkommen, das Trump mit Kanada und Mexiko verhandelte, gleicht dem alten doch sehr. Und ohne die Coronavirus-Pandemie hätte es für Trump wohl ohnehin zur Wiederwahl gereicht.
»Das Potential für einen zweiten Trump ist weiterhin vorhanden, an den materiellen Voraussetzungen für eine faschistoide Politik hat sich in den USA nichts geändert.«
Die Demokraten sollten sich hüten, aus ihrem Wahlsieg nun die falschen Schlüsse zu ziehen. Das Potential für einen zweiten Trump ist weiterhin vorhanden, an den materiellen Voraussetzungen für eine faschistoide Politik hat sich in den USA nichts geändert. Wäre Biden klug, würde er jetzt radikal mit der Politik der Obama-Ära brechen, aber alle Indizien und Anreize deuten in die umgekehrte Richtung.
Biden sieht sich selbst explizit als Erbe des Obama-Projekts und vermarktete sich offensiv als solcher. Doch es war die zögerliche Politik des überzeugten Neoliberalen Obama, der die Voraussetzungen für Trump schuf. Biden hat die Wahl mit Hilfe von Großspendern und der wohlhabenden Mittelschicht in den Vorstädten gewonnen. Er steht nun in ihrer Schuld. Außerdem ist Biden nun bei jedem Gesetzesvorhaben darauf angewiesen, die Handvoll moderate Republikaner, die es im Senat noch gibt, auf seine Seite zu ziehen. Die Voraussetzungen für einen Politikwechsel sind also denkbar schlecht. Wenn Biden wirklich wollte, könnte er auch rein über seine Exekutivbefugnisse viel erreichen. Dass er diese Gelegenheit auch ergreift, ist nicht sehr wahrscheinlich.
Für den linksliberalen Flügel der Demokraten verlief die Wahl durchwachsen. Unter einige wichtige Siege wie eine gewonnene Volksabstimmung für einen Mindestlohn von fünfzehn US-Dollar pro Stunde in Florida und eine Grundsteuerreform in Kalifornien mischten sich viele Enttäuschungen, wie die Niederlage der linksliberalen Kongresskandidatinnen Kara Eastman und Beth Doglio. Linke Ideen werden in den USA zwar immer beliebter, doch linke Politikerinnen und Politiker haben es weiterhin schwer, das Vertrauen der Wählerinnen zu gewinnen. Eine klare Strategie, wie man den kulturellen Anschluss zur Arbeiterklasse wieder schafft, hat die parlamentarische Linke in den USA bei dieser Wahl nicht entwickeln können.
Ganz gleich, für welche Strategie sich Biden und sein Team nun entscheiden: Die Linke wird ihm jeden noch so kleinen Fortschritt abzwingen müssen. Bidens Instinkte sind zutiefst konservativ, seine Politik wird sich an der Vergangenheit und an den Interessen der Wohlhabenden orientieren. Die Linke, allen voran die Gewerkschaften, müssen ihm unmissverständlich klar machen, dass solange die Politik nicht auf grundlegende, materielle Umverteilung von Oben nach Unten zielt, die Geister, die Donald Trump hervorrief, jederzeit zurückkehren können: In grausamerer, radikalerer, gewalttätiger und vor allem kompetenterer Form. Der echte Kampf um die Zukunft Amerikas steht erst noch bevor.
Loren Balhorn ist Editor-in-Chief von JACOBIN.
Alexander Brentler ist Journalist und Übersetzer.