01. Dezember 2020
In der Bewegung um QAnon verschmelzen alte, rechte Ressentiments zu einem bizarren Verschwörungsmythos. Doch der Anhängerschaft fehlt ein verbindendes Thema und die politische Führung. Entspannt zurücklehnen sollte man sich jetzt trotzdem nicht.
QAnon ist ein Sammelbecken für Reichsbürger, Querdenker und Impfgegner.
Zu den eigentümlichsten Erscheinungen der politischen Arena der letzten vier Jahre in den USA und Deutschland zählt ohne Frage »Q«. Seit 2017 tauchten zunächst vor allem auf Wahlkampfauftritten Donald Trumps Menschen auf, die ein »Q« auf der Brust ihres T-Shirts oder einem selbstgebastelten Schild trugen. Wenig später fanden sich auf Facebook die ersten Anhängerinnen und Anhänger, die seltsame Hashtags wie »#wwg1wga« – »Where we go one, we go all« – in ihre Schimpftiraden einflochten, und als auch unter Terroristen, wie dem Attentäter von Hanau, eine Nähe zu dem seltsamen Kult auszumachen war, begann die Tagespresse sich intensiver mit dem Phänomen zu befassen.
Da der primäre Artikulationsraum der Verschwörungserzählung um QAnon das Internet ist und die Anhängerschaft dort überwiegend anonym auftritt und zudem oft unklar bleibt, wo tatsächliche Unterstützung, wo nur Koketterie und wo einfach Lust an der Provokation dahintersteckt, ist schwer zu ermitteln, wie viele sich tatsächlich zu der Verschwörungsbewegung zählen lassen. Klar ist dennoch, dass es sich hierbei nicht lediglich um eine Medienpanik handelt. Vor allem 2020 standen die »QAnons« zunehmend im Zentrum politischer Auseinandersetzungen: Im Wahlkampf in den USA bekannten sich einzelne republikanische Kandidatinnen und Kandidaten offen zu dieser Verschwörungstheorie, während Donald Trump sich offensiv nicht davon distanzierte. In Deutschland war das »Q« auf den Fahnen und Schildern der Demonstrationen der Corona-Leugner allgegenwärtig und ging hierzulande eine enge Liaison mit der Ideologie der sogenannten »Reichsbürger« ein – was sich wohl am prominentesten in den sich immer weiter radikalisierenden Tiraden von B-Prominenten wie Xavier Naidoo oder Attila Hildmann zeigte.
Inzwischen ist es wieder merklich stiller geworden um QAnon. Doch noch vor wenigen Wochen war im Spiegel vom »gefährlichsten Kult unserer Zeit« zu lesen und in den großen Tages- und Wochenzeitungen fanden sich Erklärtexte über diese seltsame Verschwörungsgemeinde, die sich um die orakelnden Andeutungen eines Unbekannten auf Nischenboards des Internets scharte und von dort aus in den rechten und rechtsextremen Mainstream ausstrahlte. Mit der Abwahl von Donald Trump, die immer weniger wie der geniale Schachzug wirkt, als den ihn die getreuen »Anons« gern verstehen wollen, scheint nun ein Kipppunkt erreicht zu sein: Der Antisemitismusbeauftragte des Landes Baden-Württemberg, Michael Blume, verkündete in einem Interview, dass der unvermeidliche Zerfall der Bewegung bereits in Gang sei – und auch auf den Boards der »Gläubigen« macht sich Resignation (und die Schadenfreude der Trolls) breit.
Aber vielleicht kommt der Abgesang zu früh. Gänzlich unklar ist außerdem, wie viele von denen, die sich in diesem Verschwörungsuniversum verheddert hatten, jetzt einfach zur nächsten Verschwörung ziehen oder sich weiter radikalisieren.
Doch selbst wenn es das wirklich gewesen sein sollte, habe ich in meiner Forschung zu rechten und rechtsextremen Mobilisierungen in den USA und Deutschland eines gelernt, nämlich wie wichtig es ist, den Blick nicht nur auf die aktuellen Ereignisse zu richten, von denen man sich überrumpelt fühlt, und sich auch nicht gleich wieder entspannt zurückzulehnen, wenn es doch nicht so schlimm kam wie zwischendurch möglich schien: Auch wenn die Wahlergebnisse der AfD nicht mehr kontinuierlich steigen und Donald Trump abgewählt wurde – die gesellschaftlichen Konfliktlagen, die ihnen in kürzester Zeit zu so viel Aufwind verhalfen, dass die journalistische, wissenschaftliche und politische Öffentlichkeit davon gleichermaßen überwältigt wurde, sind längst nicht theoretisch und schon gar nicht praktisch aufgearbeitet. Sie jetzt zu verdrängen würde heißen, sich nicht darauf vorzubereiten, dass sie wieder aufbrechen werden.
