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20. Juni 2025

Smartphones gehören abgeschafft

Smartphones machen uns krank, depressiv, antisozial und unfrei. Da wir heute noch nicht fähig sind, die Aufmerksamkeitsökonomie dem Gemeinwohl statt dem Profit zu unterstellen, sollten wir zumindest deren Hauptwerkzeug abschaffen – bevor es uns abschafft.

Smartphones machen uns einsamer, gestresster und ängstlicher – und eine solidarische Gesellschaft unmöglicher.

Smartphones machen uns einsamer, gestresster und ängstlicher – und eine solidarische Gesellschaft unmöglicher.

IMAGO / Zoonar

Verzeihung für die persönliche Anekdote gleich zu Beginn, doch sie hat durchaus Relevanz für diesen Text. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich mein erstes Smartphone kaufte. Es war das Jahr 2010 und ich war gerade von Südkorea zurück nach Kanada gezogen. In Südkorea konnte ich damals noch kein iPhone kaufen. Nach meiner Rückkehr versuchte ich zunächst, mich gegen das sich ausbreitende Phänomen der ständigen Vernetzung zu wehren. Mein Widerstand hielt nicht lange. Ich kaufte mir ein iPhone und richtete es ein. Noch am selben Tag stand ich in einem Café in der Schlange und musste zum ersten Mal in meinem Leben feststellen, dass ich den Kassierer unwillentlich ignorierte, als dieser mich ums Bezahlen bat: Ich war vom Scrollen auf meinem Handy abgelenkt gewesen.

Fünfzehn Jahre, nachdem ich dieses Telefon (und mehrere seiner Nachfolgemodelle) gekauft habe, sind Smartphones überall. Handys sind heute nicht nur Geräte, sondern ein Teil von uns, unseren sozialen Kontakten, unseren Erinnerungen, unserem Denken und sogar unserem Bewusstsein geworden. Im Jahr 2024 hatten 98 Prozent der US-Bürgerinnen und -Bürger ein Handy, davon 91 Prozent Smartphones. Das ist ein gewaltiger Sprung gegenüber den 35 Prozent der Menschen, die zu Beginn der Erfassung dieser Statistik durch Pew Research im Jahr 2011 ein Smart-Gerät besaßen.

Und in vielerlei Hinsicht besitzen die Handys inzwischen uns. Eine Studie aus dem Jahr 2025 ergab, dass der Durchschnittsamerikaner mehr als 200-mal pro Tag auf sein Handy schaut, »in der Zeit, in der wir wach sind, einmal fast alle fünf Minuten«. Die Menschen verbringen jeden Tag Stunden damit, zu scrollen oder zu tippen, und mehr als 40 Prozent geben inzwischen an, sich von ihrem Smartphone wie von einer Droge abhängig zu fühlen.

Verschiedene Studien kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, aber die grundsätzlichen Erkenntnisse sind ähnlich: Die meisten von uns besitzen Smartphones und die meisten von uns verbringen mehr Zeit damit, als ihnen lieb ist. Wir sind an die Geräte gebunden, was erhebliche persönliche und soziale Kosten mit sich bringt. Es gibt viele Gründe, dieses Tool ein für alle Mal abzuschalten.

Was ist smart an Einsamkeit?

Nun wäre ein striktes Verbot von Smartphones, gelinde gesagt, ziemlich drastisch und vermutlich in Kanada, den USA und den meisten anderen westlichen Ländern verfassungswidrig – je nachdem, wie es umgesetzt würde. Es lohnt sich dennoch, über den Vorschlag zumindest nachzudenken, ausgehend von der Prämisse, dass die Nutzung von Smartphones ein Problem für uns alle ist, nicht nur für den Einzelnen. Es ist eine Zwickmühle, aus der wir gemeinsam rauskommen müssen. Denn ob ein Mensch sich derart abkoppeln kann, wird zu einem gewichtigen Teil von gesellschaftlichen Normen und Erwartungen beeinflusst. Anders gesagt: Es ist nahezu unmöglich, das Smartphone wegzulegen, wenn niemand anderes es tut.

