20. September 2022
Die explodierenden Energiepreise stürzen viele in die Armut. Deswegen gehört die Energieproduktion in die öffentliche Hand – das ist besser für uns und besser fürs Klima.
Die Enteignung von Energiekonzernen wie RWE wäre nicht nur finanziell stemmbar, sondern würde auch die Einhaltung der Klimaziele gewährleisten.
IMAGO / imagebrokerDie aktuellen Energiepreissteigerungen stoßen Millionen Menschen in die Existenzkrise. Doch für die Energiekonzerne ist dieselbe Krise ein Goldrausch: Die Übergewinne der Strom- und Gasindustrie in Deutschland belaufen sich laut einer Studie des Netzwerks Steuergerechtigkeit allein im Jahr 2022 auf 75 Milliarden Euro. Die Übergewinne der Ölindustrie betragen geschätzt knapp 40 Milliarden Euro. Das sind lediglich die Zusatzgewinne, die über die üblichen Erträge hinausgehen.
Wir erleben aktuell eine gigantische kriegs- und inflationsbedingte Umverteilung von unten nach oben. Zunächst sind dagegen dringende Maßnahmen erforderlich, die sofort wirken: Auch in Deutschland braucht es Gas- und Strompreisdeckel, wie sie in Frankreich, Spanien, Portugal oder Griechenland bereits eingeführt wurden. Zudem ist die Abschöpfung von Übergewinnen der Öl,- Gas-, und Stromindustrie überfällig.
»Eine komplette Verstaatlichung wäre nicht nur günstiger gewesen, man hätte dadurch auch die Geschäftspolitik lenken können.«
Mit der kurzfristig notwendigen Abschöpfung von Krisengewinnen und der Deckelung der Strom- und Gaspreise ist es jedoch noch nicht getan. Denn Jahrzehnte der Liberalisierung des Energiemarktes haben dazu geführt, dass einige wenige Konzerne den Markt beherrschen – und das auf Kosten des Klimas, da sie durch die Verbrennung fossiler Rohstoffe jedes Jahr Milliardengewinne machen. Die galoppierenden Energiepreisen und die fortschreitende Klimakatastrophe beweisen: Wir können uns einen profitorientierten Energiesektor nicht mehr leisten. Die Kontrolle über den Energiesektor gehört in die Hände derer, die sie (ver-)brauchen.
Daher plädierte DIE LINKE Anfang September dafür, Energiekonzerne zu vergesellschaften, was bundesweit für Schlagzeilen sorgte. DIE LINKE nimmt dabei den Einstieg des Staates bei Uniper zum Anlass, um rechtliche und ökonomische Rahmenbedingungen der Vergesellschaftung zu beleuchten. Das Fazit: Die Enteignung der Stromkonzerne ist möglich. Mit dieser Forderung ist die Partei nicht alleine. Auch die Kampagne RWE & Co enteignen aus Nordrhein-Westfalen will die Energieproduktion in die öffentliche Hand überführen.
Die Rettung des Energieversorgers Uniper hat der Debatte um die Enteignung von Energiekonzernen zuletzt Auftrieb verschafft. Aufgrund des Lieferstopps von russischem Erdgas musste das Unternehmen teures Gas vom Weltmarkt kaufen, um seine Lieferverpflichtungen zu erfüllen, und schrieb somit täglich Millionenverluste. Nun soll der Konzern Uniper, der sich mit seinem fossilen Geschäftsmodell verzockt hat, mit mindestens 15 Milliarden Euro Staatsgeldern gerettet werden. Über die Gasumlage werden dem Konzern schätzungsweise weitere 20 Milliarden Euro zufließen. Während die Gewinne der Vorjahre privatisiert wurden, sollen die Verluste nun vom Staat und den Bürgern getragen werden.