Um ein besseres Verständnis für die Mobilisierung der extremen Rechten zu gewinnen, lohnt sich ein Blick auf die QAnon-Anhängerinnen und -Anhänger, gerade weil sie eine so abseitig und schrill wirkende Gemeinde bilden: Denn wenn so viele Menschen bereit sind, sich an der Ausarbeitung und Verbreitung von Theorien zu beteiligen, obwohl sie dafür soziale Isolation in Kauf nehmen müssen, sich der Lächerlichkeit preisgeben und ganz offensichtlich viel von dem über Bord gehen lassen müssen, was man gemeinhin als gesunden Menschenverstand bezeichnen würde, dann ist davon auszugehen, dass sie sich damit ein Bedürfnis erfüllen, auch wenn auf den ersten Blick unmittelbar kaum Vorteile für sie daraus erwachsen. Im Zentrum steht nicht die Frage, wie gefährlich diese Bewegung ist, wie sie sich organisiert oder wie diese Bewegung sich in Zukunft entwickeln wird, sondern inwiefern diese Verschwörungsgemeinde in ihrer Form und ihrem Inhalt als Symptom für den Stand und die Probleme der rechtsextremen Mobilisierung, deren Teil sie ohne Frage ist, verstanden werden kann.
Was sich in der Bewegung um QAnon zeigt, ist zum einen, dass die extreme Rechte auf einen Grundstock an fest verankerten, wenn auch teilweise nur diffus artikulierten Ressentiments und Verschwörungsmythen zurückgreifen kann, der gesellschaftlich tiefer und weiter greift, als wir vielleicht wahrhaben wollen. Zum anderen wird dabei aber auch deutlich, dass ihr dabei der thematische Fokus eines wirklich mobilisierenden Themas und vor allem die politische Führung fehlt – was allerdings nur ein schwacher Trost ist, wenn man sich vor Augen führt, wie sehr sie beides herbeisehnen und eben, in der Form der QAnon Verschwörungstheorie, auch ganz manifest herbeihalluzinieren.
QAnon ist weniger eine klar umrissene Verschwörungstheorie oder eine Bewegung mit einem politischen Programm, sondern in erster Linie eine Art diffuse Meta-Verschwörungsgemeinde, in der kollektiv der Zusammenhang von allem mit allem herbeidebattiert wird. Im Zentrum steht »Q«: Ein anonymer Poster, der seinem eigenen Bekunden nach ein Informant aus dem engsten Vertrautenkreis des US-Präsidenten sei und in orakelnden Anspielungen und vagen Stichworten auf obskuren Boards im Internet – zuerst 4chan, später 8chan, schließlich und bis heute 8kun – Hinweise zum aktuellen Stand einer pädophil-satanistischen Weltverschwörung und ihrer Bekämpfung durch Donald Trump gibt.
Diese Hinweise werden auf diesen Boards von einer eingeschworenen und sehr engagierten Armee der digitalen Lumpenavantgarde interpretiert, diskutiert und immer wieder neu-ausgelegt und mit Fundstücken aus den Weiten des Web »belegt«. Da diese Gemeinde grundsätzlich anonym kommuniziert, ist in diesen Diskussionen trotz des erkennbaren Engagements der meisten nie ganz klar, was ernst gemeint, was geglaubt, was »bloß ein Witz«, was Trolling und was Rollenspiel ist – einige wenige destillieren daraus dann in einer nicht zu unterschätzenden kuratorischen Leistung, was als »Ergebnis« aus diesen Diskussionen festgehalten und weitergegeben werden sollte.
Um diesen inneren Kreis sammeln sich Blogs und Foren, in denen diese Inhalte dann einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, die sich auf diesen Image-Boards nicht zurechtfinden würde oder von der dort verbreiteten ultra-gewaltverherrlichenden, pornographischen und offen antisemitischen und rassistischen Sprache abgeschreckt wäre oder zumindest zu besorgt darüber, solche Inhalte auf ihrem Rechner abzurufen. Hier werden diese Inhalte für die weitere Diskussion und Verbreitung aufbereitet und in verschiedene Sprachen übersetzt. Und von dort strahlen sie dann in die niedrigschwelligen rechten Youtube-Kanäle und Nachrichtenportale und von dort schlussendlich in den Mainstream der Presseberichterstattung.
