03. Mai 2024
Angesichts einer möglichen zweiten Trump-Präsidentschaft setzen die Demokraten auf eine apokalyptische Rhetorik von einem drohenden Faschismus. Damit lenken sie vor allem von ihrer eigenen Verantwortung für die politische Misere der USA ab.
US-Präsident Joe Biden bei einer Wahlkampfveranstaltung am 10. April 2024.
Da nun offiziell klar ist, dass Donald Trump für die Republikaner ins Rennen um die US-amerikanische Präsidentschaft gehen wird, warnen die Demokraten und die (schwindende) Zahl der »Never-Trump«-Republikaner einmal mehr vor dem bevorstehenden Untergang der Demokratie. Diese Rhetorik beherrschte den politischen Diskurs in den USA bereits Ende der 2010er Jahre. »Wir haben acht Monate Zeit, um unsere Republik zu retten«, warnt aktuell zum Beispiel Liz Cheney. Auch der neokonservative Robert Kagan prophezeit, »dass eine Trump-Diktatur zunehmend unabwendbar« erscheint und dass wir »aufhören sollten, so zu tun, als ob dies nicht der Fall wäre«.
Trump hat die Präsidentschaftswahlen 2020 und sein Amt bekanntlich verloren. Nichtsdestotrotz ist die Schwarzmalerei, die US-amerikanische Demokratie stehe gefährlich nahe am Rande des Zusammenbruchs, nie wirklich verschwunden. Während des Wahlkampfs für die Midterm-Wahlen 2022 – also lange vor Trumps Rückkehr in den Präsidentschaftswahlkampf – erklärte Präsident Joe Biden, die »extreme MAGA-Philosophie« sei eine Art »Semi-Faschismus«. Gleichzeitig sorgten sich die liberalen Medien, dass eine tsunami-artige »Rote Welle« (die Farbe der Republikaner) das Land überschwemmen und zerstören würde.
Nachdem sich derartige Prognosen für die Midterms als falsch erwiesen hatten, hätte man erwarten können, dass Politikerinnen, Analysten und Kommentatorinnen ihre Rhetorik mäßigen würden. Stattdessen geschah das Gegenteil. Beobachterinnen wie Tara Setmayer hielten daran fest, dass das »nicht direkt greifbare, geradezu esoterische Konzept der Verteidigung der Demokratie« der Grund für den Erfolg der Demokraten gewesen sei. Setmayer behauptete insbesondere, dass die hohe Wahlbeteiligung in Georgia und Michigan sowie die gestiegene Wahlbeteiligung der jüngeren Amerikanerinnen und Amerikaner in den gesamten USA bewiesen, dass »die Demokratie als der große Gewinner des Jahres 2022 hervorging«.
Setmayer suggeriert, dass die apokalyptische Rhetorik der Demokraten im Midterm-Wahlkampf offensichtlich erfolgreich war – und daher auch in Zukunft verfolgt werden sollte.
In Wahrheit ist allerdings unklar, ob die Warnungen vor einer »Roten Welle«, die die US-amerikanische Demokratie ins Unheil stürzen könnte, die Wahlbeteiligung erhöht haben. Nach Ansicht des demokratischen Wahlstrategen Simon Rosenberg könnte diese Rhetorik tatsächlich den paradoxen Effekt gehabt haben, den Wahlwillen zu senken, da sich die Wählerinnen und Wähler aufgrund der Warnungen zunehmend demoralisiert fühlten.
Abgesehen von diesen rein strategischen Bedenken hat eine solche Sprache Kosten, die Setmayer und diejenigen, die sie übernehmen, nicht bedenken. Der ständige Verweis auf eine nicht enden wollende, immer dringlichere »Krise« trägt wenig dazu bei, das Funktionieren unserer Demokratie zu verbessern. Trump ist derzeit nicht Präsident, dennoch herrscht Ungerechtigkeit und Ungleichheit. Die Vereinigten Staaten schicken Waffen in die ganze Welt, obwohl die Bürgerinnen und Bürger dagegen sind. Und: Trump könnte durchaus die kommende Wahl gewinnen. All dies zeigt letztlich, dass diese Rhetorik und die ständige Warnung vor einer akuten Krise kein wirksames Mittel ist, um die grundlegenden Probleme der amerikanischen Demokratie zu lösen.
Das sollte Anlass zur Sorge sein, denn die amerikanische Demokratie ist zerbrechlich. Man kann freilich fragen, inwieweit dieses Land überhaupt eine Demokratie ist. Gerade Linke wissen sehr wohl, wie undemokratisch wichtige Organisationen und Institutionen in den USA sind, vom Senat über den Obersten Gerichtshof bis hin zum Wahlmännerkollegium. Die meisten Menschen wissen wahrscheinlich auch, dass Geld unser politisches System prägt, meist zum Vorteil der Wohlhabenden.