Natürlich ist es notwendig, dass der Staat zur Aufrechterhaltung der Gasversorgung eingreift. Doch man fragt sich, warum der Staat derart viel Geld investiert, um 30 Prozent eines Unternehmens zu erwerben, dessen Marktwert gerade bei rund 2 Milliarden Euro liegt. Eine komplette Verstaatlichung zu den aktuellen Marktkonditionen wäre nicht nur günstiger gewesen, man hätte dadurch auch die Geschäftspolitik lenken können. Jetzt möchte der deutsche Staat nicht mal seine Sperrminorität nutzen. Das bedeutet also: Kohle geben, aber nicht mitentscheiden. Zudem hätte man durch eine Verstaatlichung das kostspielige und zweifelhafte Instrument der Gasumlage ad acta legen können. Die Verluste aus dem Gasgeschäft wären damit nicht verschwunden, aber hätten vom Staat aufgefangen werden können.
Um Konzerne in die öffentliche Hand zu überführen, muss der Staat jedoch nicht notwendigerweise Unternehmensanteile über den Markt erwerben: Auch die Enteignung von Energiekonzernen ist mit dem Grundgesetz kompatibel. Denn laut Artikel 14 des Grundgesetzes sind Enteignungen zulässig, wenn sie dem Wohl der Allgemeinheit dienen, und laut Artikel 15 können unter anderem Naturschätze und Produktionsmittel ins Gemeineigentum überführt werden. In beiden Fällen sieht das Grundgesetz vor, dass eine Entschädigung zu leisten ist. Diese Entschädigung kann auch deutlich unterhalb des Marktwerts liegen, wie im Zuge der Debatte um die Kampagne Deutsche Wohnen & Co enteignen deutlich wurde.
»Die Umverteilung von Reichtum durch Güter der öffentlichen Daseinsvorsorge ist nicht länger hinnehmbar und könnte mit der Enteignung von Energiekonzernen beendet werden.«
Durch die profitgetriebene Organisierung unserer Energieversorgung vollzieht sich eine dauerhafte Umverteilung von unten nach oben. Denn die großen Strom- und Gaskonzerne fahren pro Jahr Gewinne in Milliardenhöhe ein und schütten einen Großteil davon an ihre Aktionäre aus. Die Mehrheit der Bevölkerung wiederum zahlt über ihren Konsum von Energie – ein zum Leben notwendiger Grundbedarf – die Dividenden der Reichen. Diese Umverteilung von Reichtum durch Güter der öffentlichen Daseinsvorsorge ist nicht länger hinnehmbar und könnte mit der Enteignung von Energiekonzernen beendet werden.
Das wäre auch vor dem Hintergrund der immer weiter fortschreitenden Klimakatastrophe sinnvoll. Denn private Energiekonzerne, die über Jahrzehnte hinweg fossile Brennstoffe verfeuert haben, sind ein zentraler Treiber der Klimakrise. Da die Verbrennung fossiler Energie für sie weiterhin profitabel ist, werden sie damit länger weitermachen, als es das Weltklima aushalten kann. Und solange unsere Energieversorgung nicht demokratisch kontrollierbar ist, werden wir sie davon auch nicht abhalten können.
Ein Einwand gegen die Enteignung der Energiekonzerne lautet, dass die Gesellschaft in diesem Fall auch die fossile Infrastruktur übernehmen und die Renaturierungskosten von Tagebauen tragen müsste. Allerdings gehen Studien schon jetzt davon aus, dass die Rücklagen der Energiekonzerne für Rückbau- und Renaturierungsmaßnahmen viel zu gering sind und am Ende sowieso der Staat einspringen werden muss, um die Kosten zu decken. Hinzu kommt, dass der geplante Ausbau von fossiler Infrastruktur in Höhe von rund 18 Milliarden Euro ebenfalls durch eine Vergesellschaftung verhindert und der Rückbau fossiler Energieträger beschleunigt werden könnte. Insofern ist es nur sinnvoll, wenn der Staat bei der Planung über den Rückbau selbst die Kontrolle behält. Denn er wird die Kosten ohnehin tragen, da privatwirtschaftliche Akteure versagen.