Mit jedem Schritt nimmt dabei die Interaktivität und erkennbar auch die Verbindlichkeit ab. Dass das Magazin Compact im Herbst diesen Jahres mit einem großen »Q« aufmachte, dies aber als Versal für »Querdenker« setzte, und sich auch im Heft selbst nicht entscheiden konnte, ob man sich die Theorien von QAnon zu eigen machen oder nur darüber berichten wollte, ist ein Beispiel für eine in den rechten und rechtsextremen Publikumsmedien durchaus verbreitete Form des vorsichtigen Kokettierens. Man will nicht riskieren, mit den »Aluhüten« in einen Topf geworfen zu werden, auf ihre Tabubrüche und ihre Anschlussfähigkeit möchte man aber nicht verzichten. Damit wird QAnon einem immer größeren Kreis von Menschen zugängig gemacht. Der in den rechten Medien und auf den Blogs und Foren der Sympathisantinnen und Sympathisanten mantraartig wiederholte Aufruf, man möge doch bitte nicht alles glauben, sondern auf jeden Fall seine eigenen »Nachforschungen« anstellen und sich eine eigene Meinung bilden, wirkt dabei weniger wie ein Aufruf zu einem kritischen Diskurs, sondern vor allem wie ein ständiger Appell, sich tiefer in die Materie hinein zu begeben und selbst aktiv an der Entwicklung und Verbreitung der Verschwörungstheorien mitzuwirken.
Diese Struktur hat mindestens zwei wichtige Vorteile gegenüber anderen Verschwörungstheorie-Gemeinden oder vergleichbaren Kulten: Verbindlichkeit wird über Partizipation hergestellt, die gleichzeitig eine Sogwirkung entfaltet. Denn wenn man eine Theorie mit ausgearbeitet und »recherchiert« hat, dann erhöht sich dadurch die Bereitschaft, sie bis aufs Letzte – und vor allem gegen alle Evidenz – zu verteidigen. Man kennt das aus dem Alltag: Kaum ein Irrtum ist so hartnäckig wie der, den man selbst begeht. Und wer widerspricht, wird darauf hingewiesen, dass er doch bitte nicht den Systemmedien vertrauen möge, aber gerne tiefer in die Debatte einsteigen könne – was letztlich wieder nur einer Aufforderung, sich an der Ausarbeitung der Theorien zu beteiligen, gleichkommt. Gerade weil die Kommunikation zwischen dem inneren Kern und dem äußeren Kreis einer Art stillen Post gleicht, hat die Theorie am Ende eine inhärente Unschärfe, die sie fast unmöglich zu widerlegen macht.
Symptomatisch dafür ist die Reaktion Xavier Naidoos – der allem Anschein nach im dritten Kreis der QAnon-Hölle sein zu Hause gefunden hat – auf Kritik an einem von ihm veröffentlichten Video, in dem er unter Tränen seine Erleichterung darüber kundgetan hatte, dass nun endlich weltweit Kinder aus den Kellern der Pädophilen-Satanisten-Verschwörung befreit werden würden. Als er kurz danach darauf angesprochen wurde, dass das offensichtlich nicht eingetreten sei, entgegnete er: Es sei eben ein Übersetzungsfehler gewesen.
Doch nicht nur auf dieser organisatorischen Ebene ist QAnon gegenüber seinen Vorläufern innovativ – auch die innere Struktur ihrer Verschwörungsfantasie unterscheidet sich deutlich von anderen, ähnlich ambitionierten Verschwörungsmythen mit Welterklärungsanspruch. Bei genauerem Hinsehen stellt sich heraus, dass QAnon eine globale Verschwörungserzählung spinnt, in der nicht nur eine, sondern vielmehr zwei Verschwörungsfantasien alles in sich hineinsaugen, was sich zu »Teig« – wie die »Anons« ihre Materialsammlungen selbst nennen – verrühren lässt.
Die zunächst sichtbarere – und vermutlich unmittelbar gefährlichere – Erzählung, ist die der bösen Verschwörung um eine globale, satanistische Kabale, in der reiche Eliten, die den Staatsapparat und die Medien vollends dominieren, kleine Kinder missbrauchen und aus ihrem Blut eine Substanz gewinnen, nämlich das durchaus reale, wenn auch lange nicht so alchemistisch interessante Adrenochrom, das sie dann zur Selbstverjüngung und als Rauschmittel konsumieren.