Doch das Demokratiedefizit ist noch größer. Im Laufe des 20. Jahrhunderts hat die herrschende Klasse der Vereinigten Staaten ein unglaublich komplexes Ökosystem aus Regierungs- und Nichtregierungsgruppen aufgebaut, das effektiv dafür gesorgt hat, dass die einfachen Amerikanerinnen und Amerikaner in diversen Bereichen, einschließlich der Außenpolitik und der Makroökonomie, kaum ein Mitspracherecht haben.
»Die einseitige Fixierung auf Faschismus hindert die Liberalen daran, eine attraktive Vision für die Zukunft der USA zu entwickeln.«
Eine Studie der Politikwissenschaftler Martin Gilens und Benjamin I. Page aus dem Jahr 2014 kommt zu dem Ergebnis, »dass wirtschaftliche Eliten und organisierte Gruppen, die Geschäftsinteressen vertreten, einen beträchtlichen unabhängigen Einfluss auf die Politik der US-Regierung haben, wohingegen Durchschnittsbürger und auf Massenbasis agierende Interessengruppen wenig oder gar keinen solchen Einfluss haben«.
Möglicherweise trägt die Frustration über diesen undemokratischen Zustand dazu bei, dass eine wachsende Zahl von Schwarzen, Latinos und asiatischen Wählerinnen und Wählern, auf deren Loyalität sich die Demokratische Partei lange verlassen konnte, diese inzwischen ablehnen. Wenn die Demokraten schon nicht für einen in die Bresche springen, warum sollte man dann nicht gleich die »Fuck-'em-all«-Haltung der modernen Republikaner wählen?
Alles in allem hat das Framing einer fragilen, vom Autoritarismus bedrohten Demokratie nicht viel dazu beigetragen, den demokratischen Niedergang in den USA aufzuhalten, geschweige denn umzukehren. Dennoch ist die apokalyptische Rhetorik weiterhin stark im politischen Diskurs präsent. Neben der Sorge um das drohende Ende der amerikanischen »Demokratie« beschäftigt die liberalen Eliten seit 2015 vor allem die Frage, ob Trump ein »Faschist« sei – oder ein »Halbfaschist« oder ein »Protofaschist« oder anderweitig »faschistoid« oder welche Variante der jeweilige Experte bevorzugt.
Von Biden über den Historiker Timothy Snyder bis hin zur Nachrichtensprecherin Rachel Maddow haben Liberale immer wieder betont, in der US-Politik gebe es eine faschistische Gefahr, die erkannt und gebannt werden müsse. Ähnlich wie vor ihnen die New Atheists (die nach dem 11. September 2001 die amerikanische Bevölkerung mit ihren apokalyptischen Warnungen vor einer Ausbreitung des islamistischen Fanatismus in Angst und Schrecken versetzten), überdecken die liberalen »Antifaschisten« mit ihren Aussagen die Bemühungen, die tatsächlichen Quellen des Hasses zu verstehen und zu bekämpfen.
Wie kann die weitverbreitete Diagnose »Faschismus« – die implizit Millionen von US-Bürgerinnen und -Bürgern als eine Gruppe kategorisiert, die man eher auslöschen als für sich gewinnen sollte – uns helfen, unser undemokratisches politisches System zu verbessern und wirtschaftliche Ungleichheit, Rassismus sowie sexuelle und Gender-Diskriminierung abzubauen? Die Antwort ist klar: Sie kann es nicht.
Es gibt einen Grund, warum solche apokalyptischen Szenarien seit rund einem Jahrzehnt bei Sendern wie MSNBC so beliebt sind: Sie ermöglichen es der liberalen Elite – die es dem rechten Flügel zumindest ermöglicht hat, die Welt zu schaffen, in der wir heute leben – eine gewisse Unschuld zu bewahren. Dieses Bild steht freilich im Widerspruch zur tatsächlichen Geschichte der liberalen Regierungen der vergangenen Jahre.
Für diese Liberalen ist es einfacher, den »Faschismus« (oder die »weiße Wut in der Provinz« oder die »Deplorables« oder »christliche Nationalisten«) für die Probleme unseres Landes verantwortlich zu machen als den deregulierten, finanzmarktorientierten und militaristischen Neoliberalismus unter Politikern wie Bill Clinton und Barack Obama. Diese Prioritätensetzung der Liberalen hat zur Entstehung der Neuen Rechten beigetragen. Das zuzugeben, würde für die liberalen Eliten natürlich auch bedeuten, gewisse Prämissen der eigenen Politik überdenken zu müssen. Das ist weitaus weniger attraktiv als sich gegen einen klaren Feind zu verbünden.
Der vermeintlich »antifaschistische« liberale Millenarismus seit 2015 ist zutiefst amerikanisch. Dieses Land war schließlich Schauplatz mehrerer großer »Erweckungserfahrungen«, die zum Teil auch von rhetorischer Apokalyptik geprägt waren. Viele sind vermutlich am besten mit den millenaristischen Ansichten der Evangelikalen vertraut, die seit den 1970er Jahren zu wichtigen Akteuren des rechten Flügels der US-Politik geworden sind. Ironischerweise scheinen die säkularen Liberalen aber auch sehr viel von den Evangelikalen gelernt zu haben. So wie die Evangelikalen in der weit verbreiteten »Gottlosigkeit« die Vorzeichen der Apokalypse und das gefürchtete Kommen des Antichristen erkennen, verspüren auch viele Liberale um sich herum das Wirken finsterer Kräfte, die ihrerseits den Weg für eine Trump-Diktatur ebnen wollen.