Doch auch die Gas- und Stromnetze müssen in das Gemeineigentum überführt werden. Denn der überregionale Betrieb der Netze liegt derzeit in den Händen einiger weniger Konzerne. Ihr Geld verdienen die Netzbetreiber über die Netzentgelte, die alle Kundinnen und Kunden mit einem Zugang zum Strom- bzw. Gasnetz zahlen. Diese sind zwar durch die Bundesnetzagentur reguliert, ermöglichen den Netzbetreibern dennoch saftige Profite. Erst im letzten Jahr wurde die Netzrendite neu festgelegt: Die Betreiber dürfen künftig eine Eigenkapitalrendite von 5 Prozent für Neuanlagen und knapp 3,5 Prozent für Altanlagen geltend machen. Was technisch klingt, bedeutet im Klartext, dass der Staat Renditen für Unternehmen garantiert – die wiederum wir alle bezahlen. So machte alleine der Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz im Jahr 2020 einen Gewinn von 193 Millionen Euro. Amprion, ein anderer Stromnetzbetreiber erzielte in den letzten neun Jahren einen Gewinn von mehr als 2,6 Milliarden Euro.
»Was technisch klingt, bedeutet im Klartext, dass der Staat Renditen für Unternehmen garantiert – die wiederum wir alle bezahlen.«
Doch nicht nur das. Die Netzbetreiber können die Bedarfspläne für neue Infrastruktur selbst festlegen. Die Tatsache, dass sie über die Netzentgelte ihre Investitionen refinanziert bekommen, schafft einen Anreiz, die Bedarfe zu überschätzen und mehr Infrastruktur zu bauen, als tatsächlich benötigt wird. Beim Erdgas geschieht das sogar ohne Rücksicht auf Aspekte des Klimaschutzes. In den kommenden Jahren planen die Gasnetzbetreiber etwa 8 Milliarden Euro in neue Erdgasleitungen zu investieren. Das heißt im Klartext: Wir alle werden in den kommenden Jahren alleine über die Netzentgelte 8 Milliarden Euro für neue Leitungen zahlen müssen, die fossiles Gas transportieren sollen, dessen Verbrennung nicht mit den Klimazielen kompatibel ist und bei denen am Ende nicht einmal klar ist, ob sie überhaupt gebraucht werden.
Die Höhe und die Finanzierung der zu leistenden Entschädigungszahlungen ist einer der Knackpunkte der Vergesellschaftung. Denkbar wäre etwa eine Entschädigung auf Grundlage des vorhandenen Eigenkapitals, aktueller Börsenkurse oder zu erwartenden Erträgen. DIE LINKE rechnet vor, dass sich die Entschädigungssumme für RWE auf 16 bis 28 Milliarden Euro belaufen würde. Die Entschädigungssumme bei EnBW dürfte zwischen 8 und 23 Milliarden Euro und bei Eon zwischen 18 und 24 Milliarden Euro liegen. Die drei größten deutschen Stromversorger könnten also für eine Summe von maximal 75 Milliarden Euro enteignet werden.
»Finanziert werden kann die Vergesellschaftung beispielsweise durch eine konsequente Besteuerung von Übergewinnen.«
Allerdings blendet dieser Vorschlag aus, dass die großen Energiekonzerne nicht nur aktuell viel Geld mit der Verbrennung fossiler Energie verdienen, sondern planen, auch in den kommenden Jahren fossile Energieträger zu verbrennen. Mit den Klimazielen verträgt sich das nicht. Bei der Berechnung möglicher Entschädigungen kann daher berücksichtigt werden, wie viel fossile Energie noch maximal verbrannt werden kann, um die Pariser Klimaziele einzuhalten. Daraus ergibt sich ein fiktiver Gewinn der Energiekonzerne. Von diesem müssten alle zu erwartenden Kosten für die Renaturierung und den Rückbau fossiler Infrastruktur abgezogen werden. Die verbleibende Summe ist weitaus niedriger als die oben errechnete und dürfte im niedrigen zweistelligen Milliardenbereich liegen. Indem die Altlasten der Konzerne eingerechnet werden, minimiert sich nicht nur das finanzielle Risiko für die Gesellschaft, es würde gleichzeitig auch gewährleistet, dass im Rahmen der Enteignung die Klimaziele eingehalten werden.