Die Evergreens der Verschwörungsmythen feiern in diesem Mashup fröhlich Urständ: Der antisemitische Mythos vom Ritualmord an Christenkindern trifft hier auf die Kindesmissbrauchspanik der US-amerikanischen Konservativen, die in den späten 1980ern und frühen 90ern gegen die Ausweitung von vorschulischer Kinderbetreuung gewettert hatten, und wird verquickt mit den antikommunistischen Verschwörungstheorien der McCarthy-Ära, dem Nachhall der Epstein-Skandale, der Impfskepsis und auch sonst allen Halbwelt-Theorien von den Illuminaten bis zu den Echsenmenschen. Lediglich Vertreterinnen und Vertreter der Chemtrail- und Hohlerde-Theorien habe ich bisher in meinen Recherchen nicht getroffen.
Auch kleinere, in den sozialen Medien nur kurzzeitig kursierende Verschwörungsvermutungen werden gern eingemeindet, wie etwa der kurze aber heftige Twitter-Sturm, der um die Behauptung kreiste, die mitunter wirklich sehr teuren Kleiderschränke des Internetversands Wayfair wären, wie man an den Namen der Schränke ablesen könnte, nur Tarnangebote über die sich vermisste Kinder im Internet bestellen ließen. Das Schockierende an dieser Verschwörung ist vor allem, wie viele offen dafür sind, sie zu teilen und zu verbreiten, auch wenn sie gerade nicht im Zentrum der Q-Erzählung steht. Theorien wie diese bilden gewissermaßen das Fundament des gesellschaftlichen Irrsinns, auf das QAnon bauen kann, ohne es erst herstellen zu müssen.
Das wirkliche »Innovationspotential« von QAnon – gegenüber all den Traditionen, die sich in der bösen Verschwörung vermengt finden – liegt aber eben in der zweiten, der »guten« Verschwörung. Schon die ersten »Drops«, wie die Nachrichten von »Q« bezeichnet werden, zielten ja nicht so sehr auf die Entlarvung der bösen Verschwörung. Diese wurde vielmehr als bekannt vorausgesetzt. Es ging eher darum, zu belegen, dass hinter dem kopflos wirkenden Agieren der Trump-Administration rund um die Ermittlungen zur russischen Einmischung in die Wahl von 2016 in Wirklichkeit ein grandioser Plan auszumachen sei, der sich zum jetzigen Zeitpunkt lediglich noch nicht zu erkennen geben könnte. Dieser steilen These nach habe Trump selbst die sogenannte »Russiagate«-Affäre eingefädelt, um die Eliten in Sicherheit zu wiegen und zugleich vertrauten Sicherheitsleuten die Gelegenheit zu geben, gegen sie zu ermitteln.
Und dieses Muster wiederholt sich: Wer, wie ich, in den letzten Wochen des Medienspektakels um die Wahl Joe Bidens überdrüssig war und durch die halbseidenen Winkel des Internets flanierte, in denen die Anhängerinnen und Anhänger von QAnon versuchten, sich einen Reim auf den von ihnen unerwarteten Ausgang der Wahl zu machen (den sie nicht unbedingt um mehr Prozentpunkte falsch eingeschätzt hatten als die offiziellen Wahlstatistiken), der erlebte dort eine Überraschung. Belege für Wahlfälschung wurden hier schon gar nicht mehr gesucht – sie wurden wieder schlicht als bekannt vorausgesetzt. Nein, es ging beinahe ausschließlich darum, nach Anzeichen zu fahnden, dass dahinter Trump selbst stecken könnte, der seinen Gegnerinnen und Gegnern damit eine Falle gestellt hatte. Wusstest Du zum Beispiel, dass alle Wahlzettel mit einem Blockchain-Wasserzeichen versehen waren, und dass die Wahlsoftware, die aus China und Venezuela stammte, von Trumps Vertrauten gehackt worden war, so dass in dem zu erwartenden Gerichtsprozess gegen die satanistisch-pädophile Elite nun zweifelsfrei nachzuweisen sein wird, wer sich wann wo schuldig gemacht hat? Du hättest es wissen können, denn »Q« hatte schon vor Wochen in einem seiner abstrakten Gedichte orakelt: Watch the Water!