Die vermeintliche Widerstandsbewegung dagegen stilisiert sich zu einer Form der »Kinder des Lichts« (nach den Worten des Theologen Reinhold Niebuhr), die glauben, dass sie das Werk des Herrn tun, um die »Kinder der Finsternis« zu stürzen. Eine solche gnostisch-religiöse Sichtweise der Welt macht Selbstreflexion fast unmöglich. Schließlich liegt das Problem ja eindeutig bei denen und nicht bei uns. Unterdessen gewinnen Autoritäre und rechte Nativisten auf der ganzen Welt weiterhin eine Wahl nach der anderen. Tieferliegende Spaltungen – zum Beispiel zwischen der kleinen Minderheit der Kapitalisten und der großen Mehrheit der Arbeiterinnen und Arbeiter – werden hingegen ignoriert; und die damit einhergehende Ausbeutungsdynamik bleibt unverändert.
»Wer sich für die Demokratie einsetzt, muss die Kräfte, die ihr feindlich gegenüberstehen, immer ernst nehmen.«
Keine Frage: Der Millenarismus hat seine einfachen und bequemen Seiten. Wie der Historiker Faisal Devji schreibt, vermittelt die Projektion eines »Faschismus« – der dabei oft unzureichend definiert und eher ein affektives Triggerwort als eine fundierte politische Diagnose ist – auf eine »böse« Gruppe die Illusion, dass unter all der Verwirrung und der Paranoia ja doch eine im Wesentlichen unveränderliche Weltordnung herrscht.
Der Diskurs des liberal-bürgerlichen Antifaschismus kommt schrill und alles andere als ruhig daher; aber es ist paradoxerweise beruhigend, sich vorzustellen, dass es einen klaren Feind gibt, der identifiziert und besiegt werden kann, um Frieden und Stabilität wiederherzustellen. Zumindest ist das beruhigender als die unschöne Vorstellung, dass man auf einen echten politischen Wandel hinarbeiten müsste, mit dem die grundsätzlichen Annahmen und bequemen Positionen der Eliten (im gesamten politischen Spektrum) infrage gestellt würden.
Das Faschismus-Framing ist naturgemäß rückwärtsgewandt. Es stützt sich immer entweder auf historische Vergleiche, um Analogien zu belegen, oder fixiert sich auf eine Rückkehr zur »Normalität« und zu Normen, die angeblich vor Trumps Präsidentschaft bestanden. Mit anderen Worten: Die einseitige Fixierung auf Faschismus hindert die Liberalen daran, eine attraktive Vision für die Zukunft der USA zu entwickeln. Selbst wenn Biden im November gegen Trump siegt: Ohne eine solche Vision wird die Demokratische Partei weiterhin in ihrem Trott stecken bleiben und immer wieder apokalyptische Szenarien ausmalen, wenn der nächste Trump-ähnliche Kandidat für ein Amt kandidiert. Dabei bleibt dann wenig zusätzliche Energie, um eine eigene überzeugende politische Alternative zu entwickeln.
Es soll keinesfalls bestritten werden, dass die mögliche Wiederwahl Trumps reale Gefahren birgt. Wer sich für die Demokratie einsetzt, muss die Kräfte, die ihr feindlich gegenüberstehen, immer ernst nehmen. Mit den Vorfällen vom 6. Januar und der Weigerung, die Wahlergebnisse von 2020 zu akzeptieren, haben Trump und seine Anhänger gezeigt, dass es ihnen nicht besonders wichtig ist, auf den tatsächlichen Willen des Volkes zu hören. Man kann sich sehr gut vorstellen, dass Trump in seiner idealen Traumwelt per Gesetz allein regiert (wobei man sich vorstellen kann, dass viele oder gar die meisten Präsidenten ähnlich denken würden).
Überall den Faschismus zu sehen, hindert aber diejenigen, die Trumps reaktionäre soziale und wirtschaftliche Positionen zu Recht verachten, daran, die mutigen Alternativen zu entwerfen, die wir für diese neue Ära brauchen, in die wir so eindeutig eintreten. Die Zeit für eindringliche Warnungen vor unserem eigenen, unserem amerikanischen Adolf Hitler (beziehungsweise seinem halb-, proto- oder sonstwie-faschistischen Äquivalent) sollte längst vorbei sein. Wenn wir unsere Demokratie wirklich verbessern wollen, müssen wir die rückwärtsgewandte Faschismusdebatte ad acta legen – und uns aktiv unserer ungewissen Zukunft stellen.
Daniel Steinmetz-Jenkins ist Assistenzprofessor am College of Social Studies der Wesleyan University. Er ist der Herausgeber der Reihe Did It Happen Here? Perspectives on Fascism and America.