Diese kollektive Dimension ist in Schulen bereits erkannt worden; Handys werden dort zunehmend verboten. Die Verantwortlichen verweisen auf immer mehr Belege dafür, dass die Geräte einfach schlecht für Kinder sind. In den USA schicken inzwischen sogar einige bekannte Tech-Vertreter ihre Kinder auf »Anti-Tech-Schulen«. Dies auf den Rest von uns auszuweiten, ist aber eine schwierige Aufgabe. Insbesondere würden wir damit eine Branche bekämpfen, die jedes Jahr Hunderte Milliarden Dollar umsetzt (und immer weiter wächst).

»Smartphones sollen uns ›mit der Welt verbinden‹, aber in Wirklichkeit machen sie uns oft unfähig, Menschen außerhalb unserer Blase auch nur zu verstehen.«

Doch Smartphones sind nicht nur schlecht für Kinder. Sie sind auch schlecht für Erwachsene. Sie machen uns einsamer, depressiver, gestresster, ängstlicher und anfälliger für Selbstmordgedanken. Wenn wir sie am Esstisch oder an anderen Orten, an denen wir uns versammeln und etwas gemeinsam tun, verwenden, macht uns das unglücklich. Smartphones können sich auch negativ auf Bewegung und Sport, Aufmerksamkeit und kognitive Funktionen und sogar auf unser Sexleben auswirken. Kurzum: Smartphones sind schlecht für unsere geistige und körperliche Gesundheit. Sie machen uns unglücklich, dumm und unsozial.

Ein Recht auf Abschalten

Smartphones – und die Social-Media-Apps auf ihnen – sind nicht nur schlecht für die Gesundheit des Individuums. Sie sind auch schädlich für die Gesellschaft, sowohl sozial als auch politisch. Wir wissen schon lange, dass Handys als einfaches Zugangsmittel zum Internet die Verbreitung von Falsch- und Desinformation erleichtern, Wut und Empörung verstärken sowie die Nutzerinnen und Nutzer in algorithmisch auf sie zugeschnittene Medienblasen einschließen. Das Ergebnis ist eine verengte Wahrnehmung, die viele von uns intellektuell isoliert, lediglich reaktiv macht und von gegenteiligen Ansichten abschottet.

Smartphones sollen uns »mit der Welt verbinden«, aber in Wirklichkeit machen sie uns oft unfähig, Menschen außerhalb unserer Blase auch nur zu verstehen – geschweige denn ihnen zu vertrauen. Mit der Zeit vertieft dies die Polarisierung und untergräbt das Vertrauen in gemeinsame Institutionen. Dies wiederum erschwert es, sich auf grundlegende Fakten zu einigen, geschweige denn gemeinsam zu handeln. Die Folge ist nicht nur Verwirrung, sondern eine schleichende Legitimitätskrise.

Selbst wenn Smartphones Zugang zu korrekten Informationen bieten, beeinträchtigen sie unsere Fähigkeit, diese zu verarbeiten oder darauf zu reagieren. Das Tool, das angeblich als Tor zu unendlichen Informationsquellen dienen und uns von Einschränkungen für unser Lernen befreien sollte, hat genau das Gegenteil bewirkt. Genauso wie Smartphones die Illusion sozialer Verbundenheit vermitteln, vermitteln sie ein falsches Gefühl politischer Handlungsfähigkeit. Als ob das Indiehandnehmen des Handys und das Posten eines Beitrags gleichbedeutend wären mit organisieren, mobilisieren, Solidarität aufbauen.

»Regierungen in Staaten wie Frankreich und Australien haben Gesetze für ein ›Recht auf Abschalten‹ verabschiedet. Damit sollen Beschäftigte davon befreit werden, auch außerhalb der Arbeitszeit an ihre Arbeitsgeräte gefesselt sein zu müssen.«

Mittlerweile ist es zur Gewohnheit geworden, sein Handy zu zücken, um schnell einen Beitrag zu schreiben oder auf eine Nachricht zu antworten, während man mit anderen zusammen ist – seien es Freunde, Familie oder, wie in meinem Beispiel, Beschäftigte im Dienstleistungsbereich. Das ist nicht nur unhöflich, sondern beeinträchtigt auch ganz grundlegende soziale Interaktionen. Smartphones sind daher eine antipolitische, antiintellektuelle und antisoziale Gefahr.

Mit dem Smartphone haben wir – genauer: die Tech-Industrie – ein Gerät geschaffen, das uns das Leben schwerer macht. Noch schlimmer ist, dass es für Arbeitnehmer eine echte Belastung ist, immer online und erreichbar zu sein. Chefs nutzen dies oft aus, um die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben zu verwischen. In Millionen von Jobs, die von E-Mails oder Messaging-Apps abhängen, gibt es keine klare Trennung mehr zwischen Arbeit und Privatleben.