Und auch in einem Interview, das Journalistinnen und Journalisten mit der Einpeitscherin der vielbeachteten »Erstürmung« der Reichstagstreppe bei der Demonstration am 29. August führten, geht es der Befragten nicht etwa darum, zu erläutern, warum sie und ihresgleichen den Reichstag für stürmenswert hielten, sondern darum, warum dafür die Zeit für gekommen sei – weil nämlich die »Zeichen« dafür gesprochen hätten, dass Trump in Berlin gelandet sei und die Polizei sich logischerweise hätte zurückziehen müssen.
In den Bekenntnisbeiträgen von QAnon-Anhängerinnen und -Anhängern in den sozialen Medien wird wieder und wieder deutlich, dass die zentrale »Erleuchtung« in der Erkenntnis liegt, dass es diese »gute« Verschwörung gibt.
Die Vermutung, dass die Rothschilds das rote Kreuz gegründet hätten, um durch Blutspenden an möglichst große Mengen Blut für ihre finsteren Machenschaften zu kommen, oder dass Bill Gates mit seiner Impfkampagne das »Gottes-Gen« löschen und den Menschen damit wieder zum Tier machen wolle – all diese hochgradig antisemitisch aufgeladenen, rassistisch und antifeministisch unterfütterten Ressentimenterzählungen sind eigentlich kalter Kaffee. Das wird auf diesen Boards gar nicht mehr als Erkenntnis gehandelt. Man gibt zumindest vor, das schon immer gewusst oder zumindest geahnt zu haben. Was »Q« einem gab und gibt, das ist die Gewissheit, dass jemand etwas dagegen unternimmt, und dass ich diesem Jemand vertrauen kann, auch wenn ich ihn nicht verstehe. »Trust the plan«, wird immer wieder angemahnt, wenn jemand, vor allem im innersten Kreis, eine Glaubenskrise andeutet.
Wenn es so etwas wie die Signatur der QAnon-Verschwörung gibt, etwas, was sie von all den anderen Geschichten von Echsenmenschen und Chemtrails abhebt, dann ist es das dauernde, auch gegen alle Evidenz anarbeitende Bemühen darum, sich gemeinsam einzureden, dass man schon einen Plan und einen Führer hat, auch wenn das, für den Moment, noch geheim bleiben muss. Das Gefühl, einer Gemeinschaft der Eingeweihten anzugehören, ist bei Verschwörungstheorien allgemein ein wichtiger Selling-Point – und bei QAnon ist es wahrscheinlich sogar der wichtigste.
Die daraus resultierende, seltsam verschraubte Doppelverschwörungstheorie – die Idee, dass man einer geheimen Verschwörung angehört, ohne sie durchdringen zu können, die sich im Verborgenen halten muss, um gegen die zweite, eigentlich offensichtliche Verschwörung anarbeiten zu können, die außer einem selbst auch keiner sieht – macht Q-Anon zu einer rational fast uneinholbaren Projektionsfläche.
Beide Enden der Theorie fließen ins »Verborgene«. Wenn es nicht so ernste Konsequenzen hätte, könnte man das lustig finden: Eine heimliche Verschwörung kämpft auf unsichtbare Weise gegen unbemerkte Untaten einer zweiten Verschwörung – und all das lässt sich in der Welt da draußen nur an für Außenstehende kaum noch nachvollziehbaren Interpretationen von Kleinigkeiten festmachen. So wird dann aus dem anbiedernden Tweet »Five Jobs I’ve Had« des ehemaligen FBI-Direktors ein klarer Hinweis auf einen geplanten islamistischen Anschlag auf eine Schulfeier, weil die Großbuchstaben des Titels FJIH(ad) ergeben – was wahlweise als »Fuck Jihad« oder »Five Jihad« gedeutet wurde – und die Anfangsbuchstaben der Zeilen der dazu geposteten Liste sich zum abgekürzten Namen einer Schule in Kalifornien fügen lassen.
Es ist zu leicht, sich über die Realitätsferne der Anhängerinnen und Anhänger von Verschwörungstheorien lustig zu machen. Die Alternative zur Häme gegenüber »Aluhüten« kann aber nun auch nicht einfach sein, den »rationalen« Kern der Theorien herauszuarbeiten und den Rest als Verwirrung beiseite zu schieben: Zumindest bei so ausgreifenden Weltverschwörungstheorien wie QAnon ist die Verwirrung kein zufälliges Beiwerk, sondern zentraler Teil des Programms. Es wäre falsch, davon auszugehen, dass der Kern von QAnon so etwas wäre wie die Angst vor Kindesmissbrauch, die Kritik an der einseitigen Medienberichterstattung über Donald Trump oder am Ende sogar versteckte, eigentlich linke Herrschaftskritik. All das mag sie anschlussfähiger machen, aber es erklärt weder ihre Form noch ihren Gehalt.