Finanziert werden kann die Vergesellschaftung beispielsweise durch eine konsequente Besteuerung von Übergewinnen, die laut der oben genannten Studie des Netzwerks Steuergerechtigkeit mehr als 100 Milliarden Euro einbringen würde. Die Einnahmen aus dieser Steuer sollten in ein Sondervermögen für Klimagerechtigkeit überführt werden, wie Lorenz Gösta Beutin und ich es bereits im März vorgeschlagen haben und wie es mittlerweile auch Fridays for Future fordert. Mit diesem Sondervermögen könnte eine wirksame Entlastung in der Krise, der konsequente Ausbau der erneuerbaren Energien sowie die Entschädigungszahlungen für die Enteignung finanziert werden.
Bleibt zum Schluss die Frage, was mit den Energieversorgern und Netzen passieren soll, wenn sie der privaten Kontrolle entzogen sind. Eine Verstaatlichung, also die Kontrolle des Staates, ist nicht erstrebenswert, da das die Energieversorgung der Abhängigkeit wechselnder politischer Mehrheiten unterwerfen würde. Dass staatliche Kontrolle weder ein Garant für gemeinwohlorientierte Politik noch für einen klimagerechten Unternehmenskurs ist, zeigt sich bereits am Konzern EnBW, der zu mehr als 46 Prozent dem Land Baden-Württemberg gehört. Knapp ein Drittel der Stromproduktion speist sich noch immer aus fossilen Energieträgern. Und gegenwärtig beweist der grüne Wirtschaftsminister Habeck, dass auch auf die Beteuerungen einer vermeintlichen Klimaregierung kein Verlass ist: Entgegen der Meinung von Expertinnen plant Habeck den massiven Zubau von mindestens sieben stationären Flüssiggasterminals in Deutschland. Wir müssen den Energiesektor also nicht nur den Händen kapitalistischer Unternehmen entreißen, wir dürfen ihn auch nicht einer politischen Klasse überlassen, die in deren Interesse agiert.
Stattdessen muss die Gesellschaft darüber entscheiden können, wie die Energieversorgung der Zukunft aussehen soll. Den Rahmen für eine solche demokratische Kontrolle müssen die Klimaziele setzen. So könnten wir etwa Energieräte gründen, in denen Arbeiterinnen und Arbeiter aus der Energiebranche, Wissenschaftlerinnen und Repräsentanten der Bevölkerung vertreten sind, die mit der Planung und Kontrolle des Energiesektors beauftragt werden. Gemeinsam könnten sie gewährleisten, dass die Ausrichtung unseres Energiesystems dem Wohl von Menschen und Klima folgt.
Die Folgen des Kriegs in der Ukraine machen uns einmal mehr bewusst, wie fatal die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen ist. Begreifen wir die aktuelle Krise also eine wirkliche Zeitenwende – aber nicht als militärische, sondern als eine, die die Kontrolle über die Energieversorgung den Menschen zurückgibt. War das Zeitalter der fossilen Energien geprägt von privaten Profiten im Energiesektor, muss das Zeitalter der regenerativen Energien geprägt sein von Gemeineigentum und demokratischer Kontrolle über unsere Energieversorgung. Die Vergesellschaftung der Energiekonzerne ist angesichts der multiplen Krise unserer Zeit alternativlos.
Maximilian Becker ist Ökonom und seit vielen Jahren in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv. Bis Juni 2022 war er zudem Mitglied im Parteivorstand der LINKEN.