Wir sind also nicht nur immer vernetzt, sondern stehen auch immer mit der Arbeit in Verbindung. Das haben Regierungen in Staaten wie Frankreich und Australien erkannt und entsprechende Gesetze für ein »Recht auf Abschalten« verabschiedet. Damit sollen Angestellte davon befreit werden, auch außerhalb der Arbeitszeit an ihre Arbeitsgeräte gefesselt sein zu müssen.

Die Smart-Fesseln abwerfen

Smartphones sind ein Problem für die Gesellschaft als Ganzes, aber besonders für Sozialistinnen und Sozialisten, die sich für eine gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Ordnung einsetzen, die ein gewisses Maß an sozialer Interaktion voraussetzt und erfordert. Genau das wird durch diese Geräte untergraben. Smartphones sind nicht pro-sozial. Es ist schwer vorstellbar, dass eine sozialistische Ordnung von geräteabhängigen Zombies geführt wird, die zunehmend isoliert und bestenfalls halbgebildet sind – und die zu einer Art mündlich weitergegebenen Tradition zurückkehren, die nur durch ChatGPT, schnell hingerotzte Textchen und nihilistische Shitposts auf Twitter/X vermittelt wird. Dazwischen bleibt dann noch ein wenig Zeit zum Videohochladen auf TikTok.

Heute erleben die klassischen Klapphandys oder »Dumbphones« mit eingeschränkten Funktionen eine kleine Renaissance. 2023 wurden in Kanada fast 100.000 derartige Modelle verkauft, ein Plus von 25 Prozent gegenüber 2022. Eine ähnliche Entwicklung ist in den USA zu beobachten. Dennoch bleibt der Großteil der Handynutzer Smartphone-User, sei es aus freier Entscheidung oder aus Gewohnheit, aufgrund von sozialem Druck, beruflichen Anforderungen oder schlichtweg Abhängigkeit. Ist es das, was wir für uns selbst wollen? Für unsere Freunde, Familien und Partner? Sicherlich nicht. Wir stecken in einer Falle – und wir müssen uns selbst daraus befreien.

»Bis Smartphones und sogenannte soziale Medien demokratisch reguliert worden sind, könnte ein Verbot der realistischste Weg sein, um Kontrolle über unser Leben zurückzugewinnen.«

Was, wenn wir Smartphones verbieten und uns somit zwingen würden, frei zu sein? Das klingt vielleicht absurd. Es ist auch weniger ein konkreter Politikvorschlag als ein kollektiver Hilferuf. Viele von uns wollen sich abkoppeln, können das aber nicht alleine – zumindest nicht, ohne den Kontakt zur Welt um sie herum zu verlieren. Die Smartphone-Abkopplung hat heute reale soziale und ökonomische Kosten. Bis Smartphones und sogenannte soziale Medien demokratisch reguliert oder verstaatlicht (und somit von der Notwendigkeit, endlos von unserer Aufmerksamkeit zu profitieren, befreit) worden sind, könnte ein Verbot der realistischste Weg sein, um Kontrolle über unser Leben zurückzugewinnen. Das ist keine Absage an die Freiheit, sondern ein Aufruf zu einer tiefergehenden Form der Freiheit: eine gemeinsame Verpflichtung zu einer Gesellschaftsordnung, die uns unser Leben zurückgibt.

Was wäre, wenn wir uns wie der an den Sirenen vorbeisegelnde Odysseus an den Mast fesseln würden, um uns von den verführerischen, aber in vielfacher Sicht kostspieligen Gesängen unserer Smartphones zu befreien? Was wäre, wenn wir, statt ständig »verbunden« zu sein, wieder miteinander in Verbindung treten würden – mit anderen Menschen, mit uns selbst, mit Büchern und Filmen, mit den Nachrichten, mit der Natur, sogar mit unserer Arbeit – frei vom ständigen Druck unserer Endgeräte? Wir wären möglicherweise klüger, glücklicher, gesünder, freundlicher und präsenter. Besser noch: Wir wären frei.

David Moscrop ist Autor und politischer Kommentator. Er moderiert den Podcast Open to Debate. Von ihm erschien das Buch Too Dumb for Democracy? Why We Make Bad Political Decisions and How We Can Make Better Ones.