Wenn man sich die QAnon-Gemeinschaft genauer daraufhin betrachtet, was sie über die politische Verfasstheit der extremen Rechten besagt, dann lassen sich daraus eine gute und mindestens zwei schlechte Nachrichten ableiten: Wenn dermaßen viele Menschen sich so leicht »redpillen« lassen – also bereit sind, mit ein bisschen Recherche-Spielen und Zureden von interessierter Seite ihr gesamtes Weltbild auf den Kopf zu stellen – dann bedeutet das, dass diese Menschen ihre Weltanschauung vermutlich gar nicht so radikal umkrempeln mussten. Oft wird angeführt, dass die Anziehungskraft von Verschwörungserzählungen daher rühren würde, dass sie einfach Antworten auf komplexe Problemlagen lieferten. Doch wenn ich bereitwillig den Gedanken akzeptiere, dass die Rothschilds (als Codewort für: die Jüdinnen und Juden) und Bill Gates hinter Schandtaten stecken, von denen ich bis dato gar nichts wusste, und dass Donald Trump eine mir bis dahin ebenso verborgene Geheimoperation anführt, die diese Schandtaten vereiteln soll, dann führt dieser Erklärungsversuch ins Leere. Schließlich wird hier – keine »einfache« Erklärung für einen »komplizierten« Sachverhalt akzeptiert, denn zum einen ist die Erklärung alles andere als einfach, und zum anderen gibt es den Sachverhalt ohne die Erklärung gar nicht erst. Das überzeugt mich nur, wenn ich bereits glauben möchte oder ohnehin schon annehme, dass die Rothschilds mir Übles wollen und dass es einen starken Mann braucht, um sie zu bekämpfen.
Es ist sicher so, dass QAnon solche Ressentiments bei vielen erhärtet und manch einen dazu bringt, jetzt wirklich zu artikulieren, was bis dahin nur dumpfe Ahnung war – aber vor allem ist der Erfolg dieser Bewegung ein Zeichen dafür, wie weit verbreitet all diese Ressentiments schon waren. Die extreme Rechte kann nicht nur auf ein diffuses soziales Unbehagen zurückgreifen, sie kann auch darauf vertrauen, dass dieses Unbehagen in den letzten Jahren und Jahrzehnten bei vielen schon in die reaktionärste Form gepresst wurde. Es wäre falsch anzunehmen, dass Autoritätssehnsucht, rassistische Abwertung und Sexpanik lediglich die verirrte Artikulation einer Herrschaftskritik, einem Leiden am gesellschaftlichen Konkurrenzdruck und der Kommodifizierung der Sexualität sei, die man nur »freilegen« müsse. Denn Ersteres funktioniert gerade als ideologische Abwehr gegen eine Auseinandersetzung mit Letzterem.
Aber es gibt auch eine gute Nachricht: QAnon, diese diffuse, aber hochesoterische Theorie davon, wie alles mit allem zusammenhängt, und die bei einem Großteil der Gesellschaft eher ungläubiges Entsetzen oder Kopfschütteln hervorruft, belegt, dass die extreme Rechte bislang unfähig ist, die vorhandenen Ressentiments in eine zielgerichtete politische Mobilisierung umzulenken. Es gibt weder ein gemeinsames Thema, unter dem die heterogenen und sich widersprechenden Klassenlagen und politischen Subgruppen sich wirklich versammeln ließen, noch eine politische Organisation, die der Bewegung eine Form geben könnte, die über Verschwörungsgeraune und protomilitaristischen Pfadfinderkitsch hinausgehen würde.
Doch es wäre zu kurz gegriffen, wenn man dahinter nur die Inkompetenz des rechten Führungspersonals vermuten würde – es sind vielmehr auch reale Interessenswidersprüche zwischen den einzelnen Fraktionen, die sich nicht so einfach in einem politisch-ideologischen Programm zusammenbringen lassen. Allerdings ist diese Nachricht keine Entwarnung: Denn in QAnon drückt sich ein reales Bedürfnis aus – was »Q« seinen Anhängerinnen und Anhängern lieferte, war vor allem die geteilte Illusion, dass Donald Trump der »starke Mann« sei, der mit der »Linken« und den »korrupten Eliten« gleichermaßen aufräumen könnte. Seien wir froh, dass dieser Wunsch dieses Mal nur in der Fantasie befriedigt werden konnte.